Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 249

Editorial

Mitteilungen24909/2023Seite 1-3

Liebe Mitglieder,

im August und September erinnern wir uns in jedem Jahr an zwei Ereignisse, die Anfang und Ende der vielleicht größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte markieren: Am 1. September 1939 begann mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Am 6. und 9. August 1945 endete er faktisch, als in Hiroshima und Nagasaki hunderttausende Menschen im atomaren Feuer verbrannten. Dazwischen liegen sechs Jahre Krieg mit Millionen Toten, der Vernichtungskrieg der Deutschen Wehrmacht mit unvorstellbaren Verbrechen und der Holocaust an Jüdinnen und Juden und allen Menschen, die nicht in das rassistische oder ideologische Weltbild der nationalsozialistischen Machthaber – und vieler Deutscher, die ihnen bereitwillig folgten – passten.

Doch schnell wurde versucht, zur Tagesordnung überzugehen; frühere Mitglieder von NSDAP und SS bekleideten in der Bundesrepublik wieder höchste Staatsämter. Aber es gibt auch Menschen, die sich gegen das Vergessen und die Straflosigkeit der Verbrechen stellten. Die Auschwitz-Prozesse in den frühen 1960er-Jahren, die Studierendenbewegung von 1968, später die Fernsehserie Holocaust und nicht zuletzt auch die historische Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker 1985 sind Wegmarken der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Schuld, die wir Deutschen auf uns geladen haben.

Mitglieder der Humanistischen Union wissen das selbstverständlich alles. Und doch müssen wir anscheinend immer wieder daran erinnern. Diese Erinnerung darf nicht zum Ritual verkommen – stets müssen wir im Blick behalten, was die Erinnerung und die Erfahrung für heutige Politik bedeuten. Was bedeutet es, wenn wir sagen: „Das darf nie wieder geschehen“?

Eine Konsequenz ist Artikel 87a (2) des Grundgesetzes: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“ Das Deutschland der Nachkriegsjahre legte sich größte außen- und militärpolitische Zurückhaltung auf. Doch seit der Jahrtausendwende scheint die Erinnerung zu verblassen. Die Gedenkveranstaltungen finden immer noch statt. Doch die deutsche Verantwortung wird zur Verpflichtung militärischer Intervention umgedeutet. Erste Schritte dahin waren der Auschwitz-Vergleich des damaligen Außenministers Joschka Fischer und das Wort des Verteidigungsministers Peter Struck, die Freiheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt – mit den bekannten Folgen. Heute hält Bundeskanzler Olaf Scholz seine im Bundestag vielumjubelte „Zeitenwende“-Rede, (nicht nur) der Bundesverteidigungsminister lässt sich vor jedem militärischen Gerät ablichten, dessen er habhaft werden kann, Tötungsmaschinen wie der Kampfpanzer Leopard werden als Plüschtier verniedlicht und der Bundeslandwirtschaftsminister (!) posiert stolz im Flecktarn. Nebenbei wird eine gigantische Erhöhung des Militärhaushalts direkt ins Grundgesetz geschrieben (Artikel 87a (1a) GG).

Vielleicht erfordern besondere Zeiten besondere Maßnahmen. Doch das Militär muss stets die Ultima Ratio sein. In unserem Schwerpunkt der vorgänge-Ausgabe Nr. 239/240 – Keine Chance für den Frieden? – setzen wir uns differenziert mit dieser Frage angesichts des Kriegs Russlands gegen die Ukraine auseinander.

Gerade ist es auch ein Jahr her, dass der Verfassungsrechtler und langjährige Kollege im Bundesvorstand Martin Kutscha verstorben ist. Ihm zu Ehren richteten wir im Mai ein Symposium aus, das in einer weiteren Ausgabe der vorgänge dokumentiert ist: Demokratie und Rechtsstaat verteidigen – ein Heft zu Ehren von Martin Kutscha (Nr. 241).

Diese Ausgabe der Mitteilungen enthält die Einladung zur diesjährigen Mitgliederversammlung der Humanistischen Union, die am 14./15. Oktober 2023 im Residenzschloss in Rastatt stattfinden wird. Dazu lade ich Sie im Namen des Bundesvorstands herzlich ein. Auf der Mitgliederversammlung sollen auch neue Vorstandsmitglieder gewählt werden, da zwei Personen aus dem Bundesvorstand voraussichtlich zurücktreten wollen. Sollten Sie kandidieren wollen und dies uns noch nicht mitgeteilt haben, teilen Sie das der Bundesgeschäftsstelle bitte vorab mit. Besonders freue ich mich auf die Verleihung des Fritz-Bauer-Preises an Menschen, die auf juristischem Weg entscheidend dazu beigetragen haben, ein wichtiges Zeichen für die Zukunft unseres Planeten und unserer Kinder zu setzen. Auch dabei geht es um Bürger- und Menschenrechte, für die die Humanistische Union steht. Deswegen zeichnen wir in diesem Jahr die Verfassungsbeschwerdeführenden gegen das Klimaschutzgesetz aus. Die Preisverleihung findet am 14. Oktober um 19 Uhr im Residenzschloss Rastatt statt.

In diesem Sinne freue ich mich auf ein Wiedersehen in Rastatt und grüße Euch und Sie herzlich,

Stefan Hügel

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