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Für ein Forum zur juris­ti­schen Zeitge­schichte

Mitteilungen16709/1999Seite 69

Mitteilungen Nr. 167, S. 69

Zum Anliegen des „Forums Juristische Zeitgeschichte“: Aufklärung über Vergangenheit, nicht Vergangenheitspolitik (vgl. HU-Mitteilungen 165) tritt Herr Dr. Helmut Kramer der von Dr. Klaus Emmerich in den Mitteilungen Nr. 166 vom Juni 1999 geäußerten Kritik an seinem Plädoyer für ein Forum zur juristischen Zeitgeschichte entgegen.

Daß in unserer schnellebigen Zeit Texte oft nur noch „diagonal“ gelesen werden, ist verständlich. Weniger nachvollziehbar ist es, wenn ein Leser zu einer kritischen Entgegnung ansetzt, bevor er den Text gelesen hat. Eben dies tut Klaus Emmerich, wenn er aus meinem in den Mitteilungen vom März 1999, S. 5 vorgestellten Plädoyer für ein Forum zur juristischen Zeitgeschichte herausliest, ich hätte die DDR „unter dem Dach des sogenannten Unrechtsstaats subsumiert.“
Der Verein Forum Justizgeschichte möchte das Interesse an der von den Rechtshistorikern vernachlässigten juristischen Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts wecken, nicht – wie Klaus Emmerich auch insoweit irrigerweise annimmt – an „der Staats- und Rechtsgeschichte allgemein“. Schwerpunkt ist die NS-Justiz. Aber auch die Vorgeschichte (Weimarer Justiz) und die Nachgeschichte in der Bundesrepublik sind ein wichtiges Thema. Und natürlich kann auch die Justiz in der DDR von der Darstellung nicht ausgenommen bleiben. Ebenso wie in der Bundesrepublik das Recht beispielsweise in den Jahren 1949 bis 1968 im Kampf gegen Systemgegner in zum Teil rechtsstaatswidriger Weise instrumentalisiert worden ist, ist dies auch in der DDR geschehen (dort übrigens mit drakonischerem Strafmaß). Die DDR war kein „Unrechtsstaat“ wie das Dritte Reich. Das Prädikat des Rechtsstaats verdient sie aber auch nicht. Das alles hätte Klaus Emmerich auf Seite 26 meines Plädoyers nachlesen können: „auf beiden Seiten geübte politische Justiz im kalten Krieg … unter einer Überschreitung der rechtsstaatlichen Grenzen, aus der sich viel lernen läßt“; keine Gleichsetzung der DDR mit dem Nationalsozialismus, wobei die „NS-Justiz ein weitaus lohnender Gegenstand des Lernens (ist) als die SED-Justiz“.
Uns geht es um Aufklärung über und Lernen aus der Vergangenheit. Die uns von Klaus Emmerich unterstellte demagogische Vergangenheitspolitik im verlängerten West/Ost-Konflikt überlassen wir unverbesserlichen kalten Kriegern. Wer an dieser Zielsetzung unserer Vereinigung interessiert ist – und dazu möchte ich trotz seines Mißverständnisses auch Klaus Emmerich zählen – kann dies nachlesen in meinem „Plädoyer für ein Forum zur juristischen Zeitgeschichte“, WMIT-Druck u. Verlags-GmbH, Bremen, ISBN 3-929542-12-9. Die Schrift kann auch beim Verfasser zum Preis von DM 5,– direkt bezogen werden: Dr. H. Kramer, Herrenbreite 18 a, 38302 Wolfenbüttel.
Und noch mehr würden sich die Initiatoren (1) des Forums Justizgeschichte über eine Mitarbeit vieler HU-Mitglieder in unserer Vereinigung freuen. Einige Freunde von der HU gehören schon zu unserer Vereinigung.

Dr. Helmut Kramer

(1) darunter die Mitglieder der HU Hans-Ernst Böttcher und Ingo Müller

HU-Diskussionsredaktion

Zum gleichen Thema

Unter dem Gesichtspunkt der HU-Ziele nimmt Frau Dr. Heidi Behrens, Essen, in einem Brief an Herrn Dr. Emmerich kritisch Stellung zu dessen Diskussionsbeitrag.

Sehr geehrter Herr Emmerich,
ich beziehe mich auf Ihren Diskussionsbeitrag in den Mitteilungen Nr. 166.
Sie sprechen darin mehrere Themenaspekte an, die unter der irreführenden Überschrift „Für ein Forum zur juristischen Zeitgeschichte“ vielmehr gegen die Delegitimierung des Staates DDR zu argumentieren suchen. Mir geht es nicht um Ihre Auslegung des mit Zurückhaltung verfaßten Textes von Helmut Kramer oder Ihren Umgang mit Zitaten. Was mich am stärksten berührt, ist Ihre Frage: „Gab, gibt es überhaupt einen Unrechtsstaat?“ Die DDR möchten Sie, wenn es einen solchen denn geben sollte, darunter nicht subsumiert wissen.
Als Mitglied einer sich radikaldemokratisch verstehenden Bürgerrechtsorganisation kann ich weder Ihre leutselige Frage noch Ihre weitergehende politische Intention akzeptieren. Beides nötigt dazu, Ihnen gegenüber die Errungenschaften der Französischen Revolution und westeuropäischer Verfassungen noch einmal zu bemühen: Es ging und geht bei der Definition „Unrechtsstaat“ um Grundrechte wie Rede- und Pressefreiheit, um Freizügigkeit sowie um Gewaltenteilung und die demokratische Legitimation von Herrschaft. Falls es Ihnen die Zeit der DDR nicht vermittelt haben sollte: Im ehemaligen Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen und an anderen Gedenkorten in den neuen Bundesländern läßt sich das Verhältnis des Machtapparates der SED zu Andersdenkenden und Oppositionellen ebenso wie zu rechtsstaatlichen Prinzipien aufs Anschaulichste studieren.
Bitte bedenken Sie, daß die HU, die Sie mit vertreten, in der Bundesrepublik ihre Stimme stets glaubwürdig für weniger Staat und „mehr Demokratie“ erhoben hat. Ein Vorstandsmitglied, das die diktatorische Vergangenheit der DDR schönredet, setzt das politische und moralische Kapital der Humanistischen Union aufs Spiel.

Dr. Heidi Behrens

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