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Staat – Gesell­schaft – Kirchen – Religionen

Mitteilungen16709/1999Seite 84

Besprechung des Buches von Gerhard Czermak: Staat und Weltanschauung:

Mitteilungen Nr. 167, S. 84

Galten früher Rechtsnormen, wenn nicht für die Ewigkeit, so doch für längere Zeitspannen, so haben auch sie heute Teil an der allgemeinen Schnellebigkeit. Provozierte Czermak noch 1990 mit seiner Forderung „Bewegung ins Staatskirchenrecht“ (ZRP 1990, 475), so hat sich seither auch in diesem Rechtsbereich das Rad der Produktion neuer Normen ebenso wie der Kommentierungen und Referate immer schneller gedreht: Umfaßte Czermaks erster Band 1993 auf 224 Textseiten den Zeitraum von 1945 bis 1992, also von mehr als vier Jahrzehnten, so braucht der 2. Band für die kurze Zeit von 1993 bis 1997 bereits 264 Seiten. Er enthält allerdings auch wichtige Nachträge aus früheren Jahren. Kam der erste Band noch in gewichtigem Hardcover daher, verbunden mit einer umfangreichen kritischen und scharfsinnigen „Abhandlung zur Entwicklung und Gegenwartslage des sogenannten Staatskirchenrechts“, so beschränkt sich der nicht minder gehaltvolle zweite Band zunächst auf die Nennung der Titel und zahlreiche prägnante referie-rende Kommentare. Enthielt bereits der erste Band einige wichtige Inhaltsangaben, so sind sie im zweiten Band nicht nur erheblich ausgeweitet sondern auch meisterlich formuliert. Sie sind als Wegweiser durch die weite Materie äußerst hilfreich und von erfreulicher Objektivität. Zwar verleugnet der Verfasser niemals seine kritische Position, doch weist er nur an besonders krassen Stellen mit milder Ironie auf inhaltliche oder logische Brüche des besprochenen Autors hin. Die grundsätzliche Würdigung des sog. Staatskirchenrechts im ersten Band hat heute nichts von ihrer Aktualität verloren und muß dort nachgelesen werden. Doch für die schnelle Information über den aktuellen Stand der Diskussion genügt der zweite, überschaubar aufbereitete Band. Zur Ausweitungen trugen vor allem die heftigen Diskussionen um den Religions- und Ethikunterricht, die Frage, ob Gott in den Verfassungen erwähnt werden soll, der Streit um LER in Brandenburg ebenso wie um die hoheitlichen Warnungen vor „Sekten“, aber auch um die arbeitsrechtlichen Praktiken der Kirchen, die Hochschultheologie und Fragen der Kirchenfinanzierung bei. Sehr verdienstvoll ist die Titelsammlung zum Thema „Kreuze in den Schulen“ und die daran anknüpfende Meinungsmache gegen das Bundesverfassungsgericht (S. 78 bis 88). Die erstaunliche Zunahme der diesbezüglichen Literatur hat den Verfasser dankenswerter Weise veranlaßt, noch stärker zu gliedern und manche Einzelthemen, etwa „Toleranz“ oder „Gott in der Verfassung“, gesondert auszuweisen.Auch das X. Kapitel „Weitere Sondermaterien“ weist viele neue Titel auf, so daß sich sein Umfang auf das Doppelte ausweitete. Das liegt zweifellos auch an der Einarbeitung älterer Artikel, wie etwas Martin Heckels Ausführungen über das „Geistlichenprivileg im Wehrrecht“ von 1976 (S. 232) und nicht weniger weiterer bedeutsamer Aufsätze so etwa von Maunz (S. 95) und Hesse (S. 92). Bei diesen begründet der Verfasser, warum diese Beiträge heute noch bedeutsam sind. Der Leser erfährt auf diese Weise, daß nicht nur Zufallsfunde nachgetragen werden, sie vielmehr häufig Aussagen sind, an denen Deutungsgeschichte und Wandel der Methodik bzw. des ihr zugrundeliegenden Rechtsverständnisses deutlich werden. Bei vielen Rechtsbereichen werden eingangs die jeweiligen Spezialzeitschriften aufgeführt; Soziale Einrichtungen der Religionsgesellschaften (S. 194), Arbeits- und Dienstrecht im kirchlichen Bereich ( S. 202 f.), Staat und Religion (S. 249) und auf verwandte Rechtsbereiche verwiesen. Manche Beiträge referiert Czermak ausführlich, wie M. Heckels (Staatliche Gerichtsbarkeit in Sachen Religionsgesellschaften: S. 132), H. Nishihara, (Gewissensfreiheit in der Schule:S. 159), W. Dütz (Neue Grundlagen im Arbeitsrecht der katholischen Kirche: S. 206), U. Hammer, (Bewegungsspielräume im kirchlichen Arbeitsrecht: (S. 207) u. etliche andere. Manche Referate sind essayistische Meisterleistungen des wissenschaftlichen Florettierens, wie es heute kaum mehr beherrscht wird. So etwa die Auseinandersetzung mit A. v. Campenhausen (Christlicher Religionsunterricht: S. 166) oder mit den Ausführungen H. Hubers (S. 178 f.). So bietet diese auf den ersten Blick trockene Materie dem Leser dank der Meisterschaft des Kompilators Höhepunkte intellektuellen Vergnügens. Das Referat über die Untersuchung von G. Besier, „konzern kirche“ (1997) scheint dem Rezensenten in ihrer Präzision besonders gelungen: faktenreich wird das politische und ökonomische Gebahren der EKD-Kirchen kritisch dargestellt (S. 252). Diese knappen Referate geben dem Leser einen guten Überblick, so daß er rasch die einschlägige Literatur finden kann. Daß das XI: Kapitel „Staat, Religion, Kirche, Gesellschaft“, dessen Themen von Religion und Kirche in Deutschland bis zur Religionskritik reichen, trotz des kürzeren Zeitraumes fast genauso umfangreich ist wie in der ersten Auflage, kann angesichts der weitläufigen Diskussion um diese Fragen nicht verwundern. Über Lappalien, wie die Tatsache, daß der Titel der Arbeit von H. Scholler, kursiv gesetzt ist (S. 112), und andere Kleinigkeiten darf man getrost hinwegsehen: Die Fülle des oft weit verstreuten Materials ist so reich, daß aus diesem Rechtsbereich wohl jeder das finden wird, was er sucht. Nur wenige Titel dürften fehlen. So beispielsweise: M. Klöckner/ U. Tworuschka, Religionen in Deutschland, 1994; H. Hürten, Deutsche Katholiken 1918-1945, 1992; H. Groschopp, Dissidenten 1997; Allerdings handelt es sich hierbei nicht um juristische Titel im strengen Sinn.Was der Benutzer dieses hilfreichen und kompetent kommentierten Literaturverzeichnis vielleicht etwas vermissen mag, ist ein Namensverzeichnis der behandelten Autoren. Sonst jedoch kann man dieser kritischen Bibliographie nur weiteste Verbreitung wünschen. Sie ist eine zuverlässige Hilfe, auf die niemand, der sich mit dem Thema STAAT – GESELLSCHAFT – KIRCHEN – RELIGIONEN beschäftigt, verzichten sollte. Johannes Neumann, Oberkirch/BadenGerhard Czermak: Staat und Weltanschauung. Eine annotierte juristische Bibliographie mit ergänzender nichtjuristischer Literatur (Bd. 2 1993-1997), Alibri Verlag, Aschaffenburg 1999, 283 Seiten, Preis 59,00 DM.

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