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Nachruf auf Ulrich Finckh

Mitteilungen23909/2019Seite 17 - 19

In: Mitteilungen 239, S. 17 – 19

Am 25. Juli 2019 ist Pfarrer i.R. Ulrich Finckh mit 91 Jahren verstorben. Mit ihm verliert die deutsche Zivilgesellschaft eine ihrer markantesten Persönlichkeiten. „Aufgewachsen in Diktatur und Krieg, stritt er sein Leben lang für Frieden und Menschenrechte“, heißt es in der Todesanzeige. In der Tat, sein Engagement kam seiner evangelischen Kirche, Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen ebenso wie zahlreichen anderen Einrichtungen und Bewegungen zu Gute. Über die langjährige Mitarbeit in der Gustav Heinemann-Initiative hat Ulrich Finckh nach der Fusion beider Bürgerrechtsoganisationen im Jahr 2009 zur Humanistischen Union (HU) gefunden. Im Beirat der HU und in den Redaktionen sowohl unserer Zeitschrift „vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik“ als auch des „Grundrechte-Reports“ hat der ehemalige Pfarrer und umtriebige Publizist Finckh seine Mitstreiter immer wieder in seinen Bann gezogen. Ein Rückblick auf sein Leben erklärt, warum das so war.

Aufgewachsen ist er in einem liberalen Elternhaus mit kirchlichen Bindungen. Im zweiten Weltkrieg war er junger Flakhelfer. Mit Schlitzohrigkeit ist er den Fängen der SS entgangen, die schon bei den 15jährigen rekrutierte, indem er naiv fragte, ob man denn auch wie die Ärzte studieren könne, wenn man wie er Pfarrer werden wolle.
Als Konsequenz aus den NS-Verbrechen ging es dem Pfarrer Finckh im neuen demokratischen Staat um aktives Eintreten für Menschen- und Bürgerrechte und um den Rechtsstaat. Zentral waren für ihn Fragen des Glaubens in einer von wissenschaftlichem Denken geprägten Moderne und ein auf die Botschaft Jesu und nicht zuletzt auf das Völkerrecht begründeter Pazifismus. Krieg als Mittel der Politik hat er generell abgelehnt, weil die Entwicklung des modernen Krieges in Richtung Luftkrieg geht, der katastrophal für die Zivilbevölkerung sei und dem Völkerrecht widerspreche, weil das Risiko stets hoch ist, Unbeteiligte zu vernichten. Es war nur konsequent, dass Finckh strikter Gegner der Wiederaufrüstung unter Bundeskanzler Adenauer gewesen ist und sich jahrzehntelang für Kriegsdienstverweigerer und deren Rechte eingesetzt hat.

„Im Straßenverkehr können Sie doch auch Menschen töten“ – das war die Konstruktion, mit der der Antrag eines Kriegsdienstverweigerers abgelehnt wurde, der mit Taxifahrten sein Studium finanzierte. Solch abenteurliche Argumente und die Zahlenschwindeleien aus dem Bundesverteidigungsministerium bei der Berechnung von tatsächlich Wehrpflichtigen und der vergleichbaren Dauer von Wehr- und „Ersatz“-Dienst gehörten zu den Auseinandersetzungen, die der Pfarrer und unter anderem langjährige Vorsitzende der „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V.“, Ulrich Finckh, immer wieder zu bestehen hatte.

„Dreimal gelang es mir, politische Begriffe inhaltlich so zu prägen, dass Unrecht damit beendet wurde“, schreibt Ulrich Finckh in seiner kürzlich im Donat Verlag erschienenen Autobiographie. Eine „rhetorische Großtat“, die ins Schwarze traf und in der politischen Kommunikation ein scharfes Schwert wurde, war die Anklage gegen die Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer als „Inquisition des Gewissens.“ Gewissen ist Ausdruck größter Subjektivität und kann nicht gemessen werden. Es brauchte Jahre, bis eine vom Kalten Krieg und Antikommunismus geprägte Bevölkerung das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Kriegsdienstverweigerung den jungen Leuten in Form von gesellschaftlich-politischer Anerkennung auch zusprach. Finckh hat für die Metamorphose der unzutreffend als „Ersatz“-Dienst bezeichneten Arbeit der Kriegsdienstverweigerer gesorgt. Von ihm unter der Bezeichnung „Friedensdienst“ ursprünglich gefordert, entstand der Vorschlag „Sozialer Friedensdienst“, um schließlich – von den Kirchen und der Diakonie aufgegriffen – bis kurz vor dem Ende der Wehrpflicht als staatliches Programm „Zivildienst als Lerndienst“ anerkannt zu sein. In seiner Zeit als Studentenpfarrer in Hamburg (1962 bis 1970) habe er mehr zufällig, so Finckh, den Begriff „Fachhochschule“ bei einer Demonstration von Studierenden der Hamburger Ingenieur- und höheren Fachschulen benutzt. Es war sein Verdienst, klar zu machen, dass diese in den Hochschulbereich gehörten, und er hat damit den Weg zur Anerkennung als Hochschulen bereitet.

Finckh war harter Kritiker der Militärseelsorge und des Hierarchie-Unwesens der Kirchen. Er war verwundert, „dass sich Zehntausende auf den Weg machen, wenn der Papst irgendwo auftritt.“ Für ihn war „die Ideologie vom Papst als Stellvertreter Christi auf Erden teils Legende, teils eine erst im Mittelalter beginnende Amtsanmaßung und historisch durch nichts gedeckt“. Die Freiheit der evangelischen Kirche und ihr demokratischeres System der gewählten Kirchenvorstände und Synoden waren für den Pfarrer Finckh ein Modell, das er schätzte. Keineswegs war es aber so, dass Finckh nicht immer wieder erhebliche Auseinandersetzungen mit seiner jeweiligen Kirchenleitung hatte, die sein knallhartes und nachhaltiges Engagement für die Beratung der Kriegsdienstverweigerer nicht immer goutierte. Er war von 1971 bis 1990 Gemeindepfarrer in Bremen.

Für Finckh sollte es eigentlich „überhaupt weder Militär noch eine spezielle Militärseelsorge geben“. Die Militärseelsorge sei völlig vom Personal der alten Wehrmacht aufgebaut worden, beklagte er. Den Militärpfarrern hat die Politik den „Lebenskunde“-Unterricht übertragen, weil sie als „Sicherung gegen falsches NS-Denken in der Bundeswehr“ betrachtet wurden. Die Kirchen galten – fälschlicherweise in toto – als vom Nazitum unbelastet. Finckh: „Dass die Militärpfarrer bis heute den ’Lebenskunde‘-Unterricht in den Kasernen halten, auf Gelöbnis und Eid vorbereiten und selbst Kriegseinsätze mitmachen und wohl auch befürworten, die dem internationalen Recht widersprechen, stellt aus meiner Sicht eine Last für unsere Kirche dar und ist nach meinem Verständnis nicht mit der Botschaft Jesu vereinbar“.

Ulrich Finckhs Ehefrau Elisabeth, 2015 verstorben, war an seiner Seite nicht weniger meinungsfreudig als ihr Mann, was der Autor dieser Zeilen durch langjährige gemeinsame politische Arbeit in der Gustav Heinemann-Initiative und Humanistischen Union bezeugen kann. Der „Finckh-Clan“ mit fünf Kindern, Enkeln und Urenkeln hat Ulrich Finckh im diesseitigen Leben Kraft und Rückhalt in schwierigen Zeiten gegeben. Als das Bundesverteidigungsministerium dem Bundesverfassungsgericht (und dem Gesetzgeber) falsche Zahlen im Zusammenhang mit dessen Entscheidungen zur Kriegsdienstverweigerung lieferte, ist Finckh offensiv in die Öffentlichkeit gegangen und hat belastbare Zahlen dagegen gehalten – die er mit Hilfe seiner später in Mathematik promovierten Tochter Ute Finckh, SPD-Bundestagsabgeordnete in der 18. Legislaturperiode, recherchiert hatte.

Bereits lange vor der Vereinigung der Gustav-Heinemann-Initiative mit der Humanistischen Union (2009) hat diese ihren Fritz Bauer-Preis 1984 an Ulrich Finckh verliehen. Damit wurde seine Arbeit „für die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen“ gewürdigt, ebenso wie sein Einsatz für die Belange der sogenannten Totalverweigerer und gegen ihre Mehrfachverurteilungen durch Gerichte.

Dass Ulrich Finckh in seinen letzten Lebensjahren tief besorgt auf die Entwicklungen in Politik und Gesellschaft im wiedervereinigten Deutschland ebenso wie in der internationalen Politik geschaut und sich dazu geäußert hat, verbindet uns mit ihm. Sein politisches (und für manche auch christliches) Vermächtnis, insbesondere seine friedenspolitische Haltung mag uns auch heute Kompass sein beim Eintreten für Menschen- und Bürgerrechte. Er wird uns weiter begleiten.

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