Publikationen / vorgänge / vorgänge 136

Ansprache anläßlich der Verleihung des Fritz-­Bau­e­r-­Preises

Aus: vorgänge 136 (Heft Nr.4/ 1996), S. 104- 106

„Gesetze sind nicht auf Pergament, sondern auf 

empfindliche Menschenhaut geschrieben.“ Fritz Bauer (1903-1968)

Liebe Hanne, lieber Klaus Vack,
meine Damen und Herren, liebe Freunde,
das Programm sieht vor, dass die Laudatio von Jürgen Seifert gehalten wird, also stellt sich die Frage, was hat der Bundesvorsitzende der Humanistischen Union noch zusätzlich zur Begrüßung zu sagen, ohne in Gefahr zu kommen, dem Laudator oder den Gelobten ins Gehege zu kommen.
Einen Fritz-Bauer-Preisträger, eine Fritz-Bauer-Preisträgerin zu finden, ist eine schwierige Geburt. Wir haben eigene Ideen im Bundesvorstand, unseren Beirat bitten wir um Anregungen, dritte Unbeteiligte geben uns glücklicherweise ebenfalls Vorschläge, und alle diese Namen wälzen wir dann in mehreren Vorstandssitzungen, wägen das Für und Wider ab, ob es die Richtigen sind, ob die- oder derjenige, die wir ehren wollen, würdig ist, in der Reihe der bisherigen Fritz-Bauer-Preisträger ihren Platz einzunehmen. Ich erwähne beispielhaft die erste Fritz-Bauer-Preisträgerin Helga Einsele, die damalige Leiterin der Frauenstrafvollzugsanstalt in Frankfurt, Gustav Heinemann, den Justizminister und späteren Bundespräsidenten, Birgitta Wolf, Heinrich Hannover, Werner Hill, den Strafrechtler Gerald Grünwald aus Bonn, Ulrich Vultejus, Ruth Leuze, die gerade in diesem Lande wohl bekannte Datenschützerin, den Staatsrechtler Erich Küchenhoff, den ich ganz besonders begrüße, weil er als Fritz-Bauer-Preisträger heute unter uns weilt, den Kriegsdienstverweigerer-Pastor Ulrich Finckh, Rosi Wolf -Amanasreh, die Vorsitzende der gemischt nationalen Ehen, Eckart Spoo, den engagierten, aufrechten Redakteur der Frankfurter Rundschau aus Hannover, Lieselotte Funke, die damalige Ausländerbeauftragte, Hans Eisken, den Düsseldorfer Polizeipräsidenten und Preisträger des letzten Jahres.
Wir haben eine ganze Reihe von Sitzungen gehabt im letzten Jahr zu überlegen, wer ist diesmal dran, und uns schließlich entschieden, und Ergebnis dieses Entschlusses war mein Brief an Hanne und Klaus Vack, den ich auszugsweise vorlesen möchte: „Es ist immer ein langwieriger Prozess, die verschiedenen Vorschläge mit ihrem Für und Wider abzuwägen und sich schließlich zu entscheiden. Als dann jemand Eure Namen nannte, fiel es uns wie Schuppen von den Augen, und wir wunderten uns, dass wir nicht schon längst auf den Vorschlag gekommen waren — und beschlossen einstimmig, was durchaus nicht immer der Fall ist, Euch den diesjährigen Fritz-Bauer-Preis zu verleihen. Wir hoffen, dass Ihr Euch bereit erklärt, diesen Preis anzunehmen. Maßgebend hierfür ist gewesen, dass Ihr wie wenige andere Menschen in unserem Lande als Beispiel steht für den Kampf ,von unten‘ um Menschenrechte und Menschlichkeit, für die Verteidigung der Grundrechte und des Rechtsstaats, für das persönliche Engagement auch dort, wo die offizielle Politik versagt (wie etwa in Jugoslawien), für den gewaltlosen Widerstand, für die Friedensbewegung und Kriegsdienstverweigerung und — last not least — für das Grundrechtekomitee.“
Was ist das Gemeinsame der Preisträger, die ich vorhin erwähnte, übrigens nur eine Auswahl, es waren noch mehr. Es ist das Einstehen für den demokratischen Rechtsstaat, aber auch das Wissen, dass es nicht reicht, sich an die Formen des Rechts zu halten, sondern dass Menschlichkeit und das Streben nach Gerechtigkeit hinzu kommen müssen, dass der Gesetzesvollzug nicht genügt, sondern dass man mit dem Herzen dabei sein muss. Das Gemeinsame ist das Streben, eine gerechte menschliche Gesellschaft zu schaffen.
Und wenn ich gerade die letzten beiden Fritz-Bauer-Preisträger vergleiche, den Polizeipräsidenten Hans Lisken vom letzten Jahr und Hanne und Klaus Vack, die Sinnbilder des gewaltlosen Widerstandes von unten heute, so könnte man auf die Idee kommen: Ist da nicht ein Gegensatz? Ich glaube es nicht.
Auch die Vacks anerkennen, dass der Staat das Gewaltmonopol haben muss, da wir sonst nicht friedlich miteinander leben könnten, aber sie wissen, dass manchmal Regelverletzungen nötig sind aus politischen und sogar auch aus rechtlichen Gründen, und so sind sie die Geburtshelfer des gewaltlosen Widerstandes in unserem Lande geworden. Und auf der anderen Seite Hans Lisken: Natürlich bejaht er die Aufgabe der Polizei, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Aber auch bei ihm gibt es ein Aber. Er weiß, dass Sicherheit und Ordnung nicht an erster Stelle stehen, dass Ruhe nicht die erste Bürgerpflicht ist, sondern Schutz der Demokratie, Schutz des Anderen, Schutz der Minderheit, Schutz der Grund- und Freiheitsrechte des Einzelnen. Und auf der Fahrt heute hierher im Zuge habe ich seine Rede gelesen, die er Anfang dieses Jahres anlässlich seiner Verabschiedung gehalten hat, und in der er über den Polizeiberuf nachgedacht hat. Er fordert, wohlgemerkt von Polizeibeamten, die „Fähigkeit zum Widerstand für das Recht”. Er geißelt die „verfassungsperverse Rechtsprechung, die dem Beamtengehorsam Vorrang vor der Gewissensbindung einräumt”, und er endet schließlich mit der Aufgabe für die Polizei, dass „wichtiger als die Funktionstüchtigkeit sei der Wille zum Recht, zum Recht des Nächsten.” So wissen beide Fritz-Bauer-Preisträger, oder grammatisch richtig gesprochen alle drei, derjenige des letzten Jahres und die beiden dieses Jahres, dass der demokratische Rechtsstaat nicht aus Gesetzen und nicht aus staatlichen Institutionen lebt, wie wohl diese nötig sind, sondern er braucht und lebt nur durch aufrechte, unerschrockene, engagierte, freiheitsliebende, menschliche Bürgerinnen und Bürger – und das ist das einigende Band zwischen allen Fritz-Bauer-Preisträgern der vergangenen Jahre und des heutigen Tages.
Lassen Sie mich ein Letztes sagen, warum wir den Fritz-Bauer-Preis heute und hier verleihen. Übermorgen am 1. September ist der Antikriegstag. Am 1. September 1983 fand die so genannte Prominentenblockade hier, nämlich in Mutlangen vor dem Pershing -Depot statt, maßgeblich organisiert von unseren heutigen Preisträgern. Daran wollen wir ganz bewusst anknüpfen. Dieses, was damals von Vielen und heute noch von Vielen als unzulässige Gesetzesüberschreitung angesehen wurde: Es war gut, es war wichtig, es war richtig – ja, wie wir heute wissen, es war rechtlich sogar geboten.
Der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen hat im Juli ein Votum veröffentlicht, über das leider die Öffentlichkeit kaum spricht, über das leider kaum geschrieben wird; verständlich, weil es doch gegen allzu viele Strömungen der offiziellen Politik unseres eigenen Staates geht. Er hat entschieden, dass es generell völkerrechtswidrig ist, Atomwaffen einzusetzen, ja sogar schon, mit ihnen zu drohen. Viele der offiziellen Politik meinen, sich damit beruhigen zu können, dass dieses Votum ja nur 7:7 ausgegangen sei und die Stimme des Präsidenten den Ausschlag gegeben habe. Dies ist falsch. Auch das wird leider kaum transportiert. Das Votum ging nur deshalb mit 7:7 aus für den Satz: Androhung und Einsatz von Atomwaffen sind generell völkerrechtswidrig, weil drei weiteren Richtern dieser Satz zu wenig weit ging. Sie sagten: Nein, dies ist nicht nur generell völkerrechtswidrig, sondern in jedem einzelnen nur denkbaren Fall. Und deshalb ist wirkliche Mehrheit 10:4 derjenigen Richter des Internationalen Gerichtshofs, die sagen: Androhung und Einsatz von Atomwaffen sind völkerrechtswidrig. Und sie haben ein weiteres Votum in diesem Urteil ausgesprochen und dieses sogar einstimmig: Es gibt eine Völkerrechtspflicht zur Abrüstung der
Atomwaffen auf Null. Auch darüber ist wenig in der veröffentlichten Meinung zu lesen. Dort schreibt man lieber, dass bei den Verhandlungen um die Verlängerung des Atomwaffensperrvertrags in Genf Indien der böse Bube ist, weil es diesen Vertrag nicht unterschreiben will, und man unterlässt zu schreiben. Warum? Weil nämlich insbesondere die USA sich entgegen bestehendem Völkerrecht weigern, ihre Abrüstungsverpflichtung in diesen Vertrag hin einzuschreiben. Völkerrecht jedoch ist nach Artikel 25 unseres Grundgesetzes Bestandteil des Bundesrechts, und das Grundgesetz sagt, die Regeln des Völkerrechts gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets. Und deshalb bin ich froh, dass unser Fritz-Bauer-Preisträger Erich Küchenhoff vor wenigen Tagen am 23.08.1996 in der Frankfurter Rundschau eine Würdigung dieses Urteils hat veröffentlichen können, woraus ich einige Sätze zitieren möchte:
„Zu der weitreichenden Wirkungen des IGH -Votums gehört nicht zuletzt die endgültige juristische Rehabilitierung aller derjenigen Kräfte der weltweiten Friedensbewegung, die sich von den Ostermärschen der 50er Jahre über das Darmstädtei Signal von Bundeswehrangehörigen bis zu der Sitzdemonstrationen in Mutlangen unter Inkaufnahme großer persönlicher und beruflicher Risiken bis hin zu polizeilicher und strafrechtlicher Verfolgung gegen alle Planungen von Atomwaffeneinsatz und -einsatzandrohung und gegen die politischen, ideologischen und militärischen Schritte zu ihrer praktischen Verwirklichung eingesetzt haben, wie gegen Nato-Doppelbeschlüsse Stationierungen, Einsatzkonzepte, propagandistische Verharmlosungen und ideologische Verklärungen. Sie verdienen unser aller Dank.

nach oben