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Das Kirchen­pa­pier der F.D.P und seine Kritiker

in: vorgänge 12 (Heft 6/1974)

Kurz vor Abgabe der Regierungserklärung der sozialliberalen Koalition am 18. 1. 1973, in der von der Partnerschaft zwischen Staat und Kirche die Rede war, beschloß die Landesdelegiertenkonferenz Nordrhein – Westfalen der Jungdemokraten ein Kirchenpapier. Unter dem richtigen Stichwort „Trennung von Staat und Kirche“ wurde dadurch eine rege – meist unsachliche und von Emotionen bestimmte – Diskussion ausgelöst. Sie ist noch im Gang, weil inzwischen aus dem Judo – Kirchenpapier ein von dem 25. Bundesparteitag der F.D.P. mit großer Mehrheit beschlossenes Kirchenpapier geworden ist. Unter dem Motto „Freie Kirche im Freien Staat“ enthält es nach einer Präambel 13 Thesen zum Verhältnis von Staat und Kirche. Daß in der Einleitung eine versöhnliche Tendenz betont wird, daß manche Judoforderung auf der Strecke geblieben ist, andere entschärft worden sind, war zu erwarten.

Die erstaun­liche Reaktion in der Öffent­lich­keit

Jedenfalls können die Jungdemokraten das Verdienst in Anspruch nehmen, als erste parteipolitische Organisation ein wichtiges kulturpolitisches Thema zur Diskussion gestellt zu haben. Und der F.D.P. ist zu danken, daß sie als erste politische Partei mutig und ohne Rücksicht auf wahltaktische Erwägungen ein heißes Eisen angefaßt hat. Die Thesen enthalten vor allem einen Beitrag zur Auslegung des Grundgesetzes und darüber hinaus rechtspolitische Forderungen, die in Fachkreisen seit langem erörtert werden. Um so erstaunlicher ist die Reaktion in der Öffentlichkeit. Daß die CSU zu der selbstverständlichen Forderung, auf sakrale Formen und Symbole im staatlichen Bereich zu verzichten, eine geradezu gespenstische Ähnlichkeit mit Maßnahmen der Nationalsozialisten behauptet und dazu bemerkt, diese Forderung habe damals den Auftakt zu einer barbarischen Verfolgung von Kirchen und Gläubigen gebildet, nimmt nicht weiter wunder. Daß aber das Kommissariat der deutschen katholischen Bischöfe in Bonn meint, das im Kirchenpapier geforderte neue Verhältnis von Staat und Kirche verlasse in wichtigen Punkten den Boden des Grundgesetzes, so daß die Frage entstehe, ob die F.D.P. oder Teile von ihr einen anderen Staat wollen, ist schon bedenklicher. Noch unverständlicher ist es, daß eine sonst so kluge Frau wie Hildegard Hamm – Brücher das Kirchenpapier ihrer eigenen Partei als illiberal bezeichnet. Wie ist diese meist gehässige Reaktion zu erklären? Warum ist es zu einer so vehementen Diffamierung gekommen? Nur ein kurzer Blick auf die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche ermöglicht die Beantwortung dieser Frage.

Ein Rückblick auf das Grundgesetz

Als das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom Parlamentarischen Rat in den Jahren 1948/49 beraten wurde, versuchten die Fraktionen der CDU/CSU, des Zentrums und der Deutschen Partei, den beiden christlichen Großkirchen in ihrer Bedeutung für die Wahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlage des menschlichen Lebens eine besondere Stellung zuzubilligen. Nach heftigen Auseinandersetzungen wurde dieser Antrag abgelehnt. Man beschränkte sich darauf, die sogenannten Kirchenartikel aus der Weimarer Reichsverfassung zum Bestandteil des Grundgesetzes zu erklären.

Zahlreiche Bestimmungen zum Schutze der Religions- und Weltanschauungsfreiheit bewirkten jedoch, daß sich für dieses unverletzliche Grundrecht eine starke Aufwertung ergab. Nun geschah etwas Einmaliges in der Geschichte des deutschen Verfassungsrechts: die aus der Weimarer Verfassung übernommenen Artikel wurden von der höchstrichterlichen Rechtsprechung und vom Schrifttum so ausgelegt, als ob die soeben erwähnten Anträge, die Großkirchen zu privilegieren, nicht abgelehnt, sondern angenommen worden wären.

Nur zögernd und vereinzelt erhob sich Kritik. Als daher im Dezember 1965 in den Kirchensteuerurteilen das Bundesverfassungsgericht zu dem lapidaren Ausspruch kam, das Grundgesetz lege durch Art 4 Abs 1, Art 3 Abs 3, Art 33 Abs 3 GG sowie durch Art 136 Abs 1 und 4 und Art 137 Abs 1 WRV in Verbindung mit Art 140 GG dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich – religiöse Neutralität auf, kam dies einem unerwarteten Paukenschlag gleich. Bereits im Februar 1966 nahm Bischof Wölber von Hamburg dazu Stellung und schrieb in den Lutherischen Monatsheften: „Jedenfalls sind diese höchstrichterlichen Urteile nicht Ende, sondern Anfang einer fälligen Diskussion über das Wesen der pluralistischen, aber nicht indifferenten Gesellschaft. Es wäre gut, wenn gerade die Kirchen unter Vermeidung aller Ansprüche auf Privilegien hier in Zukunft einen Beitrag leisten würden.“

Es kam aber anders. Zwar erschienen in den folgenden Jahren so zahlreiche Publikationen staatskirchenrechtlichen Inhalts wie vorher nicht in Jahrzehnten. Gezwungenermaßen nahm man Kenntnis von den Kirchensteuerurteilen, versuchte jedoch zu gleicher Zeit, ihre Auswirkungen abzuschwächen. Immerhin verschwand im Laufe der Zeit die Bekenntnisschule. An ihre Stelle trat aber in einigen Bundesländern die christliche Schule im Charakter einer Bekenntnisschule. Das Schulgebet blieb. Die Kreuze in den Gerichtssälen einiger Länder wurden an ihren Plätzen belassen. Insgesamt läßt sich feststellen, daß ohne Verfassungsrechtsgrundlage zahlreiche Querverbindungen zwischen staatlichen Stellen und den etablierten Großkirchen bestehen, die diesen nicht nur eine privilegierte Position verschaffen, sondern ihnen auch Einflußmöglichkeiten auf den staatlichen Bereich eröffnen. Wer dies bezweifelt, möge von der Zusammenstellung Kenntnis nehmen, die Peter von Tiling in der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht veröffentlicht hat (14. Bd S 238 – 277). Diese vielfältigen Beziehungen entsprechen durchaus der seit einiger Zeit so häufig erwähnten Partnerschaft von Staat und Kirche, rechtfertigen sie jedoch keineswegs.

Zu den einzelnen Thesen des F.D.P. – Kirchen­pa­piers

Es war höchste Zeit, daß gegen diese verfassungswidrige Praxis protestiert und zur Besinnung auf die Verfassung aufgerufen wurde. Inwieweit dies in dem F.D.P. – Kirchenpapier geschehen ist, soll nun untersucht werden.

In der 1. These wird festgestellt, daß Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften über ihre eigenen Angelegenheiten unabhängig von staatlichen Einflüssen entscheiden, und daraus die Forderung abgeleitet, daß der Staat auf jegliche Eingriffe verzichtet. Den erwähnten drei Beispielen ließen sich noch zahlreiche gewichtigere hinzufügen, die der Verfassung nicht entsprechen, weil sich aus der unverletzlichen Religions – und Weltanschauungsfreiheit die sogenannte Kirchenfreiheit ergibt, die zudem in Art 137 Abs 3 WRV ausdrücklich statuiert ist. Danach ist jeder Eingriff in die inneren Angelegenheiten der Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften untersagt. Somit befindet sich diese These in voller Übereinstimmung mit dem Grundgesetz.

In der 2. These ist zu dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts Stellung genommen. Wenn in Art 137 Abs 5 WRV die Körperschaftsqualität beibehalten wurde, so hat es sich um ein Zugeständnis an die Tradition gehandelt. Nicht übersehen werden darf jedoch, daß es sich um kein Kirchenprivileg mehr handelt, da jede Religions – und Weltanschauungsgemeinschaft diesen Status erwerben kann, wie dies auch vielfach geschehen ist. Da nach unbestrittener Auffassung unter einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ein mitgliedschaftlich organisierter Verband zu verstehen ist, der staatliche Aufgaben mit hoheitlichen Mitteln unter staatlicher Aufsicht wahrnimmt, ist festzustellen, daß keine der im Besitze dieses Status befindlichen Kirchen usw eines dieser Begriffsmerkmale erfüllt. Aus diesem Grunde hat auch Rudolf Smend in der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht (Bd 1, S 9) von dem „etwas rätselhaften Ehrentitel der ,öffentlichen Korporation“ gesprochen. Um diese These zu verwirklichen, müßte die Verfassung geändert werden. Da – im Gegensatz zum Judo – Kirchenpapier – ein besonderes Verbandsrecht gefordert und die Anwendung des privatrechtlichen Vereinsrechts abgelehnt wird, ist die in These 2 enthaltene rechtspolitische Forderung harmlos. Im Grunde handelt es sich um eine Richtigstellung, um die Beseitigung eines Überbleibsels aus der Zeit des Staatskirchentums.

Die 3. These befaßt sich mit der M i t g l i e d s c h a f t in Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften. Wenn eingangs erwähnt ist, daß hierfür im Rahmen der Religionsfreiheit eigenes Recht gilt, so ist dies eine Binsenwahrheit. Wenn aber dem zweiten Satz zufolge der Austritt gegenüber den Kirchen und nicht mehr gegenüber einer staatlichen Stelle – wie nach geltendem Recht – erklärt werden soll, so ist diese Forderung verfehlt. Im Rahmen der kirchlichen Autonomie könnte eine Kirche den Austritt überhaupt nicht zulassen oder nur unter erschwerten Bedingungen, etwa unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Jahr mit der Verpflichtung, solange Beiträge zu zahlen. Dies wäre eine Verletzung der Religionsfreiheit, da das Austrittsrecht sich zwangsläufig aus diesem Grundrecht ergibt (siehe Art 9 der Konvention des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten). Für diese Fälle muß die Möglichkeit bestehen bleiben, den Austritt vor dem Standesamt oder dem Gericht abzugeben. Eine Korrektur ist daher unerläßlich.

Wenn noch erwähnt wird, daß die R e l i g i o n s m ü n d i g k e i t – „wie schon heute in den meisten Bundesländern“ – mit Vollendung des 14. Lebensjahres beginnt, so ist dies zugleich richtig und falsch. Das Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. 7. 1921 gilt als Bundesrecht fort. In einigen Landesverfassungen ist lediglich für die Abmeldung vom R e l i g i o n s u n t e r r i c h t  die Vollendung des 18. Lebensjahres vorgeschrieben. Da eine partielle Beschränkung der Religionsmündigkeit nicht möglich ist, sind diese Bestimmungen ungültig.

Die 4. These – Recht zu schweigen – wiederholt eine Verfassungsbestimmung und fordert ihre strikte Anwendung. Kommentar unnötig. Die in der 5. These erhobene Forderung, die bisherige K i r c h e n s t e u e r  zu ersetzen und hierüber mit den Kirchen zu verhandeln, ist sicherlich der Hauptgrund für die Polemik gegen das Kirchenpapier. Man befürchtet, daß ein Verzicht auf das Kirchensteuerprivileg den etablierten Kirchen ihre Position als Volkskirchen nehmen würde. Die Kritiker übersehen aber, daß das Kirchensteuerprivileg auch in kirchlichen Kreisen seit Jahren erörtert wird. Vor allem wird ignoriert, daß aufgrund von Art 137 Abs 6 WRV den korporationsqualifizierten Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften lediglich das Recht zusteht, aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten Steuern zu erheben. Dies bedeutet, daß der Staat verpflichtet ist, die Bemessungsgrundlagen für die staatlichen Steuern – Einkommensteuer – zur Verfügung zu stellen und so die Kirchen in die Lage zu versetzen, mittels einer eigenen Steuerverwaltung die Kirchensteuer einzuziehen. Demgemäß wird noch heute in Bayern die Kircheneinkommensteuer als Zuschlag auf die staatliche Einkommensteuer von eigenen kirchlichen Steuerämtern veranlagt und beigetrieben. Im übrigen Bundesgebiet besorgen die Finanzämter die Veranlagung und Beitreibung, wobei sich diese bei der Kirchenlohnsteuer der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf deren religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis bedienen. Aus der Verfassung läßt sich das jetzt übliche Verfahren nicht ableiten, erst recht nicht bei der Kirchenlohnsteuer. Wenn daher ein kircheneigenes Beitragssystem gefordert wird, so entspricht dies dem Charakter der Beiträge, die von den Mitgliedern den Kirchen zur Deckung ihrer Bedürfnisse geschuldet werden. Schon die verfassungsrechtlichen Unstimmigkeiten gebieten eine Neuregelung. Da unser Staat zu weltanschaulich – religiöser Neutralität verpflichtet ist, ergibt sich daraus zwingend, daß auf sakrale Formen und Symbole im staatlichen Bereich verzichtet werden muß (These 6). Was in dieser These noch zur Neufassung der Eidesformel verlangt wird, trifft sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. 4. 1972: der Gesetzgeber müsse unverzüglich eine Regelung treffen, die den Forderungen der Religionsfreiheit entspreche, damit diejenigen Personen, die den Zeugeneid unter Berufung auf die Religionsfreiheit verweigern dürfen, nicht von jeglicher Verpflichtung, die Wahrheit ihrer Aus-sage unter erhöhter Strafdrohung bekräftigen zu müssen, freigestellt bleiben und dadurch in gleichheitswidriger Weise begünstigt werden (BVerfGE 33, 23ff).

These 7 befaßt sich mit den Kirchenverträgen und Konkordaten. Daß sie wegen ihres Sonderrechtscharakters als geeignetes Mittel, nötige Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu regeln, abgelehnt werden, ist kein Novum. Der gewiß nicht fortschrittsverdächtige CDU – Kultusminister von Baden – Württemberg, Professor Hahn, erklärte bereits 1967, die Zeit der Konkordate sei vorbei. Von größerer Bedeutung ist die Kommentierung der 1970 vom Berliner Senat mit den beiden Kirchen abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung durch Bischof Scharf. Er erklärte, diese Form der Vereinbarung scheine dem Verständnis von Kirche sehr viel angemessener zu sein als die bisher praktizierte Form der Konkordate und Staatskirchenverträge. Dem ist beizustimmen, da es dem Wesen des souveränen Staates widerspricht, sich hinsichtlich seiner Gesetzgebungskompetenz – zB auf dem Gebiete des Schulwesens – für alle Zukunft durch Kirchenverträge zu binden. Ein solcher Kompetenzverlust ist unzumutbar und widerspricht auch dem Trennungsprinzip.

Die 8. These zitiert eine seit 1919 in Kraft befindliche Verfassungsbestimmung, wonach die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen sind. An die Realisierung dieses Verfassungsgebotes zu erinnern, ist daher verdienstvoll. Im zweiten Absatz wird ein Verzicht auf überholte Privilegien gefordert, der selbstverständlich ist, übrigens auch nur Vorteile von geringer Bedeutung betrifft.

Mit dem vielzitierten Subsidiaritätsprinzip befaßt sich die 9. These. In Anerkennung des Rechts der freien Träger, auf dem Gebiet von Bildung, Krankenpflege und sozialer Versorgung tätig zu sein, ist sogar vorgesehen, daß sie sachgerechte staatliche Zuschüsse erhalten sollen, allerdings ohne Vorrangstellung. Verlangt wird lediglich, daß die öffentliche Hand für eine ausreichende Anzahl von weltanschaulich neutralen, jedermann zugänglichen Einrichtungen sorgt, ferner daß staatlich geförderte Einrichtungen der freien Träger allgemein zugänglich sind und Andersenkende nicht benachteiligt werden. Auch hier handelt es sich um ein Mindestmaß von Forderungen, die sich aus dem weltanschaulich – religiösen Charakter des Staates ergeben; sowie, hinsichtlich staatlicher Zuschüsse, um die Anerkennung faktischer Verhältnisse, die oft dem Toleranzgebot widersprechen.

Wenn in der 10. These die religiös und weltanschaulich neutrale Schule als staatliche Regelschule verlangt wird, so wird damit nur festgestellt, welche Folgerungen aus dem Wesen des Staates sich für die öffentliche Schule zwangsläufig ergeben. Da der Staat zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet ist, muß das öffentliche Schulwesen genauso beschaffen sein. Infolge der Garantie für das Privatschulwesen ist die Religions – und Weltanschauungsfreiheit voll gewahrt.

Nur die vorgesehene Regelung des R e l i g i o n s u n t e r r i c h t s ist unzulänglich. Es ist nicht möglich, ein wissenschaftliches Lehrfach – die Religionskunde – alternativ mit einer Glaubensunterweisung zu freier Auswahl anzubieten. Wissenschaftliche Lehrfächer sind nämlich Pflichtfächer, während der Religionsunterricht des Grundgesetzes Wahlfach ist. Der Vorschlag erinnert an die verfassungsrechtliche Regelung in Bayern (Art 137 Abs 2) und Rheinland-Pfalz (Art 35 Abs 2), wonach vom Religionsunterricht abgemeldete Schüler an einem Sittlichkeitsunterricht teilzunehmen haben. Moralunterricht als Ersatz für Religionsunterricht lautet die Devise, wogegen es Aufgabe der Religionskunde sein soll, auf wissenschaftlicher Grundlage in das Gebiet von Religion und Weltanschauung einzuführen. In jedem Fall befindet sich diese These im Einklang mit dem Grundgesetz, da der Religionsunterricht als Glaubensunterweisung ordentliches Lehrfach im Sinne eines Wahlfaches bleiben soll.

These 11 verlangt nicht mehr und nicht weniger, als was sich aus Art 141 WRV in Verbindung mit Art 140 GG ergibt: jede Kirche, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft hat das Recht auf freien Zugang zur Bundeswehr, zu Strafanstalten und anderen öffentlichen Anstalten, um bei Bedarf ihre Mitglieder ohne jeden Zwang zu betreuen. Daraus ergibt sich unabdingbar, daß der gegenwärtige Zustand – Anstaltsseelsorge durch Staatsbeamte – zu beseitigen ist. Infolge des eindeutigen Wortlauts der Verfassung – Zulassung der Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen – steht die Verfassungswidrigkeit eindeutig fest.

Die 12. These – Gleichstellung von Geistlichen und Theologiestudenten mit allen anderen Staatsbürgern – hängt mit dem zuerst von der F.D.P. aufgegriffenen Vorschlag zusammen, das Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer abzuschaffen. Nicht durch das Grundgesetz, sondern durch ein einfaches Bundesgesetz sind bis jetzt Geistliche sowie Theologiestudenten auf Antrag vom Wehrdienst freigestellt. Wird aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes dieses Privileg aufgehoben und das Anerkennungsverfahren beseitigt, müssen sich Theologiestudenten wie jeder andere Wehrpflichtige für den Wehrdienst oder den Zivildienst entscheiden – eine billige Forderung.

Mit der Entflechtung von Staat und Kirche in zahlreichen öffentlichen Gremien befaßt sich die 13. und letzte These. Peter von Tiling (aa0) hat 44 Fälle zusammengestellt, in denen einer kirchlichen Stelle die Möglichkeit eingeräumt ist, auf Entscheidungen einer staatlichen oder kommunalen Instanz Einfluß zu nehmen. Mit Recht wird eine Prüfung gefordert, wieweit diese Vertretung der Funktion der Kirchen – übrigens auch anderer in solchen Gremien mitwirkenden Verbände – entspricht. Soweit dadurch die weltanschaulich – religiöse Neutralität des Staates beeinträchtigt wird, muß die Entflechtung erfolgen.

In dem Entwurf des Parteivorstandes waren noch drei Alternativvorschläge zur heißumstrittenen Frage der T h e o l o g i s c h e n  F a k u l t ä t e n enthalten. Der Parteitag hat sich für den dritten Vorschlag, sich mit dieser Frage nicht zu befassen, entschieden. Dies ist bedauerlich, weil bereits die 1. These sich auf die Ausbildung der Geistlichen auswirkt. Die unverletzliche Kirchenfreiheit verweist die Ausbildung der Geistlichen in den innerkirchlichen Raum. So wie die Kirchen ihre Ämter gemäß Art 137 Abs 3 WRV ohne staatliche Mitwirkung verleihen, so sind sie auch allein für die Ausbildung ihrer Geistlichen zuständig. Der Staat kann doch nicht vorschreiben, daß als Pfarrer bzw. von den evangelischen Landeskirchen nur angestellt werden kann, wer deutscher Staatsangehöriger ist, das Reifezeugnis besitzt und ein mindestens dreijähriges theologisches Studium an einer deutschen staatlichen Hochschule zurückgelegt hat. Selbst wenn solche Vorschriften in Kirchenverträgen vereinbart werden, sind sie als unzulässiger Eingriff in die kirchliche Autonomie verfassungswidrig. Schon die Freiheit von Wissenschaft und Forschung hätte geboten, einen der beiden positiven Vorschläge zu verabschieden.

Die Thesen fordern nur Selbst­ver­ständ­li­ches

Aus diesem Überblick ergibt sich, daß die Thesen sich meist aus dem Grundgesetz und den inkorporierten Artikeln der Weimarer Reichsverfassung ergeben. Wer sich vorbehaltlos zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die weltanschaulich – religiöse Neutralität des Staates bekennt, kann auch den Thesen seine Anerkennung nicht versagen. Soweit es sich um die wenigen rechtspolitischen Forderungen handelt, entsprechen sie dem Geiste des Grundgesetzes. Betroffen werden davon lediglich Ausnahmen von dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche, die sowieso restriktiv auszulegen sind.

Mit dem Begriff „Trennung von Staat und Kirche“ verbindet sich für viele zwangsläufig die Vorstellung eines religionsfeindlichen Staates – jedoch zu Unrecht. Bereits Madison, der den Entwurf der Bill of Rights – Grundlage der Trennung von Staat und Kirche in den USA – dem Kongreß vorlegte, erklärte, daß „die Religion ohne Hilfe des Staates in größerer Reinheit erblüht als mit ihr“. Und Joseph Listl, jetzt Leiter des staatskirchenrechtlichen Instituts der deutschen Bistümer, vertrat 1968 in den Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche die zutreffende Auffassung: „Die vollkommene Verwirklichung des Individual- und Verbandsgrundrechts der Religionsfreiheit fordert notwendig den religiös und weltanschaulich neutralen Staat.“

Das Verbandsgrundrecht der Religionsfreiheit ist aber identisch mit der Kirchenfreiheit, die undenkbar ist ohne Trennung von Staat und Kirche. So erklärt es sich auch, daß ohne jede Hemmung in dem Arbeitspapier Sachkommission V der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland „Aufgaben der Kirche in Staat und Gesellschaft“ (veröffentlicht in Synode 1/1973) bei Schilderung des Staat – Kirche – Verhältnisses nach dem Grundgesetz von der grundsätzlichen Trennung von Staat und Kirche in Verbindung mit öffentlich – rechtlicher Anerkennung und sachorientierter Zusammenarbeit die Rede ist. Sodann wird die weltanschauliche Neutralität des Staates im Sinne der Nichtidentifikation mit einer bestimmten Religionsgesellschaft erwähnt, ebenso aber die staatliche Förderung der Religionsgemeinschaften auf verschiedenen Gebieten in Anerkennung ihres Dienstes an der Gesellschaft.

Auch wenn in dieser Auslegung des Verhältnisses von Staat und Kirche die Akzente anders gesetzt werden, weil aus der grundsätzlichen Trennung und der Nichtidentifikation nicht die richtigen Konsequenzen gezogen werden, eröffnet dieses kirchliche Arbeitspapier immerhin die Möglichkeit einer sachlichen Diskussion. Daß die katholische Kirche als unmittelbar Beteiligter aufgrund ihrer Tradition in mancher Hinsicht eine andere Auffassung vertritt als eine dem Liberalismus verpflichtete Partei, ist nicht erstaunlich. Zu bedenken ist, daß für die Auslegung der Verfassungsbestimmungen über das Verhältnis von Staat und Kirche das Grundrecht der Religions – und Weltanschauungsfreiheit von entscheidender Bedeutung ist. Dieses beruht genau so wie die anderen Freiheitsrechte „auf einer ungebrochenen Tradition, die – aus älteren Quellen gespeist – von den großen Staatsphilosophen der Aufklärung über die bürgerliche Revolution zu der liberal – rechtsstaatlichen Entwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts geführt“ hat (Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 17. B. 1956 (BVerfGE 5, 379)). Dabei darf nicht übersehen werden, daß diese liberalen Freiheitsrechte gegen den Widerstand der Kirchen erkämpft werden mußten und gerade die Religionsfreiheit erst in jüngster Vergangenheit von der katholischen Kirche – wenn auch unter Vorbehalt – entdeckt wurde.

Die F.D.P. will keinen „anderen“, sie will den freiheitlich – demokratischen Staat

Aus der grundgesetzlichen Ordnung ergibt sich das Verhältnis von Staat und Kirche, und zwar aus ihr allein. Wie durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt wird, sind historische, soziologische und theologische Komponenten für die rechtliche Argumentation bedeutungslos. Infolgedessen ist der in der Erklärung der Kirchenkonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 21. 10. 1974 gegen das Kirchenpapier erhobene Vorwurf, es mache sich in ihm „ein doktrinäres Element und die Tendenz zu geschichtslosem und illiberalem Denken bemerkbar“, verfehlt.

Schließlich ist es Sinn und Zweck des Grundgesetzes, einen bestimmten Zustand der politischen Gesamtordnung verbindlich festzulegen. Demgegenüber versagt die Berufung auf die Tradition. Illiberal verhält sich, wer dem liberalen Freiheitsrecht der Religions – und Kirchenfreiheit, aus dem sich die grundsätzliche Trennung von Staat und Kirche ergibt, die Anerkennung versagt, nicht, wer sich vorbehaltlos dafür einsetzt. Wenn das Kommissariat der katholischen Bischöfe die Frage stellt, „ob die F.D.P. oder jedenfalls Teile von ihr einen anderen Staat wollen“, so ist dazu festzustellen, daß das Kirchenpapier im Dienste der Aufgabe steht, das Verhältnis von Staat und Kirche entsprechend dem Grundgesetz zu verwirklichen. Wenn Ernst G. Mahrenholz in seiner Schrift „Die Kirchen in der Gesellschaft der Bundesrepublik“ meint: „ , E s  b e s t e h e n  z w e i  S t a a t s  k i r c h e n`, so scheint der Satz der Weimarer Rechtsverfassung: ,Es besteht keine Staatskirche‘, den das Grundgesetz übernommen hat, im politischen und kirchenpolitischen Raum verstanden zu werden“, ist dies vielleicht überspitzt, jedoch im Kern richtig formuliert.

Der permanent erhobene Vorwurf, man wolle die Kirchen aus der Öffentlichkeit in den privaten Bereich abdrängen, zeugt von Unkenntnis, wenn nicht von Bösartigkeit. Ausgangspunkt der Thesen ist die weltanschaulich – religiöse Neutralität des Staates, woraus sich die Trennung von S t a a t und Kirche ergibt. Infolgedessen können die Kirchen völlig frei in der Gesellschaft und damit in der Öffentlichkeit wirken, wie in These 2 Satz 3 und These 9 ausdrücklich anerkannt wird. Soweit es das Grundgesetz vorsieht, ist sogar der Zutritt in den staatlichen Bereich zur Wahrung der Religionsfreiheit erlaubt, so zur Ausübung der Militär – und Anstaltsseelsorge.

Wozu eigentlich die ganze Aufregung, wenn es sich bei dem Kirchenpapier um eine „Flucht in die Historie des politischen Liberalismus“, um einen „Rückgriff in ideologische Vorstellungen des 19. Jahrhunderts“ und um einen „grotesken Anachronismus“ handeln soll, wie behauptet wird? Gerade die nicht endenwollenden, teils unsachlichen, teils demagogischen und gehässigen Angriffe lassen erkennen, daß mit vollem Bedacht ein heißes Eisen angefaßt wurde.

Zwar behaupten sowohl die SPD als auch die CDU/CSU, daß sie auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Wie es unter der Regierung der CDU/CSU damit bestellt war, beweist die damals inganggesetzte Katholisierung des Rechts. Jetzt hat sich auch die SPD wiederholt zur Partnerschaft von Staat und Kirche bekannt und damit zu der katholischen Lehre von den beiden gleichrangigen Gemeinschaften erster Ordnung bekannt, die im Interesse einer gemeinsamen Ordnung der menschlichen Gesellschaft in ihrer weltlichen und geistlichen Existenz freundschaftlich verbunden seien. Hier bahnen sich restaurative Tendenzen an, die sich nicht nur auf die Religions – und Weltanschauungsfreiheit, sondern auch auf die Geistesfreiheit auswirken. Da diese für das System der freiheitlichen Demokratie von entscheidender Bedeutung ist, wird sie vom Bundesverfassungsgericht geradezu als Voraussetzung für das Funktionieren dieser Ordnung bezeichnet (BVerfGE 5, 205). Daher ist das F.D.P.-Kirchenpapier zur rechten Zeit als notwendiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit restaurativen Kräften erschienen.

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