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Religi­ons­kund­li­cher Lehrauftrag in Nieder­sachsen

vorgänge 1969 (7-8), S. 272

Das Niedersächsische Schulgesetz vom 14. 9. 1954 sieht für Schüler, die an einem konfessionsgebundenen Religionsunterricht nicht teilnehmen wollen, vom fünften Schuljahr an einen religionskundlichen Unterricht als ordentliches Lehrfach vor.
Dieser religionskundliche Unterricht soll ― nach den Richtlinien des Kultusministers ― dem heranwachsenden Menschen ein Bild von der vielfältigen Welt religiösen Lebens und Denkens vermitteln und ― wie jeder andere Fachunterricht ― von pädagogischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten ausgehen. Er soll sich um eine Begegnung des Schülers mit den Glaubenslehren und geschichtlichen Wirkungen der bedeutsamen historischen Religionen und Geistesströmungen der Menschheit bemühen und zur Erkenntnis führen, daß allen großen Religionen, trotz der Unterschiedlichkeit der Lehren und Kulte, sittliche Forderungen wie Menschlichkeit und Nächstenliebe gemeinsam sind. Dadurch soll der junge Mensch befähigt werden, fremde Anschauungen zu verstehen, seine eigenen religiösen Vorstellungen zu klären, zu einer gereiften Überzeugung und zu einer innerlich begründeten Toleranz zu gelangen.
Die Sorge für die Einrichtung des religionskundlichen Unterrichts in Niedersachsen ist an den Volks- und Mittelschulen den Schulräten, an den höheren Schulen den Direktoren übertragen. Sie haben zu prüfen, ob nach der Zahl der Anmeldungen ein Bedürfnis für den religionskundlichen Unterricht vorliegt und ob Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Die Anmeldung für diesen Unterricht erfolgt durch die Erziehungsberechtigten oder ― bei religionsmündigen Schülern ― nach eigener Entscheidung.
Die Bemühungen um einen religionskundlichen Unterricht gehen schon einige Jahre zurück. Die Frage danach entzündete sich nicht zuletzt an der durch Recht und Gesetz festgelegten Stellung des konfessionsgebundenen Religionsunterrichtes als ordentliches Lehrfach in der öffentlichen Schule, und zwar in Verbindung mit der grundsätzlichen Frage nach dem neutralen und demokratischen Charakter der Schule. In zunehmendem Maße verlangen Eltern, Lehrer, Studenten und Schüler einen Religionskunde- und Weltanschauungskundeunterricht, der, unabhängig von der Zuordnung zu einer bestimmten Konfession, sachlich, informativ und wissenschaftlich ist.
Die Verfassungen einiger Länder beginnen diesem berechtigten Anliegen ― wenn auch unzureichend ― bereits Rechnung zu tragen. So sollen in Bayern, Rheinland-Pfalz und im Saarland Schüler, die den Religionsunterricht nicht besuchen, an einem Unterricht teilnehmen, der, wie es heißt: „die allgemein anerkannten Grundsätze der Sittlichkeit”, ― „des natürlichen Sittengesetzes”, bzw. die „allgemein anerkannten Wahrheiten des natürlichen Sittengesetzes” zum Gegenstand hat. In Niedersachsen besteht vom Gesetz her die Möglichkeit für die Einführung eines religionskundlichen Unterrichts, in Hessen ist er bereits für alle diejenigen Schüler Pflichtfach, die am Religionsunterricht nicht teilnehmen, für die anderen Wahlfach.
In Niedersachsen hat der Kultusminister im letzten Jahr das Anliegen des religionskundlichen Unterrichts dadurch gefördert, daß er ― und das ist für das gesamte Bundesgebiet einmalig ― an der Pädagogischen Hochschule Hannover einen Lehrauftrag für Religionswissenschaft und Didaktik des religionskundlichen Unterrichts erteilte. Es wäre nur zu wünschen, wenn der eingeschlagene Weg konsequent weiterverfolgt und das Land Niedersachsen die Voraussetzungen dafür schaffen würde, daß an der Pädagogischen Hochschule Niedersachsen auch die Lehrbefähigung für religionskundlichen Unterricht erworben werden könnte. Denn die schulpraktische und didaktische Seite des religionskundlichen Unterrichts liegt noch sehr im argen. Es fehlt nicht nur an ausgebildeten Lehrern in diesem Fach, sondern auch an Lehrstühlen, die junge Lehrer für dieses Fach wissenschaftlich vorbereiten können, ganz zu schweigen vom völligen Mangel an Lehrbüchern für die Hand des Lehrers und Schülers.
Alles, was auf diesem Gebiet für die Erziehung unserer Jugend getan werden wird, ist notwendiger Bestandteil beim Aufbau der Einen Welt von morgen. Diese Welt, die aus der Vielheit von Völkern, Kulturen und Religionen eine Einheit werden muß, wird nur der verstehen und lieben können, dessen Erziehung ihm die Möglichkeit des Verstehens und Tolerierens gibt.

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