Kreuze in bayerischen Amtsstuben sind nicht neutral
Pressemitteilung vom 20.12.2023
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschied am 19. Dezember 2023, dass das Aufhängen von Kreuzen in bayerischen Behörden nicht der staatlichen Pflicht zu religiös-weltanschaulicher Neutralität widerspreche (Az. BVerwG 10 C 3.22 und 10 C 5.22). 2018 hatte Ministerpräsident Markus Söder per Verwaltungsvorschrift verfügt, dass im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen sei. Die Humanistische Union hält diese Pflicht für verfassungswidrig und kritisiert das Urteil des BVerwG.
Gegen die bayerische Kreuzpflicht klagten der Bund für Geistesfreiheit und 25 Einzelpersonen. Die Klagenden wollten sowohl erreichen, dass die den Kreuzen zugrundeliegende Verwaltungsvorschrift (§ 28 Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern) aufgehoben werde, als auch, dass die Kreuze abgehängt werden. Sie machten geltend, dass sie durch die Kreuze in ihrer negativen Religionsfreiheit aus Artikel 4 Grundgesetz sowie in ihrem Recht auf Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Glaubens aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte 2022 (Urt. vom 1.6.2022, 5 N 20.1331) als Vorinstanz entschieden, dass die Kreuze zwar gegen die staatliche Pflicht zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verstoßen. Das Kreuz sei nämlich nicht nur ein Symbol der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns, sondern ein christliches Symbol. Dieses Neutralitätsgebot sei aber subjektiv nicht einklagbar. Zudem wirkten die Kreuze in den Eingangsbereichen der Dienstgebäude nicht missionierend und indoktrinierend; eine Grundrechtsverletzung der Klagenden liege deshalb nicht vor.
Das BVerwG wies nun die Revisionen gegen das Urteil des VGH zurück. Anders als die Vorinstanz sah das BVerwG in den Kreuzen nicht einmal einen Verstoß gegen den Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität. Durch das Kreuzsymbol identifiziere sich der Freistaat Bayern nämlich nicht mit christlichen Glaubenssätzen. Vielmehr soll das Kreuz Ausdruck der kulturellen Prägung Bayerns sein. Damit stehe es der Offenheit des Staates gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen nicht im Weg.
Das Urteil überzeugt nicht! Inkonsequenter Weise sieht sich das BVerwG zwar hinsichtlich der Feststellung, das Kreuz missioniere nicht, an die Vorinstanz gebunden; nicht jedoch hinsichtlich dessen Feststellung, das Kreuz sei ein christliches Symbol. Vor allem aber verletzt der bayerische Staat durch seine Behörden-Kreuze auch die negative Religionsfreiheit der Klagenden sowie deren Recht auf Schutz vor religiöser Diskriminierung. Zwar schützt die Religionsfreiheit nicht vor der Konfrontation mit religiösen Symbolen schlechthin. So dürfen Musliminnen sichtbar Kopftücher tragen. Aber wenn der Staat sich selbst sichtbar religiös verhält, ist eine persönliche Betroffenheit der Grundrechtsträger gegeben. Das Bundesverfassungsgericht sah 1995 (Az. 1 BvR 1087/91) eine persönliche Betroffenheit der Schülerinnen und Schüler, die gewissermaßen unter dem Kreuz lernen mussten. Sie befänden sich in einer vom Staat geschaffenen Lage, in der sie ohne Ausweichmöglichkeit dem Glaubenssymbol ausgesetzt seien. Ebenso wird Bürger*innen, die auf dem Weg zur Neuanmeldung oder Führerscheinbeantragung an dem Kreuz vorbei in bayerische Amtsstuben gehen, unausweichlich deutlich, dass jedenfalls die Bayerische Staatsregierung sich dem Christentum verbunden fühlt.
Der Bund für Geistesfreiheit München hat angekündigt, gegen das BVerwG-Urteil vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Das ist zu begrüßen!