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Die Philosophie hat ihre Schul­dig­keit getan

Mitteilungen18104/2003Seite 6

Mitteilungen Nr. 181, S.6

Die „Mutter der Wissenschaften“ und ihre Jünger haben sich von ihrer ‚Liebe zum Geistigen‘ verführen lassen; Liebe macht blind! Zwar haben die Philosophen nach und nach die Theolo-gie, die Erforschung des Göttlichen überwunden. Und Kant, der ‚große Zermalmer‘, hat nachgewiesen, dass die Gottesbeweise nicht beweiskräftig sind. Aber alle Philosophen haben statt theologischer Gedankengebäude anscheinend den weltlichen Glauben erfunden. Sie bauen, wie die Gottesverkünder auf Worte. Die Philosophen haben sich in ihrer Beschränkung auf Worte wie die Theologen in die Ausdeutung des Jenseitigen verstrickt, in Transzendenz oder Metaphysik. Sie beharren darauf, dass ihre Begriffe eine größere wissenschaftliche Bedeutung haben als erfahrungswissenschaftliche Erklärungen.
Bei der Begründung ihrer Begriffe und Sätze vermeiden sie seit etwa 80 bis 100 Jahren geflissentlich, ihre Worte mit der logischen Analyse der Sprache zu prüfen.

Wundertüte der Metaphysik

Das Ergebnis, ihre Scheinaussagen sind für Ideologen und Politiker sehr nützlich. Einige der als Wissenschaft verkauften Scheinbegriffe aus der Wundertüte der Metaphysik sind etwa Freiheit oder Sozialismus, Innovation und Gerechtigkeit, deutsche Leitkultur (Merz), nationale Identität (Thierse), Solidarität, Demokratie, Wahrheit, das Gute und das Böse, Bildung, Ethik, Recht und Rechtsstaat; das sind alles Worte, an die sich trefflich glauben lässt.
Damit werden jedoch Denkbehinderungen und Torheit verbreitet, wenn diese Begriffe als Schlagwörter gebraucht werden. Solange das Bedeutungsfeld solcher Ausdrücke nicht eingeschränkt wird, werden sie wie Standarten vor den gläubigen Toren hergetragen. Die großen Worte sprechen das Gefühl und den Glauben an und schalten den Verstand fast aus. Aus Wörtlichnehmern werden Fundamentalisten, aber auch Terroristen.

Auf dem Sockel der Selbst­täu­schung

Wer sich nicht darum bemüht, dass seine Sprache einen Fach-arbeiter, einen Taxifahrer, eine Verkäuferin, einen Hausmeister oder einen Berufsschüler, kurz – die Mutter im Hause und den Mann auf dem Markte (Martin Luther) erreicht und so anspricht, dass alle diese Menschen aus dem Volke – das ist die überwiegende Mehrheit – das verstehen, der stellt sich auf einen Sockel und täuscht sich auf lange Sicht selbst. Weil eine solche Verhaltensweise eine verbreitete Übung der meisten Politiker und „Gebildeten“ ist, die auf viele faule Rechtfertigungen gestützt werden kann, wird der lange Marsch durch das Tal der Illusionen so bald nicht enden.

Wissen­schaft ohne Fesseln

Meine Freunde und ich treten für eine Wissenschaft ohne Fesseln ein. Das ist eine Wissenschaft ohne autoritäre Vorgaben, ohne metaphysische, also ohne theologische, philosophische oder ideologische Grundlagen. Eine solche Wissenschaft ist allein die Erfahrungswissenschaft. Diese löst seit etwa 1850 die Naturwissenschaft ab, die Naturgesetze suchte. Die Erfah-rungswissenschaften beschreiben bedingte Regelhaftigkeiten. Der Begriff Naturgesetz ist ein Zirkelschluss. Die Relativitätstheorie kann Naturgesetze und andere absolute Erkenntnisse nicht bestätigen. Das überkommene Wort Wissenschaft ist nicht geschützt und wird gläubig und unkritisch oder auch fahrlässig und bewusst zur Täuschung eingesetzt. Selbst die in Metaphysik verstrickten Philosophen halten sich seit der Antike für Wissenschaftler. Das war richtig, mindestens bis Kant, längstens bis zur Kritik Russells, Wittgensteins und Carnaps vor etwa 100 Jahren.

Philosophie an die Glaubens­hoch­schule!

Jaspers und andere Philosophen haben die Erfahrungswissen-schaften ausdrücklich abgelehnt und sich mit ihrer weltfernen Erkenntniskritik begnügt. Die Schüler Hegels, Heideggers und Adornos arbeiten bis heute mit Scheinbegriffen aus dem Ge-dankenreich der Transzendenz oder Metaphysik und begründen damit ihre Scheinsätze – ohne an die heute unerlässliche logische Analyse ihrer Sprache zu denken.
Demgemäss ist die Philosophie seit vielen Jahrzehnten eine Glaubenslehre, die auf die Ausdeutung von Worthülsen setzt. Sie gehört als Scheinwissenschaft gemeinsam mit der Theologie an eine Glaubenshochschule, heute aber nicht mehr an eine Universität. Die beiden Verhaltensregulierungen Ethik und Recht sollten gemeinsam an einer Fakultät vertreten werden. Sie haben die gleiche Entstehungsgeschichte und stimmen in den meisten Begriffsmerkmalen überein.

Im Weg: Die Kaste der Gebildeten

Nach den Erfahrungen mit Ideologien bin ich darauf bedacht, das sprachlich weniger gebildete Volk mit seinen Dialekten und seiner Umgangssprache nicht abzuwerten, wie das die Kaste der Gebildeten übt. Für Aufklärung und politische Mündigkeit möglichst vieler Menschen setze ich mich ein. Die Staatsgewalt des Volkes ist für mich ein Fernziel, das von der Klasse der Politiker und von der Kaste der Gebildeten behindert wird. Beide Gruppen haben dank ihrer Herrensprache das Sagen in der Gesellschaft. Für einen auf die Staatsgewalt des Volkes zu bauenden Rechtsstaat mit besserer Gewaltenteilung als heute werbe ich. Der Glaube an den schönen Schein der repräsentativen Demokratie führt in die Irre. Die derzeitige Verfassung unserer blockierten Republik und die Verfassungswirklichkeit sind Hindernisse, die derzeit nicht überwunden werden können.

Den Ideologien die Giftzähne ziehen

Doch nach der Entwicklung seit der Renaissance sind die lang-fristigen Aussichten nicht hoffnungslos; denn die widerborstigen Europäer haben seit Jahrhunderten bis heute in vielen Nach-barstaaten und hier den Ideologien die Giftzähne (noch nicht alle!) gezogen und bisher allen allzu mächtigen Gewaltherrschern nach einer Weile der Bedrückung und Besinnung immer wieder das Handwerk gelegt.
                                                                                    Konrad Schmidt
 

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