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Das Problem Isola­ti­ons­haft oder: Der Hunger­streik der Birgitta Wolf

vorgängevorgänge 1206/1974Seite 100-104
von Birgitta Wolf und gh

Offener Brief zur Klärung von Missverständnissen

Briefwechsel zwischen Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel und Birgitta Wolf 31. 10. 1974

Aus: vorgänge Nr. 12 ( Heft 12/1974),Seite 100-104

Seit dem 21. Oktober 1974 befindet sich Birgitta Wolf im Hungerstreik, um ihre Solidarität zu bekunden mit den etwa 35 Gefangenen, vornehmlich der sogenannten Baader-Meinhof-Gruppe, die bereits seit dem 13. September einen strengen Hungerstreik durchführen.

Birgitta Wolf ist nicht etwa einverstanden mit den Taten, die den Häftlingen der Baader-Meinhof-Gruppe, die sich selbst RAF nennt, bisher gerichtlich nicht erwiesen zur Last gelegt werden. Sie hat sich mit diesen Hungerstreikenden solidarisiert (sie können dies bewußt, weil sie die Bedingungen unseres Strafvollzugs intellektuell zu reflektieren vermögen), weil es ihr um die dumpf hoffnungslose Situation von rund 50 000 Häftlingen in der Bundesrepublik geht.

Birgitta Wolf: zu beschreiben, wer das ist, fällt schwer, ohne in Klischees zu verfallen. Eine sensationsabhängige Massenpresse nennt sie einen neuen „Engel der Gefangenen” (Bundesjustizminister Vogel betet das nach). Sie selbst wird zornig, wenn man sie so nennt; und, sieht man darauf, dann ist sie gewiß kein „Engel”, denn von Engeln hörte man bisher noch nie, daß sie zornig werden könnten.
Eines jedenfalls ist sicher: Birgitta Wolf ist einer der wohl an einer Hand herzuzählenden Menschen in Deutschland, die sich (obwohl sie selbst nicht Deutsche, sondern in Deutschland lebende Schwedin ist), unnachsichtig, das heißt: ohne Nachsicht für ihre eigene Person, und „bedenkenlos” für die Menschenrechte von Untersuchungs- und Strafgefangenen in unseren Justizvollzugsanstalten einsetzen. Es gibt wohl keinen „Fall”, der ihr vorgetragen wird, dem sie nicht aufs Genaueste nachgeht und den sie dann nicht bei allen Behörden, die in Frage kommen, verficht. Die Humanistische Union hat ihr 1971 den „Fritz-Bauer-Preis” (für die Humanisierung des „Rechtswesens”) verliehen. Eine im ganzen schwache Geste für unwägbare „Verdienste”.

Seit dem 21. Oktober leistet Birgitta Wolf ihren Solidaritäts-Hungerstreik. Am 9. November 1974 ist Holger Meins, Mitbeschuldigter der Baader-Meinhof-Gruppe, in der Justizvollzugsanstalt Wittlich in der Eifel an den Folgen seines Hungerstreiks (mit nur mehr 39 Kilogramm Gewicht bei 183 cm Größe) gestorben. Ohne ärztliche Hilfe und ohne Klinikpflege; in einer Isolierzelle, die es nach den Bekundungen aller möglichen Justizminister in den Vollzugsanstalten der Bundesrepublik gar nicht gibt.
Am 10. November wurde in Berlin der Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann ermordet. Die Tat wurde in Zusammenhang gebracht mit dem Tod von Holger Meins.
Das mag stimmen. Aber die Wahnsinnstaten irgendwelcher „politischer” Gewalttäter können nicht die Taten oder Unterlassungen irgendwelcher Amtsträger unseres „Rechtsstaats” rechtfertigen oder entschuldigen. Die jetzt pausenlos vorgetragenen Redensarten aller möglichen Justizminister und Justizbeamter, man habe alles getan, um zu  es gebe keine Isolierhaft in deutschen Vollzugsanstalten, wenn die Bader-Meinhof-Gefangenen in Hungerstreik getreten seien, dann sei das ihre freie Entscheidung (natürlich! denn niemand streikt natürlich ohne „freien Willen”) und Holger Meins habe sich quasi selbst umgebracht, stimmen alle und sind doch irrsinnig falsch.
Die Baader-Meinhof-Gefangenen haben (unter welchen Motiven auch immer) Selbstzerstörung als Waffe eingesetzt gegen unmenschliche Haftbedingungen. Unter denselben oder ähnlichen Bedingungen stehen in unserem Strafvollzugssystem Tausende anderer Gefangener; nur: sie blieben sich bisher dieser Unmenschlichkeit unbewußt. Unsere Justizminister mögen reden, was sie nur wollen. Auch der irre Mord an Günter von Drenkmann kann einen justiziellen Exzeß nicht rechtfertigen. Der „Rechtsstaat” darf sich nicht darauf berufen, daß es ja auch individuelle Mörder gebe, oder darauf, daß ein noch nicht überführter Untersuchungshäftling sich durch Hungerstreik selbst umgebracht habe. Er muß Leben erhalten und mutmaßliche Straftäter in die Sozietät zurückführen. Auch und vor allem Beschuldigte mit sogenannten „politischen Motiven”.
Birgitta Wolf hungert zu Recht (wenn ich das, denn sie setzt ihre Gesundheit aufs Spiel, so salopp ausdrücken darf). Bis endlich dieses Heft der Vorgänge erschienen ist, hat sich die Situation wahrscheinlich bereits erheblich (zum Guten oder Schlechten) verändert. Trotzdem erscheint es mir nützlich, in Wochen öffentlicher Hysterie auf den Kern einer Sache dokumentierend hingewiesen zu haben.

15.11.1974                                                                             GH                                                                                                                        GH

Offener Brief zur Klärung von Missver­ständ­nissen

Veröffentlicht in der „Süddeutschen Zeitung” vom 7. 11. 74 in der Rubrik Leserbriefe unter der mißverständlichen Überschrift: „Abscheu gegen Terror und Morde „:

In der SZ vom 29. 10. stand eine Notiz über den Hungerstreik gegen untragbare Zustände in den deutschen Gefängnissen („Solidaritätshungerstreik für Ulrike Meinhof in Berlin“), den rund 35 Strafgefangene und U-Häftlinge seit dem 13. September durchführen und über den Solidaritätshungerstreik verschiedener Bürger in Freiheit. Diese Notiz enthält einige Fehler, die zu Mißverständnissen führen können.

1. Sie sprechen von dem Aufruf der „Anarchistin Ulrike Meinhof” und gleich darauf von den Berliner „Sympathisanten”, die sich dem Hungerstreik angeschlossen haben. Dabei nennen Sie auch meinen Namen. Ganz abgesehen davon, daß ich nicht in Berlin, sondern in Murnau lebe, kann durch diese unglückliche Formulierung der Irrtum entstehen, daß ich zu Sympathisanten von anarchistischen Umtrieben mit Gewalttaten zähle. Das tue ich keineswegs. Ich habe schon während der Nazizeit in Deutschland gelebt und auch damals versucht, Gefangenen zu helfen, und verabscheue jede Art von Terror, Attentaten und Morde, egal, ob sie von rechts oder links durchgeführt werden. Das möchte ich mit aller Entschiedenheit betonen.

2. Ich habe mich nicht den Berlinern angeschlossen, sondern mein Hungerstreik, der nicht nur Solidarität gegenüber einer kleinen Gruppe, die jetzt im berechtigten Kampf gegen Unmenschlichkeit im Vollzug nicht andere, sondern nur ihr eigenes Leben riskieren, wird genauso für über 50 000 Insassen in deutschen Gefängnissen durchgeführt und wurde bereits in der Nacht vom 20. auf den 21. Oktober begonnen. Erst am 26. Oktober, nachdem die Mitteilung von meinem Hungerstreik durch die Presse gegangen war, erhielt ich die telephonische Mitteilung aus Berlin, daß noch in dieser Nacht um null Uhr sich 24 Berliner Bürger anschließen. Inzwischen habe ich Solidaritätserklärungen nicht nur aus der Bundesrepublik, sondern auch von Arbeitsgruppen für Strafvollzugsreformen in Schweden und der Schweiz erhalten.

3. Ich halte den in der Notiz verwendeten Ausdruck: „politische Gefangene” für falsch. Für mich gibt es wohl heute noch „politisch Verfolgte” in der Bundesrepublik (zB der Jurist Götz, der auf Grund seiner Zugehörigkeit zu einer staatlich anerkannten Partei nicht Richter sein darf), jedoch keine „politischen Gefangenen”, wenn auch oft mit diesem Begriff operiert wird. Korrekt wäre der Ausdruck „politisch motivierte Gefangene”. Keiner wurde wegen seiner bloßen politischen Anschauung verhaftet, sondern wegen Verdacht krimineller Taten mit politischer Motivation. Die Motive zu meinem Hungerstreik sind in meiner Presseerklärung vom 23. 10. 1974 ausführlich dargestellt. Um nicht ungebührlich Platz einzunehmen, begrenze ich sie auf einen gemeinsamen Nenner: Daß alles an Menschenbehandlung, was gegen Grundgesetz und Menschenrechtskonvention verstößt und außerhalb des Strafvollzuges strafbar ist, auch innerhalb des Strafvollzuges strafbar wird.

Birgitta Wolf
811 Murnau, Ramsach 7

Aus der Presse­er­klä­rung vom 23. Oktober 1974

Um mehr als 35 Gefangene in der Bundesrepublik und Berlin, die seit dem 13. September 1974 einen totalen Hungerstreik gegen Peinigungen und Mißverhältnisse im Strafvollzug durchführen, zu zeigen, daß ihr lautloser Schrei in der egozentrischen Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit nicht untergeht, nehme ich ebenfalls seit dem 21. Oktober keine Nahrung mehr zu mir. Das ist meine legale Demonstration gegen den trotz der Weisung des Bundesverfassungsgerichtes immer noch gesetzlosen Zustand in den bundesdeutschen Gefängnissen, den man unverfroren mit dem „Gewohnheitsrecht des besonderen Gewaltverhältnisses” umschreibt. Das ist mein Protest gegen die menschenzerstörende Isolationshaft über Jahre hinaus von nicht nur Gefangenen aus politischer Motivation.

Diese Isolationshaft ist grundgesetzwidrig, da sie durch den Persönlichkeitsverfall gegen Artikel 2, Absatz 2 verstößt. Es ist mein Protest gegen die psychische und physische Tortur des verschärften Arrestes mit bewußt herbeigeführten Schlafstörungen durch hartes Lager ohne Matratze und mit Kostentzug bis auf 700 Gramm Brot im Tag. Diese interne Hausstrafe, ohne Richter und Verteidiger ausgesprochen, kann laut Absatz 186,2 der geltenden Dienst- und Vollzugsordnung „gegen eine schwangere oder stillende Frau oder gegen eine Frau, die in den letzten drei Monaten geboren hat” mit dem Alibi der Unterschrift des Anstaltsarztes ausgesprochen werden.

Nur Hessen hat bis jetzt im Vorgriff auf das entstehende Strafvollzugsgesetz den verschärften Arrest, der in bundesdeutschen Gefängnissen der Gewöhnliche ist, abgeschafft. Es ist mein Protest gegen die Ausbeutung der Arbeitskraft des Gefangenen, der, ohne normale Bezahlung und Sozialversicherungen zu erhalten, entweder in hauseigenen Betrieben arbeitet oder an auswärtige Firmen verdingt wird. Man macht es somit den Gefangenen unmöglich, durch Verkauf seiner Arbeitskraft, nach Abzug für Unterbringung und Essen, seine Familie zu ernähren und entstandenen Schaden, so weit möglich, wieder gut zu machen. Die Justiz macht sich dabei, um ein Beispiel zu nennen, in Fällen von Gefängnis als Strafe für versäumte Unterhaltspflicht als Mittäter schuldig, weil sie den Verdienst des Gefangenen für sich kassiert und nicht den Kindern zuführt.

Es ist mein Protest gegen die Unterschlagung der Zinsen der zwangsgesparten Rücklagen von über 50 000 Gefangenen in der Bundesrepublik. Ich unterstreiche damit meine seit Jahrzehnten erhobene Forderung, daß alles an Menschenbehandlung, was außerhalb des Strafvollzuges strafbar ist, auch innerhalb des Strafvollzuges strafbar wird.

In bezug auf meinen Protest gegen die Isolationshaft stehe ich nicht allein. Der Deutsche Evangelische Kirchentag verfaßte im Juni 1973 in Düsseldorf eine Resolution gegen diese Art von Haft, in der es unter anderem heißt:
„Praktisch ist die Isolierung in ihrer Konsequenz als eine psychische Zerstörung des Häftlings anzusehen… die Häftlinge werden Zwangsmaßnahmen unterworfen, die in körperliche Unversehrtheit und in die Persönlichkeitsstruktur eingreifen und die Zerstörung, die man in den Häftlingen anrichtet, ist vermutlich nicht geringer als die, die frühere Epochen oder andere Staaten vermittels direkter physischer Folter erreichten”. (…)

Professor Dr. Sjef Teuns, BWA-Holland auf der Konferenz von „amnesty international” „Physische und psychische Konsequenzen von Gefangenschaft und Folter” in Lysbey, Oslo, am S. 6. und 7. 10. 1973:  „Während es bei den südvietnamesischen Tigerzellen und bei den portugiesischen Unterwasserzellen ziemlich offensichtlich ist, daß sie im Dienst eines in die Länge gezogenen und eines sehr schmerzhaften Todes stehen, trifft dasselbe auf die Isolationshaft in den supermodernen westeuropäischen Anstalten zu, nur ist dies nicht so leicht erkennbar auf den ersten Blick. Das Auffallendste an der Einzelhaft in dem modernen westeuropäischen Haftsystem ist die Wirkung der sensorischen Deprivation (s. D.) auf den Zelleninsassen.
..
Obwohl es seit 1954, als die Untersuchungen über s. D. begannen, bekannt ist, (. . .) ist die Aufmerksamkeit, die dieser Haftmethode von Berufs- und Menschenrechts-Kritikern des Gefängnissystems zugewendet wird, geradezu geringfügig … Professor Ladee betont in seinem Artikel, daß die s. D. zu schlimmsten Störungen führen kann, zu Angstzuständen, zu einer abnorm gesteigerten Suggestibilität, zu Wahnvorstellungen etc.” (…)
Richter Helmut Ostermeyer sagt in seinem Buch „Strafunrecht”: „Der Strafvollzug aber ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Spätere Geschlechter werden die Zellen unserer Strafvollzugsanstalten mit demselben Entsetzen betrachten wie die mittelalterlichen Verliese und Folterkammern. Wer das weiß und schweigt, macht sich mitschuldig”.

Zum Schluß der Resolution gegen die Isolationshaft des Deutschen Evangelischen Kirchentages im Juli 1973 wird die Forderung erhoben, an: „Die zuständigen kirchlichen Gremien und Institutionen. . .: gegen die totale Isolierung und die extreme Dauer der Untersuchungshaft öffentlich Stellung zu nehmen” und „im Interesse der Rechtsstaatlichkeit die Isolierung aufzuheben”.

Die Gefangenen führen nun seit mehr als fünf Wochen ihren totalen Hungerstreik durch, bei Ronald Augustin bis vor wenigen Tagen, seit Monaten in einem „Toten Trakt” in Hannover isoliert, jetzt aufgrund des lebensgefährlichen Zustandes durch den langen Hungerstreik in der Krankenabteilung des Gefängnisses in Lingen, hat man drei Tage lang einen Wasserentzug durchgeführt. Durch Intervention von den Rechtsanwälten und mir beim zuständigen Staatsanwalt erhält er jetzt wieder Mineralwasser und Tee zum Trinken.

Bei früheren Hungerstreiks hat man Gefangenen sogar das Waschwasser mit Chemikalien versetzt, so daß es nicht zum Trinken verwendet werden konnte. Das alles muß die deutsche Öffentlichkeit wissen, denn wir alle tragen die Verantwortung für die Menschenbehandlung in unserem Strafvollzug.

Murnau, den 23. Oktober 1974               Birgitta Wolf

Brief­wechsel zwischen Bundes­jus­tiz­mi­nister Hans-Jochen Vogel und Birgitta Wolf                                         31. 10. 1974

Sehr geehrte Frau Wolf!
Ihren Brief vom 28. Oktober 1974 und die beigefügte Presseerklärung, in welcher Sie die Motive erläutern, die Sie dazu geführt haben, in einen Hungerstreik zu treten, habe ich erhalten und sehr aufmerksam gelesen. Ich beeile mich, Ihnen so rasch darauf zu antworten, wie die Verpflichtungen, die mich zur Zeit in Bonn und München beschäftigen, es zulassen.
Ihren selbstlosen persönlichen Einsatz für eine Reform des Strafvollzuges in der Bundesrepublik Deutschland habe ich immer geschätzt. Ich weiß, in wie vielen Fällen Sie Menschen geholfen haben, die durch Gedankenlosigkeit, Unfähigkeit oder gar bösen Willen ungerechtfertigt und unangemessen hart Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit dulden mußten. Die Verdienste, die Sie sich vor allem bei der Öffnung des öffentlichen Bewußtseins für Probleme des Strafvollzuges erworben haben, sind allgemein anerkannt.

Gerade weil mir bekannt ist, in welchem Maße Sie zu persönlichem „Mit-Leiden” fähig und bereit sind, dürfen Sie mir glauben, daß ich die von meinem Amtsvorgänger eingeleitete Reform des Strafvollzuges in der Bundesrepublik Deutschland als eine meiner wesentlichen Aufgaben dieser Wahlperiode ansehe. Mit dieser Reform soll der gesetzliche Rahmen gesetzt werden; von dem ein Teil durch die von Ihnen genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gefordert wird, von dem aber wesentliche andere Teile notwendig geworden sind, weil sich trotz ständiger Mahnung seit mehr als hundert Jahren niemand stark genug gezeigt hat, eine umfassende Reform des Vollzuges der Freiheitsstrafe zu schaffen und durchzuführen. (. ..)

Für die konkrete Ausgestaltung des Vollzuges der Untersuchungshaft wie der Strafhaft ist der Bundesminister der Justiz jedoch — wie Sie wissen — nicht zu-ständig. Zuständig hierfür ist die jeweilige Justizverwaltung des Landes, in dessen Bezirk sich die Justizvollzugsanstalt befindet, in der ein Häftling sich auf-hält. Soweit die von Ihnen so bezeichnete „Isolationshäft” im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Strafverfahren gegen Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe immer wieder kritisiert worden ist, sind die Justizminister der in Betracht kommenden Länder den unwahren Behauptungen, diese Personen seien einer sogenannten Isolationshaft ausgesetzt, ständig mit Nachdruck und unter Vorlage des das Gegenteil beweisenden Materials entgegengetreten.

Es ist darauf hinzuweisen, daß die Bedingungen des Vollzuges zum einen auf Anordnungen unabhängiger Gerichte beruhen, zum anderen ständig durch Gerichte überprüft werden, die bisher gewährleistet haben, daß der Vollzug der Untersuchungshaft an den Mitgliedern der Baader-Meinhof-Gruppe den gesetzlichen Anforderungen unter Abwägung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte genügt, nämlich einerseits den Sicherheitsbelangen, die Maßnahmen gegen eine geplante Befreiung der Untersuchungshäftlinge erforderten, andererseits den persönlichen Belangen der Untersuchungshäftlinge. Darüber hinaus haben sich in verschiedenen Ländern Vertreter kirchlicher Stellen und caritativer Organisationen über die Haftbedingungen informieren können und keine Beanstandungen erhoben.
Der Vorwurf, die Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe würden in einer Isolationshaft gehalten, wird vorwiegend ohne den Hintergrund sachlicher Information erhoben. Die Mitglieder der Baader-Meinhof�Gruppe sind vielmehr unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften für den Vollzug der Untersuchungshaft den übrigen Untersuchungshäftlingen gleichgestellt und werden wie diese behandelt. Im Rahmen des Vollzuges der Untersuchungshaft wird deshalb auch den Mitgliedern der Baader-Meinhof-Gruppe das Recht auf körperliche und geistige Tätigkeit eingeräumt. Die Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe machen von diesem Recht regen Gebrauch, was folgende Beispiele zeigen:
Sie haben Gelegenheit, Tischtennis zu spielen, sich Bücher, Zeitschriften und Zeitungen beliebiger Anzahl nach eigener Wahl zu halten, sie können Rundfunksendungen nach eigener Wahl durch eigene Radiogeräte empfangen und machen von der Möglichkeit, sich mit anderen Untersuchungshäftlingen im Rahmen von Freistunden unbeaufsichtigt zu unterhalten — was gestattet wird, nachdem Verdunkelungsgefahr nicht mehr besteht — Gebrauch. Für die Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe besteht im übrigen Gelegenheit, jederzeit Gespräche mit dem Betreuungspersonal der Vollzugsanstalten zu führen, wovon sie jedoch bislang keinen Gebrauch gemacht haben. Darüber hinaus werden sämtliche Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe ständig von Familienangehörigen bzw ihren Verteidigern in den Anstalten besucht.

Mir ist bewußt, daß diese Tatsachen noch nicht widerlegen, daß es in deutschen Justizvollzugsanstalten Mißstände gibt. Die in den letzten Monaten und Wochen in der Öffentlichkeit diskutierten Skandale weisen dies nach. Daß und wie ihnen mit der Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes entegengetreten werden kann, war Gegenstand und Ergebnis der Fernsehdiskussion („Kontrovers“).

Sie tragen auf Ihre Weise dazu bei, das Bewußtsein dafür zu schärfen. Nehmen Sie sich aber bitte dazu selbst nicht die Möglichkeit, indem Sie Ihre eigene Gesundheit gefährden. Für eine Birgitta Wolf als „Engel der Gefangenen” wird es auch nach der Reform noch genügend zu tun geben. Schonen Sie Ihre Gesundheit für diese Aufgabe; verschwenden Sie aber vor allem Ihre Kraft nicht bei einer Kampagne, die von anderen Motiven als den Ihren ausgeht.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Vogel

                                                                                        11. 11. 1974

Sehr geehrter Herr Minister,
ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihren Brief vom 31. 10. 74, und ich erkenne es hoch an, daß Sie sich trotz Ihrer doppelten Arbeitsbelastung Zeit nahmen, mir so ausführlich zu schreiben. (. ..)  Sie brauchen keine Befürchtungen zu hegen: Sowenig es der Presse gelang, mich durch eine Courths-Mahlerhafte Engelsetikette zu entschärfen, sowenig wird es ihr gelingen, mich zu einer Anarchistin umzufunktionieren. Bitte, lesen Sie meine Einlage aus der Süddeutschen Zeitung, die ich beifüge. Dann wissen Sie genau, wo ich stehe.

Mit etwas Bestürzung habe ich aber in Ihrem Brief feststellen müssen, daß die Justizminister der Länder die Isolationshaft leugnen. Bitte, vergessen Sie nicht, daß ich diesen Hungerstreik nicht nur für politisch motivierte Gefangene mache, sondern für über 50 000 Inhaftierte in der Bundesrepublik und Berlin! Solange ich in deutschen Gefängnissen aus- und eingehe — und das sind, wenn ich nicht einige Besuche in der Nazizeit in Gestapogefängnissen und
KZ-Lagern zähle, rund 20 Jahre — erlebe ich eine menschenzerstörende und grausame Isolationshaft über Jahre hinaus.

Es stimmt, daß die Angehörigen der Bader-Meinhof-Gruppe sowohl in Berlin wie in Stuttgart-Stammheim nicht isoliert waren. Aber der junge Ronald Augustin befand sich seit Mai dieses Jahres in dem sogenannten Toten Trakt in Hannover, und die holländische Kommission hat festgestellt, daß dies wohl nach deutschem Gesetz möglich, aber unmenschlich ist. Andreas Baader, den ich wiederholt besucht habe, ist seit Jahren in Schwalmstadt isoliert, und wie scharf diese Isolierung auch bei Lebensgefahr durchgeführt wurde, zeigt der Tod von Holger Meins. Bereits am 6. 10. 74 hatten die Rechtsanwälte verlangt, daß man diesen Gefangenen durch einen Arzt seines Vertrauens untersuchen läßt, da der zuständige Anstaltsarzt — siehe Beilagen — die Zwangsfütterung auf eine sehr grausame Art und Weise durchgeführt hatte. Zu bemerken ist hierbei, daß die Zwangsfütterung bei Andreas Baader zum Unterschied von früheren Hungerstreiks dieses Mal völlig korrekt und ohne unnötige Schmerzzufügung durchgeführt wurde. — Bis auf Meins und Augustin habe ich überhaupt keine Klagen mehr in dieser Richtung gehört.

Mir ist es unverständlich, daß die Justizminister der Länder Ihnen gegenüber den Standpunkt vertreten, daß die Behauptungen in bezug auf Isolationshaft unwahr seien. Schließlich hat man ja nicht einmal den sterbenden Holger Meins aus der Isolationshaft herausgebracht, nachdem der Rechtsanwalt die Anstaltsleitung auf seinen Zustand aufmerksam gemacht hatte (was an sich Sache des Arztes hätte sein sollen!), sondern ihn völlig isoliert in einer Zelle allein sterben lassen. Die Nebenzellen waren geräumt, damit kein anderer
Gefangener sein Rufen oder Klopfen hätte hören können. Wenn das keine Isolierung ist …

Sie schreiben, daß die Bedingungen des Vollzuges ständig von den Gerichten überprüft werden. Ob man diese Art Menschenunterbringung für human vertretbar ansieht, ist wohl eine Frage des Maßstabes. Ich bin immer um sachliche Information bemüht und höre am liebsten jeweils beide Seiten, bevor ich objektiv weiterberichte. Sie schreiben: „Die Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe machen von diesem Recht regen Gebrauch, wie folgende Beispiele zeigen: ,Sie haben Gelegenheit, Tischtennis zu spielen, sich Bücher, Zeitschriften und Zeitungen beliebiger Anzahl nach eigener Wahl zu halten usw.’”

Mag sein, daß in irgendeinem Bundesland oder vielleicht in Berlin die Inhaftierten Gelegenheit haben, Tischtennis zu spielen. Aber Sie dürfen doch bitte nicht glauben, daß dies zu den Gewohnheiten des deutschen Strafvollzuges gehört. Ich denke zB an den — keineswegs politisch motivierten — Gefangenen Theo Berger in Straubing, der drei Jahre lang in strengster Isolierung gehalten wurde, was bei ihm auffallende Schäden wie zB Stottern beim Gespräch bewirkte. Diese und viele andere mehr oder weniger kriminelle Insassen, um die sich keine Presse der Sensation wegen bemüht, haben nicht die geringste Möglichkeit, ohne Hilfe von draußen ihre Situation geändert zu bekommen.

Ich kenne die streng umrissenen Machtkompetenzen der einzelnen Länder, aber ich bin überzeugt, daß Sie, sehr geehrter Herr Dr. Vogel, als Bundesjustizminister bestimmt durch Ihren Einfluß bei Justizminister-Konferenzen die einzelnen Landesvertreter unter Umständen dazu bewegen könnten, eine bessere und humanere Regelung zu schaffen. Ich weise auf das Land Hessen hin, wo der mutige hessische Justizminister Hemfler es fertiggebracht hat, im Vorgriff auf das entstehende Strafvollzugsgesetz den verschärften Arrest abzuschaffen. Viel wäre gewonnen, wenn die anderen Länder sich diesem Beispiel ab sofort anschließen würden. (…)

Heute fange ich die vierte Hungerwoche an. Ich bedaure, daß man nicht rechtzeitig auf diese friedliche und legale Demonstration der Gefangenen und uns Außenstehenden hörte — Holger Meins hätte noch gelebt, und die neue Eskalation von Terror und Gewalt hätte nicht stattgefunden. (. . .)

Dankbar für eine Terminmöglichkeit in Bonn oder auch in München sendet Ihnen die besten Grüße
                                                                                                                              Ihre
Birgitta Wolf

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