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Das Recht auf Bildung ist in Gefahr

Mitteilungen24909/2023Seite 7-9

Im „Land der Dichter und Denker“ geht es den Schulen und Universitäten, geht es der Bildung an den Kragen!

51.200 Einträge folgen, wenn in digitalen Suchmaschinen der „Investitionsstau Schule“ eingegeben wird. Einer repräsentativen Befragung der zumeist für die Finanzierung der Schulbauten und der Sachausstattungen der Schulen zu-ständigen Stadtkämmerer im Jahre 2019 folgend, lag der Investitionsrückstand allein bei den Schulen bundesweit im Jahr 2018 bei 42,8 Milliarden Euro. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau beziffert den Rückstand der deutschen Kommunen bei Bildungseinrichtungen zum gleichen Zeitpunkt auf rund 48 Milliarden Euro. Die jährliche Zunahme des Investitionsrückstandes ist exponentiell: Der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr betrug fünfzig Prozent (Grams 2022: 43-53).

Viele Kinder meiden den Toilettengang in den Schulen, weil die Toilettenanlagen verkommen sind, Direktorinnen und Rektoren drohen mit der Einstellung des Unterrichts ob der überhandnehmenden Hygienemängel in den Schulen.[1]

Die Liste der Mängel der Ausstattung des öffentlichen Bildungswesens in Deutschland ließe sich fortsetzen, das Wissen darum darf als bekannt voraus-gesetzt werden. Das Credo des Mangels ist jedoch die desaströse Personalausstattung der Kindertagesstätten, der Jugendhilfe, der Schulen und die Hochschulen, unter anderem bedingt durch die ungenügende Bezahlung des Personals oder der Mittelstreichung für Unterricht und Lehre. Die Berufe wurden unattraktiv. In der Folge war in vielen Kindertagesstätten und ebenso in den Schulen die Personaldecke so fadenscheinig, dass bei Ausfällen durch Krankheit die Betreuung zusammenbrach. Eine vollständige Unterrichtsversorgung ist bereits seit Jahren nicht mehr gewährleistet. Unterricht muss häufig ersatzlos gestrichen werden.

Dieser Zustand droht, sich über viele weitere Jahre fortsetzen, weil die personellen Lücken nicht ad hoc zu beseitigen sind. Die Ausbildung einer Erzieherin dauert fünf Jahre, Studium und Referendariat einer Lehrerin in der Regel ein wenig länger. Die aktuellen halbherzigen Versuche, die Lücken in der Personaldecke durch Menschen aus fremden Berufen (sprich, Quereinsteiger) zu schließen, gelingen nur ungenügend. Zudem bieten die Berufe im Bereich der Bildung wenig materiellen Anreiz und ihr Sozialprestige ist ebenfalls nicht so gestaltet, dass dies die Mängel bei der Bezahlung durch Anerkennung kompensieren könnte.

Die Humanistische Union wird im Jahre 2024 den 75. Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes begehen und kann an diesem Datum konstatieren, dass die Bundesrepublik in einer der schwersten Bildungskrisen seit ihrer Gründung steckt. Die oben genannten Probleme treffen auf ein veraltetes und unterfinanziertes Bildungssystem, das zudem sozial ungerecht ist. Die Folgen spüren Schüler, Studentinnen, die im Bildungsbereich Beschäftigten, die Eltern und die folglich auch die gesamte Gesellschaft. Sie werden sich auf fatale Weise in einem langfristigen und noch eklatanteren Fachkräftemangel rächen, der die Modernisierung unserer Gesellschaft behindern wird.

Aus diesem Grund hat sich die Humanistische Union entschlossen, sich dem bundesweiten Bildungsprotest der Initiative „Schule muss anders“ am 23. September 2023 anzuschließen. Gemein-sam rufen wir zum bundesweiten Bildungsprotesttag am 23. September auf und haben mit Gewerkschaften, Lehrerinnen und Lehrern, Elternvertretungen und neunzig weiteren Organisationen den Appell „Bildungswende JETZT!“ verfasst. Gemeinsam mit vielen von der Misere Betroffenen richten wir uns mit konkreten Forderungen an Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundesregierung, die Regierungschefs die Länder und die Kultusministerkonferenz.

Dies sind die Forderungen:

  • Ein Sondervermögen Bildung in Höhe von mindestens 100 Milliarden Euro für die notwendigen Investitionen in der vorschulischen Bildung und der Schule.
  • Mindestens zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts jährlich für Bildung und Forschung, wie dies beim Dresdner Bildungsgipfel 2008 vereinbart wurde.
  • Eine Ausbildungsinitiative für Lehrende und Erzieher.
  • Einen Staatsvertrag Lehrkräftebildung, der alle Bundesländer dazu verpflichtet, genügend Lehrkräfte auszubilden und die Studienabschlüsse gegenseitig anzuerkennen.
  • Die Überarbeitung und engere Verzahnung des Lehramtsstudiums mit der Praxis und neue Wege ins Lehramt.
  • Einen Plan, wie die Ausbildung von ausreichend und gut qualifizierten Erzieher*innen bei attraktiven Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen sichergestellt werden kann, und dessen Umsetzung.
  • Die Schule muss zukunftsfähig und inklusiv werden.
  • Bildung für nachhaltige Entwicklung muss wirkungsvoll als verbindlicher Lerninhalt verankert werden, damit sich Schüler auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereiten können.
  • Lehrpläne und Lerninhalte müssen schülerorientiert und diskriminierungskritisch überarbeitet werden, um Freiräume für die intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zu schaffen und die Bildungsqualität zu erhöhen.
  • Alternative Leistungsbewertungen sind zu ermöglichen, statt zu viele Vergleichsarbeiten durchzuführen.
  • Schulentwicklung ist gemeinsam mit den Betroffenen zu gestalten. Sie muss auf Nachhaltigkeit ausgerichtet und durch passende Aus- und Weiterbildung unterstützt werden.
  • Multiprofessionelle Teams sind als feste Bestandteile in allen Schulen zu verankern und zu finanzieren.
  • Es bedarf eines Bildungsgipfels, der vom Bundeskanzler in Absprache mit den Regierungschefs der Länder einberufenen wird, um gemeinsam mit Vertretern aus Zivilgesellschaft und Bildungspraxis über Auswege aus der Bildungskrise und den Aufbau eines gerechten, inklusiven und zukunftsfähigen Bildungssystems zu diskutieren.

 

Literatur:

Grams, Wolfram 2022: Bildung im Abseits oder: Die deutsche Schule im Schatten der Lufthansa, in: vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Jg. 60, H. 3 = Nr. 235, S. 43-53.

Meidinger, Heinz Peter 2021: Die zehn Todsünden der Schulpolitik. Eine Streitschrift, München.

Wolfram Grams

[1] Sanierungsfall Schule – “Schulen sind eher Baracken der Bildung” (deutschlandfunk.de) (15.08.2023)

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