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Was lange währt, wird endlich gut?

11. September 2009

Erstes Gesetz zur Patientenverfügung endlich da. Einsatz der Humanistischen Union hat sich gelohnt. Aus: Mitteilungen Nr. 205/206 (2+3/2009), S. 14-16

Rosemarie Will

Was lange währt, wird endlich gut?

Am 18. Juni 2009 hat der Bundestag erstmals ein Gesetz zu Patientenverfügungen verabschiedet. Damit beendete das Parlament kurz vor den Neuwahlen (und dem drohenden Verfall aller eingebrachten Gesetzentwürfe) ein jahrelanges Ringen um die Anerkennung der Patientenautonomie. Das „Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts“ – so der offizielle Titel – trat am 1. September 2009 in Kraft. Gegenüber dem bisherigen Rechtsstand erweitert es die Patientenautonomie nicht unmittelbar. Es ist jedoch ein Versuch, das in den letzten Jahren zum Teil widersprüchliche Richterrecht zu vereinheitlichen. So könnte das Gesetz Rechts- und Verhaltenssicherheit für alle Beteiligten schaffen – wichtig für Sterbende wie ihre Angehörigen, für Ärzte, Pfleger und Betreuer.

Vom Erfolg überrascht

Das Abstimmungsergebnis kam für viele Beobachter überraschend. Deutlicher als erwartet setzte sich mit 317 von 555 abgegebenen Stimmen der Entwurf des Abgeordneten Stünker durch, der dem Anspruch der Selbstbestimmung am ehesten gerecht wird und den die Humanistische Union als gesetzgeberisches Minimum gefordert hatte. Gegen ihn standen zwei konkurrierende Entwürfe (vgl. Mitteilungen 204, S. 8/9) sowie ein kurz zuvor noch eingereichter Vorschlag (BT-Drs. 16/13262) zum Verzicht auf jegliche gesetzliche Regelung zur Abstimmung. Bis zuletzt hatten sich die Vertreter der verschiedenen Entwürfe nicht auf eine Abstimmungsreihenfolge einigen können (so dass zunächst über diese entschieden werden musste), und auch das von vielen erwartete Zusammengehen der beiden nah beieinander liegenden Entwürfe von Stünker/Kauch und Zöller/Faust kam nicht zustande.
Dass die Entscheidung am Ende so deutlich ausfiel, dazu trugen mindestens drei Faktoren bei: Zunächst einmal hatte der Abgeordnete Stünker nach der Anhörung des Rechtsausschusses einige Ergänzungen in seinen Vorschlag aufgenommen (s. BT-Drs. 16/13314), die jene von der Fürsorge-Fraktion vorgebrachte Kritik eines Verfügungs-Automatismus entkräften sollte. Dazu gehörte ein ausdrückliches Verbot, dass niemand zur Errichtung einer Patientenverfügung gezwungen werden dürfe und dass eine Kopplung von Patientenverfügungen an andere Vertragsabschlüsse unzulässig sei (§ 1901a  Abs. 4 BGB). Zudem empfahl der Entwurf jetzt, dass Angehörige und Vertrauenspersonen vor der ärztlichen Entscheidung angehört werden sollen, um mutmaßliche Änderungen des Patientenwillens auszuschließen (§ 1901b Abs. 2 BGB).
Daneben ist das Abstimmungsergebnis Ausdruck einer zunehmenden Etablierung von Werten der Autonomie und der Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft: Bis zuletzt hatten die beiden Kirchen, hatten Vertreter der Hospizbewegung und der Präsident der Bundesärztekammer vor den vermeintlichen Gefahren eines Patientenverfügungsgesetzes gewarnt. Ihre düsteren Szenarien – Patienten, die einer früher verfassten Patientenverfügung schicksalhaft ausgeliefert seien und diese nicht mehr widerrufen könnten; die Furcht vor massenhaften Selbsttötungen; das aus Kostengründen induzierte Abdrängen alter und kranker Menschen in den Tod – all diese Szenarien konnten die Mehrheit nicht mehr wirklich davon überzeugen, dass eine paternalistische Fürsorge die bessere Alternative sei. Umfragen unter der Bevölkerung verweisen seit Jahren darauf, dass sich gerade ältere Menschen eher vor zu viel Behandlung fürchten und der Beachtung eigener Behandlungswünsche oberste Priorität eingeräumt wird. Die Zeiten, als Arzt und Staat zugestanden wurde, sie wüssten was besser für den Betroffenen sei, sind vorbei. Dieser Wertewandel scheint nun auch unter den Parlamentariern angekommen zu sein.
Dass sich dieser Wertewandel durchgesetzt hat, ist nicht zuletzt ein Verdienst jener Gruppen und Initiativen, die sich seit Jahrzehnten für mehr Selbstbestimmungsrechte von Kranken und Sterbewilligen einsetzen – und damit auch ein Verdienst der Humanistischen Union. Sie gehörte zu den ersten, die Ende der 1970er Jahre eine Patientenverfügung in Deutschland einführte. Dank der von uns seit 30 Jahren vertriebenen Mustertexte, durch zahlreiche Veranstaltungen und Fachtagungen (von 1978 bis 2007) haben wir die Idee einer selbstbestimmten Verfügung über das eigene Lebensende erfolgreich propagiert und immer wieder deutlich gemacht, dass die Selbstbestimmung über den eigenen Körper für uns zum Kernbereich der durch das Grundgesetz geschützten Würde und Freiheit  des Menschen gehört. Auch in diesem Jahr, im Vorfeld der bevorstehenden Entscheidung des Bundestages, hatte sich die Humanistische Union ins Zeug gelegt. Im Frühjahr hatten wir in Brandenburg eine Kampagne zur direkten Auseinandersetzung mit den Abgeordneten gestartet und in der Woche vor der Abstimmung alle Bundestagsabgeordneten noch einmal angeschrieben, um für den Stünker-Entwurf als weitest gehenden Konsens zu werben. Zugleich haben wir dabei auf die weitergehenden Forderungen der HU und unseren eigenen Gesetzesvorschlag verwiesen.

Was bringt das Gesetz?
Was bleibt für uns zu tun?

Rosemarie Will
ist Professorin für Öffentliches Recht an der Humboldt-Universität
und Bundesvorsitzende der Humanistischen Union

3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29.07.2009, veröffentlicht in: Bundesgesetzblatt 2009, Teil I Nr. 48, S. 2286-2287. Der Text findet sich in der BT-Drucksache 16/13314.

Informationen rund um das Thema Patientenverfügung sowie die Mustervordrucke der Humanistischen Union finden sich unter:

Kategorie: Patientenverfügung: Gesetzgebung

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