
Offener Brief an Generalstaatsanwaltschaft Berlin: Zaid A. nicht nach Ungarn ausliefern
In einem offenen Brief an die Generalstaatsanwaltschaft und das Kammergericht Berlin fordern die Humanistische Union und diverse weitere Organisationen, Jurist*innen und Einzelpersonen des öffentlichen Lebens, aus Wissenschaft und Lehre, der Menschenrechtsarbeit und anderen Bereichen, einer Auslieferung von Zaid A. nach Ungarn nicht zuzustimmen.
Sehr geehrte Angehörige der Generalstaatsanwaltschaft und des Kammergerichts Berlin,
sehr geehrte Frau Generalstaatsanwältin Margarete Koppers,
seit dem 20. Januar 2025 haben sich acht junge Menschen den Strafverfolgungsbehörden gestellt. Einer davon, Zaid A., befindet sich seitdem in Auslieferungshaft in der JVA Ossendorf in Köln. Den acht Personen wird vorgeworfen, im Februar 2023 in Budapest am sogenannten „Tag der Ehre”– einem großen europäischen Neonazi-Treffen – Teilnehmer*innen verletzt zu haben.
Gegen sieben der acht oben genannten Personen liegen Haftbefehle bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe vor, die sieben sind im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft.
Dies trifft jedoch nicht auf die achte Person zu: Zaid A. ist syrischer Staatsbürger. Ihm droht nun aufgrund eines Europäischen Haftbefehls die Auslieferung nach Ungarn.
Eine Auslieferung von Zaid A. nach Ungarn ist aus den folgenden menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Gründen nicht vertretbar:
1. Menschenrechtswidrige Haftbedingungen in Ungarn
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erwägt in der Begründung seines Beschlusses (2 BvR 1103/24) vom 24.1.2025 zur Verfassungsbeschwerde von Maja T. gegen die bereits erfolgte Auslieferung menschenrechtswidrige Haftbedingungen in ungarischen Justizvollzugsanstalten. Das BVerfG folgt damit der Annahme, die ungarischen Behörden seien „nicht geeignet, das Risiko einer Artikel 4 der Grundrechte-Charta zuwiderlaufenden Behandlung ohne Weiteres auszuschließen.“
Das BVerfG sieht hinreichende Anhaltspunkte
- für systemische oder allgemeine Mängel, wie die steigende Überbelegung ungarischer Justizvollzugsanstalten sowie
- für Gewalt gegen Häftlinge durch Mithäftlinge oder auch Personal der Justizvollzugsanstalten und
- für Defizite hinsichtlich des Rechtswegs
Dies würden insbesondere die eidesstattlichen Erklärungen ehemaliger Insassen ungarischer Justizvollzugsanstalten sowie aktuelle Berichte des Ungarischen Helsinkikomitees (HHC) belegen.
2. Kein faires rechtsstaatliches Verfahren in Ungarn gewährleistet
Eklatante rechtsstaatliche Mängel zeigen sich aktuell in dem Strafprozess gegen Maja T., der am 21. Februar 2025 am Landgericht in Budapest begann:
- Das angedrohte Strafmaß reicht in Ungarn bis zu 24 Jahre Haft
- Teilweise sind notwendige Akten für die Verteidigung nicht ins Deutsche übersetzt worden
- Die nicht-binäre Identität Majas wird vom Gericht nicht anerkannt
Maja. T. war aufgrund eines Europäischen Haftbefehls bereits am 27.6.2024 unrechtmäßig nach Ungarn ausgeliefert worden. Da die Auslieferung durchgeführt wurde, ohne die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten, hat das BVerfG das Vorgehen des Kammergerichts Berlin inzwischen als unzulässig eingestuft.
3. Rassistische Verfolgung in Ungarn zu befürchten
Zaid A. hat als syrischer Staatsbürger internationalen Schutz erhalten, er ist nach der Genfer Flüchtlingskonvention eine äußerst vulnerable Person. Zaid lebte in Nürnberg, ging dort zur Schule, machte dort seinen Schulabschluss und absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr. Mit dem Umzug zum Studium nach Köln hat er dort nun sein soziales Umfeld.
Es steht zu befürchten,
- dass Zaid A. als syrischer Staatsbürger in Ungarn insbesondere rassistischer Diskriminierung durch das Gefängnispersonal und die Mitinsassen sowie durch Staatsbedienstete ausgesetzt sein wird. Die rechts-autoritäre Regierung forciert seit mindestens 10 Jahren eine äußert restriktive rassistische Abschreckungspolitik insbesondere gegen Geflüchtete muslimischen Glaubens.
- dass insbesondere aufgrund seiner Nationalität rechtsstaatliche Mängel beim Strafverfahren auftreten. Hinweise darauf gibt ein Strafprozess gegen Ahmed H. und 10 andere Geflüchtete (den sog „Röszke11“) in den Jahren 2016-2018. Die zehn Personen aus Syrien, Iran und dem Irak waren im September 2015 am Grenzübergang Röszke wegen „illegalen Grenzübertritts“ festgenommen worden. Dies wurde als Straftat mit bis zu drei Jahren Haft gewertet, zehn wurden erst nach längerer Inhaftierung und nach Strafprozessen in Ungarn entlassen.
- Die elfte Person, Ahmed H., syrischer Staatsbürger, wurde 2016 als »Terrorist« in Ungarn zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf lautete, die Proteste gegen die Schließung der Grenze angeführt und den Sicherheitskräften mit Gewalt gedroht zu haben, dies wertete die Anklage dank des ungenauen „Terrorismus“-Begriffs in Ungarn als „terroristischen Akt“. Im Prozess wurden allein belastende Aussagen und Material der Polizei verwendet. Potentiell entlastende Zeugen wurden nicht berücksichtigt.
4. Drohende Abschiebung von Ungarn nach Syrien
Aufgrund Zaids syrischer Staatsbürgerschaft steht mit einer Auslieferung eine Kettenabschiebung von Ungarn nach Syrien zu befürchten. Die Situation in Syrien ist auch nach dem Sturz des Assad-Regimes weiterhin sehr angespannt und unsicher, das Land liegt in Trümmern. Sicherheits- und Asylrechtsexpert*innen raten dringend von Abschiebungen nach Syrien ab. Aktuell ist schlicht keine Prognose möglich, ob in Syrien eine Verfolgungsgefahr mit „beachtlicher Wahrscheinlichkeit“ besteht.
Die unterzeichnenden Personen und Organisationen sind sehr besorgt um Zaid A. und bitten die Generalstaatsanwaltschaft und das Kammergericht Berlin, einer Auslieferung nicht zuzustimmen:
Allerweltshaus Köln e.V.
Antifa AK Cologne
Antikapitalistisches Klapprad-Kollektiv
attac-Köln
Bayerischer Flüchtlingsrat
Bejarano & Microphone Mafia
Border Violence Monitoring Network (BVMN)
Bund Deutscher Pfadfinder_innen Landesverband Thüringen e.V.
Bundesweites Free Mumia Netzwerk https://freiheit-fuer-mumia.de/
copwatch leipzig
de:criminalize e.V.
Diggen, Künstler
Dissens – Antifa Erfurt
FLINTA* ANTIFA VEGAN SQUAD Erfurt
Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
GEW Bayern
Hausprojekte Lama und Luftschloss, Freiburg
Herkesin Meydanı – Platz für alle
Hessischer Flüchtlingsrat
Humanistische Union e.V.
Internationale Liga für Menschenrechte
Jugendclub Courage Köln e.V.
kanu. e.V., Elterninitiative gegen Auslieferungen nach Ungarn
kafvka https://kafvka.de
Legal Clinic Dortmund, e.V.
Ludolf-Camphausen-Straße 36 e.V.
Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW e. V.
Offenes Antifa Treffen Köln
Offenes Antifaschistisches Treffen Erfurt
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
Radeln gegen Rechts – Erfurt
Radio Nordpol
Seebrücke Erfurt
Seebrücke Heidelberg
Solidarische Provinz Wendland-Altmark
Solidaritätsgruppe family & friends, Hamburg (ein Zusammenschluss aus Familie, Freund*innen und Genoss*innen zur Unterstützung der beschuldigten Antifaschist*innen im Budapest-Komplex)
Strafvollzugsarchiv e.V.
Studis gegen Rechts, Köln
StudioRot Kollektiv
…ums Ganze!-Bündnis
VDJ – Vereinigung Demokratischer Jurist:innen
VVN – und der Antifaschist:innen (Bundesvereinigung)
Wacky Woodpeckers, http://wackywoodpeckers.com/
Wohnprojekt Stadt.Land.Fluss, Hamburg
Akiko Ahrendt (Rundfunktanzorchester Ehrenfeld)
Dorit van Aken
Ibrahim Arslan, Hamburg
Dr. Sevda Can Arslan, Institut für Medienwissenschaften, Universität Paderborn
Michael Backmund, Journalist und Autor, München
Mirjam Baumert, Filmhaus Köln
Dörte Becker, eingetragener Fanclub vom FC St.Pauli
Prof. Dr. Daniel Bendix, Theologische Hochschule Friedensau
Gundel Berger, Juristin, Magdeburg
Prof. Dr. Torsten Bewernitz, Hochschule Darmstadt, FB Soziale Arbeit
Prof. Dr. Oliver Bierhoff; Fachbereich Sozialwesen, Hochschule Bielefeld
Cornelia Bock, Hamburg
Violetta Bock, MdB, Landesverband Hessen
Susanne Bormann
Tilman Bornefeld, Hambug
Celia Bouali, Sozialwissenschaftlerin
Maria Braig, Osnabrück
Ilse Braunschweig. Jena
Peter Bremme, verdi Mitglied Hamburg
Dr Andrea Brock, Lecturer in International Relations, Centre for Global Political Economy, University of Sussex
Hans von Bülow, Hamburg
Clara Bünger, MdB Die Linke Sachsen
Christina Clemm, Fachanwältin für Strafrecht und Familienrecht, Berlin
Prof.em. Dr. Helga Cremer-Schäfer 61118 Bad Vilbel
Jun. Prof. Dr. Jasmin Degeling, Medienwissenschaft, Bauhaus-Universität Weimar
Prof. Dr. Alex Demirović, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Petja Dimitrova, Künstlerin und Lehrende, Akademie der bildenden Künste Wien
Esther Dischereit, Lyrikerin, Erzählerin, Essayistin, Theater- und Hörstückautorin, Berlin
Miriam Edding, Hamburg
Dr. Jannis Eicker
Mag. Dr. Andreas Exner, operative Leitung Regional Centre of Expertise (RCE) Graz-Styria, Zentrum für nachhaltige Gesellschaftstransformation der Universität Graz, Österreich
Katrin Fey, MdB Die Linke
Volker Fischer, Hamburg
Prof. Dr. Julia Franz, Professorin für Soziale Arbeit, Alice Salomon Hochschule Berlin
Nicole Gohlke, MdB Die Linke Bayern
Dr. Catarina Gomes de Matos, Goethe-Universität Frankfurt a.M.
Antje Grabow, Rostock
Prof. Dr. Christine Graebsch, Fachhochschule Dortmund
Dr. Wolfram Grams, Bremen
Cornelia Gunßer, Hamburg
Dr. Juliane Hammermeister-Urban, Ernst-Reuter-Schulen, Frankfurt a.M.
Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Heger, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und Neuere Rechtsgeschichte, Humboldt-Universität, Berlin
Franziska Hille, Doktorand*in, ZIFG, TU Berlin
Luke Hoß, MdB Die Linke
Hanne Hutzler
Heinrich Hutzler
Michael Janßen, Vorstandmitglied vdää* , Berlin
P. Wolfgang Jungheim, Werne a.d.Lippe
Barbara Kämper
Roland Karpa, Rechtsanwalt
Dr. Daniel Keil, Politologe, Frankfurt am Main
Dr. med. Anke Kleinemeier, Hamburg
Dr. Malte Kleinschmidt, Institut für Didaktik der Demokratie, Leibniz Universität Hannover
Albrecht Kieser, Journalist, Köln
Jean-Philippe Kindler (Studio Rot)
Karl Kopp, Geschäftsführer von PRO ASYL
Anastassija Kostan, Wissenschaftliche Mitarbeiterin. Empirische Softwaretechnik, Paderborn
Prof. Dr. Michael Krawinkel, Frankfurt am Main / Gießen
Nina Kronjäger, Schauspielerin, Produzentin
Naomi Anne Kubota, magistra artium, 61250 Usingen-Merzhausen
Şeyda Kurt, Autorin, Köln
Angelika Lang, Kriminologin M.A.. Fachberatung SET-FREE e.V.
Zuzana Leharova (Rundfunktanzorchester Ehrenfeld)
Nico Limprecht, Gewerkschaftssekretär
Dr. Bettina Lösch, Köln
Dr. Daniel Loick, Philosoph, Universität Amsterdam
Edith Lunnebach Köln Rechtsanwältin i.R.
Dirk Mescher (Geschäftsführer GEW Hamburg)
Susanne Meuthien Hamburg
Samia Mohammed
Stephan Nagel, Hamburg
Cansu Özdemir, MdB Die Linke Hamburg
Dr. Paula Peretti, Literarische Agentur Köln, www.peretti-agency.com
Cindy Peter, Dresden
Bosse Pogoda (Studio Rot)
Prof. Dr. Helmut Pollähne, Honorarprofessor für Strafrecht, Universität Bremen
Isabel Prößdorf, Office of MEP Carola Rackete, Brüssel
Carola Rackete, MdEP, Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament – GUE/NGL
Jutta Redöhl, Ahrensbök
Dr. Maike Sarah Reinerth, Medienwissenschaftlerin, Potsdam
Lea Reisner, MdB Die Linke
Prof. Dr. Uta Ruppert, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Goethe Universität Frankfurt/Main
Dr. Thomas Sablowski, Politikwissenschaftler, Frankfurt am Main
Christiane Sattler ver.di Mitglied Hamburg
Philip Scheffner, Filmemacher und Professor für dokumentarische Praxen, khm köln
Ingrid Scherf, Autorin und Übersetzerin, München
Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzender der Fraktion THE LEFT im Europäischen Parlament
Lensi Schmidt (Studio Rot)
Ulrike Schmitz Langelsheim
Christiane Schneider, Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft a.D.
Volkmar Schöneburg, ehem. Verfassungsrichter, Brandenburg
Prof.in Dr.in Barbara Schramkowski, Duale Hochschule Baden-Württemberg
Katja Schreiner. Psychologin & Klimaaktive
Tobias Schröer
Prof. Dr. Erika Schulze, Hochschule Bielefeld, Fachbereich Sozialwesen
Martin Singe (Pax Christi Bonn; Redakteur FriedensForum)
Prof.in Dr. Susanne Spindler, Köln
Katrin Stein, Sellin
Robin Steffens
Cuno Tarfusser, stellvertretender Generalstaatsanwalt / Arbeitsbereich „Internationale Angelegenheiten“, Mailand
Fatma Tuna, Kulturvermittlerin, Köln
Bettina Uppenkamp
Jan-Nicholas Vogt (Studio Rot)
Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß, Merseburg
B. Wittkugel und H. Walterbusch, Hamburg
Inga Waßmuß, Hamburg
Eva Weber. Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V., Berlin
Konstantin Wecker, Musiker, Komponist und Autor
Reiner Wendling. Verleger, Berlin
Dorothea Weniger, Mitglied des Landesvorstandes der GEW Bayern
Jana Wittkugel
Krystian Woznicki · Berliner Gazette
Kutlu Yurtseven, Microphone Mafia
Prof. Dr. Michael Zander, Hochschule Magdeburg-Stendal
Dr. Heiner Zillmer, Hamburg
Hermann Zöllner, Berlin