Späte Anerkennung für ein Lebenswerk
Eine Preisverleihung und ein Abschied von Klaus Waterstradt
Aus: Mitteilungen Nr. 203, S. 16
Die zahlreichen Gäste bei der Verleihung des diesjährigen Fritz-Bauer-Preises erlebten am 15. November einen eindrucksvollen Festakt. Ein von Alter und Krankheit gezeichneter Preisträger war sichtlich stolz auf die Ehrung, die ihm zuteil wurde. Der Fritz-Bauer-Preis sei für ihn „das Größte …, das ich überhaupt bekommen kann.“ In der Freude über den Preis klang ein wenig Ehrfurcht vor den „großen Namen“ an, in die sich der Preisträger mit der Auszeichnung eingereiht sah. Diese Ehrfurcht bzw. die darin sichtbare Bescheidenheit ist charakteristisch für Klaus Waterstradts. Er hat über seine Arbeit nie große Worte verloren, seine Veröffentlichungen sprechen die Sprache des Praktikers.
Mit dem Fritz-Bauer-Preis ehrt die Humanistische Union Menschen, die sich um die Humanisierung der Rechtsordnung verdient gemacht haben. Es gibt nur wenige, die dieses Anliegen so engagiert verfolgt haben wie Klaus Waterstradt. Würde der Fritz-Bauer-Preis in verschiedenen Kategorien vergeben, so hätte die diesjährige wohl „praktizierte Moralkritik“ lauten müssen – eine Auszeichnung für besondere Humanität im Alltag. Klaus Waterstradt erhält diese Auszeichnung nicht für Bücher, Aufsätze oder Sonntagsreden. Die Ehrung der Humanistischen Union trifft keinen der „gängigen Preisträger“ und Gutmenschen, der seine Erhabenheit über den Rest der Welt mit dem erhobenen Zeigefinger formulieren würde. Andere zu ermahnen, über ihr Handeln zu urteilen oder edle Werte zu verkünden – all das ist Klaus Waterstradt fremd.
Seine „praktizierte Moralkritik“ speist sich aus dem Bewusstsein, dass sich Werteordnungen gegen die Menschen verkehren, wenn moralische Zwänge in Rechtsordnungen gegossen werden. Humanisierung heißt für ihn, die Menschen aus den Abhängigkeiten der Moral zu befreien. Kaum einer hat so gegen die Zwangsjacke der Moral opponiert wie Klaus Waterstradt: „Die so genannte killing society, die mordende Gesellschaft, erträgt täglich Unmassen von Unfalltoten einschließlich Kindern, die sie durch Technik und Verkehr umbringt, sie produziert und segnet Waffen, vergiftet und verseucht unseren Lebensraum und den unserer Nachkommen, aber sie entrüstet sich in moralischem Pathos über finale Entschlüsse einzelner Individuen.“ (In: Über das Recht, in Würde zu sterben. Eine Reise nach Oxford. vorgänge 52, S. 22-25)
Es ist jedoch weniger das Zitat allein – ein Text, leicht dahinzuschreiben – als das dahinter stehende Werk, das ihm Gewicht verleiht und Klaus Waterstradt für den Fritz-Bauer-Preis prädestiniert: Als junger Arzt, der seine medizinischen Fähigkeiten in Zeiten des Krieges Freund wie Feind feilbot; mit seiner Beratungsstelle für ungewollt schwangere Frauen, denen er in Zeiten des Abort-Tourismus und der Kurpfuscherei eine seriöse medizinische Versorgung verschaffte; mit der Verbreitung von Patientenverfügungen, die seinen Patienten mehr Sicherheit für ein selbstbestimmtes Lebensende schaffen sollten; die von ihm – bis ins hohe Alter – organisierten Hilfstransporte nach Rumänien, Kroatien und Serbien, mit denen Opfern des Bürgerkrieges der Neuanfang erleichtert wurde.
Benachteiligte schützen, für Bürgerrechte eintreten, freiheitliche Werte leben – das waren für Klaus Waterstradt stets praktische Herausforderungen und Normen, nach denen er sein eigenes Handeln ausrichtete. Wenn so jemand einen Preis erhält, braucht man sich um den Festakt keine Sorge zu machen. Ein solches Werk hinterlässt Spuren. Zur Verleihung des Fritz-Bauer-Preises im Lübecker Buddenbrookhaus kamen neben seiner Familie viele Freunde, Weggefährten und Mitstreiter, um an dem Festakt teilzuhaben.
Die Preisverleihung war ein großes Wiedersehen – und zugleich ein Abschied. Klaus Waterstradt verstarb am 22. November im Alter von 88 Jahren. Die Preisverleihung wolle er auf jeden Fall noch erleben, wie er in den letzten Monaten immer wieder betonte – um auf sein Anliegen aufmerksam zu machen: „Die Anerkennung von so eigentlich selbstverständlichen Handlungen ist eben nicht selbstverständlich. Die Einsicht und die Notwendigkeit, sich in Gemeinschaft einzusetzen, für Humanität, Toleranz und Freiheit, ist nach wie vor sehr wichtig.“ Spätestens die breite Schar der Gäste an der Preisverleihung hat deutlich werden lassen: Die Humanistische Union verliert mit Klaus Waterstradt einen ihrer engagiertesten und liebenswürdigsten Mitstreiter.
Sven Lüders
ist Geschäftsführer der Humanistischen Union
Die Reden zur Preisverleihung sowie Texte von Klaus Waterstradt sind hier dokumentiert.