Gott bleibt an Berliner Schulen fakultativ
Ein erster Nachtrag zum Berliner Volksentscheid „Pro Reli“. Aus: Mitteilungen Nr. 204 (1/2009), S. 12
Trotz massiver Unterstützung der Kirchen, der CDU und der FDP ist die Initiative „Pro Reli“ gescheitert: Am 26. April stimmte die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner gegen den Vorschlag der Initiative, den bisher freiwilligen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Berlin zum Wahlpflichtfach heraufzustufen. Nach ersten Wahlanalysen scheiterte der Volksentscheid „Pro Reli“ nicht nur an der religiös/weltanschaulichen Spaltung Berlins, auch zahlreiche Christen verweigerten sich am Ende dem Vorhaben.
Der Volksentscheid als Medienschlacht
In den letzten Wochen vor dem Volksentscheid hatte der Streit um Gottes Stellung an Berliner Schulen teilweise groteske Züge angenommen: Dass die Initiatioren um die Gunst der BerlinerInnen werben würden, war zu erwarten. Ebenso war zu erwarten, dass die Kirchen die Initiative mit Geld und Personal unterstützen würden. Überraschend war jedoch, wie enthusiastisch das überregionale Feuilleton an der Debatte teilnahm: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung etwa wollte zur Rettung des christlichen Abendlandes beitragen, indem sie mit einer breit angelegten Artikelserie über alte und neue Atheisten im Allgemeinen und die Giordano-Bruno-Stiftung sowie den Humanistischen Verband im Besonderen zu Felde zog. Verschiedene Blätter des Springer-Verlags platzierten in der heißen Phase des Wahlkampfs „Enthüllungen“ über angebliche Stasi-Verstrickungen des Berliner HVD-Vorsitzenden. Und selbst die sonst über jeden Verdacht einer sensationslüsternen Berichterstattung erhabene Katholische Nachrichtenagentur ließ sich zu einem pseudoinvestigativen Dossier über Gerd Eggers als Initiator der Gegenkampagne hinreißen – dem am Ende jedoch die Pointe fehlte. Die Zielrichtigung dieser Berichte war eindeutig: Der Humanistische Verband als einer der Träger der Gegenkampagne sollte diskreditiert, der gemeinsame Ethikunterricht als Fortsetzung des ostdeutschen Staatsbürgerkundeunterrichts disqualifiziert werden.
Argumente – Fehlanzeige
Das in dieser religionskämpferischen Atmosphäre manchmal die Übersicht verloren ging, ist nicht verwunderlich. „Pro Reli“ war von vornherein auf Finten angelegt: So warb die Initiative mit dem Slogan „Wahlfreiheit“, obwohl sie gerade die freie (Ab-)Wahl des Religionsunterrichts durch einen Entscheidungszwang ersetzen wollte. Die Kampagne bediente das Klischee einer religionsfeindlichen linken Landesregierung, die angeblich den Religionsunterricht bedrohe. Dabei war es eben jene Regierung, die 2006 den Berliner Staatskirchenvertrag unterzeichnete und damit kirchliche Privilegien verankerte. An der Finanzierung und den Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts hatte sich seit der Einführung des Ethikfaches nichts geändert. Eben jener Ethikunterricht, gegen den „Pro Reli“ so fleißig agitierte, sollte nach dem Gesetzentwurf nicht mehr wie bisher ab dem 7. Schuljahr, sondern für alle „Nichtgläubigen“ bereits ab der 1. Klasse verpflichtend werden. Gegen derlei Nebelkerzen engagierte sich die Humanistische Union Berlin-Brandenburg. Mit einem Flugblatt forderten wir die Berlinerinnen und Berliner auf, am 26. April 2009 gegen das Volksbegehren „Pro Reli“ zu stimmen – am Ende glücklicherweise erfolgreich.
Geld und Zeit als Erfolgskriterien direkter Demokratie
Nachdem sich die Wogen um den Volksentscheid „Pro Reli“ geglättet haben, wird es Zeit für eine Manöverkritik. Bei den letzten Volksentscheiden in Berlin zeigten sich einige Mängel des Berliner Verfahrens, die behoben werden sollten:
Wie schon bei der Abstimmung über den Flughafen Tempelhof wurde auch die Kampagne „Pro Reli“ von finanzkräftigen Sponsoren getragen, ohne dass die Herkunft dieser Gelder offengelegt werden musste. Bei Tempelhof war von über einer Million Euro die Rede, Pro Reli rechnete mit etwas weniger. Mit derartigen Werbeetats lässt sich die Willensbildung in einer Stadt erheblich beeinflussen, eine transparente Finanzierung ist deshalb wichtig. Das Berliner Abstimmungsgesetz sieht vor, dass Einzelspenden ab einer Höhe von 50.000€ anzuzeigen sind. Die CDU und die Kirchen als „bekennende“ Unterstützer der beiden Entscheide verstehen sich offenbar auf die Technik der Einzelüberweisung.
Umgekehrt sollte der Einfluss der Landesregierung auf den Verlauf von Volksentscheiden begrenzt werden. Das betrifft sowohl die Verwendung von Steuergeldern für Anzeigen, als auch den Abstimmungstermin. Bei „Pro Reli“ hatte sich der Senat geweigert, den Volksentscheid am Tag der Europawahlen abzuhalten – in der Hoffnung, dass die Initiative am nötigen Quorum von 25% Ja-Stimmen aller Stimmberechtigten scheitere. Wie das Ergebnis beweist, hätte es dieses Tricks nicht bedurft. Bei einer gleichzeitigen Abstimmung mit der Europawahl wäre die Ablehnung von Pro Reli (aufgrund der geringeren Mobilisierung der Gegner) vermutlich noch höher ausgefallen.
Sven Lüders
Die Humanistische Union verteilte im „Wahlkampf“ um Pro Reli ein Flugblatt mit dem nebenstehenden Text. Allen Helferinnen und Helfern, die zur Verbreitung beigetragen haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt.