Laudatio zur Preisverleihung gehalten von Dr. Klaus von Welser (in Auszügen)
Datum: | Freitag, 01. Januar 1999 |
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Mitteilungen Nr. 165, S. 21
[…] Das Ehepaar Obermeier lebt in Bruckmühl. Eine Tochter geht dort zur Schule. Seit 1995 kämpfen Obermeiers darum, daß in den Klassenräumen keine Kreuze hängen. Zunächst schien es, als hätten sie Erfolg. Im August 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht seinen berühmten Beschluß veröffentlicht, daß die Vorschrift im Bayerischen Schulrecht, wonach in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen ist, „mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig“ ist. Das Verwaltungsgericht München erließ eine entsprechende Einstweilige Anordnung, die Schule in Bruckmühl sperrte sich erst, leistete aber doch Folge, wenngleich nur auf Androhung von Zwangsmaßnahmen. Dann, durch das neue bayerische Kruzifixgesetz bricht der Streit erneut aus. Nach langem Hin und Her gelangt auf dem Weg über das Bayerische Verwaltungsgericht die Sache endlich zum Bundesverwaltungsgericht. Dort wird möglicherweise in diesem Frühjahr entschieden.
Zur zeit– und geldraubenden gerichtlichen Auseinandersetzung kommen weitere mit Schulbehörde, Religionslehrerin, Elternbeirat. Demonstratives Tragen großer Pappkreuze auf Anleitung der Religionslehrerin. Eine andere Lehrerin weigert sich, die Tochter zu unterrichten. Statt die Lehrerin zu versetzen, will die Schule die Tochter versetzen. Telefonate, Beschwerden, keine Einigung. Dann der große Coup: gegenüber dem Hause der Obermeiers wird ein überdimensionales Kreuz errichtet, damit sie es ständig vor Augen haben. Auch hier wieder gerichtliche Auseinandersetzungen, erfolglos, weil Privatgrundstück, aber nicht folgenlos für die Menschen. Was sagt man zu solcher Provokation? Man sagt zum Beispiel einen Satz von Lichtenberg: „Ist es nicht merkwürdig, daß die Menschen so gern für die Religion fechten und so ungern nach ihren Vorschriften leben?“
So viel Rechthaberei, Drohbriefe, Auftritte, Ausschmieren und Anschmieren, Nasedrehen und Bedrohen, Nicht–mehr–miteinander–Reden und Hinterm–Rücken–Tuscheln, skurrile Unterstellung, Absurdes alltäglich, nicht zu fassen. Es ist begrifflich nicht zu fassen und praktisch nicht zu bewältigen. […]
Warum ist denn das so schwer? […] Wie kommt es denn, daß wir uns menschenunwürdige Vorschriften machen lassen, Vorschriften, die sogar unserem Gesetz widersprechen wie z.B. dem Grundgesetz der Religionsfreiheit?
Soviel ich habe herausbringen können, sind auch beide Eheleute Obermeier nicht als Helden geboren worden. Beide Mitte der 50er Jahre zur Welt gekommen, Chung Yee Tang in Honkong, Sepp Obermeier in Bruckmühl, beide mit religiöser Erziehung. Sie haben ihre Berufe erlernt, sie Industriekauffrau, er Ingenieur, also normale Menschen im besten und harmlosesten Sinne dieses Wortes. Und ich kann auch nichts Ungewöhnliches daran erkennen, daß beide zur Kirche in Distanz gingen bzw. austraten, da haben sie ja noch ein paar Millionen Deutsche an ihrer Seite. […]
Warum also – die Frage ist noch nicht beantwortet – braucht es bei uns so viel Mut, einen eigenen ersten Schritt zu tun und den Aufrechten Gang zu beginnen? Leben wir nicht in aufgeklärten Zeiten, haben wir nicht die Demokratie und den Rechtsstaat, und ist nicht heute eher zu viel erlaubt auf allen Feldern als zu wenig?
Die Antwort heißt wohl, wir haben aufgeklärte Zeiten und Demokratie und Rechtsstaat, und vieles ist erlaubt, das früher verboten war – aber, das sind papierene Worte, bloße Wörter, wenn nicht konkrete Menschen im einzelnen konkreten Fall den Mut aufbringen, die Regeln in Frage zu stellen. All die genannten edlen Begriffe sind nichts wert, und die Normen, für die sie stehen, können über Nacht gestrichen werden, wenn wir die wesentliche Essenz nicht begreifen, daß die Minderheit lebensnotwendig ist. Denn sonst wären wir eine bloße Massengesellschaft. Es ist erschreckend, daß ein Bischof seinerzeit ankündigen konnte, er wolle dafür sorgen, „daß uns bayrischen Christen nicht von einer verschwindend kleinen Minderheit egoistische Einschränkungen diktiert werden“. (Eder, Passau)
[…] Hier wird schon ungefähr deutlich, warum es heute immer schwerer wird, seine individuellen Rechte zu nutzen (übrigens nicht nur egoistisch, sondern womöglich auch zum Wohle der Anderen, z.B. wenn man persönlich etwas Neues testet); schwerer auch dort, wo es formal rechtlich noch möglich wäre: in der Massengesellschaft. […]
Der vollständige Text der Rede von Klaus von Welser kann über den Ortsverband der Humanistischen Union München bezogen werden.