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Fritz Bauer und der "Fritz-­Bau­e­r-­Preis"

vorgängevorgänge 1112/1971Seite 382- 383

Aus: vorgänge Nr. 11-12/1971 S. 382- 383

Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Mit der Verleihung eines Preises wird nicht allein das Wirken und Schaffen einer Einzelpersönlichkeit – des jeweiligen Preisträgers – gewürdigt. Jede Verleihung trägt zugleich die Ehrung desjenigen Menschen in sich, der dem Preis seinen Namen, Inhalt und seine Würde gibt.
Wenn die Humanistische Union dem von ihr gestifteten Preis den Namen Fritz Bauers gab, so kann das nicht nur eine Deklaration sein; die jeweilige Verleihung ist auch – wie die Juristen sagen – eine konkludente Handlung. Geehrt wird damit nicht allein eines ihrer bedeutendsten Gründungsmitglieder. Die Stiftung des Preises ist vielmehr ein Bekenntnis zur Verkörperung der tragenden Idee dieser Vereinigung: des kämpferischen Strebens nach Humanität, verkörpert in der Person des Menschen Fritz Bauer.
An diesem Manne schieden und scheiden sich die Geister. Nicht nur zu seinen Lebzeiten, auch heute bedeutet die Entscheidung, sich an seine Seite zu stellen, das Bekenntnis zu besonnener Klugheit und mitmenschlicher Anteilnahme, zu Ratio und Herzlichkeit, – zur Menschlichkeit. Und: solange es Menschen gibt, die den derzeitigen Zustand dieser Welt opportunistisch oder resigniert hinnehmen und sich lediglich darin zu etablieren trachten, und andererseits solche, die das Streben und die Hoffnung nach einer besseren und gerechteren Welt nicht aufgeben, werden sich auch in Zukunft die Geister an Fritz Bauer scheiden.
Wenn man sich heute noch einmal erinnert an die ersten Tage und Wochen nach seinem Tod im Juni 1968, sich die Reden in Erinnerung ruft und das über seinen Tod Geschriebene nachliest, dann wird auch eine tragische Zwiespältigkeit deutlich. Nicht etwa eine Zwiespältigkeit von Vernunft und Herzlichkeit, die so manchen zu unrecht quält. Hierin hat für Fritz Bauer nie ein Widerspruch gelegen, denn die Entscheidung oder der ihm natürlich gegebene Impuls führte allemal zum Wirken im Sinne der Humanitas. Wer sein Denken, seine Bücher und Schriften und sein Handeln kennt, weiß, dass für Fritz Bauer die vernünftige Entscheidung immer diejenige war, die dem Menschen in der Gesellschaft Leiden erspart, Leiden nimmt oder sie doch zumindest mildert, – und das ist stets auch die menschlichste. Fritz Bauer lebte getreu dem Grundsatz, den der polnische Dichter Stefan Zeromski in folgende zutreffende Worte gefasst hat:

„Der Mensch ist eine heilige Sache, der niemand ein Leid zufügen darf. Jeder kann tun was er will, nur darf er einem anderen Menschen kein Leid zufügen.
Der Maßstab dessen was Leid ist liegt im Gewissen, liegt im menschlichen Herzen.”

Der Zwiespalt lag für Fritz Bauer nicht in der privaten Haltung gegenüber dem einzelnen Mitmenschen, er lag nicht einmal in den gedanklichen Grundlagen und ethischen Fundamenten seiner Arbeit für das Recht und eine bessere Gesellschaft; der Zwiespalt klafft vielmehr für den über sein persönliches Leben hinauswirkenden, praktisch tätigen und überragenden Menschen zwischen der so häufigen Vergeblichkeit persönlicher Erkenntnisse und persönlichen Handelns und dem Unverstand und der Unzulänglichkeit der Umwelt, und nicht zuletzt dem Hass der Böswilligen.
Diese Problematik zeigt sich – vielfach unbewusst – selbst in den Äußerungen wohlmeinender Stimmen; – gelegentlich sogar in der seinerzeit sonst aufrichtigen Trauer in Nachrufen und in wissenschaftlichen Aufsätzen derjenigen, die grundsätzlich oder scheinbar grundsätzlich den Ausgangspunkt seines Denkens mit ihm teilten. Selbst die Gutwilligen scheint häufig der Gedanke zu quälen, Fritz Bauer habe als ein Vertreter der défense sociale einen Widerspruch nicht überwinden können. Gemeint ist ein Widerspruch zwischen dem theoretischen Ansatz dieser kriminalpolitischen Lehre, nämlich nur dann staatliche Sanktionen zu setzen, wenn ein Mensch ein sozial feindlicher Mensch ist und seine Behandlung zur Resozialisierung notwendig erscheint, – dem widerspreche, so sagen manche, das Handeln des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer gegenüber den nationalsozialistischen Gewalttätern. Der Verständige weiß, dass hier in Wahrheit kein Widerspruch liegt. Einmal abgesehen von dem Bemühen, in den Prozessen gegen nationalsozialistische Verbrechen eine Katharinas der Deutschen zu vollziehen, abgesehen auch davon, dass wir uns jeglichen Anspruchs begäben, ein Verbrechen unserer Tage zu ahnden, sofern wir uns nicht mit den Verbrechen aus Deutschlands dunkelster Zeit Auseinandersetzen, müssen wir vielmehr gerade unter Zugrundelegung der von Fritz Bauer vertretenen Auffassung der défense sociale erkennen, dass diese, jedem Befehl hörigen und zu größten Verbrechen manipulierbaren Menschen nicht schon resozialisiert sind, nur weil sie inzwischen vielleicht sittsam angepasst einem Beruf nachgehen – angepasst jeder beliebigen Gesellschaftsform – , sondern dass sie in ihrem ungewandelten Wesen, ihren unveränderten, dem Rechtsstaat feindlichen Überzeugungen und ihrem unüberzeugbaren Unverstand in dieser ständig durch Rückfall in die Barbarei gefährdeten Welt eine Gefahr für eine demokratische und soziale Rechtsgemeinschaft sind.
Gerade aber in der aus dieser Erkenntnis folgenden Konsequenz lag die Qual und manchmal die Verzweiflung des Menschen Fritz Bauer, der seinem natürlichen Wesen nach gerade keine Ankläger- sondern eine Verteidigernatur war, – der als elfjähriges Kind in einem Schulaufsatz auf die Frage, was er einmal werden wolle, antwortete: „Oberstaatsanwalt”, weil er sich damals darunter einen „besseren Rechtsanwalt” vorstellte. Was seine Feinde nicht glauben wollen, jeder aber, der ihm einmal begegnete, bloßen Auges erkennen konnte, war der Widerstreit in ihm zwischen verzeihender Güte und den Konsequenzen aus dem Recht, – und zwar jedem Täter gegenüber, auch dem nationalsozialistischen Gewalttäter, weil er sich stets bewusst war, dass das Recht vor der oft unlösbar erscheinenden Aufgabe steht, das Schicksal des Einzelmenschen mit dem Wohle der menschlichen Gesellschaft in Einklang zu bringen.

Geradezu ein Kulminationspunkt dieser Problematik liegt im Strafvollzug; ihm gilt das Wirken der Preisträgerin dieses Tages. Ihre Verdienste haben aus berufenerem Munde ihre Würdigung erfahren. In dieser Würdigung ist auch davon gesprochen worden, dass Sie, sehr verehrte Frau Wolf, auch Anfeindungen und Verleumdungen ausgesetzt gewesen sind. Ein großer deutscher Dichter hat einmal gesagt, dass jemand der sich anschicke, etwas Gutes und Edles zu tun, nicht erwarten dürfe, dass die Menschheit ihm Steine aus dem Weg räume. Deshalb spricht es für Ihren großen Idealismus, wenn Sie trotz Schwierigkeiten mit großer Beharrlichkeit und Konsequenz Ihre edlen und humanen Ziele verfolgten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer wollte bestreiten, dass der Strafvollzug reformbedürftig ist. Doch gerade auf diesem Gebiet gelten Schillers Worte: „Hart im Raume stoßen sich die Sachen.” Es ist eine der einschneidendsten Maßnahmen gegen einen Menschen, ihm die Freiheit zu nehmen. Der Frage, wie dieser Zustand sowohl im Sinne des Art. 1 unserer Verfassung – nämlich unter Wahrung der Menschenwürde – und zugleich im Interesse des Schutzes der Gesellschaft zu gestalten ist, galt ein großer Teil der Arbeit Fritz Bauers. Wie er wusste, dass ein angepasstes Verhalten in der Gesellschaft noch nicht frei sein muss von Sozialfeindlichkeit – ich erinnere an seine Gedanken zur „Weiße-Kragen-Kriminalität” -, so war ihm auch bewusst, dass ein Strafvollzug bloß ohne Gewalt, Unterdrückung und Quälerei noch kein erfolgreicher Vollzug ist. Nicht erfolgreich in dem Sinne, aus dem Rechtsbrecher ein angepasstes und möglichst ungefährliches Wesen in der Gesellschaft zu machen, sondern erfolgreich, ihm zu helfen, ein mittätiger Partner in einer Gemeinschaft zu sein, die so sozial und gerecht wie möglich gestaltet ist. Insofern sah er den Vollzug als eine gesellschaftliche Aufgabe, eingebettet in das Gesamtgefüge staatlichen Lebens und somit als eine allgemeine Aufgabe aller Bürger eines Staates.
In der Haltung zu diesen Fragen liegt der Prüfstein. Und das meinte ich, wenn ich davon sprach, dass sich an Fritz Bauer die Geister scheiden. Gegenüber seiner Persönlichkeit und seinem Wirken gibt es kein „zwar- aber”.
Und wenn ich sagte, ein Zwiespalt liege in den Erkenntnissen und dem Handeln einer großen humanen Persönlichkeit gegenüber einer manchmal in Unmenschlichkeit scheinbar oder tatsächlich stagnierenden Welt, so liegt darin letztlich die Aporie aller Gutwilligen. Eine Verkörperung dieser Aporie war Fritz Bauer. Die ihn persönlich kannten, werden von dem Gedanken nicht frei, an dieser Aporie sei er gestorben. Doch selbst wenn er an der Unvereinbarkeit von Wollen und Wirklichkeit zerbrochen ist und es seinen Freunden in den letzten Monaten seines Lebens so schien, als habe ihn Resignation überwältigt, so hat er doch nicht die Hoffnung aufgegeben, mit Verstand und Mitleidenschaft ließe sich die menschliche Gesellschaft gerechter gestalten.
Ich selbst werde ein Gespräch, das Fritz Bauer einige Monate vor seinem Tode mit mir führte, nie vergessen. Er war voller Resignation und sagte zu mir: „Wärst du doch besser Bürgermeister in Kassel geblieben, dann könntest du Schulen, Straßen, Kindergärten und anderes bauen. Dann würdest du die Früchte deiner Arbeit auch sehen. Hier rennst du gegen eine Mauer von Vorurteilen.”
Ich glaube, Fritz Bauer hat nicht recht gehabt. Denn die Zahl derer, die in seinem Geiste wirken, steigt ständig und wir alle sind berufen, diese Mauer von Vorurteilen, soweit sie noch vorhanden ist, abzubauen. Wenn wir das nicht täten, würden wir seinem Auftrag nicht gerecht und wären seiner Freundschaft nicht würdig.
Lassen Sie mich zum Schluß die letzten Worte aus einem Aufsatz über Schopenhauer zitieren, einen der letzten Sätze, die Fritz Bauer schrieb: „Der praktisch tätige Mensch hält es mit dem Prinzip Hoffnung, mag er auch selbst kritisch sich mitunter des Gefühls nicht erwehren können, es könnte eine Lebenslüge sein.”
Hierzu aber hat er einmal gesagt: Selbst wenn die Hoffnung tatsächlich eine Lebenslüge sein sollte, – ohne sie wäre Unmenschlichkeit in der Welt nicht zu überwinden.

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