Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 179: Die nachhaltige Gesellschaft

Treuhänder künftiger Genera­ti­onen gesucht

Generationengerechtigkeit verlangt veränderte Prinzipien in liberalen Demokratien

aus vorgänge Heft3/2007,S.38-45

Die doppelte Freiheits­ge­fähr­dung

Die liberal-demokratische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hat fast jedem ihrer lebenden Bürger ein Maß an Freiheitlichkeit und Wohlstand beschert, von dem Menschen früherer Zeiten nicht zu träumen wagten. Doch Recht und Gerechtigkeit beschränken sich auch heute noch unverändert, fast nur auf die Konfliktlösung unter zeitlich und meist auch räumlich zusammenlebenden Menschen und blenden damit die beiden Seiten des allerorten deklarierten „Jahrhundertziels Nachhaltigkeit“ (globale und Generationengerechtigkeit) aus. Unsere überkommene räumliche „Beschränktheit“ äußert sich darin, dass der erwähnte hohe Lebensstandard bisher nur einem Fünftel der Weltbevölkerung zugute kommt. Dagegen leben die Menschen im Süden oft in extremer Armut, ohne soziale Absicherung und ohne echte Bildungschance. Dazu kommen Bedrohungen durch Kriege, Bürgerkriege, autoritäre Regime oder Fundamentalismus. Auch junge und künftige Menschen erben von uns u. U. existenzbedrohende Gefährdungen des Globalklimas, der Bodenfruchtbarkeit, der Ozonschicht usw. Sollte Ländern wie China oder Indien eine Kopie unseres Wohlstandsmodells glücken und allein die dortigen 2,3 Milliarden Menschen mit (orientiert an der deutschen Personenquote) 1,2 Milliarden Pkw, einer entsprechenden Anzahl von Kühlschränken, Klimaanlagen, Waschmaschinen, über tausende Kilometer herbeigeschafften Lebens-, Genussmitteln usw. ausstatten, werden die Weltressourcen und das Klima dies wohl nicht hergeben.

Damit gerät zugleich das zentrale Prinzip liberaler Gesellschaften in Gefahr: die Freiheit. Denn die Gefährdung der Lebensgrundlagen bedroht die Freiheit einerseits durch Zerstörung ihrer unverzichtbaren vitalen Grundlagen: Ohne atembare Luft, essbare Nahrung, trinkbares Wasser und ein stabiles globales Klima – und ohne die regelmäßige Abwesenheit von Krieg und Bürgerkrieg (also auch von Verteilungskriegen um knappe Ressourcen) lässt sich mit der in den liberal-demokratischen Verfassungen garantierten Meinungs-, Versammlungs-, Eigentumsfreiheit usw. wenig anfangen. Andererseits droht die Lebensgrundlagengefährdung eines Tages eine ökodiktatorische Freiheitsbeseitigung auf den Plan zu rufen, weil grundlegende Veränderungen in demokratischen Gesellschaften selten radikal in kürzester Frist durchsetzbar sind. Die Intention des Konzepts Nachhaltigkeit ist gerade die Auflösung des beschriebenen international-intertemporalen Dilemmas, also die Herstellung von Gerechtigkeit zwischen heutigen und künftigen Menschen sowie zwischen Norden und Süden.

Der vielen Nachhaltigkeitsrhetorik stehen aber bislang in den zentralen Handlungsfeldern Ressourcenschonung und Klimaschutz nicht annähernd ausreichende Maßnahmen gegenüber. Um nur ein besonders bekanntes Beispiel für angeblich „wirksame Nachhaltigkeitspolitik“ herauszugreifen: Das völkerrechtliche Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz z.B. gibt den Industrieländern vor, ihren Klimagasausstoß bis 2012 (gemessen an 1990) um 5 Prozent zu reduzieren. Deutschland z.B. soll 21 Prozent beitragen, was in Wirklichkeit freilich nur etwa 7 Prozent heißt, da der Rest schon durch den Zusammenbruch der DDR-Industrie „erbracht“ wurde. Von jenen 7 Prozent ist bisher nur die Hälfte geschafft; aktuell steigen die Klimagasausstöße sogar wieder. In den Industriestaaten insgesamt fehlt es gar überhaupt an einer Reduktion. Doch selbst wenn das Kyoto-Protokoll eingehalten würde, würde es dem Vernehmen nach in 100 Jahren allenfalls ein Zehntel Grad durchschnittliche Erderwärmung (von insgesamt denkbaren zwei bis zehn Grad) vermeiden. Sollen die u. U. drastischen Folgen eines Klimawandels bis hin zu einem Zusammenbrechen des Golfstroms gebannt werden, muss man in der Tat zügig handeln. Und die notwendigen deutlicheren Reduktionsverpflichtungen müssen auch die Schwellenländer wie China, Indien, Indonesien, Brasilien oder Südafrika einbeziehen. Das heißt freilich keinesfalls, dass im Westen kein großer Handlungsbedarf mehr bestünde. Bisher gilt immer noch: Die 20 Prozent der „globalen Verbraucherklasse“ verbrauchen immer noch rund 80 Prozent der Weltressourcen, mit entsprechenden Folgen auch für das Weltklima – wenngleich inzwischen nicht mehr ausschließlich Westler, sondern langsam auch Mitglieder der reichen Oberschicht in den Schwellenländern zu dieser „Klasse“ gehören. Den viel beschriebenen Umweltvorreiter Europa gibt es also nur sehr bedingt.

Univer­sa­lis­ti­sche Freiheit als Schranke beliebiger Mehrheits­herr­schaft

Warum dürfen uns künftige Generationen und anderswo lebende Menschen nicht gleichgültig sein? Die Vorfrage zu dieser Frage ist freilich, ob wir normative (moralische/rechtliche) Fragen überhaupt rational – wobei ich mit rational hier schlicht meine „mit objektiven Gründen“ – entscheiden können. Dass Tatsachenaussagen „wahr“ sein können, wird selten bestritten (außer von Konstruktivisten, und auch die handeln im wirklichen Leben nicht nach dieser Einstellung). Aber können Wertungs-, Sollens-, Normaussagen „richtig“ bzw. „gerecht“ sein? Diese seit Platon unzählige Male gestellte Frage muss zumindest kurz aufgegriffen werden, weil ohne ihre Bejahung auch die Frage nach der Generationengerechtigkeit keinen Sinn ergibt. Ich selbst argumentiere dazu (sehr kurz gefasst) zumeist wie folgt.

Eine häufige, besonders von den politisch immer einflußreicher werdenden Ökonomen vertretene Position bestreitet die Möglichkeit rationaler normativer Aussagen. Richtig sei deshalb allein die Norm und allein die Ordnung einer Gesellschaft, die den rein faktischen Präferenzen der Menschen entspräche. Als Gerechtigkeitskriterium verwendet sodann der utilitaristische Präferenztheoretiker die möglichst hohe Summe der faktischen Nutzenvorstellungen der Bürger („größtes Glück der größten Zahl“).

Der wirtschaftsliberale Präferenztheoretiker orientiert sich dagegen an dem, worauf sich Egoisten im Konsens einigen könnten. Und bei politologischen Mehrheitstheorien ist die maßgebliche Präferenz das, was die Mehrheit der Bürger rein faktisch beschließt (wobei diese Position auch so lauten kann, dass es einzelne Grundfreiheiten wie etwa die Versammlungs- oder Meinungsfreiheit gibt, die nur aufgrund der rein faktischen Präferenzen einer Zweidrittelmehrheit abgeschafft werden dürfen). Wenn dies korrekt wäre, wäre die Generationengerechtigkeit jedenfalls im Moment am Ende (was ziemlich verheerend wäre), da „unsere faktischen Präferenzen“ in puncto Nachhaltigkeit (siehe soeben) wenig ausgeprägt sind (jenseits folgenloser verbaler Bekundungen).

Doch nicht nur (a) die Unfähigkeit, unserem rein faktischen Wollen einen Prüfstein anzubieten, spricht gegen einen solchen Präferenzansatz: Er schließt auch (b) einen Sein-Sollen-Fehlschluss ein: Warum sollten denn die faktischen Präferenzen der Bürger (Sein) per se als richtig gelten (Sollen)? Nächste Frage: Sollen (c) nach diesen Maßstäben dann z. B. auch mehrheitlich gewollte Diktaturen als gerecht gelten? Und (d) wessen Präferenzen sind überhaupt gemeint: die der Mehrheit, die einer Zweidrittelmehrheit, einer Vierfünftelmehrheit? Und wenn Mehrheit usw., warum dann gerade dies? Plädiert man gar für einen echten Konsens, so plädiert man letztlich für einen wirtschaftsliberalen Minimalstaat (oder die Anarchie), denn wirklich einigen werden sich alle (!) Bürger in pluralistischen Gesellschaften auf kaum etwas können. Zudem enthält die Präferenzthese (e) einen performativen Selbstwiderspruch: Wer sagt, es gebe keine allgemeinen normativen Sätze, und deshalb müsse allgemein auf Präferenzen abgestellt werden, stellt selbst einen allgemeinen normativen Satz auf und widerlegt sich damit selbst.

Ich möchte daher anders ansetzen und mit der folgenden kleinen Überlegung zeigen, dass es rationale Normen bzw. Ordnungen (und zwar sogar in einem universalen Sinne) gibt. Die Überlegung lautet wie folgt. In einer pluralistischen Welt streiten die Menschen über normative Fragen. Selbst Fundamentalisten und Autokraten tun dies und bedienen sich dabei der menschlichen Sprache. Wer aber mit Gründen (also rational, also mit Worten wie „weil, da, deshalb“) streitet, setzt logisch zweierlei voraus: (1) dass normative Fragen überhaupt mit Gründen und ergo objektiv und nicht nur subjektivpräferenzgesteuert entschieden werden können; (2) dass die möglichen Diskurspartner gleiche unparteiische Achtung verdienen. Denn Gründe sind egalitär und das Gegenteil von Gewalt und Herabsetzung; und sie richten sich an Individuen mit geistiger Autonomie, denn ohne Autonomie kann man keine Gründe prüfen. Somit sind die Achtung vor der Autonomie der Individuen (Menschenwürde) – und übrigens auch eine gewisse Unabhängigkeit von Sonderperspektiven (Unparteilichkeit), was ich hier nicht vertiefe – universale Gerechtigkeitsprinzipien. Und nur sie sind es; denn welche universalen Prinzipien könnte man unter pluralistischen Bedingungen sonst noch herleiten?

Aus der Alleinstellung dieser Prinzipien folgt das, was jede liberal-demokratische Verfassung – wenn man sie denn richtig versteht – aussagt: dass eine „gerechte“ Grundordnung auf maximaler gleicher Freiheit der Individuen beruhen muss. Deshalb darf dann aber letztlich jeder selbst entscheiden, wie er leben möchte. Wir brauchen deshalb, da sie einen wirksamen Freiheitsschutz versprechen, auch demokratische und gewaltenteilige Institutionen, aber sie können nach dem Gesagten nur zuständig sein für Konflikte zwischen verschiedenen Freiheiten und den (bei der Freiheit logisch mitgedachten) sehr zahlreichen Freiheitsvoraussetzungen wie Sozialstaatlichkeit, Bildung usw.

Für das gute Leben sind sie dagegen unzuständig. Denn rationale Maßstäbe dafür, wie man leben soll, gibt es nicht. Und jede Freiheitseinschränkung aus Gründen jenseits von Freiheit und Freiheitsvoraussetzungen würde die maximale gleiche Freiheit in Frage stellen zugunsten von Prinzipien, die selbst keine so logisch zwingende Rückbindung haben wie Würde und Unparteilichkeit, also auf bloßen „Setzungen“ beruhen und damit letztlich unbegründet sind.

Somit ist also einerseits die Möglichkeit universaler Gerechtigkeit (also die Möglichkeit objektiver Aussagen über das richtige Zusammenleben in allen Gesellschaften weltweit) und andererseits ein bestimmter Inhalt universaler Gerechtigkeit in die menschliche Sprache zwingend eingeschrieben. Dass auch eine ganze Reihe scheinbar denkbarer Einwände gegen diesen Ansatz nicht greift, habe ich andernorts zu zeigen versucht. In jedem Fall ist dies keine „von außen auferlegte“ oder gar „religiöse“ Beschränkung „der Menschen“. Vielmehr geht es um eine Rekonstruktion dessen, was der Mensch logisch voraussetzt, wenn er lebt – und dabei zumindest gelegentlich in Gründen spricht.

Von der univer­sa­lis­ti­schen zur inter­ge­ne­ra­ti­o­nellen Freiheit

Doch auch die Menschen auf der Südhalbkugel und die Menschen künftiger Generationen haben einen ebensolchen Anspruch auf gleiche Freiheit, da Gründe für eine Erweiterung der universalen zur intergenerationellen und globalen (zwischen den Gesellschaften herrschenden) Gerechtigkeit sprechen. Denn erstens ist der menschlichen Sprache, wie gesehen, die Beachtlichkeit möglicher Diskutanten und damit auch künftiger Diskutanten, eingeschrieben. Und zweitens sind zu ihrem Lebenszeitpunkt auch junge und künftige Menschen Menschen und damit Träger der Menschenrechte.
Und Rechte, die definitiv zu einem zukünftigen Zeitpunkt entstehen werden, sind schon heute beachtlich. Denn wenn ich die Lebensgrundlagen heute in einer Weise schädige, dass dieses Handeln bei jungen und künftigen Menschen später keine Freiheit (und insbesondere keine Freiheitsvoraussetzungen in Gestalt von Existenzminimum, Leben und Gesundheit mehr garantieren kann, richte ich in der Zukunft einen irreversiblen Schaden an. Und damit würden die betroffenen Rechte nicht mehr das leisten, was die menschenrechtliche Freiheit leisten soll: einen sicheren Schutz gegen Beeinträchtigungen zu gewährleisten.

Und die gleichen zwei Argumente gelten auch im Verhältnis zwischen den Nationen: Das Recht auf gleiche Freiheit muss also genau dort gelten, wo ihm die Gefahren drohen – und sie drohen ihm zunehmend über Generationen hinweg und über Landes-grenzen hinweg.

Deshalb kann man eine moderne liberale Freiheit vielleicht verstehen als Konzept einer radikalen Autonomie des Individuums – die sich indes ihrer Absolutheit ebenso bewusst sein muss wie ihrer Grenzen in der gleichen Autonomie aller anderen, auch derjenigen, die räumlich und zeitlich weit entfernt von uns sind. Das meint nicht nur, dass die Freiheitsrechte (a) eine intergenerationelle und globale Dimension bekommen. Vielmehr müssen sie endlich auch so interpretiert werden, dass sie auch (b) die elementaren physischen Freiheitsvoraussetzungen einschließen – also einen Anspruch nicht nur auf Sozialhilfe, sondern auch auf ein Vorhandensein einer einigermaßen stabilen Ressourcenbasis und eines entsprechenden Globalklimas haben.

Denn ohne ein solches Existenzminimum (und ohne Leben und Gesundheit) gibt es keine Freiheit. Ferner muss Freiheit (c) ein Einstehenmüssen für die vorhersehbaren (auch ökologischen) Folgen des eigenen Tuns – auch in anderen Ländern und in der Zukunft – einschließen. Denn Freiheit heißt Eigenständigkeit und damit Verantwortung – auch für die unangenehmen Konsequenzen des eigenen Lebensplanes. Ferner bedeutet „Freiheitsschutz dort, wo die Gefahr droht“, dass (d) die Freiheit auch einen Anspruch auf (staatlichen) Schutz vor den Mitbürgern einschließen muss – denn entgegen den liberalen Klassikern ist eben nicht „nur der Staat gefährlich“. Ich weise hier aus Raumgründen nicht nach, dass all diese Punkte nicht nur allgemein philosophisch, sondern auch verfassungsinterpretierend begründet werden können.

All dies überwindet den altliberalen, ökonomistischen Freiheitsbegriff und erzwingt – auch – eine andere Umweltpolitik. Die Einschränkung z.B. des Autoverkehrs oder eine Erhöhung der Energiepreise durch Ökosteuern ist dann nicht einfach freiheitsbeschränkend, sondern auch freiheitsermöglichend.

Freiheit und gewal­ten­tei­lige Demokratie

Doch muss all das nicht dem demokratischen Prozess überlassen bleiben? Darf die Mehrheit in einer Demokratie nicht ganz nach freiem Ermessen herrschen – und damit auch die Generationengerechtigkeit ignorieren? Viele meinen in der Tat, dass liberale Verfassungen der Mehrheit das Aufgreifen oder Nichtaufgreifen beliebiger Belange erlauben (sofern sie nicht ganz wörtlich von der Verfassung untersagt sind wie z.B. das „Führen eines Angriffskrieges“ in Art. 26 GG). Ebenso wird der Erlass einer neuen Verfassung mit beliebigem Inhalt für zulässig erachtet. Nun ist, wie gesehen, die Demokratie sicher neben Würde, Unparteilichkeit und Freiheit das zentrale Grundprinzip einer gerechten Grundordnung. Denn wenn alle Menschen gleich zu respektieren sind, müssen sie auch gleichermaßen Anteil an der gesellschaftlichen Konfliktlösung haben. Das Prinzip der gleichen Achtung impliziert gerade, dass idealtypisch jeder über sich selbst entscheiden sollte – und folglich den gleichen Bezug zur Streitentscheidungsinstanz haben muss, soweit ein Konflikt z.B. zwischen verschiedenen Freiheiten und Freiheitsvoraussetzungen besteht (was der alltägliche Gegenstand von Politik ist) und daher nicht jeder allein entscheiden kann. Dies aber bedeutet Demokratie. Ferner sichert die Demokratie die Freiheit. Wenn doch die Vernunft inhaltlich offen ist, ist die Demokratie das naheliegende Entscheidungsverfahren.

Manche Philosophen erkennen nun zwar die Freiheit an, halten letzten Endes aber wohl (z.T. implizit) die Demokratie für vorrangig. Richtig ist dabei zunächst noch, dass – so z.B. Jürgen Habermas – Freiheit und Demokratie sich gegenseitig fördern. Habermas fasst dann aber im Weiteren das Achtungsprinzip als bloße Verfahrens- und nicht als Ergebnisregel der Demokratie auf (welche die Bürger sozusagen zeitweilig von ihren Diskurspflichten entlaste). Doch diese „freiheitlichen Garantien“ erlauben der Mehrheit anscheinend immer noch, Gesetze beliebigen Inhalts zu machen, solange sich die Mehrheit dabei an der für sich weitgehend unbestimmten Unparteilichkeitsidee orientiert. Diese „radikale Demokratie“ (Habermas) unterliegt jedoch den oben formulierten Einwänden gegen Präferenzansätze (von sonstigen Einwänden gegen die Habermassche Gerechtigkeitstheorie einmal abgesehen), und zu dem entwickelten universalistischen Prinzipienset passt sie einfach nicht. Eine gewaltenteilige, durch Prinzipien eingehegte Demokratie verspricht einfach ein Mehr an Freiheit, Rationalität und Unparteilichkeit als eine „radikale“.

Insbesondere die Generationengerechtigkeit spricht gegen die radikale Demokratie. Denn die Demokratie ist für künftige und junge Menschen kein Akt der Selbst-, sondern der Fremdbestimmtheit. Denn sie sind heute keine Beteiligten der Demokratie. Und die daher erwartbare Vernachlässigung von Langzeitinteressen ist ein Kardinalproblem der Gerechtigkeit. Deshalb braucht die Freiheit künftiger Generationen komplexere Institutionen als ein bloßes Mehrheitsprinzip, zunächst einmal die Gewaltenteilung. Denn die liberale Demokratie will ja Konflikte einer realen Welt lösen und muss darum registrieren, dass Menschen tatsächlich oft eigennützig sind, auch wenn wir dies nicht sein sollten. Und der Eigennutzen eines Politikers ist die Wiederwahl; der Eigennutzen des heutigen Wählers ist ebenfalls kurzzeitorientiert. – Nebenbei ergibt sich hier eine weitere Begründung der oben hergeleiteten intergenerationellen Wirkung der Freiheit. Denn Demokratie meint Selbstbestimmung einer Gruppe von Freien. Für künftige Generationen ist die heutige Mehrheit aber eher eine Art Diktator. Also bedürfen sie starker Freiheitsgarantien.

Die Generationen- und auch die globale Gerechtigkeit führen nicht nur zur Gewaltenteilung, sondern zu Fortentwicklungsideen für die Demokratie. So könnte man Wahlen verschiedener Ebenen (z.B. Europaparlament, Bundestag, Landtage) auf Sammeltermine alle zwei oder gar vier Jahre bündeln. Damit verhindert man, dass Politik anstelle eines längerfristig orientierten rationalen Diskurses zum kurzzeitorientiert-emotionalen Dauerwahlkampf wird. Unparteilichkeits- und rationalitätsfördernd sind zudem Wiederwahlbeschränkungen für Parlaments- und Regierungsmitglieder, ebenso wie Regeln, die die Wissensübermacht der (meist gesetzesentwurformulierenden) Ministerialbürokratie gegenüber den Parlamentariern begrenzen. Zusätzliche Parlamentskammern für Langzeitgesetze mit nicht gewählten Mitgliedern wären dagegen im Lichte der „doppelten Freiheitsgefährdung“ eine wenig empfehlenswerte Option.

National und transnational nötig wäre aber ein Treuhänderorgan, welches ein Klage-recht hat und zudem die Zukunftsrechte in Gesetzgebungs- und große Verwaltungsverfahren einbringt (letzteres ist dann ein Element partizipativer Demokratie, wie es generell als Ergänzung der repräsentativen Demokratie wichtig ist). Denn irgendjemand muss die Zukunftsrechte vorbringen können. Eine solche Partizipation und Klagemöglichkeit ohne eigene exekutivische (oder gesetzgebende) Entscheidungsmacht fügt sich auch unproblematisch in das demokratische System ein. Diese Rolle könnte ein „Nachweltrat“ übernehmen, der wie eine Notenbank eine (begrenzt) neben dem demokratischen Prozess liegende Form einer gestärkten Freiheitlichkeit und Unparteilichkeit der Politik wäre.

Der Generationengerechtigkeit abträglich sind dagegen Strukturen, die nicht wie Gewaltenteilung und gebündelte Wahlen einen rationalitäts- und unparteilichkeitsförderlichen Mehrebenen-Diskurs erzeugen, sondern gegenseitige Blockaden. Dies führt dann zu Kuhhändeln statt zu den stets nötigen Lernprozessen mit Diskursen, Entscheidungen und Abänderungen aufgrund des Lernens aus falschen Entscheidungen. Der deutsche Föderalismus ebenso wie die überkomplexe EU-Gesetzgebungsprozedur sollten deshalb überdacht werden.

Inter­ge­ne­ra­ti­o­nelle Abwägungen und Durch­set­zung der Nachhal­tig­keit – Abschied von einer natio­nal­staats­zen­trierten Politik­per­spek­tive

Die vorstehend gegebene Begründung und Einbettung der Generationengerechtigkeit bzw. Nachhaltigkeit zwingt die heutige Politik zu einem prinzipiellen Umdenken. Anhand der verschiedenen Freiheitsaspekte lassen sich die Regeln, nach denen der demokratisch-gewaltenteilige Prozess die intergenerationell kollidierenden Freiheitssphären zum Ausgleich bringen muss, weiter konturieren. Es sind dies Abwägungsregeln, die im Kern darauf angelegt sind, sowohl von der Freiheit der Lebenden als auch von der Freiheit der Künftigen möglichst viel übrig zu lassen. Bei alledem muss freilich betont werden, dass sich auf diese Weise zwar die Maßstäbe einer gerechten Politik in liberalen Demokratien angeben lassen. Das faktische Problem, dass heutige eigennutzenmaximierende Politiker, Wähler, Verbraucher, Unternehmer und womöglich auch Verfassungsrichter (die selbst Verbraucher usw. sind) am Ende trotzdem kollektiv die Generationengerechtigkeit ignorieren könnten, bleibt aber trotzdem virulent. Ebenso hören ja auch autoritäre Regime rein faktisch nicht auf zu existieren, nur weil man ihnen normativ Ungerechtigkeit nachweist. Trotzdem ist eine Gerechtigkeitstheorie wichtig, da Menschen nicht nur eigennützig handeln, sondern auch für gute Gründe (teilweise) empfänglich sind.

Wie aber kann die Politik ein Nachhaltigkeitsanliegen wie z.B. den Klimaschutz dann unter den Bürgern und Unternehmen durchsetzen? Wenn eine intergenerationell ausgewogene Freiheit real werden soll, wird man nicht allein auf freiwillige Initiative der Unternehmen und der heute lebenden Verbraucher („Konsumentendemokratie“ und „Selbstregulierung“) warten können. Dass ein rein freiwilliges Handeln als Konzept gegen im Detail unsichere, im Grundsatz aber erkennbare Gefährdungen wegen der menschlichen Motivationslage unrealistisch ist, übersieht die gängige wirtschaftsliberale These, dass „die Bürger“ die sozialen Probleme letztlich am besten selbst kennen und lösen können. Darum benötigt man klare Spielregeln – seien es Ökosteuern, Zertifikatmärkte, Ge- und Verbote oder noch andere Instrumente. Gerade für die Spielregeln haben wir ja die Politik als Ebene des Freiheitsausgleichs zwischen den Bürgern.

Vor diesem Hintergrund wäre eine klare Normierung nachhaltigkeitsbezogener Spielregeln mitnichten einfach freiheitseinschränkend. Sie wäre vielmehr gerade auch
freiheitsschützend. Die liberale Demokratie dient eben dazu, unparteiische Konfliktlösungen zu ermöglichen und Machtdisbalancen zwischen den Bürgern zu neutralisieren. Ökosteuern beispielsweise können dabei eine zugleich wirksame und bürokratieminimierende Form von Spielregeln sein.

Was aber ist zu tun, damit ein derartiger politischer Ansatz nicht einfach niemals zu Stande kommt, weil er schlicht den Eigennutzenkalkülen von Politikern und Wählermehrheiten widerstreitet (und wenn aus analogen Ursachen auch Unternehmen und Verbraucher eine Teufelskreisstruktur bilden)? Die wesentliche Initiative nachhaltigkeitsorientierter Bürger muss darin bestehen, eben jene Spielregeln zu bejahen und im Sinne einer „kritischen Masse“, die die Eigennutzenrationalität von Politikern und Unternehmen überhaupt erst ändern kann, einzufordern. Dabei wäre freilich die Einsicht wesentlich, dass man von der Politik weniger ein rein nationalstaatliches Handeln als vielmehr das Anstoßen globaler Aktivitäten einfordern muss. Momentan untergräbt der freihandelsbedingte globale Dumpingwettlauf um kostensparende und ergo niedrige Unternehmenssteuern, Sozial- und Umweltstandards nicht nur die Armutsbekämpfung im Süden und den westlichen Sozialstaat. Er verhindert auch in Nord und Süd eine echte Umweltpolitik, die z. B. ein Generationengerechtigkeitsthema wie das Klimaproblem wirklich angehen würde. Nationalstaaten sind nicht nur gegen das Dumping relativ ohnmächtig. Sie können auch strukturell globale Probleme wie den Klimawandel kaum lösen. Auch die bisherigen Völkerrechtsverträge im Konsens und mit beliebigem (Nicht-)Vollzug durch die Staaten bringen wenig. Dies wurde am Beispiel des Kyoto-Protokolls bereits deutlich. Soziale und Umweltbelange brauchen eine globale Politik, die die globale Ökonomie einhegt. Am besten durch eine Weiterentwicklung der WTO zu einer Art abgespeckten „globalen EU“, die nicht länger nur wirtschaftsliberal Märkte (einklagbar) öffnet, sondern weltweit bindende Umwelt-, Sozialstandards und Mindestunternehmenssteuersätze schafft. Und die Umweltstandards auch gegenüber dem bisherigen West-Niveau deutlich verschärft. Begleitet werden muss dies aber durch erhebliche Finanzhilfen an die Entwicklungsländer. Exakt so werden in diesen Monaten die EU-Beitrittsstaaten in die EU integriert. Dies wird freilich erst dann auf den Weg gebracht werden, wenn wir alle realisieren, dass der alte nationalstaatliche Fokus auf die Politik an sein Ende gelangt ist.

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