Beitragsbild Keine Nachhaltigkeit ohne Suffizienz
Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 179: Die nachhaltige Gesellschaft

Keine Nachhal­tig­keit ohne Suffizienz

Fünf Thesen und Folgerungen

aus vorgänge Heft 3/2007,S.46-54

1.Die Bedeutung von Suffizienz für eine nachhaltige Entwicklung ergibt sich nicht automatisch. Vielmehr stellt sich die Frage nach der Qualität: Welche nachhaltige Entwicklung – und welche Suffizienz?

Nachhaltigkeit ist als Antwort auf historische Krisensituationen wirksam geworden. Ihre Ursprünge liegen in der Waldwirtschaft und der Holzkrise im 17. Jahrhundert. Aufgrund des maßlosen Abholzens der Wälder waren die Verfügung über den Rohstoff Holz und die Funktionsfähigkeit der Produktionsstätte Wald gefährdet. Nachhaltigkeit birgt eine quantitative und eine qualitative Dimension. Quantitativ soll nicht mehr Holz geschlagen werden als nachwachsen kann. Qualitativ geht es um Bodenqualität (Humusbildung), um die Qualität von Wasser (saurer Regen) und von Luft (CO2-Gehalt).

Die neuere Ausformulierung von Nachhaltigkeit geschah 1987 im Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung und im Kontext der Armutskrise in den Ländern des Südens und der globalen ökologischen Krise. In diesem Bericht wird Nachhaltigkeit nicht als Zustand, sondern als Prozess gefasst – nachhaltige Entwicklung bzw. Sustainable Development. Nachhaltig oder zukunftsfähig ist eine Entwicklung dann, wenn die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt werden, ohne die Bedürfnisse der künftigen Generationen sowie deren Wahl ihres eigenen Lebensstiles zu gefährden. Diese Maxime verträgt sich nicht mit rücksichtslosem Ressourcenverbrauch und irreversibler Umweltbelastung. Hier werden einerseits Grenzen formuliert, die kapitalistischen Gesellschaften per se fremd sind. Hier wird andererseits Rücksicht auf den Status Quo genommen, indem Nachhaltigkeit und Entwicklung zu einem wachstumskonformen Konzept kombiniert werden.

Das Süd-Frauennetzwerk Development Alternatives with Women for a New Era, DAWN, plädiert stattdessen für Sustained Livelihood. Während Entwicklung als Makrostrategie mit ressourcenintensivem Wachstum vereinbar erscheint, setzt livelihood an den lokalen Lebensbedingungen und Alltagserfahrungen von Frauen an. Im Livelihood-Ansatz wird Nachhaltigkeit nicht top-down verordnet, sondern bottom-up ausgehandelt.
Sustained livelhood verweist auf sichere Lebensgrundlagen anstelle von effizienterer Naturbeherrschung (Wichterich 2002).

Nachhaltigkeit steht also sowohl für die Ökologisierung des Vorhandenen (wachstumsbasierte ökologische Modernisierung durch technische Innovationen, Effizienzsteigerung, Recycling…) als auch für grundlegende Veränderungen als Voraussetzung für das Erreichen von Nachhaltigkeit (ökologischer Strukturwandel, tiefgreifende strukturelle Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft v.a. in den Industrieländern).

Mit Suffizienz ist die Frage aufgeworfen, wie viel genug ist bzw. mit Suffizienz wird die Aussage gemacht, dass etwas genug sein kann. Im Deutschen ist Suffizienz ein Holperwort und der Alltagssprache nicht zugehörig. In anderen Sprachen wird der Begriff hingegen selbstverständlicher gebraucht, wenn auch eher als Verb oder Adjektiv. So ist mir noch das erboste „ca suffit!“ der Französin im Ohr. Was der Lehrerin reichte, war allerdings nicht unser Ressourcenverbrauch, sondern sie stieß diesen Ruf immer dann aus, wenn unser unterrichtsfernes Gequatsche sich zu einem deutlich vernehmbaren Lärmpegel entwickelt hatte. Im Englischen wird von Suffizienz eher negativ gesprochen, etwas ist not sufficient, ähnlich im Italienischen, wenn gesagt wird, es sei non sufficiente. Im substantivverliebten Deutschen ist immerhin von Insuffizienz die Rede, wenn das menschliche Herz nicht zufriedenstellend arbeitet. Ansonsten taucht dieser alltagsferne Begriff im Kontext von Ökologie und Nachhaltigkeit auf – Wolfgang Sachs hat ihn in Anlehnung an Herman Daly in die ökologische Debatte geworfen und der Effizienz gegenübergestellt. Dort, im Mainstream der Nachhaltigkeitsdebatte hat es die Suffizienz allerdings schwer. Das liegt zunächst an ihrer Position als kleine, moralisch aufgeladene und sozial harmlose Schwester des großen Bruders Effizienz.

Suffizienz hat es vor allem dann schwer und befindet sich in einer defensiven Position, wenn sie auf das individuelle Konsumverhalten reduziert wird. Mit dem moralischen Appell „Bitte verbrauche der Umwelt und den nachfolgenden Generationen zuliebe weniger und schalte auch das Standby aus“ wird sie um ihre kritische Dimension gebracht. Diese liegt darin, dass die Suffizienz einer kapitalistischen Wachstumsgesellschaft ein Dorn im gewinnmaximierenden Auge sein muss. Daher steht sie nicht für die Ökologisierung des Vorhandenen, sondern für grundlegende und strukturelle Veränderungen als Voraussetzung für Nachhaltigkeit.

2. Im Dreigestirn der Nachhaltigkeit besetzt die Suffizienz die schwächste Position und stellt zugleich die größte Herausforderung dar, weil sie mit der vorherrschenden Logik nicht kompatibel ist.

Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts haben wir in der Arbeitsgruppe Neue Wohlstandsmodelle am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie drei Wege zu neuen Wohlstandsmodellen diskutiert:

Die Effizienz als Weg zur Nachhaltigkeit ist vor allem von Ernst-Ulrich von Weizsäcker in die deutsche Debatte eingebracht worden. Seine Hoffnung war und ist, dem naturzerstörenden technischen Fortschritt eine andere Richtung zu geben. Die in der kapitalistischen Ökonomie immer schon beheimatete Vorstellung, mit möglichst wenig möglichst viel zu erreichen, sollte von der Steigerung der Arbeitsproduktivität auf die Steigerung der Ressourcenproduktivität gelenkt werden. Mittels einer „Effizienzrevolution“ und dem „Faktor Vier“ soll doppelter Wohlstand (insbesondere für die Länder des Südens) bei halbiertem Naturverbrauch erreicht werden. Damit sollen die alten Dinosauriertechnologien überwunden und soll ein neuer, besserer technischer Fortschritt erreicht werden. Der Effizienzgedanke verträgt sich mit der herrschenden Logik prächtig. Was sollte auch dagegen sprechen, die effizienzmotivierte Reduktion des Verbrauchs endlich auch zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung einzusetzen? In der Tat ist die gesellschaftliche Antwort auf die ökologische Krise heute in der Hauptsache eine Steigerung der Effizienz. Der Nachteil dieser ansonsten so kompatiblen Strategie liegt darin, dass die Effizienz dazu neigt, ihre eigenen Kinder beziehungsweise Gewinne zu fressen. Dieser so genannte „Rebound-Effekt“ entsteht beispielsweise dann, wenn der geringere Treibstoffverbrauch eines Automobils dadurch kompensiert wird, dass mehr Autos produziert, mit mehr energieverbrauchenden Zusatzgeräten (Klimaanlage, Bordcomputer…) ausgestattet und intensiver genutzt werden.

Während der Effizienzappell sich vor allem an die Produktionsseite richtet und auf verbesserte Technologien zielt, hat der Suffizienzappell in seinen Ursprüngen die Konsumseite zum Adressaten und zielt auf ein verändertes Verhalten. Damit neigt sie dazu, sich unbeliebt zu machen. So werden ihr prämoderne Askesezüge zugeschrieben, so wird mit ihr eine moralgeladene Verzichtshaltung assoziiert. Das Weniger im Mehr etablieren zu wollen ist wahrhaftig ein befremdliches Unterfangen. Dies widerspricht der herrschenden Logik und ist eher in gesellschaftlichen Nischen zu Hause.

Dass die technische Effizienz und die soziale Suffizienz als Zweigestirn einer nachhaltigen Entwicklung nicht genügen, darauf haben sowohl Joseph Huber als auch Jochen Diekmann hingewiesen, allerdings in verschiedener Absicht. Joseph Huber fügt als drittes die Konsistenz hinzu. Erst mit ihr, so sein Argument, lassen sich Aussagen über Beschaffenheit und Qualitäten von Stoffen sowie deren Verträglichkeit untereinander und mit der natürlichen Umwelt machen. Die Konsistenz stellt damit im Unterschied zur Effizienz nicht die Frage nach dem Wieviel, sondern die nach der Beschaffenheit bzw. der Qualität von Stoffen. Jochen Diekmann sieht als Drittes nicht die Konsistenz, sondern den ökologischen Strukturwandel. Er steht ihm zufolge im Grunde nicht gleichberechtigt neben den beiden anderen Zugängen, sondern es kommt ihm die zentrale Rolle zu, weil er umfassender ist und insbesondere auch organisatorische Innovationen einschließt. Dieser Gedanke hat sich allerdings im Dreigestirn der Nachhaltigkeit kaum durchsetzen können. Er ist mit dem Suffizienzzugang insofern verbunden, als dass er die ökologische Modernisierung für unzureichend hält.

Die Zeiger der Zeit stehen jedoch auf ökologischer Modernisierung. Einige Überlegungen zum Klimawandel mögen dies verdeutlichen. Um die mit dem Klimawandel einhergehenden Veränderungen zu begrenzen ist eine deutliche Reduktion des CO2-Verbrauchs erforderlich. Das klingt eigentlich nach Suffizienz. Die hegemoniale Antwort ist aber die der Effizienz. Die Bundesregierung setzt auf eine Steigerung der Energieeffizienz und der Materialeffizienz (v.a. Recycling), um den Ressourcenverbrauch und den damit verbundenen CO2-Ausstoss zu senken. Die zweite Antwort ist die der Konsistenz. Sie taucht im Kontext der erneuerbaren Energien auf. So sollen beispielsweise Biokraftstoffe die Ökonomie auf die Grundlage nachwachsender und CO2-ärmerer oder gar neutraler Rohstoffe stellen. Aber was bedeutet es für die Länder des Südens, wenn deren Flächen nicht der Herstellung von Nahrungsmitteln, sondern von Treibstoffen dienen? Und was bedeutet es für die Umwelt, wenn der „Biosprit“ den Gesetzen der Effizienz insofern gehorcht, als dass möglichst schnell möglichst viel Biokraftstoff hergestellt werden soll? Zu den „Nebenwirkungen“ der von der internationalen Energieagentur geschätzten 147 Millionen Tonnen Biokraftstoff innerhalb der nächsten 23 Jahre gehören vermehrte Bodenerosionen und Milliarden Tonnen Abwässer (Holt-Gimenez 2007, S. 13). Was wäre hier eine suffiziente und mit ökologischem Strukturwandel verbundene Antwort? Eric Holt-Gimenez formuliert sie so:

„Die Agrokraftstoffindustrie braucht keine Anreize, sondern Schranken. Dem globalen Süden die Lasten unseres exzessiven Kraftstoffverbrauchs aufzubürden, nur weil in den Tropen die Sonne länger scheint, mehr Regen fällt und fruchtbarere Landstriche existieren, ist schlechterdings skandalös. Wenn die Produktion von Biokraftstoffen nicht zulasten der Wälder und der Ernährung gehen soll, müssen Getreide-, Zuckerrohr- und Palmölindustrie auf koordinierte Weise reguliert werden. Biokraftstoffe bringen den ländlichen Gegenden nur dann nachhaltige Gewinne, wenn sie nicht als Kernstück, sondern als Ergänzung nachhaltiger ländlicher Entwicklung begriffen werden.“ (ebenda)

Innerhalb des Dreigestirns zur Nachhaltigkeit lässt sich die soziale und politische Frage der Gerechtigkeit nur aus der Suffizienzperspektive stellen.

3. Im internationalen und im Nord-Süd-Kontext wirft Suffizienz die Frage nach gerechter Verteilung auf und gemahnt an eine Begrenzung der Gier

Ein mit der Suffizienz verbundenes und über die individuelle Konsumperspektive hinausweisendes Denken scheint ganz besonders in Indien zu Hause zu sein. So hat uns Mahatma Gandhi darauf hingewiesen, dass die Welt genug für jedermanns Bedürfnisse hat – aber nicht für jedermanns Gier. So hat Amartya Sen betont, Hunger beruhe nicht auf Knappheit, sondern auf Armut. Hunger entsteht nicht, weil die Erde nicht genügend Nahrungsmittel hervorzubringen vermag, sondern weil sie ungerecht verteilt werden. Und Vandana Shiva hat im Kontext der ökologischen Krise die Frage nach einer neuen Demokratie gestellt: Die Demokratie des Lebendigen. Auch hier erklingt die Musik nachhaltiger Entwicklung nicht in effizienter Naturbeherrschung, sondern in anderen gesellschaftlichen Naturverhältnissen, die nicht auf Ausbeutung beruhen und beispielsweise dem Krieg um Wasser demokratische Prinzipien zur Regulierung des Wassers entgegensetzen.

Zwar gelobten die Regierungschefs der Welt vor sieben Jahren zum Jahrtausendwechsel, die Anzahl der in extremer Armut lebenden Menschen bis 2015 zu halbieren – aber bis heute isst immer noch der Norden den Süden auf. Berechnungen von Sören Steger (Steger 2005) zeigen: Wir verbleiben nicht in unserem eigenen nördlichen „Umweltraum“, sondern unser Konsum von Lebensmitteln beansprucht Flächen weltweit:

Den größten Teil an ausländischer Fläche belegt die EU15 somit in Süd- und Lateinamerika, gefolgt von Nordamerika und Westafrika. Diese Flächenbelegung ergibt sich in Nordamerika vor allem aus Futtermitteln (in erster Linie Soja), die in Westafrika aus Importen von Kaffee und Kakao. Der Stoff also, aus dem der Wohlstand des Nordens gemacht ist, ist nicht ungerechtigkeitsneutral. Er belastet den Süden und nimmt ihm eigene Entwicklungswege. Zum Bewohnen der Erde gehört folglich eine andere Kultur des Gärtnerns.

So gesehen ist Suffizienz ein Menetekel. Sie gemahnt daran, dass anderen Menschen und dem anderen der Natur nicht alles, was der Nord-Westlichen Vorteilsbeschaffung dient, zugemutet werden darf.

Spätestens an dieser Stelle wird der Suffizienz vorgeworfen, sie sei normativ. Aber ist es nicht genauso normativ anzunehmen, es würde alles zum besten bestellt, wenn nur jeder und jede möglichst ungestört dem eigenen Vorteil, dem eigenen Gewinn, der eigenen Gier nachgehen darf?

4. Suffizienz leuchtet erst, wenn alle gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure von ihr erfasst werden, also neben Konsumentinnen und Konsumenten auch Unternehmerinnen und Unternehmer, Politikerinnen und Politiker. Suffizienz ist gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe.

Die Suffizienz, so wurde oben dargelegt, wurde zunächst für die Konsumseite und deren Maßhalten im Verbrauch thematisiert. Im Grunde muss aber die Suffizienz nicht in die privaten Haushalte hineingetragen werden, sondern sie kann vielmehr umgekehrt von der Hauswirtschaft aus entfaltet werden. Mit den eigenen Mitteln zu haushalten und sie für die (materiellen wie immateriellen) Bedürfnisse und das Wohlbefinden aller Haushaltsmitglieder einzusetzen – dieses haushälterische Prinzip liegt der Suffizienz nahe und richtet sich wie diese gegen Verschwendung. Dazu gehört auch die so genannte „Öko-Suffizienz“, die sich beispielsweise in einem sparsamen Einsatz von Energie und Wasser äußert. Schon am Beispiel des Standby zeigt sich jedoch, dass Suffizienz nicht nur im Privathaushalt wohnen kann. Wäre es denn nicht einfacher und klüger, wenn hier anstelle des zeit- und aufmerksamkeitsaufwendigen Verhaltens von Millionen von Konsumentinnen und Konsumenten die Herstellerseite einfach damit aufhören würde, solcherart Geräte zu produzieren?

Wie wäre es überhaupt um die Herstellerseite bestellt, wenn auch diese eine Suffizienzverpflichtung eingehen würde? Auch Unternehmen sind ja im Grunde Verbraucher. Ihre Bereitschaft zum sparsamen Rohstoff-, zum sparsamen Energie- und Materialverbrauch wird zumeist der Effizienzseite zugeschlagen. Tatsächlich aber lassen sich auch auf der Unternehmensseite Elemente von Suffizienz finden, die überdies einen Bezug zur Haushaltsökonomie aufweisen können. Eine Gemeinsamkeit von „naturnaher Waldwirtschaft“ und der „alten Haushaltsökonomie“ liegt beispielsweise in der Abstimmung von Ressourcenverbrauch und Ressourcennachschub. Der Grundsatz, nicht mehr Bäume zu fällen als der Wald erzeugt, gewährleistet(e), dass die Nutzung natürlicher Ressourcen nur in begrenztem Maße stattfand. Wichtig dabei ist nicht die Begrenzung an sich, sondern die Fähigkeit zu einer Begrenzung, weil sie ein Ziel hat: Die Produktionsfähigkeit des Waldes dauerhaft zu erhalten und somit nicht nur die eigene, sondern ferner die Versorgungsgrundlage zukünftiger Generationen zu sichern. Das mit Suffizienz verbundene Element der Rücksichtnahme findet sich in dem Ausdruck „Zärtliche Waldwirtschaft“, der auf einer Formulierung des Geschäftsführers eines naturnahen Forstbetriebes beruht. Er sprach von einer „zärtlichen Beziehung zum Wald“, als er eine studentische Exkursion in den „Lernwald“ geführt hat, ein kleines Waldgebiet, das völlig naturbelassen bleibt. Hier lässt sich lernen, wie der Wald sich selbst reproduziert, wenn keinerlei menschliche Eingriffe geschehen. Naturnahe Waldwirtschaft, so der Geschäftsführer, ist „Wirtschaft mit allen Sinnen“. Die Gesundheit des Waldes kann man nicht nur sehen, sondern auch riechen, schmecken, fühlen und hören. Diese Art des Wirtschaftens braucht allerdings Besonnenheit und eine Verbindung von Rationalität und Emotionalität. So entsteht eine Art zärtliche Verbindung zwischen dem Wald und den ihn bewirtschaftenden Personen. Auch dies hat mit Sorge und Aufmerksamkeit für das Andere, für die anderen zu tun. Zugleich aber ist es auch ein Maßhalten mit Blick auf Gewinn oder Umsatz des Unternehmens. Daher verweist Suffizienz in Unternehmen nicht einfach auf ein Weniger, sondern auf eine andere Art des Produzierens und Wirtschaftens.

Und die Politik beziehungsweise die politischen Akteurinnen und Akteure? Suffizienz in der Politik würde beispielsweise bedeuten, die Finanzströme in die Prävention zu lenken, anstatt in irreparable Schäden. Damit sind jedoch eine andere Steuerungspolitik und andere Politikformen angesprochen. Die Politik müsste tätig werden, um zu vermeiden und nicht, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt. Dies erfordert zeitliche und inhaltliche Weitsicht.

Allerdings ist die Suffizienz als Appell zum Maßhalten in der Politik längst zu Hause. Das macht die Sache nicht einfacher. Im Gegenteil, eine gute Möglichkeit, der mit Suffizienz verbundenen, ernsthaften Gefahr einstürzender Denkvoraussetzungen zu entgehen ist, ihr kritisches „Wir haben genug“ in ein obrigkeitliches „Ihr habt genug zu haben“ zu verwandeln. Gemaßregelt werden hier nicht Konsumentinnen und Konsumenten, sondern Staatsbürgerinnen und Staatsbürger.

Appelle an Genügsamkeit sind in der Politik nicht neu und zunächst auch nicht in umweltschonender Absicht ausgesprochen worden. Oft – und vorzugsweise dann, wenn es im Staatshaushalt nicht gut aussieht und auch nicht recht abzusehen ist, wie und wann das zu ändern wäre – ist beispielsweise vom Gürtel die Rede gewesen, der enger geschnallt werden müsse. Dieser Appell klingt meist vorwurfsvoll – man solle nun endlich das unzeitgemäße Anspruchsdenken aufgeben. Kein Wunder also, wenn Appelle an Maßhalten unbeliebt sind. Wenngleich sie in jüngster Zeit etwas freundlicher klingen – man möge doch nun, wo die Zeiten staatlicher Wohlfahrt sich dem Ende zuneigen bzw. der Globalisierung anheim fallen, bitte private Für- und Vorsorge betreiben. Hier delegiert ein sich defensiv gebender Staat sozialpolitische Verantwortung an einzelne StaatsbürgerInnen. Ähnliches geschieht mit umweltpolitischer Verantwortung dann, wenn anstelle einer offensiven Politik die Veränderung des Verhaltens einzelner KonsumentInnen treten soll. Suffizienz-Appelle in Form von staatlich angemahntem oder verordnetem Maßhalten sind insofern fatal, als dass sie sich allzu oft an diejenigen richten oder diejenigen treffen, die immer schon Maß halten sollten oder mussten und daher mit Geld und materiellen Gütern so ganz üppig nicht ausgestattet sind.

Der Gedanke einer eigensinnigen und sich ihrer selbst bewussten Suffizienz aber, wäre nicht gehorsam gegenüber sozial oder ökologisch motivierten Appellen zum Maßhalten. Er würde sich nicht in den angeforderten Leistungen zum Verzicht erschöpfen. Sondern er würde Suffizienz zu einer politischen Angelegenheit machen, die dem Vorhandenen entgegensteht und über die verhandelt werden muss.

5. Der Stachel der Suffizienz liegt in einer Haltung, die in dem Spiel des unendlichen Wachstums, der unendlichen Bedürfnisse bei immerwährender Knappheit nicht mitspielen mag, weil sie dieses Spiel reizlos findet.

In Anlehnung an Bertolt Brecht lässt sich dies etwa so formulieren:

Eines Tages wird Herr Keuner gefragt,
wie er es denn mit der Suffizienz halte.
„Nun ja „, antwortet Herr Keuner,
„so recht einleuchten will sie mir nicht.
Wieso soll ich plötzlich auf etwas verzichten,
das ich eigentlich noch nie haben wollte? „

Wenn nun Suffizienz weder aus der Not, noch aus der Pflicht sich einzeln verhalten der Individuen gefasst wird, wenn vielmehr Suffizienz als etwas im menschlichen (Sozial-)Vermögen schon Vorhandenes und als politische Angelegenheit gedacht wird, dann könnte es so etwas geben, wie ein Recht auf Suffizienz. Dieses würde etwa lauten:

„Niemand soll immer mehr haben wollen müssen.“

Vor dem Hintergrund eines solchen Schutzrechtes wäre es Aufgabe von Politik, Suffizienz zu schützen und zu ermöglichen. Es verhält sich aber gerade umgekehrt: Wer etwas nicht haben will, muss oft einen ungeheuren Aufwand betreiben, wird an den gesellschaftlichen Rand gedrängt oder wird systematisch daran gehindert. Welch‘ ungeheure Anstrengung beispielsweise, im System ungedrosselter Innovationsgeschwindigkeiten, keinen neuen Computer haben zu wollen, oder diesen – und sei es aus pazifistischen Gründen – weder auf-, noch nach-, noch umrüsten zu wollen.

Der Schutzgedanke gegenüber denjenigen, die nicht haben wollen, ist allerdings dem zuerst von Thomas Hobbes formulierten neuzeitlichen Staatsgedanken fremd, bzw. er ist darin nicht vorgesehen. Vorgesehen ist nur, das potentiell gewalttätige Wetteifern einzelner Menschen um ein knappes Gut in staatlich geregelte Bahnen zu lenken. Würde hingegen der Gedanke einer schützenswerten Suffizienz aufgenommen, so könnte es nicht mehr heißen, dass diejenigen, welche mit mäßigem Besitz zufrieden sind, nicht lange würden bestehen können (Hobbes 1980 [1651J). Sondern es gälte, dem von Hobbes konstruierten Zwang zur Vermehrung von Besitz, Macht und Ruhm entgegenzuwirken. Wenn aber einerseits eine politische Philosophie ungebrochen bleibt, in der nur überleben kann, wer nach deren ständiger Vermehrung trachtet, und dann andererseits Menschen aufgefordert werden, sich mit mäßigem Besitz bzw. dem schon Erreichten zu begnügen, so ist nahe liegend, dass diese den Eindruck bekommen, in den Ruin getrieben zu werden.

Damit dies nicht passiert, wäre nicht nur – und möglicherweise auch nicht vor allem – der Entgrenzung mit der konsumtiven Begrenzung von Individuen zu begegnen. Sondern Begrenzung ungezügelten Strebens nach Mehr müsste Platz im öffentlichen Raum haben. Dies aber würde bedeuten, dass der Raum nicht länger investorenfreundlich durchkommerzialisiert werden dürfte. Das mag bei einigen Unwillen auslösen – aber liegt nicht ein Widersinn darin, erst breitere Straßen, größere Einkaufszentren und höhere Mobilfunkantennen zu bauen bzw. deren Bau zuzulassen – und anschließend die einzelnen StaatsbürgerInnen und KonsumentInnen dazu aufzufordern, diese aber doch bitte nicht oder wenigstens nicht allzu sehr zu gebrauchen?

Daher ist ein Recht auf Suffizienz nur zu verwirklichen, wenn die formale Wirtschaftssphäre wieder in eine bewusst gewählte, begrenzte Kulturmatrix eingebunden wird. Dies bedeutet auch, dass sich die Beziehung zwischen Wirtschaft und Politik verändern muss und über wirtschaftliche Prozesse wie Ziele demokratisch verhandelt werden kann.

Suffizienz entfaltet ihre zentralen Bedeutungen für nachhaltige Entwicklung somit dann, wenn deren Ziel auf die Sicherung der Lebensgrundlagen und den Erhalt von Produktivität gerichtet ist. Außerdem lässt sich die mit nachhaltiger Entwicklung verbundene Gerechtigkeitsfrage innerhalb des Dreigestirns zur Nachhaltigkeit nur aus der Suffizienzperspektive stellen. Im internationalen und im Nord-Süd-Kontext wirft Suffizienz die Frage nach gerechter Verteilung auf und gemahnt an eine Begrenzung der Gier. Suffizienz gemahnt daran, dass anderen Menschen und dem anderen der Natur nicht alles, was der Nord-Westlichen Vorteilsbeschaffung dient, zugemutet werden darf. Suffizienz kann ihre Kraft jedoch erst entfalten, wenn alle gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure von ihr erfasst werden. Suffizienz als Prinzip ist nicht nur für Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch für Unternehmerinnen und Unternehmer, für Politikerinnen und Politiker von hoher Bedeutung. Wenn aber der Stachel der Suffizienz in einer Haltung liegt, die im Spiel des unendlichen Wachstums und der unendlichen Bedürfnisse bei immerwährender Knappheit nicht mitspielen mag, dann wird nachhaltige Entwicklung als ökologische Modernisierung des Status Quo in Frage gestellt.

Die Bedeutung der Suffizienz für nachhaltige Entwicklung liegt nicht nur und auch nicht vor allem in der positiven Ausformulierung maßvollen Verhaltens. Vielmehr liegt die Stärke der Suffizienz in ihrem kritischen Vermögen: Nachhaltige Entwicklung bleibt ohne die Anstrengung der grundlegenden Veränderung gesellschaftlicher Prämissen und Strukturen insuffizient.

Literatur

Hobbes, Thomas (1980) [1651]: Leviathan. Stuttgart: Reclam.
Holt-Giminez, Eric (2007): Sprit vom Acker. Fünf Mythen vom Übergang zu Biokraftstoffen. In: Le Monde diplomatique, Juni 2007, S. 12 u. 13.
Wichterich, Christa (2002): Sichere Lebensgrundlagen statt effizienterer Naturbeherrschung – Das Konzept nachhaltiger Entwicklung auf feministischer Sicht. In: Görg, Christoph; Brand, Ulrich (Hg.): Mythen globalen Umweltmanagements. Rio + 10 und die Sackgassen „nachhaltiger Entwicklung“. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Steger, Sören (2005): Der Flächenrucksack des europäischen Außenhandels mit Agrarprodukten. Erschienen am Wuppertal Institut, Wuppertal Papers Nr. 152.

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