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Quo vadis, Bundes­kri­mi­nal­amt?

vorgänge Nr. 139 (Heft 3/1997), S. 1-8

Am 25. April 1997 hat der Bundesrat mit nur einer Gegenstimme (des Landes Hessen) dem „Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtsgesetz – BKAG)“ zugestimmt. Damit hat ein lang dauerndes Gesetzgebungsverfahren seinen Abschluß gefunden. Der Regierungsentwurf zur Neufassung des Bundeskriminalamtsgesetzes [1] datiert vom Februar 1995. Er hat eine lange Vorgeschichte, Vorkäuferentwürfe reichen bis in die 80er Jahre zurück. [2]

Das Gesetz, das insbesondere darauf abzielt, bereichsspezifische Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Informationsverarbeitung zu schaffen, wirft zugleich wichtige Grundsatzfragen auf: Welche Rolle soll das Bundeskriminalamt in Zukunft einnehmen? Soll es als Serviceunternehmen für die Länderpolizeien dienen oder etwa zu einem deutschen FBI weiterentwickelt werden? Welche Möglichkeiten und Gefahren liegen in dem Ausbau von „Polizeitechnokratie“? In welchem Verhältnis stehen die zentralstaatlichen zu den föderalen Erfordernissen auf dem Gebiet des Polizeiwesens?

Die Stellung des Bundes­kri­mi­nal­amtes nach bisherigem Recht

Schon nach bisherigem Recht kam dem Bundeskriminalamt in der sicherheitspolitischen Landschaft eine überragende Bedeutung zu: Das Bundeskriminalamt (BKA) ist die einzige
Stelle, die Strafverfolgungsdaten für das gesamte Bundesgebiet sammelt und dadurch über einen Informationsvorsprung verfügt. Als Zentralstelle des Bundes im Sinne des Artikel 87 Abs. 1 GG untersteht es der Dienst- und Fachaufsicht des Bundesministeriums des Innern. [3] Seine Aufgabe ist die „Bekämpfung des Straftäters, soweit er sich international oder über das Gebiet eines Landes hinaus betätigt oder voraussichtlich betätigen wird“ ( § 1 Abs. 1 S. 2 BKAG). Das BKA unterstützt die Kriminalbehörden der Länder und betreibt insoweit u.a. die Sammlung und Auswertung von Nachrichten und Unterlagen für die polizeiliche Verbrechensbekämpfung, den elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern, Aufgaben des Erkennungsdienstes, der Kriminaltechnik und -statistik, die kriminalpolizeiliche Forschung sowie die Fortbildung der Kriminalpolizeibeamten der Länder auf Spezialgebieten ( § 2 BKAG). Die Dateien werden im Verbund mit den Ländern geführt oder als Zentraldatei, für welche die Länder ihre Daten über Terminals direkt anliefern. Datenbesitzer und damit verantwortlich sind die jeweils anliefernden Landeskriminalämter (LKAs). Das BKA hat insoweit nur eine Kontrollfunktion für die Übermittlung der Daten an andere und für die Verwaltung des Systems. Ferner ist das BKA nationales Zentralbüro der Interpol für die Bundesrepublik ( § 1 Abs. 2 BKAG). Eine originäre Ermittlungszuständigkeit hatte das BKA bislang nur für die Fälle des international organisierten illegalen Waffen-, Falschgeld- und Rauschgifthandel sowie für die politische Gewaltkriminalität ( § 5 Abs. 2 BKAG). Es konnte und kann jedoch darüber hinaus dann kriminalpolizeiliche Ermittlungen an Stelle der zuständigen Landesbehörden übernehmen, wenn eine zuständige Landesbehörde darum ersucht oder das Bundesministerium des Innern dies aus schwerwiegenden Gründen anordnet oder der Generalbundesanwalt darum ersucht oder einen Auftrag erteilt ( § 5 Abs. 3 BKAG).

Derzeit führt das Bundeskriminalamt etwa 160 computergestützte Dateien mit personenbezogenen Daten, Informationen über Alter, Wohnort, Geschlecht, Familienstand oder Vorstrafen. Bisher enthielt das BKA-Gesetz jedoch kein einziges Wort zum Datenschutz. Gesetzliche Datenschutzbestimmungen waren spätestens seit Verkündung des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts vor vierzehn Jahren fällig. So entschied der Hessische Verwaltungsgerichtshof am 23.6.1995, dass jeder, der ohne Verschulden in ein Ermittlungsverfahren gerät und dessen Daten daher vom BKA gespeichert werden, deren Löschung verlangen kann. Das Gericht verwies in seiner Entscheidung darauf, dass das Bundesverfassungsgericht schon 1983 die fehlende gesetzliche Grundlage für die Erhebung der BKA-Datensammlung angemahnt hatte. Eine Übergangsfrist für die Schaffung einer gesetzlichen Regelung sei mittlerweile abgelaufen (Az. 6 UE 152/92). [4] Der sich daraus ergebende dringende Gesetzgebungsbedarf ist ein wesentlicher Grund dafür, weshalb die Bundesländer trotz anfänglichem Widerstand dem Gesetz schließlich zugestimmt haben.

Schwer­punkte der Geset­zes­no­velle

Polizeiliche Informationsverarbeitung: Aus Sicht des Datenschutzes ist die Umsetzung des Volkszählungsurteils in diesem Bereich grundsätzlich zu begrüßen. Auch hat es gegenüber den Vorentwürfen im Datenschutzbereich einige Verbesserungen gegeben. Hierzu zählen der Verzicht auf ursprünglich vorgesehene Befugnisse zur „Feststellung des Anfangsverdachts“, die Erfordernis der Einwilligung für die Speicherung von Daten über Zeugen und mögliche Opfer, Übermittlungsverbote bei überwiegenden schutzwürdigen Interessen der Betroffenen oder bei entgegenstehenden gesetzlichen Verwendungsregelungen und die Beachtung landesgesetzlicher Löschungsfristen. [5]

Gleichwohl begegnet das Gesetz insgesamt noch immer datenschutzrechtlichen Bedenken. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 9./10. Mai 1995 hatte an dem Regierungsentwurf folgende Punkte gerügt:

  • die Verwendung des äußerst unscharfen Begriffs der Straftaten von „erheblicher Bedeutung“, der in unterschiedlichem Zusammenhang in den § § 2 Abs. 1, 8 Abs. 4 S. 1 und Abs. 5 BKAG gebraucht wird, – angefangen von der generellen Aufgabenzuweisung an das BKA bis hin zur Verarbeitung personenbezogener Daten im Hinblick auf die Prognose künftiger Straftaten von „erheblicher Bedeutung“;

  • die Befugnisse der Zentralstelle zu selbständigen – allein auf die Zentralstellenfunktion bezogenen – Datenerhebungen ( § 7 Abs. 2 BKAG), ohne das dem eine materielle Zuständigkeit zur Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr zugrunde liegt. Danach könnte das BKA Daten über Personen erheben, die von den Länderpolizeien weder erhoben noch gespeichert werden dürfen, um den einzelnen Datensatz zu ergänzen. Befürchtet wird auch, daß das BKA „selbständigen Mitbesitz“ an solchen Daten begründet mit der Folge, daß fristgemäße Löschungen unterbleiben;

  • aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 7 Abs. 6 BKAG werden die wesentlichen Entscheidungen über die Art der zu speichernden Daten zudem dem Verordnungsgeber übertragen, ohne das das Gesetz (mit Ausnahme von § 8 Abs. 6 und 9) Grundaussagen über die Voraussetzungen der Speicherung, ihren Zweck und die Ausgestaltung der Dateien bzw. Dateitypen trifft;

  • Übermittlungen ( § 10) bis hin zum automatisierten Datenverbund mit ausländischen und zwischenstaatlichen Stellen ( § 14) ohne Einvernehmen mit den jeweils verantwortlichen Länderpolizeien. Dabei werden die Übermittlungsbefugnisse des BKA als Bundespolizeibehörde und die als Zentralstelle vermischt. Demgegenüber fordern die Datenschutzbeauftragten, dass Übermittlungen an die Zentralstelle an den Zweck gebunden werden, der für die Stelle gilt, welche die Daten der Zentralstelle angeliefert hat. Zweckdurchbrechungen sollten nur in dem Rahmen möglich sein dürfen, der auch für die anliefernde Stelle gilt. Übermittlungen durch das BKA als Bundespolizeibehörde sollen nur im Rahmen solcher Aufgaben erfolgen können, die vom BKA als eigene wahrgenommen werden;

  • die unklare Abgrenzung der Datenverarbeitungsbefugnisse im Hinblick auf die unterschiedlichen Befugnisse zur Strafverfolgung, Gefahrenabwehr, Verhütung von Straftaten und die Vorsorge für künftige Strafverfolgung sowie die fehlende klare Zweckbindungs- und Zweckänderungsregelung ( § § 7 Abs. 5, 8, 10, 14, 16, 20).

Hinter der Kritik steht die Befürchtung, dass eine Kontrollierbarkeit der polizeilichen EDV mehr und mehr verlorengeht. Hat die Weitergabe von Daten innerhalb der Bundesrepublik schon den Effekt, dass der Gespeicherte die Kontrolle über die Daten vollends verliert, so gilt dies erst recht für den internationalen Bereich, auf den hiesige Datenschutzbeauftragte überhaupt keinen Zugriff mehr haben.

Obwohl es im Laufe des Gesetzgebungsverfahren noch einzelne Präzisierungen/Ergänzungen (insbesondere hinsichtlich der Löschung – und Benachrichtigungsvorschriften) gegeben hat, sind doch die aus Sicht des Datenschutzes kritischen Vorschriften im Kern bestehen geblieben. Insbesondere konnte sich der Gesetzgeber nicht dazu durchringen, den Begriff „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ durch einen Straftatenkatalog zu ersetzen. Dies hing damit zusammen, daß die Wunschliste für einen solchen Straftatenkatalog derart groß war, daß es am praktischsten erschien, eine Festlegung ganz zu vermeiden.

Ein besonderer Streitpunkt war die Vorschrift des § 16, der dem BKA die Möglichkeit einräumt, technische Mittel (gemeint sind damit Abhörgeräte) zur Eigensicherung seiner Beamten einzusetzen. Der Streit drehte sich darum, ob und unter welchen Voraussetzungen die dabei möglicherweise erlangten Erkenntnisse in Strafverfahren eingesetzt werden können (und damit durch die Hintertüre der „große Lauschangriff“ eingeschleust werden kann). Hier meldete insbesondere die FDP Bedenken an. Schon bei den Entwurfsberatungen im Kabinett hatte die FDP zwar der Einbringung zugestimmt, gleichzeitig gaben jedoch die damalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sowie Bundeswirtschaftsminister Rexrodt eine mehrere Punkte umfassende Protokollerklärung ab mit Wünschen der FDP, an welchen Stellen der Gesetzentwurf geändert, präzisiert oder überprüft werden solle. [6]

Dieser Dissens innerhalb der Bundesregierung wurde – nach Änderung der Haltung der FDP zum „großen Lauschangriff“ und dem Rücktritt von Bundesjustizministerin Leutheuser -Schnarrenberger – erst am 13.6.96 ausgeräumt, als sich die Regierungskoalition in einem Eckpunktepapier zum sog. „Lauschangriff“ auf eine geänderte Fassung verständigte. Die Entwurfsfassung wurde dahingehend ergänzt, dass der „Wanzeneinsatz“ nur zur Abwehr von Gefahren für „Leib, Leben oder Freiheit“ der eingesetzten Bediensteten und nach vorheriger Anordnung durch den Präsidenten des BKA erfolgen darf. Voraussetzung für die Beweisverwertung im Strafverfahren ist zusätzlich, daß ein Vorsitzender Richter einer Strafkammer des Landesgerichts, in dessen Bezirk das Bundeskriminalamt seinen Sitz hat (also des Landgerichts Wiesbaden) zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme festgestellt hat. In den übrigen Fällen sollen die Daten nach Abschluß der Maßnahmen unverzüglich gelöscht werden.

Die in der Entwurfsfassung außerdem enthaltene problematische Formulierung in § 16 Abs. 1, wonach es ausreicht, dass der Einsatz technischer Mittel „im Beisein des Beamten“ erfolgt, wurde beibehalten und sogar noch um die Alternative „oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Einsatz des Bediensteten“ ergänzt. Diese Konstruktion ermöglicht, dass präparierte Wohnungen abgehört werden können, unabhängig davon, ob sich konkret ein Beamter in unmittelbarer Gefahrensituation dort befindet. Der nun beschlossene Gesetzestext geht dabei über entsprechende Regelungen, wie sie in den Landespolizeigesetzen gelten, hinaus.

Zentralisierung polizeilicher Befugnisse: Der Gesetzentwurf setzt den seit den 70er Jahren bestehenden Trend fort, die polizeilichen Aufgaben zu zentralisieren. So soll das BKA für Aufgaben, die es bisher im Wege der Auftragszuständigkeit wahrgenommen hat, entsprechende Befugnisse einschließlich der Gefahrenabwehr und des Vorfelds der Strafverfolgung erhalten. Hierzu gehörten u.a. die Aufgabe des Zeugenschutzes. [7] Die originären Strafverfolgungszuständigkeiten des BKA sollen in Fällen der in § 129 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Strafgesetzbuches genannten Straftaten und damit im Zusammenhang stehender Straftaten erweitert werden, soweit es sich um eine Auslandstat handelt und ein Gerichtsstand noch nicht feststeht. Bisher hat das BKA hier seine Zuständigkeit vor allem durch die Anordnungsbefugnis des Generalbundesanwaltes erhalten, wodurch es trotz fehlender eigenständiger Ermittlungsbefugnisse zur „heimlichen Zentralstelle“ im Bereich des „Staatsschutzes“ wurde.

Bei der Ausweitung der Befugnisse des Bundeskriminalamtes ist der Anknüpfungspunkt des internationalen Bereiches ein wichtiges Einfallstor. Da inzwischen jeder bessere Dieb „international“ agiert, also über die offenen Grenzen hinweg, eröffnet sich die Möglichkeit der Verschiebung des Machtgefüges im Bereich der inneren Sicherheit zugunsten des Bundes. Der Aufbau von Europol birgt die Gefahr weiterer Zentralisierungen auf europäischer Ebene. Nicht zuletzt aus historischen Gründen – wegen der Erfahrungen aus der Zeit des Dritten Reiches, aber auch vor dem Hintergrund der zentralen Volkspolizei in der ehemaligen DDR – ist die Polizeihoheit der Länder ein hohes Gut. Nur ein dezentrales Polizeisystem ist vereinbar mit einem liberalen Staatsverständnis und der notwendigen Demokratisierung polizeilicher Aufgaben.

Seit Jahrzehnten argumentieren Polizeipraktiker, sie müßten mit der technischen Entwicklung der Kriminalität Schritt halten und rufen nach erweiterten Handlungsspielräumen und einem starken zentralisierten Staat. Dabei gerät in Vergessenheit, dass gerade eine Bürgernähe der Polizei Garant für die Effektivität polizeilichen Handelns ist. „Innere Sicherheit“ kann nicht von oben verordnet werden und ist auch nicht automatisch durch ein mehr, höher und weiter an Technik zu erzielen. Notwendig ist vielmehr die Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern. Gleichzeitig werden ursachenorientierte politische Konzepte (z.B. Änderung der Drogenpolitik) bzw. die Suche nach Präventionsmöglichkeiten vernachlässigt.

Zentralisierte Polizeistrukturen ziehen eine überflüssige Bürokratisierung nach sich. Der Ausbau der Sicherheitsapparate, den wir seit den 70er Jahren erleben, schafft vor allem mehr registrierte Kriminalität, ohne diese auch im Sinne der Strafverfolgung bewältigen zu können. Eine Zentralisierung birgt die Gefahr der Entfernung zu den „Milieus“ vor Ort. Gerade im Bereich der polizeilichen Datenverarbeitung kommt es auf die Fähigkeit an, die vorhandenen Daten in ihrem Kontext zu interpretieren, nämlich auf der den Aufgaben am nächsten liegenden Ebene.

Gegen die vielbeschworene „organisierte Kriminalität“, die offenbar gerade wegen ihrer Konturenlosigkeit zu einem politischen Kampfbegriff geworden ist, mit dem ein Gefühl der Unsicherheit aufgegriffen und dramatisiert wird, dürfte ein Ausbau des Bundeskriminalamtes zur Bundespolizei tatsächlich wenig helfen. Zentralstellen sind in erster Linie abhängig von der Qualität der Informationen, die an sie gehen. Informationen z.B. zur Korruption im Bereich der Bauverwaltung, zur illegalen Entsorgung von Sondermüll, zur sogenannten Regierungs- und Vereinigungskriminalität oder zu betrügerischen Geschäfte mit Herzklappen sind wesentlich aus dem lokalen Umfeld des Geschehens zu gewinnen bzw. auszuwerten. Mit der Zentralisierung der Daten geht auch der Bezug zum Geschehenskomplex und dem Einordnungsrahmen verloren. In der Lebenswirklichkeit sind auch die internationalen Bezüge und die OK-Relevanz nicht auf Anhieb festzustellen.

Ein Wettlauf mit dem Schreckgespenst der „organisierten Kriminalität“ stößt von vornherein an Grenzen. Wenn manche meinen, der Staat müsse eine Gegenmafia schaffen, dann ist dies eine gefährliche Illusion. Der Rechtsstaat würde sich damit selbst in Frage stellen. Beim Einsatz verdeckter Ermittler in der Drogenszene (Stichwort „Tatprovokationen“) läuft die Polizei schon jetzt Gefahr, die neuen Verbrechensformen ein Stück mitzuproduzieren. Gerade bei der Drogenbekämpfung hat sich gezeigt, daß mit mehr Polizei, mit höheren Strafen, mit flächendeckendem Abhören nichts auszurichten ist. Die Steigerung der Verfolgung führt nur zu Erhöhung der Preise und verbessert die Geschäfte der Drogenmafia.

Nach dem Plutoniumskandal drängt sich jedenfalls die Frage auf, ob die Berufung auf spektakuläre neue Deliktformen wie illegaler Waffenhandel, Nuklearkriminalität etc. nicht vielmehr als Vorwand herhalten muß, wenn es der Bundesregierung in erster Linie um machtpolitische oder gar wahltaktische Fragen geht.

Die Inter­es­sen­ge­gen­sätze zwischen Bund und Ländern

Im ersten Durchgang hatte der Bundesrat am 31.03.1995 eine kritische Stellungnahme zu dem Gesetzesvorhaben abgegeben. Obwohl der Gesetzentwurf (noch!) keine grundlegende Neustrukturierung der bundes- und länderpolizeilichen Kompetenzen bedeutet, spiegelten sich in der Stellungnahme der Länderkammer – nach dem Motto „Wehret den Anfängen“ – die Befürchtungen der Länder hinsichtlich Kompetenzverlusten wider. Da der Trend zur Zentralisierung durch einen Kompetenzzuwachs der EU ohnehin weiter zunehmen wird, erschien es aus Ländersicht notwendig, auf dem Erhalt bewährter praxisgerechter Zuständigkeiten zu bestehen.

Die zahlreichen Änderungswünsche wurden nicht nur von einer Mehrheit der SPD-geführten Landesregierungen, sondern auch von solchen Landesregierungen unterstützt, an denen die CDU/CSU beteiligt ist.

Nach Auffassung des Bundesrates sollen Verfolgung und Verhütung von Straftaten sowie die Aufgaben der sonstigen Gefahrenabwehr Sache der Länder bleiben. Gegenüber den sehr weit gefaßten Generalklauseln des Entwurfs wurde eine Klarstellung verlangt, daß auch weiterhin die Länder für die allgemeine Gefahrenabwehr zuständig bleiben. Kritisiert wurde die im Gesetzentwurf vorgesehene Erweiterung der Zuständigkeiten des Bundeskriminalamtes zu Lasten der Länderpolizeien. Abgelehnt wurden Anordnungs- bzw. Weisungsrechte des Bundes gegenüber den Ländern. Auch in Zukunft sei das polizeiliche Informationssystem INPOL arbeitsteilig zwischen Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern zu führen. Insbesondere forderte der Bundesrat die Möglichkeit eines unmittelbaren Geschäftsverkehrs zwischen Länderpolizeidienststellen und ausländischen Stellen. Auf Ablehnung stieß eine Entwicklung, die dem BKA die polizeiliche Außenvertretung für die Bundesrepublik überträgt, es sozusagen zur Bundessuperpolizei von Europol macht. Ein „unmittelbarer Dienstverkehr über die Grenze hinweg“ müsse ja nicht am BKA vorbei geschehen; denkbar seien Regelungen wie Berichtspflichten und Vorlagen. Die Alltagspraxis erfordere auch, daß die zuständigen Ressorts Verwaltungsabkommen abschließen bzw. Absprachen treffen können. [8] So hatte Bayern seit 1991 Verträge über die Zusammenarbeit in Polizeifragen mit verschiedenen Staaten und Regionen geschlossen: mit Tschechien, Ungarn, der Slowakei, der Ukraine, Kroatien, Rumänien, Bulgarien, Slowenien, dem Baskenland und der Stadt Moskau.

Während bei den Beratungen im Deutschen Bundestag die Fraktion von Bündnis 90/Grüne die Kritik der Bundesländer unterstützte [9], gingen der SPD-Opposition die Zentralisierungsbemühungen zugunsten des BKA dagegen nicht weit genug. Der mehrheitlich ja von SPD-Ländern vertretene „Widerstand der Länder“ stieß auf ihr Unverständnis (,‚nicht nachvollziehbar“). [10] Statt dessen wurde eine „Stärkung der bundespolizeilichen Kompetenzen“ verlangt [11] und gar der Bundesinnenminister aufgefordert, „ein Klima zu schaffen, das es ermöglicht, mit den Länder zu weitergehenden Regelungen zu kommen.“ [12] Das Handlungsprimat bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität müsse eindeutig bei der Zentralbehörde liegen. „Zersplitterte Länderkonzeptionen“ machten keinen Sinn.

Offenbar ist bei den SPD-Bundespolitikern das Vertrauen gegenüber dem, was vom Bund oder vom Bundeskriminalamt bezüglich Kriminalitätsbekämpfung und Gefahrenabwehr kommt, größer als gegenüber dem, was von Länderseite aus erfolgt. Im Streit um die erfolgreicheren Verbrechensbekämpfungskonzepte tendieren sie dahin, sich auf Kosten der Länder als die konsequenteren „Zentralisten“ profilieren zu wollen. Die Versuchung ist groß, am liebsten die Zuständigkeit des BKA für die gesamte OK einschließlich der Vorfeldzuständigkeiten zu beanspruchen. Aber wie sollte dies abgrenzbar und realisierbar sein? Damit würde ein „Faß ohne Boden“ geschaffen, welches zur Aushöhlung der föderalen Strukturen führt.

Natürlich spielt dabei auch die Zwickmühle eine Rolle, der sich die SPD-Opposition in Konfliktsituationen oft ausgesetzt sieht, wenn die Bundesregierung innenpolitisch ein „Schwarzer-Peter-Spiel“ – wie zuletzt bei den gewalttätigen Kurdendemonstrationen – zu Lasten der SPD-Länderinnenminister zu betreiben sucht. Mit Veränderungen zu Lasten der Polizeihoheit der Länder würde man allerdings nicht nur auf mangelnde Gegenliebe bei letzteren stoßen, sondern sich auch auf verfassungsrechtlich höchst fragiles Terrain begeben. Die Polizeihoheit der Länder stellt gewissermaßen das „Tafelsilber“ der ohnehin verkümmerten Länderrechte dar. Als letzter Rest der Hoheitsgewalt ehemals souveräner Kleinstaaten bildet die Polizeihoheit ein wesentliches Herzstück des Föderalismus. Ein Kern legislativer, exekutiver und judikativer Kompetenzen muß den Bundesländern, so die Konsequenz aus Art. 79 Abs. 3 GG, als Staaten unentziehbar verbleiben.

In dieser politischen Gemengelage nutzte Bundesinnenminister Kanther die Gunst der Stunde, sich bei der Verabschiedung des Gesetzes in der 2. und 3. Lesung im Deutschen Bundestag nunmehr als Verteidiger der föderalen Aufgabenstruktur zu profilieren. Der SPD-Fraktion hielt er das Führen von „Schaukämpfen“ vor.

Bezüglich der für die Länder wesentlichen Frage des unbeschränkten unmittelbaren grenzüberschreitenden Dienstverkehres gab es schließlich im Laufe des Gesetzgebungsverfahren ein gewisses Entgegenkommen seitens des Bundes: In begrenztem Umfang soll den Ländern die Möglichkeit zu einem direkten Dienstverkehr mit dem Ausland eröffnet werden. So wird in § 3 Abs. 3 des Gesetzes der Kreis der Staaten, mit denen die Länder bei Gefahr im Verzug direkten Dienstverkehr führen können, um die Mitgliedstaaten der Europäischen Union erweitert und darüber hinaus der direkte Dienstverkehr bei sogenannten regionalen Schwerpunktmaßnahmen ermöglicht (,‚Bei abgrenzbaren Fallgestaltungen im Rahmen regionaler Schwerpunktmaßnahmen können die Polizeien der Länder im Einvernehmen mit dem Bundeskriminalamt den erforderlichen Dienstverkehr mit den zuständigen Behörden anderer Staaten führen.“)

Nach der Gesetzesfassung wäre aber etwa der direkte Dienstverkehr eines westlichen Bundeslandes mit dem z.B. hinsichtlich der Bekämpfung von Autodiebstählen wichtigen Staat Polen nicht möglich. Auch die Besonderheit des Flughafens Frankfurt/M., der einer „Außengrenze“ zu einer Vielzahl von Staaten außerhalb der EU gleichkommt, ist unberücksichtigt geblieben. Eine Beschränkung der Eilfallkompetenz auf die angrenzenden und die EU-Staaten erscheint daher wenig sachgerecht.

In einer Entschließung hat der Bundesrat (BR-Drs. 222/9-Beschluß) seine Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht, wonach die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nur die grenzüberschreitende Verfolgung strafbarer Handlungen und die Amtshilfe deutscher Behörden auf Ersuchen ausländischer Behörden im Rahmen der Strafverfolgung umfasse, nicht aber den Bereich der Gefahrenabwehr. Aus Ländersicht ergibt sich daraus, daß § 3 BKAG einem unmittelbaren Dienstverkehr der Länderpolizeien mit ausländischen Dienststellen im Bereich der Gefahrenabwehr nicht entgegenstehen würde. Dieser Auffassung hat freilich die Bundesregierung entschieden widersprochen. [13] Ohnehin geht die Bundesregierung davon aus, daß insbesondere im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus und der Organisierten Kriminalität „eine konsequente Trennung zwischen Prävention und Repression nicht möglich“ sei. [14]

Inzwischen ist die Ruhe nach dem Sturm (der Kritik) eingetreten. Die Verabschiedung des Gesetzes fand in aller Stille statt. Die mit dem Gesetz aufgeworfenen Fragen, insbesondere nach einer Zentralisierung der Polizeiaufgaben werden sich jedoch im Zusammenhang mit der Ratifizierung der Europol-Konvention und dem weiteren Ausbau von Europol erneut und künftig wohl noch verschärft stellen. Daher ist die nächste Auseinandersetzung bereits vorprogrammiert.

Wenn die Länder die Beachtung der föderativen Struktur der Polizeien in Deutschland einfordern, dann ist dies kein Zuständigkeitsgezänke. Vielmehr geht es um die Machtbalance im föderativen System. Die in der Diskussion oft eingeforderte bessere Zusammenarbeit zwischen dem BKA und den Landeskriminalämtern ist kein gesetzgeberisches Problem. Probleme der Informationsbeschaffung, Reibungsverluste, Eifersüchteleien existieren auch auf anderen staatlichen Ebenen, übrigens auch zwischen LKAs und untergeordneten Polizeidienststellen. Eine Zentralisierung birgt darüber hinaus zugleich die Gefahr, daß Anonymität, Entfremdung, gar Mißtrauen zwischen Bürgern und Polizei wachsen und es zu Akzeptanzproblemen kommt. Gleichzeitig wird mit der Zentralisierung der Erwartungsdruck an die Polizei, aber auch die Sicherheitsängste und das Gefühl der Hilflosigkeit von Bürgerinnen und Bürger gesteigert. [15] Obwohl doch die Zahl der Beschäftigten bei der Polizei erhöht, ihre Ausbildung verbessert wurde sowie gleichzeitig die Befugnisse der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden erweitert worden sind, nimmt die Kriminalitätsfurcht zu. Diese bezieht sich hauptsächlich auf Alltags- und Massenkriminalität wie Raubüberfälle, Wohnungseinbrüche, Diebstahl, wo sich Kriminalität am sichtbarsten manifestiert.

Eine präventive Kriminalpolitik muß gesellschaftspolitisch umfassend ansetzen. Mehr als bisher ist eine präsente bürgernahe Polizei gefordert sowie die Entwicklung von Konzepten und Polizeistrukturen, welche die Bürgerinnen und Bürger in ihrem lokalen Lebensumfeld stärker einbeziehen. Eine bloße „Aufrüstung der inneren Sicherheit“ ist zum Scheitern verurteilt.

Anmerkungen:

[1] BT-Drs. 13/1550

[2] vgl. hierzu die Dokumentation des Referentenentwurfes – Stand 1.8.1988 – und Stellungnahme hierzu in Bürgerrechte und Polizei Nr. 3/1988, S. 28 ff.

[3] Stellung und Aufgaben des Bundeskriminalamtes sind durch Gesetz vom 8.3.1951 (BGBl. I S. 165) in der Fassung vom 29.6.1973 (BGBl. I S. 704), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.10.1994 (BGBl. I S. 2978), geregelt.

[4] vgl. auch HessVGH, Urteil vom 22.6.95, DVBl. 1996, 570ff., 571

[5] Die Datenschützer haben dies ausdrücklich begrüßt, siehe Entschließung der 49. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 9./10. März 1995 in Bremen, abgedruckt im 24. Tätigkeitsbericht des Hessischen Datenschutzbeauftragten 1995, S. 201

[6] FAZ vom 8.2.95

[7] Bisher war dieser Bereich durch Richtlinien geregelt. Offen bleibt die Frage nach den Kontrollmöglichkeiten bezüglich sogenannter Zeugenschutzprogramme. Für die Bewertung von Zeugenaussagen im Strafprozeß kann es von Bedeutung sein, unter welchen Voraussetzungen ihre Aussagebereitschaft gefördert wird.

[8] so Minister Geil (Mecklenburg-Vorpommern) in der Debatte des Bundesrates, Protokoll der 682. Sitzung, S. 151

[9] vgl. den Redebeitrag von Abg. Such (Fraktion Bündnis 90/Grüne) in der 62. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 13.10.95, Plenarprotokoll S. 5339f.

[10] Abg. Günter Graf in der 166. Sitzung des Deutschen Bundestages am 20.3.97, Plenarprotokoll S. 15007

[11] so Abg. Hofmann (SPD) – selbst übrigens ehemaliger BKA-Beamter – in der 62. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 13.10.95, Plenarprotokoll S. 5337 ff.

[12] Abg. Günter Graf, a.a.O.

[13] vgl. Parl. StS Waffenschmidt in der 711. Sitzung des Bundesrates am 25.4.97, Plenarprotokoll, S. 161

[14] vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates in BT-Drs. 13/1550, S. 54

[15] Offenbar korrespondiert die Kriminalitätsfurcht aber nicht mit der realen Kriminalität. So berichtet der Spiegel (Nr. 31/1996, S. 32ff.), daß seit 1993 die Zahl der registrierten Straftaten in der Bundesrepublik gesunken sei bzw. stagniere, während die Aufklärungsquote der Polizei steige. Die Hamburger Polizeistatistik für das l. Halbjahr 1996 zeige, daß bei den Delikten – wie z.B. Handtaschenraub, Wohnungseinbrüche, Straßenraub -, die für das Sicherheitsgefühl der Bürger von Bedeutung sind, die Fallzahlen zurückgehen.

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