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Der Mythos der kirchlichen Wohltä­tig­keit entlarvt

Mitteilungen19008/2005Seite 21

Mitteilungen Nr. 190, S.21

Carsten Frerk, in Hamburg lebender Politologe, ist einem breiteren Publikum vor drei Jahren mit seiner grundlegenden Studie „Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland“ bekannt geworden. Durch diese Veröffentlichung wurde klar: Die beiden christlichen Großkirchen in Deutschland haben keinen Grund, über ihre Finanzen zu jammern. Stehen jedoch viele Menschen den Kirchen kritisch gegenüber, wird diese Kritik häufig mit dem Verweis auf die Wohltätigkeit derselben zur Seite geschoben: „Die Kirchen tun doch soviel Gutes. Ohne die Kirchen würde unser Sozialsystem zusammenbrechen.“

Das jetzt erschienene Buch Frerks „Caritas und Diakonie in Deutschland“ knüpft an solche gängigen Vorurteile an. Frerk stellte bei seinen Untersuchungen fest: „Hinsichtlich der Publizität ihrer Finanzen und ihres Vermögens sind beide Verbände, insbesondere das Diakonische Werk, noch verschlossener und verschwiegener als die beiden Kirchen.“

Ein wichtiges Ergebnis der faktenreichen Recherche: Die Kirchen tragen lediglich 1,8 % zur Finanzierung von Caritas und Diakonie bei (Frerk nennt dies „Kirchenquote“). Diese Summe, etwa 828 Mio. €, fließt vor allem in „missionsnahe“ Bereiche, wie die Finanzierung von Kindergärten: Wer nicht frühzeitig christlich erzogen wird, wird nun einmal später selten ein Kirchensteuerzahler.

Bedenkt man jedoch, dass die 951.600 hauptamtlich Beschäftigten selbst zu fast 90 % (vielfach zwangsweise) Kirchensteuerzahler sind und somit durch den Betrieb karitativer Einrichtungen „Vereinsbeiträge“ an die Kirchen zurückfließen, wird klar: Es gibt faktisch keine „Kirchenquote“. Die Amtskirchen erhalten öffentlich einen Bonus für ihre „Wohltätigkeit“, tragen jedoch selbst finanziell nichts zu dieser Wohltätigkeit bei.

Häufig wird ein weiteres Vorurteil angeführt: Zwar trügen die beiden Kirchen wenig bis nichts zur Finanzierung „ihres“ sozialen Engagements bei, aber sie verstünden es, viele Menschen zu ehrenamtlicher, sozialer Tätigkeit zu motivieren.

Frerk liefert Zahlen: Bei Caritas und Diakonie sind zusammen 900.000 ehrenamtliche Kräfte tätig. Beim Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband hingegen alleine 1.135.000. Hieraus folgt bereits, dass es keinen „Konfessionalitätsbonus“ bei der Motivation und Gewinnung ehrenamtlicher Mitarbeiter gibt.

Obwohl also die kirchlichen Wohlfahrtskonzerne nichtkirchlich, weitgehend aus öffentlichen Mitteln, finanziert werden, haben die Kirchen das Sagen. In den beiden Wohlfahrtskonzernen, die in Deutschland mehr Beschäftigte zählen als DaimlerChrysler, Volkswagen und BMW zusammen, gibt es kein Streikrecht, keinen Betriebsrat und keine Tarifverhandlungen. Es gilt das kirchliche Sonderarbeitsrecht, beschönigend „dritter Weg“ genannt. Religionsfreiheit genießen die Arbeitnehmer vielfach nicht: Ein Kirchenaustritt kann den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge haben. Frerk schätzt die „Zwangskonfessionalisierten“ auf ein Drittel der Beschäftigten.

Und es geht in den Wohlfahrtskonzernen keineswegs „christlich“ (unterstellt man den üblicherweise gebräuchlichen Wortsinn) zu: Mobbing am Arbeitsplatz ist – Frerk zufolge – gerade in Caritas und Diakonie besonders verbreitet.

Das Buch ist überaus zahlen- und tabellenreich. Es mag nicht jedermanns Sache sein, ein solches Werk am Stück zu lesen. Für diejenigen, die viel mit Menschen über die „wohltätigen“ Kirchen diskutieren, ist es indes unentbehrlich. Frerks Buch wird wahrscheinlich auf Jahre hinaus das maßgebliche Standard- und Nachschlagwerk für alle ernsthaft am Thema Interessierten sein.

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