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Verfas­sungs­po­si­ti­onen müssen erkämpft werden!

Mitteilungen19707/2007Seite 11

Mitteilungen Nr. 197, S. 11

„Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“ So lautet seit jeher der Satz, mit dem Bürger und Bürgerinnen dazu gebracht werden sollen, ihre Freiheitsrechte dem staatlichen Ermittlungseifer anheim zu stellen. Auch Christian Rath appelliert an das Vertrauen in die polizeiliche Selbstbeschränkung. Wir lebten ja nicht in einer Diktatur, in der die Polizei automatisch auf der anderen Seite stünde.

Christian Rath soll das Vertrauen ruhig behalten – für die Bürgerrechtsbewegung ist die freiwillige Preisgabe von Verfassungspositionen jedoch fehl am Platze! In einer rechtsstaatlichen Demokratie müssen die Bürger nicht darauf vertrauen, dass die Staatsmacht schon sorgsam mit den Freiheitsrechten ihrer Bürger umgehen wird. Die Grenzen, innerhalb derer staatliche Macht gegenüber den Bürgern ausgeübt werden darf, bestimmt noch immer der Souverän (das Parlament) und nicht die Exekutive. Dieser Umstand unterscheidet gerade eine Demokratie von einer Diktatur.

Vertei­di­gung der Grundrechte

Der Schutz der Grundrechte ist jedoch weder gottgegeben noch für alle Zeiten feststehend. Wie freiheitlich unsere Gesellschaft ist, hängt von den politischen Kräfteverhältnissen und gerade auch davon ab, wie stark bürgerrechtliche Positionen verankert sind. Es gibt nur so viel Verfassungswirklichkeit und Rechtsstaatlichkeit, wie ihre Verteidiger erkämpfen!

Gegen die Einführung des großen Lauschangriffes 1998 protestierte ein breites Bündnis und setzte sich dafür ein, Artikel 13 Grundgesetz (Unverletzlichkeit der Wohnung) unangetastet zu lassen. Nachdem die damalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger wegen eines Votums ihrer Partei für den Lauschangriff bereits 1995 zurückgetreten war, hing es an der Positionierung der SPD, ob es zu der Grundgesetzänderung kommen sollte. Gegen den großen Lauschangriff protestierte nicht nur die Humanistische Union und andere Bürgerrechtsorganisationen. An die SPD richtete sich ein von zahlreichen Staatsrechtslehrern unterzeichneter Aufruf gegen die Einführung des großen Lauschangriffs. Auch Berufsverbände taten ihren Protest kund. Auf dem SPD-Parteitag Ende 1997 wurde die Rede von Otto Schily, der seine Verhandlungsergebnisse mit der Union präsentierte, begleitet vom Protest zahlreicher Jungdemokraten, die sich als Journalisten, Ärzte oder Anwälte verkleidet hatten und Schilder mit der Aufschrift „Die Wände haben Ohren“ hochhielten.

Das Einknicken der SPD konnte gleichwohl nicht verhindert werden. Folge des Protests war aber, dass die Berufsgruppen, die Geheimnisträger sind, vom Lauschangriff ausgenommen wurden. So dürfen auch die Arbeitsräume des Journalisten Christan Rath nicht verwanzt werden.

Das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom März 2004, mit dem der große Lauschangriff begrenzt wurde, erstritten übrigens Bürgerrechtler. Die Stärkung des Rechts auf Intimsphäre, die Christian Rath lobt, ist nicht vom Himmel gefallen. Eine Haltung nach dem Motto „das Bundesverfassungsgericht wird es schon richten“ blendet aus, dass es ohne den politischen Druck, ohne die juristische Expertise und die finanziellen Möglichkeiten von Bürgerrechtsorganisationen keine entsprechenden Verfassungsbeschwerden und damit auch keine Stärkung der Grundrechte gäbe. Die grundrechtlichen Korrekturen sind – wenn auch kleine – Erfolge im Streit um Verfassungspositionen.
Geheime Ermittlungsmethoden sind an sich demokratieschädlich
Dass der große Lauschangriff nur selten zum Einsatz kommt, ist kein Grund zur Entwarnung. Erst recht lässt sich hieran nicht ablesen, dass die Sicherheitsbehörden stets um einen maßvollen Einsatz ihrer Befugnisse bemüht sind. Weniger die rechtsstaatliche Gesinnung als die finanziellen und personellen Ressourcen dürften die Polizei davon abhalten, bestimmte technische Ermittlungsmöglichkeiten einzusetzen.

Den Bürgerrechtlern ging es bei ihrer Kritik am großen Lauschangriff auch gar nicht darum, dass künftig alle Wohnungen mit einer Wanze versehen werden. Demokratie und Rechtsstaat wurden durch die Einführung des großen Lauschangriffs an sich beschädigt. Es geht um etwas Grundsätzliches. „Wer die häuslichen Gestapobesuche in der Erinnerung hat und auch die moderneren Spionagemethoden kennt, weiß, warum das Grundgesetz in Artikel 13 die staatliche Unverletzlichkeit der Wohnung bis auf die Fälle gemeiner Gefahr und der richterlich gestatteten offenen Durchsuchung zur Aufklärung strafbaren Tuns garantiert hat“, schreibt Hans Lisken im Grundrechte-Report 1997. Es gehöre zu den rechtsstaatlichen Errungenschaften in der neueren Verfassungsgeschichte, dass die Staatsgewalt im Inneren wie im Äußeren erkennbar auftrat.
Es geht also darum, dass ein Rechtsstaat sich von einem Unrechtsstaat durch seine Methoden unterscheidet – auch in denjenigen, die er gegenüber einer Minderheit oder Straftätern anwendet. Dass bestimmte polizeiliche Ermittlungsmethoden nicht inflationär zum Einsatz kommen, ist deswegen kein überzeugender Einwand gegen die Kritik an diesen Methoden. Es geht um den Zustand unserer Verfassung – ob wir auch gegenüber Minderheiten rechtsstaatliche Garantien aufrechterhalten oder ob der Staat zur Erreichung bestimmter Ziele (z.B. Strafverfolgung) ohne Grenzen handeln darf.

Staatliche Verrufs­er­klä­rungen

Dass unsere Demokratie in bester Verfassung ist, dürfte sich – anders als Christian Rath meint – nicht daraus ableiten lassen, dass die Konsumenten freiwillig Datenspuren bei ihren Internetkäufen hinterlassen. Der Einkauf bei amazon.de ist kein politisch unliebsames Verhalten, das von den Regierenden kritisch beäugt werden müsste. Über den Zustand unserer Demokratie sprechen vielmehr die alljährlichen Verfassungsschutzberichte eine deutliche Sprache. Wer sich in diesen doch eher unpolitischen Zeiten noch außerparlamentarisch gegen herrschende Verhältnisse engagiert, muss damit rechnen, im nächsten Verfassungsschutzbericht diffamiert zu werden. Von der globalisierungskritischen Bewegung attac über die Linkspartei bis hin zu antirassistischen Gruppen wie „Kein Mensch ist illegal“ werden politisch aktive Menschen staatlich in Verruf gebracht. Dass sie mit Telefonüberwachungen, dem Einsatz von V-Leuten und weiteren Eingriffen rechnen müssen, gehört mit zum Programm. Wenn sich die Betroffenen dennoch nicht von ihrem Engagement abhalten lassen, hat das mit ihrem demokratischen Selbstverständnis zu tun – demokratiefeindlich bleibt die geheimdienstliche Überwachung trotzdem!

Die Kritik der Bürgerrechtsbewegung schürt weder unbegründete Angst in der Bevölkerung noch ist sie unberechtigt. Der Kampf um Verfassungspositionen darf nicht erst anfangen, wenn jeder Bürger mit einer elektronischen Fußfessel bestückt ist und in jedem Wohnzimmer eine staatliche Überwachungskamera hängt. Grundrechtsschutz muss auch und gerade für Minderheiten gelten. Datensammelwut und Überwachungsdrang des Staates sind keine Hirngespinste. Ihre Auslebung hängen im Wesentlichen von den technischen Möglichkeiten ab, wie man zum Beispiel an der inflationären Nutzung der Telefonüberwachung sieht. Die Bürgerrechtler sollten deswegen nicht leiser, sondern lauter in ihrer Kritik werden!

Marei Pelzer
ist rechtspolitische Referentin von Pro Asyl

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