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Vom Feingold-­Di­rektor zum modernen Sparso­zi­al­po­li­tiker

vorgängevorgänge 13612/1996Seite 7-14

Schwarz-rot-grüne Sozialpolitik in Frankfurt/Main

aus : vorgänge Nr. 136 (Heft 4/1996), S. 7-14

Kaum jemand in Frankfurt kennt noch den 1930 eingesetzten Leiter der stadteigenen Mietheim AG, Burmann (SPD). Dessen Wirken wäre keine Zeile wert, hätte er nicht für damalige Zeiten einen bemerkenswerten Vertrag unterschrieben. Und dies zu einem Zeitpunkt, in dem der städtische Haushalt, wie jedes Jahr in Frankfurt, umstritten war. Während der Kämmerer am 27.2.1930 feststellen musste, daß es ca. 40.000 Erwerbslose und ca. 20.000 WohlfahrtsbezieherInnen gab, sollte das Haushaltsdefizit von 6,5 Mio. RM hauptsächlich durch Einsparungen auf Kosten der Weniger-verdienenden reduziert werden, u.a. wurde die bereits bewilligte Winterbeihilfe von 10 RM zurückgenommen.
Kurz zuvor hatte Burmann einen profitablen Vertrag unterschrieben: Sein Gehalt betrug 24.000 RM im Jahr auf Feingold-Basis, seine Pension, umfaßte, ebenfalls auf Feingold-Basis, 9000 RM; im Falle seines Todes hätte seine Witwe die volle Pension, seine Kinder bis zum 21. Lebensjahr je 2.500 RM (Feingold-Basis) erhalten. Zum Vergleich: ein jugendlicher Hilfsarbeiter verdiente damals im Jahr rund 900 RM.
Geschichte, zumal kommunalpolitische Geschichte scheint sich immer wieder auf „höherem Niveau” zu wiederholen. War es früher u.a. der „Feingold-Direktor”, so sind es heute u.a. die Stadtwerkdirektoren, die in Zeiten restriktiver Sparprogramme Einkommens- und Pensionsbezüge erhalten, daß es dem normalen Bürger die Zornesröte ins Gesicht treibt.
Nicht so bei Tom Koenigs, dem grünen Kämmerer der Stadt Frankfurt, der die Meinung vertritt: „… man kann schon vermitteln, daß man Spitzenleute anständig bezahlen muß.” 1 Und so beziehen Jürgen Wann und Werner Röhre, mit Koenigs Zustimmung, Jahressaläre zwischen 230000 und 280000 DM sowie eine lukrative Altersversorgung. Nicht zu verschweigen ist, daß Werner Röhre noch bis vor kurzem Kreisgeschäftsführer der ÖTV war und in dieser Position die Verschwendungspolitik des Magistrats kritisierte. Ein 1982 von ihm herausgegebenes Flugblatt gegen die Sparmaßnahmen des CDU-Magistrats überschrieb er mit dem Zweizeiler „Haben oder nicht Haben – Das ist hier die Frage!” Für ihn persönlich hat sich die Frage nun geklärt.
1989 sollte in Frankfurt ein neues kommunalpolitisches Zeitalter eingeleitet werden. Ein rot-grünes-Bündnis übernahm die politische Macht im Römer. In der Präambel des Koalitionsvertrages hieß es: „SPD und Grüne in Frankfurt schließen ein Bündnis der demokratischen, ökologischen und sozialen Erneuerung.” Der Anspruch war hoch, die Realisierung ernüchternd. Von sozialer Erneuerung spricht heute niemand mehr, die „goldenen Zeiten” seien vorbei; Sparprogramme bestimmen die Politik. „Die Einsparungen im Sozialbereich sind gerade für uns Sozialdemokraten besonders schmerzhaft, aber nicht vermeidbar“ 2, so eine SPD-Ortsvereinsvorsitzende; die Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) verlangt „große, schmerzhafte Opfer”, und Tom Koenigs will bei den Bürgern „um Verständnis für schmerzliche Einschnitte werben“. 3
Stadtplanung in Frankfurt hieß von Anfang an Wirtschaftsförderungspolitik. Die von der SPD in den sechziger und siebziger Jahren geschaffenen Grundlagen (durch Ausbau der Verkehrswege, Räumung von Wohngebieten, Bürgschaftsübernahmen, Gewerbesteuerbefreiungen usw.) für eine Finanz- und Dienstleistungsmetropole Frankfurt konnte die CDU 1977 weiterführen. 4  Deren Modernisierungsdiskurs fand sich auch Jahre später in rot-grünen Überlegungen wieder. Demnach ging es um die Herstellung einer positiven Identifikation „mit dem Frankfurter Wachstums-„Modell” und mit dem — tatsächlichen oder vermeintlichen – Lebensstil der einkommensstarken Leistungsträger der Modernisierung, die die Stadt wieder als Wohnumfeld entdecken,
„die Aufwertung und Wiederbelebung der … zur Einkaufszone verödeten Innenstadt” unter dem sinnlosen Stichwort „urbane Stadt” und um die „Gestaltbarkeit städtischer Lebensbedingungen durch intelligentes Management“ 5
In den Anfangsjahren des CDU-Magistrates gehörten die Schließung politisch missliebiger Initiativen (wie das TAT oder das KITA-Projekt) und die versuchte Disziplinierung von Jugendinitiativen durch finanzielle Austrocknung (wie der Frankfurter Jugendring und der Stadtschülerrat) zum politischen Alltag. Während Jugendhäuser, Jugendzentren und Jugendclubs Gelder gestrichen oder erst gar nicht in die Förderung aufgenommen wurden, butterte die CDU 1979 und 1980 fast 100 Mio. DM in den Wiederaufbau der Alten Oper und förderte, um nur ein Beispiel aus dieser Zeit zu nennen, eine Etappenfahrt der Tour de France beginnend in Frankfurt mit 500000 DM. 1983 erließ der CDU-Magistrat eine generelle zehnprozentige Kürzung im Sozialbereich. Als Ursache wurde die „schwierige” Haushaltslage benannt, betroffen waren u.a. freie Initiativen aber auch Altenhilfe, Jugendpflege, Jugendfürsorge und Kindertagesstätten bzw. Krippen.
Angetreten war die rot-grüne-Koalition 1989 in Frankfurt/M. mit dem vollmundigen Ziel, „einen neuen Weg in die Zukunft” zu finden. Die Verbindung von Tradition und Moderne wurde in den Mittelpunkt gestellt. Daß damit eher die Tradition — in Form der Unterstützung von Banken und Versicherungen – gemeint war, stellte sich rasch heraus. „Wir werden die Wirtschaftskraft der Stadt wahren und weiterentwickeln … wir werden Frankfurt weiter als internationales Finanzzentrum und als Handelsplatz fortentwickeln.“ Eine wesentliche Erfahrung aktueller bundesrepublikanischer Sozialpolitik stand nicht im Mittelpunkt der rot-grünen-Diskussion: Förderung von Wirtschaftskraft und soziale Erneuerung im Sinne einer gerechten Teilhabe am Reichtum sind unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen unvereinbar. Je besser es den Unternehmen ging, um so prekärer wurde die Lage der Arbeiter und Angestellten auf dem Arbeitsmarkt, um so mehr verschlechterte sich die materielle Situation der Armutsbevölkerung.
„Das Basiskonzept bundesrepublikanischer Politik setzte und setzt bis heute auf … ein traditionelles … Wachstums- und Fortschrittsmodell, demzufolge der Prozeß des wirtschaftlichen Fortschritts der zentrale Motor auch des sozialen, gesellschaftlichen Fortschritts ist. Bis heute … beruft sich Politik auf diesen Fortschrittsglauben, der davon ausgeht, daß letztlich alle gesellschaftlichen Gruppen von den wirtschaftlichen Modernisierungsprozessen profitieren, und daß es deshalb für alle sinnvoller ist, gemeinsam den Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung zu unterstützen, als ihn durch allzu harte Verteilungskämpfe zu gefährden. Weil aber dieses Fortschritts- und Wachstumsmodell seit zwei Jahrzehnten immer weniger funktioniert, wird jede Politik, ob sozialdemokratisch oder christdemokratisch geführt, ob Bundes-, Landes- oder Kommunalpolitik, die sich an diesem Modell orientiert, zwangsläufig die Prozesse sozialer Polarisierung befördern und unterstützen.“ 7
Trotz Hochkonjunktur stieg die Zahl der Beschäftigten in Frankfurt zwischen 1970 und 1987 von 545245 nur auf 558852 — ein Bonus, der ausschließlich auf die Zunahme von Teilzeitjobs zurückzuführen war, denn die Zahl der Vollzeitbeschäftigten nahm im gleichen Zeitraum von 506.832 auf 488.700 ab. Und damit ist noch nichts über die Qualität der Arbeitsplätze ausgesagt. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit in Frankfurt zwischen 1970 und 1987 um 2.288 Prozent (auf knapp 35000 Personen, ohne Berücksichtigung der stillen Reserve). Im Vergleich mit Frankfurts expansivsten Wirtschaftsteil, dem Dienstleistungssektor, wuchs die Zahl der Arbeitslosen gut 30mal so schnell wie die Zahl der dort Beschäftigten. Ebenfalls gestiegen ist die Zahl der SozialhilfebezieherInnen (1970 bis 1987 um 453%), sie liegt damit im Vergleich mit dem bundesweiten Anstieg im gleichen Zeitraum um zwei Drittel höher. Die Mehrzahl der BezieherInnen sind im erwerbsfähigen Alter. 8
Erste Ergebnisse eines Armutsberichtes für Frankfurt gehen von einer Armutsrate zwischen 11 und 19 Prozent aus, zwischen 1985 und 1993 erhöhten sich die Zahlen der BezieherInnen von Sozialhilfe abermals um 56 Prozent. 9
Für den aufgeklärten, ökologisch bewußten Parlamentarier erscheint dieser Widerspruch zwischen sozialer Marktwirtschaft und Armutsproduktion als individuelles Dilemma. Statt Aufklärung produziert er Ideologie. In einem eigens gegründeten Zeitschrifteintypus, dem „urbanen Journal”, wird über das „Metropolenfieber” fabuliert und Frankfurt/M. als „spannende Stadt” entdeckt, in der „sich soziale, politische und kulturelle Entwicklungen früher und intensiver verdichten als anderswo“. 10  Armut als Nervenkitzel, als zu entdeckendes Abenteuer. Gleichzeitig wird die anstehende Soziale Frage mit Konzepten einer Kulturalisierung des Städtischen oder einer multikulturellen Gesellschaft  überlagert. 11 Geld und Reichtum als einziger Glücksbringer und Produktivkraft werden geortet, denn „zur freien Gesellschaft gehört in der Tat auch eine freie Wirtschaft“ 12. Als feststehende Prämissen gelten für diese Metropolenphilosophen, das herrschende Gesellschaftssystem sei liberaler geworden und könne die allgemeinen Grundbedürfnisse materieller Art abdecken.
In ihren damaligen grundlegenden Ausführungen zur zukünftigen Stadtpolitik hat Sozialpolitik für Daniel Cohn-Bendit, Frank Herterich und Thomas Schmid 13 z.B. kaum eine Bedeutung. Entscheidend ist für sie die „große Welt der Marktwirtschaft”, in Gestalt der europäischen Notenbank, die es nach Frankfurt zu holen gelte, verbunden mit einem Institut für europäische Wirtschaftspolitik, „an dem Führungskader der Wirtschaft letzten Schliff erhalten”, natürlich in „Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Natur.” Ihr Verhältnis zu sozialer Armut erinnert an die großbürgerliche Wohltätigkeitseuphorie Mitte des 19. Jahrhunderts. Da ist die Rede von der „Verantwortung gegenüber den Randständigen und den Verlierern der rasanten Modernisierungswelle”, wird Hilfe für die Schwachen angemahnt, „weil es einer modernen Gesellschaft unwürdig wäre, es nicht zu tun.” Alles erscheint als Wettbewerb von Gleichen unter Gleichen, in dem es eben Verlierer und Gewinner gibt, je nach individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Wer in der „Moderne” nicht mithalten kann, wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt und nur zur Kenntnis genommen, wenn es gilt, die Würde der Anderen zu sichern. Scheinbar naturgesetzlich funktioniert nach Meinung der Autoren die Armutsproduktion. Auf diesem Hintergrund können sie Arme und Ausgegrenzte auch nicht als Subjekte politischen Handelns sehen, sondern wollen sie als Objekte dem staatlichen Wohltätigkeitskreislauf unterwerfen.
Noch schärfer drückt Frank Herterich diesen Präventionsansatz aus: „Mit dem Konzept eines sozial wie ökologisch verantwortlichen und emanzipatorisch orientierten Urbanismus ist es erstmals seit 1½ Jahrzehnten gelungen, in einer prosperierenden Großstadt eine gesellschaftliche Koalition zu formen, die das sonst der Marginalisierung anheimgegebene untere Drittel der Gesellschaft mit einer guten, eben dem aufgeklärten Teil der aufstrebenden Mittelschichten umklammert.“ 14
Angesichts der Unmöglichkeit, die Soziale Frage im Kapitalismus zu lösen, erscheinen hier die guten Metropolenmittelschichtler mit ihrer von marktwirtschaftlicher Leistungsethik geprägten kulturellen Identität als Nonplusultra des städtischen Lebens. Anderes Leben muß – soweit es auffällt — „umklammert”, integriert oder ausgegrenzt und den Wohltätigkeitsorganen bzw. den Polizeibehörden übergeben werden. Realpolitik in diesem Zusammenhang „ist nichts anderes als Ausdruck intellektueller und moralischer Kapitulation …, sie dient der ideologischen Vernebelung sich naturwüchsig Bahn brechender Produktivkräfte.“ 15  „Geld und Reichtum müssen arbeiten … in der einen großen Welt der Marktwirtschaft“ 16, so das Leitmotiv eines ehrenamtlichen Stadtrates in Frankfurt. Für ihn sind Arme, Erwerbslose und SozialhilfebezieherInnen „Randständige” oder „Verlierer der rasanten Modernisierungswelle”, als hätten sie sich freiwillig an den Rand begeben, oder wären in einem fairen Wettkampf unterlegen.
Je schärfer sich die soziale Situation in Frankfurt zuspitzte, desto deutlicher wurde die sozialpolitische Konzeptionslosigkeit der rot-grünen-Modernisierer. In ihrer Not griffen sie auf altbekannte städtische Reaktionsweisen zurück. Der Haushalt soll auf dem Rücken der Armen und durch Kürzungen bei Sozialeinrichtungen konsolidiert werden. Mit Polizeiaktionen werden Obdachlose, Bettlerinnen und Drogenabhängige von zentralen Plätzen verjagt. Soziales Elend soll unsichtbar gemacht werden. Oder, wie es der frühere OB von Schoeler ausdrückte: „Unsere Stadt ist ja doch eine Bilderbuchpostkartenstadt – es kommt nur darauf an, wo man hinsieht.“ 17
Was 1989 im Koalitionspapier als „neuer Weg” einer „sozialen Erneuerung” angepriesen wurde, endete in jenem Sparlied, das bislang alle Stadtregierungen anstimmten. 1993 und 1994 erfolgten aufgrund der „schwierigen” Haushaltslage drastische Kürzungen für soziale und kulturelle Initiativen, sowie Kürzungen im sozialen Aufgabengebiet der stadtnahen Vereine und Verbände. Ende 1994 wurde die Streichung der Mittel für sechs Jugendeinrichtungen verfügt und für 1995 eine zehnprozentige Zuwendungskürzung beschlossen. Hinzu kamen und kommen schleichende Kürzungen, wie Stellenreduzierungen, Ausweitung von Arbeitsaufträgen, Nichteinstellung von Schwangerschaftsvertretungen und die Nichterhöhung von Kontingenten bei steigendem Bedarf. Gleichzeitig kürzte der Magistrat das Bekleidungsgeld und den Energiekostenzuschuss für SozialhilfebezieherInnen, das Sozialamt nötigte in vermehrten Maße auf Sozialhilfe angewiesene Menschen in Zwangsarbeitsverhältnisse. Zur Überprüfung ihrer Arbeitsbereitschaft mußten und müssen sie für 1.- DM pro Stunde Bäder putzen oder Stadtparks reinigen.
Auch nach der Beendigung der rot-grünen-Koalition und des faktischen Bündnisses zwischen CDU und SPD tragen der grüne Kämmerer und die verbliebenen grünen Magistratsmitglieder, trotz der Ablehnung des aktuellen Haushalts, Mitverantwortung für den weitergehenden unsozialen Sparkurs. Zwar stellte sich Koenigs gegen die Streichungsbeschlüsse des Sozialdezernenten, gleichwohl beinhaltete sein erster Sparvorschlag im August 1995 eine lineare Kürzung von 10 Prozent bei allen nicht gesetzlich festgelegten Leistungen der Stadt. Mittlerweile ist er beim Verkauf von Bürgerhäusern, der Schließung zweier Hallenbäder und der Begrenzung einmaliger Beihilfen in der Sozialhilfe angekommen. Fakt ist auch, dass Koenigs dem Haushaltsentwurf per Magistratsbeschluß am 20.1.1996 zugestimmt hat. Auch die CDU läßt sich nicht lumpen. Sie will beim Frankfurt-Paß noch mehr wegnehmen (nämlich 2,3 Mio. DM), indem es ihn nur noch für SozialhilfebezieherInnen geben soll und der Preisnachlass für den Besuch von Bädern und Museen gestrichen wird.
Am 17.1.1996 erklärte SPD-Sozialdezernent Vandreike auf einer Pressekonferenz die Streichung bzw. radikale Kürzung der Mittel für sieben soziale Initiativen (Frankfurter Arbeitslosenzentrum, Quer, Einwanderertreff, Frauenzukunftswerkstatt, Autonome Iranische Frauenbewegung, Autonomes Frauenhaus, Geschäftsstelle des Zusammenschlusses freier Kinder- und Jugendeinrichtungen). Hintergrund sei wieder die „schwierige” Haushaltslage, er habe sich „auf wenige Projekte konzentriert, damit die anderen überleben können“ 18. Gleichzeitig wurden auch die Zuschüsse für Jugendverbände eingeschränkt und beim Frankfurt -Paß die Eigenbeteiligung um 3.- DM erhöht. Stolz konnte Vandreike auf der Pressekonferenz verkünden, daß er so 3,8 Mio. DM bei den freiwilligen städtischen Leistungen eingespart habe, 1 Mio. DM mehr als von ihm gefordert wurde. Ähnlich wie zu CDU-Zeiten entledigt sich der SPD-Sozialdezernent politisch unbequemer Initiativen. Noch 1984 auf einer Fachtagung kritiserte Vandreike als Personalratsvorsitzender der Stadt die Tendenz, daß bei steigenden Sozialhilfezahlen die Zahl des bearbeitenden Personals gleich geblieben war und zog daraus die Schlußfolgerung: „Unter solchen Umständen werden die Beschäftigten zu reinen Bearbeitungs- und Auszahlungsautomaten, die für den Sozialbereich wesentliche Funktion der Beratung verkümmert zusehends“. 19  Zwölf Jahre danach muß sich diese Situation grundlegend verbessert haben, denn nun behauptet Vandreike als Sozialdezernent, die Sozialämter kämen ihrem Beratungsauftrag voll und ganz nach, weshalb keine weiteren unabhängigen Beratungsstellen nötig seien. Die Besonderheit der jetzigen Mittelstreichungen ist nicht so sehr, daß sie nach dem Motto „teile und herrsche” funktioniert, letztes Jahr Jugendinitiativen, dieses Jahr Erwerbslosen und Flüchtlings- bzw. MigrantInnengruppen, sondern daß sie in einem bundesweiten Zusammenhang des Ab – und Umbaus des Sozialsystems steht.
Bereits 1994 und 1995 wurden bundesweit Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe gekürzt. Auch die neuen Sparvorschläge der Bundesregierung werden einen weiteren existentiellen Angriff auf Erwerbslose und Arme einläuten. Das angestrebte Lohnabstandsgebot im Bundessozialhilfegesetz wird zu einer dramatischen Absenkung der Sozialhilfe führen. „Ziel ist eine Neuordnung der staatlich moderierten Beziehungen zwischen Kapital und Lohnarbeit, ihre Anpassung an Deindustrialisierung, Deregulierung, Individualisierung und Flexibilisierung einerseits und die gesetzliche Festschreibung zu Gunsten des Kapitals verschobener gesellschaftlicher Machtverhältnisse andererseits.“ 20 „Uns blieb keine andere Wahl” so tönt es aus Kreisen der SPD und CDU Stadtverordneten, wenn es um den kommunalen Sozialabbau geht.
Eine wesentliche Ursache für die Haushaltskrise sind die sinkenden Kapitalsteuern, denn was weniger an Steuern eingenommen werden konnte, wurde durch weitergehende Schuldenaufnahme ausgeglichen. Noch 1980 wurden die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen mit durchschnittlich 22,1% besteuert, 1994 sank diese Rate auf 12,2%. Bei gleicher Besteuerungsquote wie 1980 wären 1994 etwa 70 Mrd. DM mehr in die Staatskasse geflossen. Diese Entwicklung ist politisch beabsichtigt, denn die Kapitalsteuersenkungen im Interesse der Banken und Konzerne, „die auf allen Ebenen des Staates ihre jeweiligen Nettoprofitraten mit Steuervergünstigungen erhöhen”, sind Produkt einer großen Koalition von CDU/CSU/FDP und SPD. 21
Die Deutsche Bank etwa zahlte 1995 trotz 14% höherer Gewinne 400 Mio. DM weniger Steuern an die Stadt Frankfurt, und die Hoechst AG setzte in den letzten Jahren 20000 Menschen auf die Straße, erhöhte aber im gleichen Zeitraum ihre steuerfreien Gewinnrücklagen um 4 Mrd. DM.
„In der Zange von relativ sinkenden Kapitalsteuereinnahmen sowie vom Kapital verursachten wachsenden Sozialausgaben für Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot werden die Kommunen erdrosselt.“ 22 Die Schulden der Stadt Frankfurt sind aus eigener Kraft nicht rückzahlbar. Betrugen sie 1980 noch 1,7 Mrd. DM, so stiegen sie für 1995 auf 6,7 Mrd. DM. Der Anteil der Zinsausgaben (ca. 500 Mio. DM) machte 1994 rund 21 Prozent der Steuereinnahmen Frankfurts aus, während der Schuldendienst (Zinsen plus Tilgung) ein Drittel der Steuereinnahmen (ca. 750 Mio. DM) auffrißt. Die Zinsen der letzten 15 Jahren wurden ausschließlich mit neuen Krediten bezahlt. „Wenn aber Zinsen nur noch mit neuen Schulden zurückgezahlt werden können, liegt faktisch Zahlungsunfähigkeit vor … Die Zahlungsunfähigkeit wird nur deshalb nicht erklärt, weil man die Zahlungsunfähigkeit mit neuen Schulden aufrechterhält.“ 23
Selbst städtische Einspar-Hardliner erreichen allenfalls eine Reduzierung der jährlichen Neuverschuldung, aber keine Tilgung der Gesamtschuldenlast. Die Streichung von 170000 DM im Jahr für das Frankfurter Arbeitslosenzentrum entspricht einer dreistündigen Zinsrückzahlung. „All das beweist: Frankfurt wird seinen Haushalt unter den gegebenen Voraussetzungen nicht konsolidieren und seine Schulden niemals aus eigener Kraft zurückzahlen können. Solange der naive Glaube aufrechterhalten wird, man könne die Schulden reduzieren, erscheinen Maßnahmen, an Sozialleistungen, Freizeitinfrastruktur und städtischem Personal einzusparen, als unumgänglich. Aber diese Opfer sind schlicht und ergreifend sinnlos, da ihr vorgeblicher Zweck, die Finanzmisere in den Griff zu bekommen, überhaupt nicht erfüllt werden kann.“ 24
Während PolitikerInnen, JournalistInnen oder viele sozialpolitisch Interessierte diese Zusammenhänge und die daraus resultierenden Konsequenzen ignorieren, fordern andere, wie etwa Andreas von Schoeler auf einem SPD-Sonderparteitag Ende 1994, die Kampagnen gegen Banken einzustellen. 25  Kämmerer Koenigs kann sogar feststellen: „Ich bin auf Banken und Unternehmen nicht so schlecht zu sprechen.“ 26  Aber ist es unrealistisch, wenn Menschen, die ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen können, entschuldet werden? Real findet dies in jeder der wenigen Schuldnerberatungsstellen in Frankfurt tagtäglich statt. Ein Zinsverzicht der Banken für ein Jahr würde dem städtischen Haushalt mit 470 Mio. DM zugute kommen.
Wenn gesagt wird, Geld sei genug da, so impliziert dies auch die falsche politische Schwerpunktsetzung bei städtischen Ausgaben und die ungenügenden Kontrollinstanzen gegen Korruption und Spekulation. Für den Präsidenten des Hessischen Landesrechnungshofes sind bei mehr als 50 Prozent der in Hessen vergebenen Bauaufträge Korruption oder Bestechlichkeit im Spiel. 27 Andere Zahlen gehen von 80 Prozent aller Baumaßnahmen aus; die dort verlangten Preise liegen durchschnittlich 30 Prozent über den Marktpreisen. 28
Es ist nicht unrealistisch anzunehmen, daß von den in Frankfurt jährlich veranschlagten 400 Mio. DM für Bauaufträge, rund 90 Mio. DM Extraprofite für Bauunternehmer und Bestechungsgelder sein müssen. Ein wirksamer Maßnahmenkatalog von Seiten der Stadt zur Abschöpfung dieser Extragewinne existiert nicht.
Trotz prekärer Haushaltslage lassen sich viele Beispiele finden, aus denen heraus deutlich wird, wo die Stadt Frankfurt mit vollen Händen ausgibt. Politisch verantwortlich sind sowohl der alte CDU-Magistrat, wie der frühere SPD/Grüne-Magistrat:
seit 1991 muß die Stadt Frankfurt 30 Jahre lang 190000 DM monatlich für die leerstehende Naxos-Halle zahlen, das sind 2,3 Mio. DM Miete p.a., die Titus-Therme kostet 20 Mio. DM pro Jahr,
der Jahreszuschuss für die Alte Oper beträgt 15 Mio. DM,
der Umbau des zukünftigen Wohnungsamtes kostet 9 Mio. DM und 2,5 Mio. DM Miete pro Jahr.
Der mittlerweile in Ungnade gefallene SPD-Stadtverordnete Karl-Heinz Berkemeier legte, nun frei gegenüber der Partei-Raison, einen eigenen Etatantrag vor. Darin fordert er die Weiterfinanzierung der sozialen Initiativen und zeigte auf, wo im Verwaltungsapparat der Stadt gespart werden kann. U.a. bestreitet er die Notwendigkeit von neuen Stellen und Stellen-Höherbewertungen in Dezernenten- und Oberbürgermeisterbüro (pro Jahr 1 Mio. DM). Von den 506 beantragten Höherbewertungen rückwirkend ab 1.1.1996 seien nur 115 bürgernah, z.B. für Kinder (Tagesstätten, Krippen). Die restlichen knapp 400 Höherbewertungen entstammten der inneren Verwaltung und kosteten ca. 2,3 Mio. DM im Jahr. Als Begründung für diesen finanziellen Kraftakt wird stereotyp angeführt: „Zur Aufrechterhaltung eines geordneten Bürobetriebes sind die Stellen-Neuanschaffungen/Höherbewertungen erforderlich.”
Materielle Vergünstigungen und gutdotierte Versorgungsposten erhalten auch diejenigen, die den kommunalen Sozialabbau vorantreiben. Ein gutes Dutzend ehemaliger enger Stadtrat- und OB-Mitarbeiter (von CDU bis Grüne) sind im Laufe der Jahre zu hochbezahlten Geschäftsführern, Amts- oder Abteilungsleitern im Römer, bei kommunalen oder von der Stadt mitbestimmten Gesellschaften (wie Stadtwerke, Flughafen AG, Städtische Bühnen, kommunale Wohnungsbaugesellschaften) avanciert. 29  Und auch der gescheiterte OB von Schoeler muß sich nicht arbeitslos melden. Er hat bis Mai 1997 Anspruch auf 75 Prozent seiner bisherigen Dienstbezüge, dies sind rund 11000 DM monatlich. 30

1 Frankfurter Rundschau 9.1.1995
2 Frankfurter Rundschau 29.2.1996
3 Frankfurter Rundschau 23.5.1996
4 vgl. diskus 1/1990
5 Barthelheimer 1989, S. 1057
6 Koalitionspapier, S. 4ff.
7 von Freyberg 1994, S. 3/4
8 alle Daten aus: Frankfurter Rundschau 6.2.1990
9 Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.3.1996
10  Pflasterstrand 1/1990
11 zur Kritik am in dieser Konzeption innewohnenden Rassismus, siehe: diskus, Mai 1990, S. 33ff.
12 Cohn-Bendit u.a. 1990
13 siehe Frankfurter Rundschau 6.6.1990
14 Kommune 5/1989
15 „1999” 3/1988, S. 137
16 Frankfurter Rundschau 6.6.1990
17 Journal Frankfurt 2/1994
18 Frankfurter Rundschau 18.1.1996
19  Fachtagung 1984, S. 55
20 Kahrs 1996, S. 4
21 vgl. zu diesem Komplex: Roth,R. 1996 und Schui/Spoo 1996
22 Roth, R. 1996, S. 30
23 ders., S. 30
24 ders., S. 31
25 vgl. Frankfurter Randschau 27.10.1994
26 Frankfurter Rundschau 30.5.1996
27 Frankfurter Rundschau 17.11.1995
28 vgl. Roth, J. 1995
29 vgl. Frankfurter Rundschau 19.10.1993
30 vgl. Frankfurter Rundschau 28.6.1995

Literatur
Abbau sozialer Demokratie in Frankfurt am Main, Dokumentation zur Situation der Frankfurter Jugend nach  der Kommunalwahl 1977
Armut durch Arbeitslosigkeit in Frankfurt, Ergebnisse einer Fachtagung 1984
Bartelheimer, P.: Das Frankfurter Modell der rot-grünen Moderne, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 9/1989
Cohn-Bendit, D./Herterich, F. /Schmid, T.: „Fällt die ,menschliche Metropole‘ ins zweite Glied zurück?, in: Frankfurter Rundschau 6. Juni 1990
diskus Heft 1/1990: „Katalysator und Puffer. Stadtplanung im sozialdemokratisch regierten Frankfurt der 60er und 70er
Jahre”
diskus Heft 2/1990: „Die multikulturellen Freunde und ihre Gesellschaft” Dokumentation zu den Kürzungen der Stadt Frankfurt im Sozialbereich 1983
Freyberg, T. v.: 15 Thesen zum Forum 3 „Soziale Demontage” auf dem 2. Bürgerforum Paulskirche 1994
Kahrs, H.: Die Arbeitslosen sind selbst schuld, in: „Quer“,Mai 1996
Pflasterstrand Feb. 1990: „Der neue Städter”
Roth, J.: Der Sumpf, München 1995
Roth, R.: Verschuldung Frankfurts – was tun?, in: Frankfurt bankrott? Was tun?, Hg.: Alternativen für Frankfurt, 1996
Schul, K/Spoo, E. (Hg.): Geld ist genug da, Heilbronn 1996

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