Verleihung des Fritz-Bauer-Preises 2004 an Susanne von Paczensky
Datum: | Mittwoch, 06. Oktober 2004 |
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Mitteilungen Nr. 187, S,10-11
[…] Liebe Freundinnen und Freunde!
Geboren wurde diese erstaunliche Person 1923 als Susanne Czapski. Daß der Vater Volkswirt und die Mutter Lyrikerin war, wußte das Kind. Aber daß die Mutter zu den Ariern zählte, und ihr Vater als Jude galt, war ihr nicht bewußt. Das erfuhr sie erst, als 1933 die ersten Hetzparolen gegen Juden am Straßenrand auftauchten. […] Nach dem Abitur gab es für eine Halbjüdin keinen Studienplatz. Das Fräulein Czapsky […] zog nach Freiburg und fälschte sich kurzentschlossen, um studieren zu können, einen Ariernachweis. Juristin wollte sie werden.
1943 meldete sich die Studentin zu einem Arbeitseinsatz nach Litauen. Eigentlich sollte sie dort Deutsch unterrichten, aber in Wahrheit wollte sie nach Familienmitgliedern forschen, die nichts mehr von sich hören ließen. Vor Ort fand sie heraus, daß der Onkel verschollen und die geliebte Kusine erschossen worden war. Diese Nachricht, die Bilder vom Ghetto in Wilna, die zerlumpten Gestalten, die aufgehängten Juden – all das hat sie tief erschüttert und ihr Leben verändert. Noch kurz vor Kriegsende flog die Arierfälschung auf und sie mußte in einem Dorf untertauchen. […]
Ich denke, diese Jugend und diese Ereignisse sind das Fundament, auf dem diese bewundernswerte Frau fest steht. (Für sie wird das ganz Persönliche später ganz Politisch.) Diese Erfahrungen sind ihr zum lebenslangen Antrieb geworden für ihren leidenschaftlichen Einsatz für die Menschenrechte.
Jetzt, nach 1945, beginnt ein neues und freies Leben für Susanne Czapski. An Studium ist erst einmal nicht zu denken (viel später, mit über 50, promoviert sie in Soziologie). Die 22 Jährige bewirbt sich bei den Amerikanern für die Nachrichtenagentur Dana – wird angenommen und nach nur 3 Monaten Journalistenlehrzeit wird sie zur Berichterstattung beim Nürnberger Prozeß ausgewählt, als einzige Frau. Neun Monate lang berichtet sie täglich von den Gräueltaten der Hauptverantwortlichen. Für sie ist diese harte Aufgabe auch zugleich eine Herausforderung – sie wird sich immer dafür einsetzen, daß das nicht vergessen wird.
Nach dem Prozeß geht sie zur neugegründeten Tageszeitung DIE WELT. Sie heiratet einen Kollegen und heißt jetzt Susanne von Paczensky. Gemeinsam wird das Paar als Auslandskorrepondenten nach London, später nach Paris entsendet. Sie bekommen zwei Kinder – beide sind heute hier. […]
Im Jahr 1969 hört man aus den USA von den dort rebellierenden Frauen. Susanne von Paczensky, die immer Neugierige, will dabei sein und fährt doch glatt zur ersten großen Frauendemo nach New York. Das wird die Initialzündung. Jetzt gehört sie zur beginnenden deutschen Frauenbewegung, gründet mit anderen in Hamburg die Frauengruppe F.R.A.U. Sie beteiligt sich am Bekenntnisaufruf des Stern „Ich habe abgetrieben“ und später bei der bundesweiten „Frauen-Initiative 6. Oktober“. Natürlich spiegeln sich solche Aktivitäten in ihrer journalistischen Arbeit wieder. Mehr und mehr schreibt sie über die Themen der Frauenbewegung. Das führte nun wiederum dazu, daß sie 1978 ausgewählt wird, für den Rowohlt Verlag die Reihe rororo „Frauen aktuell“ herauszugeben. Im Vorwort zu der Reihe postuliert sie das politische Motto für diese Bücher (ich zitiere):
„Wir gehen davon aus, daß der Kampf um Menschenrechte notwendig auch ein Kampf um Frauenrechte sein muß. Wir wissen, daß Frauen speziellen Formen der Unfreiheit und der Ungerechtigkeit unterworfen sind, daß ihre Beteiligung am politischen Handeln auf besondere Hindernisse stößt. Diese Hindernisse sichtbar zu machen, wo möglich abzubauen – durch Erfahrungsberichte, Erklärungsversuche und Lösungsvorschläge – ist das Ziel von Frauen aktuell.“ […]
Es war ihr Ehrgeiz, einen ganz neuen Typ von Sachbüchern zu schaffen: bei allem politischen Ernst sollten sie wenn möglich auch locker und vergnüglich zu lesen sein. Und das ist ihr immer wieder gelungen. Sie hat ihre Autorinnen sanft und erfolgreich dazu ermutigt, lebendig zu schreiben. Und wie viele Frauen hat sie angeregt, überhaupt ihr erstes Buch zu machen! Unter anderem auch mich! Eigentlich sollte es ein Buch über mein damaliges HU-Projekt, das Antidiskriminierungsgesetz werden. Wir waren zum ersten Mal auf dem Flughafen verabredet, musterten uns von weitem und fielen uns dann gleich um den Hals – Liebe auf den ersten Blick! Es wurde dann ein ganz anderes Buch – aber seitdem sind wir Freundinnen. Zahlreiche der damaligen Autorinnen sind noch heute mit Susanne befreundet. Das ist ja auch eine der wunderbaren Folgen der Frauenbewegung – die vielen vielen Frauenbegegnungen !
In der Reihe erschienen immer wieder Titel zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Einer hieß: „Die neuen Moralisten“. Ja, die Moralisten! Junge Leute heute können sich wohl gar nicht mehr vorstellen, welche Feindschaft uns Frauen damals entgegen schlug, wenn wir die Abschaffung des § 218 forderten. Ich erinnere mich an Nonnen, die unser Flugblatt erst zerrissen, dann zerknüllten und dann mit ihren schwarzen Schuhen zornig darauf herumtraten, wie um es in den Boden zu stampfen.
Unsere Devise hieß: ersatzlose Streichung. Eine so klare Forderung klang für viele unglaublich radikal. Sogar auch für die HU. Eine Reform – ja. Eine Fristenregelung – ja. Aber Abschaffung? Ersatzlose Streichung? Im Bundesvorstand stritten wir erbittert. Ich sehe noch die beiderseitige Fassungslosigkeit, als mir entgegengehalten wurde, man könne doch nicht im Ernst den Frauen ganz allein diese Entscheidung überlassen. […]
Der Gegenwind war stark. In der Öffentlichkeit kam der Widerstand vor allem von der Kirche. Das katholische Frauenbild und dazu das Mutterideal des dritten Reiches – eine unheilige Allianz. Uns wurde Leichtfertigkeit vorgeworfen, bis hin zum Vorwurf „Mörderinnen“. […]
S.v.P. läßt ihrer Überzeugung jetzt auch Taten folgen: 1982 plant und gründet sie – mit anderen – das Hamburger Familienplanungszentrum (FPZ). Hier können Frauen, die ungewollt schwanger sind, den Abbruch machen lassen. Zwei Dinge sind dabei revolutionär:
1.) Krankenhäuser bevorzugten damals noch die rabiatere Ausschabung und bestanden immer auf mehrtägigem Aufenthalt. Hier wurde der Abbruch legal und von Ärzten mit der schonenden Absaugmethode ambulant vorgenommen und,
2.) das scheint mir ebenso wichtig – die Frauen wurden in ihrer Entscheidung respektiert und anteilnehmend begleitet. Die freundliche Atmosphäre dort bedeutete eine ungeheure Erleichterung für Frauen, die im Krankenhaus bestenfalls feindliche Duldung erwarten konnten, wie ich sie z.B. in bayerischen Krankenhäusern erfahren habe. […]
Über den Vorgang selbst, über den Abbruch, gab es damals keinerlei Dokumentation, außer den von der katholischen Kirche verbreiteten Hetzfilmen mit zerstückelten Babybeinchen. S.v.P. initiierte den ersten sachlichen Aufklärungsfilm, er wurde im FPZ gedreht. Er heißt „Ein kurzer Film über den Schwangerschaftsabbruch“.
In all ihren Büchern, in allen Diskussionen, in diesem Film – immer wieder hat S.v.P. ihre Überzeugung vertreten: der Mensch beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Noch heute wird ja viel Verwirrung gestiftet, indem man für den Embryo dieses neblige Wort vom menschlichen Leben benutzt, um zu suggerieren, es sei eben doch schon ein Mensch. Damals spricht S.v.P. ganz sachlich von einem „Löffelchen Schleim“, das bei einem rechtzeitigen Abbruch abgesaugt wird. In diesem Sinne ist der Film ein Schritt zur Entdämonisierung eines Abbruchs. […]
Und nun komme ich am Schluß noch zu einer direkten Verbindung zwischen S.v.P und der Humanistischen Union. Es war 1989, die Vereinigung mit der DDR stand vor der Tür. In der Präambel des Grundgesetzes war festgelegt, dieses – provisorische – Grundgesetz gilt nur, bis die beiden deutschen Staaten vereinigt sind. Erst dann soll es eine deutsche Verfassung geben. Uns war klar, daß sich jetzt die einmalige Chance bot, in eine neue Verfassung endlich die Forderungen der Frauen an die Grundrechte einzufügen. Stellen Sie sich vor, am Frühstückstisch stecken drei Frauen die Köpfe zusammen, um diese Forderungen auszuhecken: S.v.P, Renate Sadrozinski und ich. Für unsere Forderungen fanden wir auch gleich den zündenden Titel: Frauen in bester Verfassung.
Die HU übernimmt unsere Forderungen und trägt durch eine breite Öffentlichkeitsarbeit wesentlich dazu bei, daß – immerhin – eine Forderung auch tatsächlich in das Grundgesetz übernommen wurde – die Ergänzung des Artikel 3, Abs.2 GG. „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Allzu eifrig hat sich der Staat in dieser Beziehung allerdings seitdem noch nicht gezeigt. […]
Als Fazit möchte ich ihr Motto für die Buchreihe auf ihr eigenes Leben übertragen: Der Kampf um Menschenrechte war für S.v.P. notwendig auch ein Kampf um Frauenrechte. Frauen sind speziellen Formen der Unfreiheit und Ungerechtigkeit unterworfen, ihre Beteiligung am politischen Handeln stößt auf besondere Hindernisse. Diese Hindernisse sichtbar zu machen und wo möglich abzubauen, das war ihr Ziel – und das ist ihr gelungen.
Die Laudatio hielt