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Deutsche Beamte vor und nach 1945

vorgängevorgänge 7607/1985Seite 67-70

Eine Geschichte der Kontinuität;

aus: vorgänge Nr. 76, Heft 4/1985, S. 67-70

Die Zahl der Behörden und Beamten wächst und wächst; der öffentliche Dienst scheint fast die einzige Wachstumsbranche unserer Zeit zu sein. Der Andrang auf Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst ist groß, wie wohl nie zuvor. Auf der anderen Seite sind sich alle Bürger im Unmut über Behörden und Beamte einig und nichts ist für Politiker jeder Richtung leichter, als durch das Schimpfen über sie Beifall einzuheimsen.

Beide Beobachtungen stehen nicht im Widerspruch zu einander. Kein moderner Staat kann ohne Beamte auskommen, und der Unmut richtet sich offenbar weniger gegen Individuen, als vielmehr gegen die zunehmende Reglementierung der Bürger durch den Staat.

Die Geschichte des Beamtentums ist alt. Für sie ist bis in die Gegenwart kennzeichnend, dass Beamte immer als Instrumente der Herrschaft angesehen und ausgenutzt sind. Das Problem der Inhaber jeder Herrschaft besteht darin, einerseits auf die Mitarbeit von Beamten angewiesen zu sein, andererseits deren eigene Vorstellungen und Interessen auszuschalten, um die eigenen Herrschaftsansprüche möglichst effizient durchzusetzen. Dies ist in der Diktatur nicht anders, als in der Demokratie. Für die Beamten ist ihr Amt die wirtschaftliche Grundlage ihres Lebens, so dass sie ungeachtet der eigenen Auffassung genötigt sind, den Erwartungen des Dienstherren zu entsprechen, andererseits stets versucht sind, offen oder heimlich ihre eigenen Vorstellungen und Interessen zu verwirklichen, auch wenn sie denjenigen des Dienstherren zuwiderlaufen.

In jenen Zeiten, in denen die Zahl der Beamten noch gering war, genügte das personelle Band zwischen Dienstherren und Beamten, um Herrschaft zu sichern. Heute sind diese Zeiten längst vorbei. Reste der Vergangenheit sind noch in der personellen Verbindung zwischen den Inhabern der Herrschaft und leitenden — »politischen« – Beamten erhalten. Nicht zufällig versuchen alle politischen Parteien – neuerdings z.T. auch die GRÜNEN – durch die Besetzung von Spitzenpositionen der Beamtenhierarchie ihre eigene Macht zu sichern. Dies genügt indessen nicht. Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften haben über ihre rechtsstaatliche Funktion hinaus auch die Aufgabe, die Vorstellungen derer, die sie zu erlassen die Macht haben, durchzusetzen.

Als die Nationalsozialisten 1933 scheinlegal die Macht an sich rissen, trafen sie auf eine Beamtenschaft, die zwar in ihrer Mehrheit (klein-) bürgerlich-national, aber keinesfalls nationalsozialistisch eingestellt war. Diese Beamtenschaft war noch im Kaiserreich der allseits anerkannte Träger staatlichen Denkens und Handelns gewesen und in der Weimarer Zeit durch den wachsenden Einfluss von Parteien und Interessentengruppen verunsichert. Nicht wenige erhofften sich, durch die »Nationale Erhebung« wieder die alte Bedeutung zurückerlangen zu können.

Diese Hoffnungen wurden gerade in der Anfangszeit schnell enttäuscht. Das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« sprach in seiner Bezeichnung diese Sehnsüchte geschickt an, war aber das Gegenteil dessen, was sein Titel versprach, nämlich ein Gesetz, das die Entfernung von missliebigen Beamten aus dem Dienst ermöglichte. Die Nazis sahen sehr wohl, dass dieses Gesetz ihren Zielen nicht nur förderlich war, sondern auch die Gefahr in sich barg, sich die Beamten zu Gegnern zu machen. Deshalb sollte es ursprünglich nur auf drei Monate befristet sein, eine später verlängerte Frist, und deshalb wurde es auch derart gehandhabt, dass es im wesentlichen nur Beamte in Spitzenpositionen traf. Die Behauptung, dass in der Masse die Beamten Hitlers auch die Beamten von Weimar waren, liegt nicht so sehr von der Wahrheit entfernt.

Schwerer wog die Tatsache, dass sich insbesondere in der Anfangszeit die Nazis das Recht anmaßten, in den Ablauf der Verwaltung gegen Gesetz und Recht einzugreifen. Dies traf die auf eine sachbezogene Arbeit ausgerichteten Beamten empfindlich. Es kam hinzu, dass viele »alte Kämpfer« der NSDAP in der damaligen Zeit großer Arbeitslosigkeit mehr oder weniger mit Erfolg erwarteten, für ihren Einsatz nachträglich durch Einstellung in den öffentlichen Dienst belohnt zu werden. Da es ihnen vielfach an der erforderlichen Qualifikation fehlte, wurden Regeln geschaffen, die ihre Einstellung auch ohne eine solche ermöglichten.

Die Auflösung des Berufsbeamtentums und ihrer sachbezogenen Arbeit war mit Händen zu greifen.

Die Nazis hatten Anlass, den Beamten zu misstrauen. So führte Hitler auf der Reichsstatthalterkonferenz vom 1.11.1934 aus, die leitenden Posten seien zwar alle mit Nationalsozialisten besetzt, es sei jedoch »Tatsache, dass der Staat auch heute noch unter den Beamten Zehntausende teils versteckter, teils lethargischer Gegner habe« und ein »Teil der Beamten sei nunmehr von der offenen Sabotage zur passiven Resistenz übergangen«. Dies berechtigte Misstrauen war die Ursache für das Entstehen zahlreicher Sonderbehörden und Ämter für Aufgaben, an denen den Nazis besonders gelegen war und deren personelle Zusammensetzung sie von Anfang an bestimmen konnten.

Trotz dieser im Anfang nicht unproblematischen Verhältnisses zwischen dem Nationalsozialismus und der Beamtenschaft muss man feststellen, dass die Beamten, deren Mehrzahl aus der Zeit von Weimar übernommen war, den Nazis loyal, wenn nicht gar mit Hingabe gedient und ihnen geholfen haben, ihre Ziele zu verwirklichen. Allein das Scheitern des Kapp-Putsches weist aus, dass die Nazis schnell kläglich gescheitert wären, hätten die Beamten auch nur passiven Widerstand geleistet. Die gewaltige Nachrüstung, die den Zweiten Weltkrieg ermöglichte, wäre ohne die tätige Hilfe der Beamten nicht möglich gewesen: Die Sicherheitsdienste wurden von Beamten getragen, die Züge nach Auschwitz von Beamten gefahren.

Die Fragen nach diesem Versagen der Beamtenschaft sind noch kaum untersucht. Dies ist kein Zufall. Ihre Untersuchung müsste zu der Schlussfolgerung führen, dass Beamte eine Art Widerstandsrecht gegen unheilvolle Regierungsmaßnahmen zugebilligt erhalten. Welche Regierung, auch welche demokratisch legitimierte Regierung, kann hieran ein Interesse haben? Hätte sich dann die Aufstellung der Atomraketen in der BRD durchsetzen lassen? Ich bin sogar auf Grund vertraulicher Gespräche überzeugt, dass die Tätigkeit des Verfassungsschutzes alsdann anders aussehen würde; auch in diesem Bereich sind Beamte tätig, deren rechtsstaatliches Gewissen nicht erstorben ist. Ein umso größeres Interesse müssen wir als Bürger haben, der Frage des Verhältnisses der Beamten zu ihren Dienstherren damals und heute nachzugehen; es ist wahrlich nicht nur eine Frage von historischem Interesse.

Ich glaube, es gibt zwei Ursachen, die auch heute gepflegte Ideologie vom »unpolitischen« Beamten und ihre mangelnde Einübung in demokratischen Umgangsformen. Die Ideologie vom »unpolitischen« Beamten ist für beide Seiten bequem. Sie verpflichtet die Beamten zur Durchführung jedweder Anordnung und hilft, Anordnungen unabhängig von ihrem politischen Hintergrund durchzusetzen. Gleichzeitig entlastet es die Beamten von der Verantwortung. Die Einübung von Demokratie müsste heute unter dem Gesichtspunkt der Mitstimmung am Arbeitsplatz erfolgen. Sie aber würde für jede Regierung die einseitige Möglichkeit, Anordnungen zu treffen und durchzusetzen, einschränken.

Nach 1945 war die Möglichkeit offen für einen Neubeginn. Das Bundesverfassungsgericht hat nach 1949 — freilich in deutlich anderer Zusammensetzung als heute — mehrfach gegen erhebliche Kritik ausgesprochen, dass mit dem Zusammenbruch des Reiches alle Beamtenverhältnisse erloschen seien. Dieser Rechtsstandpunkt des höchsten Gerichts der BRD hätte es ermöglicht, einen wirklich demokratischen Beamtenkörper aufzubauen und nicht mit durch das Dritte Reich kompromittierten Beamten (und Richtern!) dort fortzufahren, wo man 1945 aufgehört hatte. Es ist anders gekommen. Fast allen Beamten ist die Rückkehr in den öffentlichen Dienst geglückt. Nur die Spitzenpositionen sind anders besetzt — und nicht einmal dies ist in jedem Falle geschehen, wie wir inzwischen wissen. Der Name von Adenauers Staatssekretär Globke mag für viele stehen. Das Gesetz zu Art. 131 GG hat sogar einen Anspruch auf Wiedereinstellung geschaffen und so die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterlaufen. Da Altnazis im Gebiet der heutigen DDR keine oder nur geringe Chancen (auch dort hat man in geringer Zahl Altnazis,: übernommen) hatten, drängten sie in den Westen. Für Bayern ist belegt, dass im öffentlichen Dienst nach 1945 mehr (ehemalige) Mitglieder der NSDAP beschäftigt waren, als vor 1945! In anderen Bundesländern mag es besser, aber kaum wesentlich anders gewesen sein. Von der niedersächsischen Justiz kann ich bezeugen, dass man hier den im »Osten verdrängten Kollegen« den Vorzug vor dem eigenen Nachwuchs gegeben hat. Personalreferent im niedersächsischen Justizministerium war der Ministerialdirigent Dr. Schulz, der mit einer Dissertation zu den Nürnberger Rassegesetzen promoviert hatte. Bei Bekanntwerden dieses Sachverhaltes konnte er mit Recht darauf hinweisen, dass diese Tatsache seinem Dienstherren bei seiner Beförderung bekannt war. Aber ich will hier nicht alte Geschichten erzählen. Wichtiger ist die Frage nach den Gründen. Sie sind — soll ich sagen: leider? — nicht in Blindheit oder Dummheit zu suchen. Es war das Zusammenspiel von bewusster Politik Adenauers und dem Zusammenhalt schon vor 1945 gebildeter Seilschaften. Die Wende ist etwa auf das Jahr 1950 zu datieren. Die Allianz zwischen den Westmächten und der Sowjetunion war in den »kalten Krieg« umgeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte Adenauer auch auf die Altnazis nicht verzichten zu können, um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik durchsetzen zu können. Hitlers Generale — um einen der Namen zu nennen: Speidel — hatten ihre Mitwirkung von der Einstellung der Kriegsverbrecherprozesse abhängig gemacht. Zudem ging es Adenauer um Wählerstimmen oder, vornehmer formuliert, darum, diesen Personenkreis für die Demokratie zu gewinnen. Dies ist zweifellos gelungen. Der damals sehr erfolgreiche »Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten« ist von Adenauer aufgerieben und in der CDU aufgesogen. Doch um welchen Preis?

Niemand wird rückblickend behaupten können, dass die Beamten aus der Zeit vor 1945 nach diesem Jahr nationalsozialistische Politik durchgesetzt hätten oder dies bewusst auch nur versucht hätten. Doch — so gestellt — scheint mir die Frage falsch zu sein. Die richtige Frage muss lauten, ob die Beamtenschaft insgesamt gesehen zu einem Motor demokratischen Fortschritts geworden ist. Leider muss man auch diese Frage verneinen, ohne vielen erfreulichen Ausnahmen unrecht tun zu wollen. Wir haben wieder — wenn man die Veränderung der Zeitverhältnisse von der Summe der Erscheinungen abzieht — dieselbe Beamtenschaft, wie vor 1933: fachlich tüchtig und persönlich integer, aber gewiss auch nicht der Kern des Widerstandes, wenn denn wieder die Versuchung an uns herantreten sollte.

In den Berufsverbotsprozessen der Gegenwart wird bei einer zahlenmäßig unbedeutenden Minderheit die Frage buchstabiert, ob sie die Gewähr bietet, dass sie jederzeit auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Hätte man diese Frage doch bei den Mitgliedern der NSDAP nach 1945 gestellt, die immerhin aus freien Stücken einer Partei beigetreten waren, die man getrost als terroristische Vereinigung kennzeichnen darf!

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