Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 179: Die nachhaltige Gesellschaft

Editorial

aus Vorgange 179 (Heft 3/2007), S. 1ff

Editorial

Spätestens mit dem vierten Sachstandsbericht des Weltklimarates kann der Klimawandel als Faktum brutum der globalen Entwicklung angesehen werden, das allenfalls noch in Zweifel zieht, wer als Wissenschaftler eigenen Eitelkeiten oder fremden Interessen dient, als Journalist spektakuläre Schlagzeilen fertigen oder als Politiker sich den Konsequenzen nicht stellen will. Mit der Review des ehemaligen Chefvolkswirtes der Weltbank Nicholas Stern sind die Folgekosten des Treibhauseffektes zudem auf einen Nenner gebracht, mit dem in jedem Staat gerechnet wird. Auf bis zu 5,5 Billionen Dollar, ein Fünftel der materiellen Wertschöpfung beziffert er den Schaden. Dem steht ein Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes gegenüber, das zu dessen Vermeidung erforderlich wäre.

Das ist eine vergleichsweise geringe Summe, und Sterns ökonomische Bilanz könnte den vorschnellen Eindruck erwecken, dass allein schon das ökonomische Nutzenkalkül für einen Sieg der Vernunft sorgen müsste. Doch nicht umsonst spricht Stern angesichts der Klimakatastrophe vom „größten Marktversagen, das es je gab“. Nicht nur der Markt hat versagt, so ließe sich ergänzen, auch die Politik vermochte bislang keinen Weg zu benennen, der Entwicklung angemessen effektiv zu begegnen. Und die Gesellschaft, als dritter Akteur, ist hin und her gerissen zwischen Maßhalten und Muddling through. Da-bei ist längst klar, dass der Schutz des Klimas keine technische Maßnahme ist, die dem Einzelnen lediglich einen Kostenbeitrag abverlangen würde, sondern eine Transformation der Gesellschaft bedeutet, hin zu einer nachhaltigen. Dieser nachhaltigen Gesellschaft ist diese Ausgabe der vorgänge gewidmet,` in der wir uns weniger mit den Szenarien des Untergang beschäftigen wollen, als vielmehr dem, was zu ändern und welchen Leitlinien dabei zu folgen ist.

Konrad Ott entwickelt das Modell eines ökologischen Ordoliberalismus, das dem Staat gegenüber der Ökonomie als auch gegenüber dem Konsumenten eine zentrale Steuerungsfunktion zur Durchsetzung einer starken Nachhaltigkeit zuweist.

Holger Rogall analysiert die Grenzen klassischer Wirtschaft(-stheorie), die Probleme der Nachhaltigkeit angemessen zu erfassen, sieht zwischen beiden aber keinen Widerspruch, sondern ein Bedingungsgefüge, denn bei richtiger Steuerung entfaltet starke Nachhaltigkeit auch starke wirtschaftliche Potenziale und schafft Arbeitsplätze.
Dass damit Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit keineswegs schon in Einklang gebracht sind, weist Stephan Elkins nach. Er zeigt die ungleichen Belastungen auf, die Umweltschutzmaßnahmen für den Einzelnen bedeuten, je nachdem, über welche finanziellen Ressourcen er verfügt. In einer Gesellschaft, in der Konsum ein zentraler Faktor der Anerkennung ist, sind damit immer auch Teilhaberechte tangiert.
Felix Ekardt legt dar, dass eine Gesellschaft, die ihre Vernunftsprinzipien ernst nimmt, den Interessen künftiger Generationen die gleiche Achtung zu schenken hat wie den eigenen. Das bedeutet ein Einstehen-müssen für die Folgen des eigenen Tuns. Da es damit in den gegenwärtigen Demokratien nicht immer weit her ist, plädiert Ekardt für eine Ergänzung ihrer Prinzipien durch einen treuhänderischen Sachwalter der Interessen der künftigen Generationen.

Uta von Winterfeld macht sich stark für einen Begriff der Suffizienz, der sich nicht in einem individual-asketischen Maßhalten erschöpft, sondern das Konsumieren-müssen als eine Zumutung der Moderne auffasst, gegen die sich zu wehren, die Belange der Umwelt ein guter Grund sind.

Ein starker globaler Sachwalter des Umweltschutzes ist das Anliegen von Udo E. Simonis. Er zeichnet die bisherige Entwicklung des globalen Umweltregimes nach, prüft die in der Debatte stehenden Alternativen und plädiert für eine auf Mehrheitsentscheidung beruhende, mit Sanktionsgewalt ausgestattete „Weltorganisation für Umwelt und Entwicklung“.

Wie dringlich ein solches starkes globales Umweltregime ist, macht der Beitrag von Cord Jakobeit und Chris Methmann über globale Erwärmung und Migrationsprozesse deutlich. Auch wenn die wissenschaftliche Kontroverse um die Frage, ab wann von Klimaflucht gesprochen werden kann, noch nicht ausgefochten ist, steht fest, dass die durch Klimaveränderungen verursachten oder verstärkten Notsituationen in Zukunft immer mehr Menschen zur Migration zwingen werden.

Matthias Machnig spricht angesichts der Umwälzungen und Potenziale, die eine konsequente Orientierung auf Nachhaltigkeit zeitigen würde, von einer dritten industriellen Revolution. In ihrem Zentrum steht die Steigerung der Energie- und Materialeffizienz. Gefordert ist eine ökologische Industriepolitik.

Wie stark diese Revolution noch in ihren Kinderschuhen steckt, macht Michael Cramer am Beispiel der europäischen Verkehrspolitik deutlich. Noch immer werden Riesenprojekte wie die Fehmarnbelt-Brücke verfolgt, obwohl sie durch die Entwicklung längst überholt sind. Noch immer werden Straßen-, Flugverkehr und Binnenschifffahrt gefördert statt deren Umweltkosten zu internalisieren. Vom revolutionären Dreiklang von Vermeidung, Verlagerung und Effizienz ist in Brüssel noch nicht viel zu hören.

Einen ähnlich skeptischen Blick wirft Barbara Praetorius auf die deutsche Energiepolitik. Die hat sich ergeizige Klimaziele gesteckt, doch manches bei der Einführung hochgelobte Mittel, wie die Emmissions-Zertifikate hat bislang zwar den Energiekonzernen Geld, der Luft aber keine größere Reinheit gebracht. Anderes, wie das CO2-arme Kohlkraftwerk, ist technisch nicht ausgereift und konterkariert eher sinnvolle Investitionen, wie die in Kraft-Wärme-Kopplung. Es fehlt bislang an einem Regulierungsrahmen, der Zukunftstechniken eine angemessene Chance gibt.

Wie sicher ist das Wissen über den Klimawandel? Petra Pansegrau untersucht an-hand der Entwicklung der letzten zwanzig Jahre das widersprüchliche Wechselspiel zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und seiner Perzeption in Medien und Politik.
Toleranz ist in den interkulturellen Auseinandersetzungen der letzten Jahre bisweilen zu einer rhetorischen Allzweckwaffe verkommen. In seinem Essay befreit Armin Pfahl-Traugbehr den Begriff von den mit ihm in Verbindung gebrachten kulturrelativistischen Zumutungen. Sein Plädoyer für einen Kulturpluralismus macht aus ihm ein sinnvolles Prinzip gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Wolfgang Abendroth genoss über Jahrzehnte Reputation als ein Linker, der seine Überzeugung in Einklang mit einem starken Verfassungsbegriff formulierte. Dieses Bild hat spätestens mit der inzwischen bekannt gewordenen Ergebenheitsadresse zum Tode Walter Ulbrichts einen Riss bekommen. Eike Hennig, der bei Abendroth promoviert hat, gibt eine zeitgeschichtliche Einordnung dieses moralisch verwerflichen Wandels Abendroths, der auch ein Wandel seines Umfeldes ist. Es ist eine linke Geschichte.
Eine Rezension des aufgeklärten Multikulturalismus Heiner Bielefeldts von Gerd Pflaumer und des Standardwerkes „Der Klimawandel“ von Stephan Rahmsdorf und Hans Joachim Schellnhuber von Udo E. Simonis runden diese Ausgabe der vorgänge ab, zu der ich Ihnen wie immer eine anregende Lektüre wünsche.

Ihr

Dieter Rulff

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