Die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung: Stern- oder Geisterstunde des Parlaments?
Mitteilungen Nr. 196, S. 12-13
Rosemarie Will
29 Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Patientenverfügung durch die Humanistische Union fehlt noch immer eine gesetzliche Regelung. Über die im Ernstfall entscheidende Frage, welche Verbindlichkeit eine solche Verfügung in einer konkreten Behandlungssituation hat, mussten und müssen immer wieder die angerufenen Gerichte entscheiden. Dieses in der ständigen Rechtsprechung entstandene Richterrecht zu Patientenverfügungen hat entscheidende Nachteile: Es ist selbst unter Ärzten und Pflegern kaum bekannt, seine Interpretation ist auch unter den obersten Richtern umstritten.
Insofern ist es zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber nach jahrzehntelanger Diskussion endlich handeln will und eine Entscheidung über die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung angekündigt hat.
Mit unserer Tagung „Die Freiheit zu sterben“ am 27. Februar in Berlin wollten wir dem Gesetzgeber auf die Sprünge helfen. Zum Abschluss dieser Veranstaltung hatten wir Abgeordnete aller Fraktionen zu einer Podiumsdiskussion geladen, um die verschiedenen Optionen des bevorstehenden Gesetzgebungsprozesses aufzuzeigen. Die Diskussion zeigte einmal mehr, dass in der Frage der Selbstbestimmung am Lebensende die Grenzen weniger entlang der Parteien, sondern eher entlang religiös-kultureller Identitäten verlaufen. Die Abstimmung über die Gesetzentwürfe soll deshalb auch vom Fraktionszwang freigestellt werden. Zum Zeitpunkt unserer Tagung standen drei fraktionsübergreifende Gruppenanträge gegeneinander, von denen jedoch erst zwei Anträge konkret vorlagen: Einerseits der Entwurf des Arbeitskreises Recht der SPD-Fraktion, der von Joachim Stünker vertreten wurde. Dagegen stand ein Gruppenantrag der Abgeordneten René Röspel, Margot von Renesse und Ulrike Riedel. Ein dritter, in Vorbereitung befindlicher Antrag der CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach und Markus Grübel wurde innerhalb der CDU/CSU-Fraktion abgestimmt und ist mittlerweile mit dem Entwurf von René Röspel fusioniert. Bündnis 90/Die Grünen und die Linkspartei zeigten auf der Podiumsdiskussion ein so unentschiedenes bis entscheidungsunwilliges Meinungsbild ihrer Parteien, dass von ihnen kein weiterer Vorschlag in dieser Frage zu erwarten ist. Dagegen hob sich allein die FDP mit einer klaren Mehrheitsposition ab: Ihr Abgeordneter Michael Kauch erklärte, dass seine Fraktion mit großer Mehrheit an ihrem Antrag zur Regelung der Patientenautonomie aus der letzten Legislaturperiode festhalten werde. Da sich dieser Antrag kaum von dem Vorschlag des Arbeitskreises Recht der SPD unterscheide, strebe man derzeit einen gemeinsamen Gesetzentwurf an.
Das Gesetzgebungsverfahren wird also aller Voraussicht nach zwischen drei „Lagern“ ausgetragen: Der „Antrag Stünker“ steht gegen den „Antrag Bosbach und Röspel“. Hinzu kommt, wie auf unserer Tagung von Monika Knoche (Linkspartei) vertreten, eine dritte Gruppe von Abgeordneten, die eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung immer noch ablehnt. Unter denjenigen, die den Regelungsbedarf akzeptiere, wird um drei Sachfragen gestritten: 1. Soll die Reichweite der Patientenverfügung eingeschränkt werden? 2. Ist die Entscheidung des Betreuers, mit der er die Patientenverfügung durchsetzt, vom Vormundschaftsgericht zu genehmigen? 3. Sollte neben der zivilrechtlichen Regelung der Patientenverfügung auch eine strafrechtliche Regelung geschaffen werden, die klarstellt, welche Formen der Sterbehilfe erlaubt sind?
Der weitest gehende Antrag: Entwurf des Arbeitskreises Recht (Stünker u.a.)
Dieser Antrag knüpft an einen in der vorherigen Legislaturperiode vom Bundesjustizministerium vorgelegten Referentenentwurf an, der im Kabinett der rot-grünen Bundesregierung jedoch scheiterte. Der Vorschlag setzt auf eine weitgehende Autonomie der Patienten. Demnach soll eine Patientenverfügung die Entscheidung des Betreuers ersetzen, wenn der in der Patientenverfügung geregelte Fall eintritt ( § 1901 a Absatz 1 des Entwurfs zum Bürgerlichen Gesetzbuch – BGB-E). In allen anderen Fällen sei der mutmaßliche Wille des Patienten vom Betreuer zu ermitteln ( § 1901 a Absatz 2 BGB-E). Der Patientenwille ist bei diesem Vorschlag unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung bindend ( § 1901 Absatz 3 BGB-E).
Der Gruppenantrag zur Einschränkung der Reichweite von Patientenverfügungen (Bosbach, Röspel u.a.)
Welcher Vorschlag wird sich durchsetzen?
Anlässlich der ersten Plenardiskussion des Bundestags am 29. März 2007 hat die HU auf die problematischen Beschränkungen der Patientenautonomie durch den Gruppenantrag hingewiesen. Diese und weitere Informationen zum Gesetzgebungsverfahren finden sich unter
https://www.humanistische-union.de/bioethik/
Kategorie: Patientenverfügung