Die erneute Aktivität um die Notstandsgesetzgebung
aus: vorgänge Heft 5/1966, S. 215-217
(vg) Bundesinnenminister Paul Lücke, nach Schröder und Höcherl der dritte Innenminister, der versucht, die geplante Notstandsgesetzgebung nach den Wünschen der Bundesregierung durchzubringen, hat in den letzten Wochen versucht, die öffentliche Auseinandersetzung um diese Gesetze, durch die im Notstandsfall einige der wichtigsten Grundrechte der Verfassung erheblich eingeschränkt und den Exekutivorganen umfangreiche Direktvollmachten gegeben werden sollen, günstig für die Pläne der Bundesregierung zu stimmen. Direkter Anlaß für diese neuerliche Aktivität war der Bundeskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der im Mai in Berlin stattfand. Unter den zahlreichen prominenten Gegnern der Notstandsgesetzgebung so vor allem einer großen Zahl von Wissenschaftlern, Publizisten und Schriftstellern sind die Gewerkschaften die mächtigsten Gruppen. Das ist auch deshalb nicht von ungefähr, weil durch diese Notstandsgesetze besonders auch einschneidend in die Rechte der Arbeitnehmer eingegriffen würde. Andererseits nehmen die Gewerkschaften den Auftrag, für die demokratische Ordnung einzutreten, allgemein besonders ernst. Dem Einfluß von Gewerkschaftsvertretern wird auch zugeschrieben, daß die SPD im Mai des vorigen Jahres, nachdem sie zunächst willens schien, der Verabschiedung der Notstandsgesetze zuzustimmen, noch einmal ihre verfassungsrechtlichen Bedenken über Opportunitätsgesichtspunkte zu stellen. In Kompensation zu ihrem Rückzug aus einer schon halb gegebenen Zustimmung zur sogenannten Notstandsverfassung stimmte die SPD allerdings der Vorweg-Verabschiedung verschiedener sogenannter einfacher Notstandsgesetze zu. Inzwischen ist allerdings in der SPD die Einsicht verbreitet, daß sie mit dieser Zustimmung zu sogenannten einfachen Gesetzen bereits verschiedene Einbrüche in die Verfassungsordnung mitermöglicht hat, und es besteht die Neigung, diese Gesetze möglichst wieder rückgängig zu machen, unter Umständen diesmal mit einer Zustimmung zu einer revidierten Fassung der sogenannten Notstandsverfassung. Die Normenkontrollklage, die von der DFU beim Bundesverfassungsgericht gegen diese bereits verabschiedeten einfachen Notstandsgesetze eingereicht wurde, hat zwar aus dem formellen Mangel, daß nach dem Wortlaut des BVerfG-Gesetzes eine Partei zur Einreichung einer Normenkontrollklage nicht berechtigt ist, wenig Aussicht auf Erfolg, doch sind die sachlichen Gründe für die Verfassungswidrigkeit dieser Gesetze in ihrem Kern als stichhaltig und zutreffend anzusehen.
Bundesinnenminister Lücke versuchte auf die Entscheidung des DGB-Kongresses in zweierlei Weise Einfluß zu nehmen. Einmal versuchte er den Gewerkschaften klarzumachen, daß die vorgesehenen Einschränkungen in Fragen, die speziell gewerkschaftliches Interesse berühren (Streikrecht, Dienstverpflichtung von Arbeitnehmern usw.), nicht so einschneidend sein werden. Er richtete in dieser Sache einen Brief an die führenden Gewerkschaftsfunktionäre, durch den der Verlauf des Berliner Kongresses beeinflußt werden sollte. Der DGB, der bisher an den Beschluß seines Bundeskongresses von Hannover gebunden ist, in dem die Gewerkschaften feststellen, daß sie eine Verfassungsänderung zugunsten einer Vorsorge für einen Notstandsfall für überflüssig und für gefährlich halten, sollen dadurch auf den Weg der Verhandlung über einen Kompromiß gebracht werden.
Zum anderen versuchte Minister Lücke auf dem Wege massiven Drucks auf die Haltung der Gewerkschaften Einfluß zu nehmen. Er wies öffentlich darauf hin, daß das Innenministerium geheime Gesetzentwürfe in der Schublade bereit halte für den Fall, daß die Allierten von ihren Vorbehaltsrechten für den Notstandsfall Gebrauch machen und die Exekutivbefugnisse den Bundesbehörden übertrage. Diese Gesetze würden dann angewendet werden, solange es keine eigene deutsche Notstandsverfassung gebe. Diese Gesetze würden dann nicht auf dem vorgeschriebenen legislativen Wege verabschiedet, sondern von den Alliierten in Kraft gesetzt oder aufgrund alliierter Vollmachten von den deutschen Behörden angewandt. Die Mitteilung aus dem Innenministerium vor dem DGB-Kongreß hatte den Zweck, deutlich zu machen, daß die Bundesregierung auf jeden Fall Notstandsvorsorge getroffen habe, wenn nicht im Rahmen der Verfassung, so über den Weg der Benutzung der noch geltenden alliierten Vorbehaltsrechte. Bundesminister Lücke wies der Frankfurter Rundschau gegenüber emotional verstärkend darauf hin, daß diejenigen, die diese Gesetzentwürfe gesehen hätten, etwas bleich geworden seien. Es kann so kaum ein Zweifel bestehen, daß diese geplanten notverordnungsmäßigen Gesetze alle die Grundrechtseingriffe enthalten, die bei der Notstandsverfassung so stark umstritten sind, daß sie deshalb bisher nicht verabschiedet werden konnte.
Strafanzeige der HU wegen Verdachts des Verfassungsverrats
Weil inzwischen vom Bundesinnenministerium zugegeben wurde, daß es für den Fall eines Notstands außerhalb der verfassungsmäßigen Ermächtigung liegende geheime Ausnahmegesetze vorbereitet habe, hat der Vorstand der Humanistischen Union am 6. Mai Strafanzeige gegen Unbekannt beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe wegen des Verdachts eines Verbrechens gegen Paragraph 89 StGB erhoben. Nach dieser Strafvorschrift wird mit Zuchthaus bestraft, wer es unternimmt, durch Mißbrauch oder Anmaßung von Hoheitsbefugnissen einen der im Paragraph 88 StGB verzeichneten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Die HU ist aufgrund der ministeriellen Andeutungen über die vorbereiteten Geheimgesetze zu der Ansicht gekommen, daß diese Gesetze, die unter Umgehung der Legislative aufgrund alliierter Vollmachten von der Bundesregierung in Kraft gesetzt werden sollen, Verfassungsverrat darstellen. Die anläßlich der Strafanzeige veröffentlichte Presseerklärung hat folgenden Wortlaut:
Beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe erstattete der Vorstand der Humanistischen Union (HU) am 5. 5. 1966 Strafanzeige ,gegen Unbekannt‘ wegen des Verdachts eines Verbrechens nach § 89 StGB (,Verfassungsverrat‘). Wie Bundesinnenminister Lücke am 3.5.1966 zugab, hat das Bundesinnenministerium geheime Ausnahmegesetze vorbereitet, die im ,Notstandsfall` entweder von den Alliierten in Kraft gesetzt oder aufgrund alliierter Vollmachten von deutschen Staatsorganen angewandt werden sollen. Diese geheimen ,Schubladengesetze` sollen nach bis jetzt unwidersprochenen Pressemeldungen viel weiter gehen als die Notstandsgesetze, die dem Bundestag vorgelegt worden sind. Minister Lücke äußerte zu Pressevertretern: ,Diejenigen, die diese Gesetze gesehen haben, waren etwas bleich.‘ Der HU liegen Informationen vor, die zu dem Verdacht Anlaß geben, es bestehe eine Übereinkunft zwischen Bundesbehörden und den Besatzungsmächten, der Bundesregierung in bestimmten Fällen grundgesetzwidrige Sondervollmachten zuzuspielen, die diese auf legalem Weg durch das Parlament nicht erhalten könnte. Die HU führt in ihrer Strafanzeige einige von der Bundesregierung öffentlich angestrebte Notstandsvollmachten an, die würden sie auf so außerparlamentarische Weise verwirklicht, den Tatbestand des Verfassungsverrats erfüllten. Da die geheimen ,Schubladengesetze` sogar noch viel weiter gehen sollen, ist nach Ansicht der HU die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Bundesanwaltschaft dringend geboten.
Erneuter Professoren-Appell an den Gewerkschaftsbund
Die Professoren westdeutscher Universitäten und Hochschulen, die sich bereits im vorigen Jahr mit einem Appell an die Gewerkschaften gewandt haben, ihren Einfluß einzusetzen, damit die Notstandsgesetze nicht verabschiedet werden (s. vg 5/65, 5. 214 und 6/65, S. 264ff), haben sich vor dem DGB-Kongreß erneut mit einem Appell an die Gewerkschaften gewandt, ihren Widerstand gegen die Notstandsgesetze nicht aufzugeben. Die Zahl der Unterzeichner des Appells, die im vorigen Jahr 265 betrug, ist in diesem Jahr auf 362 Hochschulprofessoren angestiegen. Dieser erneute Appell hat (auszugsweise) folgenden Wortlaut:
Wir halten uns für verpflichtet, Sie daran zu erinnern, daß die Gefahren einer Notstandsgesetzgebung, wie sie einst die Weimarer Republik aufzulösen half, inzwischen durch das Bekenntnis führender Politiker und Vertreter der ,Wirtschaft` zur ,Formierten Gesellschaft‘ noch klarer hervorgetreten sind.
An der Gefährdung des Streikrechts der Arbeitnehmer durch Dienstleistungsverpflichtungen würde sich auch durch eine formelle Verbeugung der Verfassungsänderungsgesetze vor dem Streikrechts nichts ändern.
Die Beeinträchtigung der Informations- und Meinungsfreiheit würde auch bei obligatorischer ,Selbstkontrolle` der Presse nur die Form, nicht aber den Inhalt wechseln. Für die Ausschaltung des Parlaments ist es prinzipiell belanglos, ob sie unmittelbar durch das bestehende Kabinett oder durch die Zwangskoalition eines Notparlaments erfolgt, die jede echte Machtkontrolle durch den vom Grundgesetz gewünschten Widerstreit von Regierung und Opposition ausschaltet; die pluralistische Struktur der öffentlichen Ordnung wäre aufgehoben.
Auch wenn nur der sogenannte ,äußere Notstand‘ zur Legitimation von Ausnahmerechten herangezogen werden sollte, würde sich die Gefahr nicht grundsätzlich mindern. In einer Periode, in der es keinerlei wirkliche Bedrohung des europäischen Friedens gibt, müßte vielmehr die Vorbereitung der Rechtslage der Bundesrepublik auf einen Krieg auch außenpolitisch beunruhigend wirken und überdies jede Politikergruppe in die Versuchung bringen, aus innenpolitischen Gründen mit dem Mittel der Verschärfung der außenpolitischen Lage zu hantieren, sobald ihr dies als opportun erscheint.
Wir machen Sie außerdem darauf aufmerksam, daß zur Aufhebung der alliierten Vorbehaltsrechte wie Professor Dr. Helmut Ridder gezeigt hat keine Verfassungsänderung notwendig ist!
Allerdings hat sich die politische Situation seit 1962 materiell verändert, nämlich dadurch, daß die Proklamation des Zieles der ,Formierten Gesellschaft‘ inzwischen unverhüllt erfolgt ist. Dem gegenüber sind die bloß formellen Konzessionen, zu denen sich, wegen des Widerstandes der Gewerkschaften, diejenigen Kräfte bequemen mußten, die die Grundgesetzänderung so hartnäckig betreiben, wahrhaft zweit-, ja drittrangig. Deshalb appelieren wir nochmals an den DGB und die Gewerkschaften, bei ihren früheren Beschlüssen zu bleiben, sie nicht aufzuweichen und auch künftig gemeinsam mit den kritischen Vertretern der Wissenschaft und des Geistes die Verfassung zu schützen.
Die Initiatoren dieses Professoren-Appells, Prof. Dr. Heinz Maus, Göttingen, Prof. Dr. Eugen Kogon, Darmstadt und Prof. Dr. Helmut Ridder, Gießen, haben auf einer Pressekonferenz in Frankfurt die Motive dargestellt, die zu dem neuen Appell an die Gewerkschaften führten. In diesem Schriftstück sind die wichtigsten sachlichen und politischen Gesichtspunkte, die gegen die geplante Notstandsgesetzgebung sprechen, noch einmal zusammengefaßt:
1. Das gegenwärtige Verfahren von Bundesinnenminister Lükke, die Notstandsverfassung und die übrigen noch ausstehenden Notstandsgesetze in einem neuen, dem dritten Anlauf durchzusetzen, kennzeichnet den unverändert undemokratischen Kern der Sache, um die es geht. Dieses Verfahren scheut die Beteiligung des politisch mündigen Volkes. Hinter verschlossenen Türen wird versucht, Vereinbarungen auszuhandeln, die den Eindruck erwecken sollen, als hätten die Staatsbürger tatsächlich mitgewirkt und ihr letztes Wort schon gesprochen. In Wirklichkeit bliebe ihnen bei dieser Manipulation nur die Funktion der puren Hinnahme.
2. Was 1965 gefährlich war, ist es in diesem Jahr erst recht. Nach der Bundestagswahl liegen die Absichten der augenblicklichen Bundesregierung offener zutage als je zuvor:
a) Die Umgestaltung der demokratisch-pluralistischen Ordnung der Bundesrepublik in eine ,formierte Gesellschaft‘ wird in Angriff genommen. Als erste strukturändernde Gesetze sind bereits vorgesehen eine Finanzreform, die das föderalistische Prinzip aushöhlt, und ein ,Deutsches Gemeinschaftswerk`, das Teile des Staatseinkommens der parlamentarischen Kontrolle entzieht; ferner ein ,Konjunkturrahmengesetz`, das u. a. einen Einbruch in die Tariffreiheit der Gewerkschaften vorsieht.
b) Der Ton bei der Formulierung militärpolitischer und außenpolitischer Zielsetzungen hat sich verschärft. Der Zugang zur atomaren Kommandogewalt wird neuerdings als Beseitigung angeblichen Unrechts gefordert.
c) Es besteht keine Bereitschaft, den Empfehlungen der wissenschaftlichen Gutachter zur Sicherung der Währungsstabilität Rechnung zu tragen; statt dessen wird wieder einmal an die Disziplin der Sozialpartner hinsichtlich der Lohn-, Preis- und Arbeitspolitik appelliert, ohne daß man sich selbst daran hält.
d) Im Widerspruch zu ernsthaften Bemühungen um eine echte Entwicklungshilfe zeigt sich eine gefährliche Neigung, mit der Behauptung, es gelte die Freiheit zu verteidigen, sich in Entwicklungsländern in gesellschaftliche Auseinandersetzungen einzumischen, die notwendige Folgen des Entkolonisierungsprozesses sind.
e) Zu diesem Kurs gehören die Notstandsgesetze als innere Vorbereitung auf den ,Ernstfall`.
3. Die Veränderungen, die an den bisherigen Notstandsgesetzentwürfen angeblich zur Sicherung der Demokratie, in Wirklichkeit: um den Widerstand gegen die Verfassungsänderung einzuschläfern, vorgenommen wurden, ändern den Charakter dieser Entwürfe keineswegs. Das Notparlament, da nur aus Führungsgremien der Parteien bestehend, wäre eine quasi parlamentarische Verhüllung einer Allparteienkoalition neben der Volksvertretung zur Durchsetzung der Notstandspolitik.
4. Die Behauptung, es bedürfe der Notstandsverfassung zur Ablösung alliierter Vorbehaltsrechte, ist weder juristisch noch politisch zu halten:
a) Zur Ablösung von Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages bedarf es keiner Grundgesetzänderung. Die vorliegenden Bestimmungen des Grundgesetzes (nach den Verfassungsänderungen von 1956) reichen völlig aus, um von den Alliierten gegebenenfalls den formellen Verzicht auf diese Rechte verlangen zu können.
b) Im übrigen haben die alliierten Rechte bis heute unser Staatsleben in keiner Weise eingeengt. Andererseits haben bisher mehr oder weniger große Widerstände nicht zuletzt auch innerhalb der Nato bundesdeutsche atomare Ambitionen in Schranken halten können. Das Verlangen nach einer Notstandsverfassung gehört zu den Bestrebungen herrschender Kreise in der Bundesrepublik, militärpolitisch freiere Hand zu bekommen.
5. Während die Politik der europäischen Alliierten davon ausgeht, daß keine militärische Bedrohung Mittel- und Westeuropas besteht, und darin die Chance sieht, Schritte der Entspannung und Abrüstungsmaßnahmen durchzusetzen, würden Notstandsgesetze die Bundesrepublik in den Stand dauernder Kriegsbereitschaft manövrieren und zu einem Element außenpolitischer Beunruhigung machen. Weit entfernt, im Kriegsfall irgend zu nützen, erzeugen Notstandsgesetze die Illusion, vor allen Eventualitäten geschützt zu sein. Sie ermöglichen damit einer Regierung, die ihrer Verantwortung gegenüber Deutschland nicht gerecht wird, ggf. eine unkontrollierte Politik der Risiken. Notstandsgesetze führen potentiell näher an den ,Ernstfall` heran.
6. Den Gewerkschaften ist zu danken, daß die Regierung heute noch nicht über ein voll ausgebautes Ausnahmerecht verfügt, wenngleich bereits durch die vier ,Sicherstellungsgesetze`, das ,Selbstschutz- und das Schutzbaugesetz‘ und das ,Gesetz über das Zivilschutzkorps‘ umfassende Eingriffsermächtigungen und Rechtssetzungsbefugnisse für die Executive bewilligt worden sind, die empfindlich in das private und öffentliche Leben eingreifen.
7. Mit ihrem Widerstand gegen die Notstandsverfassung haben die Gewerkschaften sich erneut als entscheidende Stütze unserer Demokratie erwiesen. Wenn Vertreter der Wissenschaft sich heute wiederum an sie wenden, folgen sie einer doppelten Verpflichtung: als Wissenschaftler sind sie verpflichtet am öffentlichen Leben teilzunehmen und darauf aufmerksam zu machen, daß die Aufrechterhaltung der demokratischen Ordnung von der Aktivität der inner- und außerparlamentarischen Kräfte abhängt; ihre Existenz ist nur in dieser Ordnung gesichert.“
Telegramm der HU an den DGB-Kongreß
Die Humanistische Union, die bereits Ende 1964 mit einer Aktion gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze hervorgetreten ist, für die sie die Unterschriften von mehr als 1 300 Professoren, Schriftstellern, Künstlern, Publizisten und Politikern gewann, hat sich vor dem DGB-Bundeskongreß ebenfalls mit einem Telegramm des Vorstands an diesen gewandt, in dem die Gewerkschaftsdelegierten aufgefordert werden, nicht aus Opportunitätsgründen ihre bisherige klare Haltung zur Frage der Notstandsgesetzgebung aufzugeben. Das Telegramm hat folgenden Wortlaut:
Die Humanistische Union grüßt die Delegierten des 7. Bundeskongresses des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Wegen seiner Bedeutung für die Fortentwicklung der Demokratie in Deutschland verfolgen wir seinen Verlauf mit Interesse und Hoffnung. Wir bitten Sie, genau und unbeirrt ins Auge zu fassen, welche Möglichkeiten der Machtausübung die Notstandsgesetze unabhängig von den Motiven ihrer Verfasser bieten. Bei keinen Gesetzen wie bei denen, die die Machtausübung im Staate regeln, ist es so notwendig, die äußersten Möglichkeiten ihres Gebrauchs zum Maßstab ihrer Beurteilung zu machen. Wir hoffen auf Ihr weiteres Einstehen für unsere Demokratie, die durch verwaltungsmäßiges Erfassen der einzelnen und Gruppen und durch hierarchische Strukturen der Unterordnung weit mehr bedroht ist, als durch ungehinderte, offene Auseinandersetzungen aufgrund ungeschmälerter staatsbürgerlicher Freiheiten. Beachten Sie nicht nur die Versuche der Überredung, sondern auch die neuerdings ausgesprochenen Drohungen. Bleiben Sie bitte fest in der Ablehnung der Notstandsgesetze.
Die Delegierten der 16 im DGB organisierten Gewerkschaften, die 6,6 Millionen Arbeitnehmer vertreten, lehnten schließlich auf Antrag der IG Metall am 13. Mai mit 251 gegen 182 Stimmen jegliche die Grundrechte der Verfassung einschränkende Notstandsgesetzgebung ab und bestätigten damit den Beschluß des DGB-Kongresses von 1962 in Hannover. Die Gewerkschaftsentschließung wendet sich vor allem gegen eine Bedrohung der Versammlungs-, Koalitions- und Streikrechte und gegen eine allgemeine Dienstverpflichtung, die eine Grundgesetzänderung erforderlich machen würde. Sie bekräftigt die Entschlossenheit der Gewerkschaften, die Grundrechte und Prinzipien des Grundgesetzes gegen jeden Angriff zu verteidigen. Der DGB-Kongreß fordert die Bundestagsabgeordneten auf, allen weiteren Versuchen entgegenzutreten, Grundrechte durch eine Notstands- und Notdienstgesetzgebung einzuschränken.