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Erster Versuch der gesetz­li­chen Regelung von Patien­ten­ver­fü­gungen

08. August 2008

Gesetzgebungsverfahren auf der Kippe – was kann die Humanistische Union tun? Aus: Mitteilungen Nr. 201, S. 15-17

Rosemarie Will

Am 26. Juni 2008 hat der Deutsche Bundestag in erster Lesung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Betreuungsrechts beraten. [1] Der Entwurf will das Rechtsinstitut der Patientenverfügung im bürgerlichen Recht festschreiben ( § 1901a Abs. 1 BGB). Nach der Sommerpause werden die Beratungen in den Bundestagsausschüssen erwartet, die 2. und 3. Lesung mit der Abstimmung über das Gesetz werden frühestens im späten Herbst stattfinden.
Dieser erste Versuch des Gesetzgebers, die Patientenverfügung gesetzlich zu regeln, ist längst überfällig. Es ist jedoch keineswegs ausgemacht, dass der Entwurf die erforderlichen Mehrheiten erreicht. Beim jetzt beratenen, so genannten Stünker-Entwurf, handelt es sich um einen gemeinsamen Vorschlag von 206 Abgeordneten von insgesamt 612 Mitgliedern des Bundestages. Das dürfte für die Mehrheit noch nicht reichen. Bisher haben den Entwurf 113 von 222 SPD-Abgeordneten, 43 von 61 FDP-Abgeordneten und jeweils 25 Abgeordnete der LINKEN und von Bündnis 90/Die Grünen (bei 53 bzw. 51 Fraktionsmitgliedern) unterschrieben. Die zur Mehrheitsbildung benötigten weiteren 100 Stimmen müssten aus den selben Fraktionen wie die Antragssteller gewonnen werden, da sich CDU/CSU massiv gegen eine allgemeine Verbindlichkeit von Patientenverfügungen wehren. Ob diese Mehrheit erreicht werden kann, ist noch offen.

Blocka­de­po­litik

Nachdem das Parlament bereits im letzten Jahr über die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung diskutierte, erwarteten Beobachter eine Debatte dreier Gesetzentwürfe. Die Abgeordneten Bosbach, Röspel u.a. hatten einen Gegenentwurf angekündigt, hinter dem vor allem die CDU/CSU-Fraktion und ein Teil der SPD-Fraktion stehen. Ihr Vorschlag sah eine strikte Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen vor, die nur noch dann verbindlich sein sollten, wenn die Grunderkrankung bereits einen irreversiblen, tödlichen Verlauf genommen hat. Da in einem solchen Fall der Arzt ohnehin zur Sterbebegleitung verpflichtet ist, wäre eine Patientenverfügung in diesem engen Zeitfenster nahezu wirkungslos. Als dritten Entwurf hatte der Abgeordnete Strecker einen vermittelnden Vorschlag angekündigt. [2]
Ein Jahr nach der Eröffnungsdebatte und der Ankündigung der drei Gesetzentwürfe war die Geduld der Stünker-Fraktion offenbar aufgebraucht. Um die Verzögerungstaktik der Gegner einer gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen zu beenden, brachte Joachim Stünker seinen Entwurf ins Parlament ein und eröffnete damit das Gesetzgebungsverfahren. Theoretisch könnten die anderen Gruppierungen ihre Entwürfe noch ins laufende Gesetzgebungsverfahren einbringen und versuchen, dafür eine Mehrheit zu erringen. Ihre Erfolgsaussichten dafür sind eher als gering einzuschätzen. Umso wahrscheinlicher ist es, dass diese beiden Abgeordnetengruppen gegen den Stünker-Entwurf stimmen werden.
Damit zeichnet sich im Parlament eine Patt-Situation ab. Bekommt kein Entwurf die erforderliche Mehrheit, bleibt alles so wie es ist. Das bisher in der Bundesrepublik zur Patientenverfügung geltende Richterrecht gilt fort, aber dieses über viele Rechtstreite entstandene Recht ist unübersichtlich, unzureichend und teilweise in sich widersprüchlich. Deshalb kommt es immer wieder zu Konflikten und langwierigen Rechtsstreitigkeiten. So wird wiederkehrend darüber gestritten, ob eine Patientenverfügung auch dann gilt, wenn die Grunderkrankung noch keinen irreversiblen tödlichen Verlauf genommen hat, wenn z.B. der Patient im Wachkomma liegt. Aber weder dem Sterbenden, ihren Nächsten noch den behandelnden Ärzten und Pflegern ist in dieser Situation Rechtstreit oder gar Rechtsverweigerung zuzumuten.
Neben der Realisierung von Fürsorge und Hilfe gegenüber dem Sterbenden gilt es, auch seine Rechtspositionen zu sichern und zu stärken. Es ist an der Zeit, endlich Klarheit über die Verbindlichkeit und Wirksamkeit von Patientenverfügungen durch eine gesetzliche Regelungen zu schaffen. Beim Streit um die gesetzliche Regelung geht es letztlich immer um die Stärkung grundrechtlicher Positionen, um die Sicherung der Selbstbestimmung und der Würde der Patienten, Pflegebedürftigen und Sterbenden. Obwohl Patientenverfügungen – auch dank der Humanistischen Union – in den letzten Jahrzehnten immer populärer und wichtiger geworden sind, fehlt es bis heute an einer gesetzlichen Regelung. Der Gesetzgeber ist bisher blind geblieben vor dem existenziellen Problem des Sterbens. In der Politik wird das Thema Sterben nach wie vor am liebsten tabuisiert. Dieses Tabu muss endlich mit gesetzlichen Regelungen zum Thema Sterbehilfe/ Patientenverfügung gebrochen werden, damit in der Gesellschaft neben den individuellen Vorstellungen über den eigenen Tod auch Rechtsicherheit über die Rechte des Sterbenden und die Pflichten der ihn dabei Begleitenden entsteht. Die gesetzliche Anerkennung der Bindungswirkung von Patientenverfügungen ist ein wichtiger Schritt dafür.

Was bringt der Stünker-­Ent­wurf?
Wie können wir eine Kampagne zu Patien­ten­ver­fü­gung und Sterbehilfe führen?

Rosemarie Will
lehrt öffentliches Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Bundesvorsitzende der Humanistischen Union

Anmerkungen:

Kategorie: Patientenverfügung: Positionen

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