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Gewalt­prä­ven­tion bei Jugend­li­chen

Mitteilungen20404/2009Seite 26

Humanistische Union Hamburg diskutiert Konzepte gegen Jugendgewalt. Aus: Mitteilungen Nr. 204 (1/2009), S. 26

„Gewaltprävention und Aggressionsabbau bei Jugendlichen.“ Unter diesem Titel fand am 25.3.2009 eine gut besuchte Vortrags- und Diskussionsveranstaltung des Landesverbandes Hamburg der Humanistischen Union auf dem Campus der Universität Hamburg statt.

Worum ging es? Erstens um die zunehmend brisante Gewaltbereitschaft von Jugendlichen in unserer Gesellschaft als Folge von Gewalterfahrung und mangelnder Zuwendung im Elternhaus, von Armut, Lernschwierigkeiten und Chancenlosigkeit. Diese Gewalterfahrung wird oft genug durch die Demonstration von „Stärke“ vor den Kumpeln auf der Straße oder in den Schulen kompensiert, kann sich im Einzelfall aber auch in exzessiven Gewalttaten z.B. in einem Amoklauf manifestieren. Zweitens ging es um die Methoden, mit denen Sozialpädagogen und Jugendpsychologen versuchen, dieser Entwicklung entgegen zu steuern. Als kontraproduktiv und aggressionsfördernd werden allgemein gewisse gewaltverherrlichende Medienprodukte beurteilt. Aber offenbar scheint es unter den für die Jugenderziehung verantwortlichen Sozialpädagogen auch solche zu geben, die in diesem Punkt anderer Meinung sind; sie suchen durch das Angebot von drastischen Gewaltdarstellungen Jugendliche zu interessieren und an Jugendeinrichtungen zu binden, um Ansatzpunkte für eine produktive Erziehungsarbeit zu finden. Das Hauptproblem bei dieser Methode besteht darin, wie weit man hier gehen kann und darf. Diese Frage wurde anhand einer Musikvideo-Produktion in einem Hamburger Jugendhaus erörtert, über die in Teilen der Medien (taz, MOPO, NDR) berichtet wurde und die in der Tat eine Reihe von Fragen und Zweifeln aufwirft.

Der taz-Redakteur Marco Carini stellte diesen Vorfall in aller Klarheit dar und scheute sich auch nicht, gewaltverherrlichende Textbeispiele des „selbsternannten Gangsta-Rapper(s)“ Faro wörtlich zu zitieren. Beispiel: „Ein Biss in deinen Nacken, dann landest du im Rollstuhl. Wenn ich meine Pistole hole, bist du Schweizer Käse, ich geh dir an die Kehle und du bist ein toter Mann“. Auch das Frauenbild der Songs problematisierte Carini als besonders kritisch, wenn in den Texten z.B. angekündigt werde, alle Mädchen und Frauen des Stadtteils ficken zu wollen. Das gelte auch für Textzeilen wie: „frisch rasiert und lange Haare, deine Braut will auch mal ran, doch ich nehm nicht zweite Ware“. Ein solches Frauenbild nach dem Motto „Benutzt – entehrt – dann nichts mehr wert“ könne zu Ehrenmorden motivieren. Carini monierte, dass derartige Texte mit Steuergeldern finanziert werden, „so als habe die moderne Pädagogik nichts zwischen Häkeldeckchen und gewaltverherrlichenden Klangteppichen zu bieten“. Seine Position fasste Carini im Wesentlichen wie folgt zusammen: Es gebe in dem betroffenen Haus der Jugend keine ausgereiften pädagogischen Konzepte, im konkreten Fall sei das Konzept, auf Jugendliche zuzugehen, um sie erst einmal zu erreichen, überdehnt worden; denn humanistische Grundwerte setzten Grenzen, die nicht überschritten werden dürften, keinesfalls dürfe man die Jugendarbeit pädagogisch nicht ausgebildeten Honorarkräften überlassen.

Carinis Thesen fanden bei den Mitdiskutanten und dem Publikum Rückhalt und Verständnis. Dr. Peter Hermsen (Humanistische Union), Ayfar Dogan (AG Kinder- und Jugendschutz Hamburg) und Volkert Ruhe (Verein „Gefangene helfen Jugendlichen“) vertraten wie Carini die Auffassung, dass Jugendgewalt zwar in der pädagogischen Arbeit aufgegriffen und aufgearbeitet werden müsse, dass aber im konkreten Fall das notwendige Augenmaß verloren gegangen sei. Bei solchem Vorgehen sei nicht zu erwarten, dass Jugendliche davon abgehalten würden, auf die Gewaltschiene zu geraten.

Besonders beeindruckend berichtete Volkert Ruhe von seiner Arbeit, die darauf hinaus laufe, gewalttätigen Jugendlichen durch konkretes Training Empathie zu vermitteln. In einer ersten Phase werde mit jedem Jugendlichen dessen Biographie erstellt, um die Motivation des Jugendlichen aufzudecken; dabei stelle sich sehr oft heraus, dass der Täter zunächst selbst Opfer gewesen sei und sich mit der Gewalttat aus der Rolle des Opfers zu befreien versucht habe. In einer weiteren Phase werde der Täter vor der gesamten Gruppe der Jugendlichen mit seiner Vergangenheit konfrontiert, dabei werde heraus gearbeitet, was er seinem Opfer und dem Umfeld des Opfers, insbesondere dessen Familie, angetan habe. Diese Konfrontation erschüttere den Jugendlichen oft sehr stark, so dass sich eine Auffangphase anschließe, in der der Jugendliche wieder aufgebaut werde. In einem weiteren Schritt werde sodann Mitgefühl (Empathie) vermittelt. Dies geschehe z.B. durch Rollenspiele oder auch durch Einzeltherapie.

In der Diskussion war man sich einig, dass zur Bekämpfung von Jugendgewalt alle Potentiale ausgeschöpft werden müssten. Wertevermittlung und Verhaltensregeln in Konflikten müssten von Anfang an gelehrt und gelernt werden: in den Elternhäusern, in Kindertagesstätten und in den Schulen. Hier nicht die notwendigen Ressourcen an qualifiziertem Personal und Plätzen in Kitas oder Jugendeinrichtungen bereit zu stellen oder sogar die Mittel für Jugendarbeit zu kürzen, sei ein Übermaß an gesellschaftlicher Blindheit und ein Beispiel verfehlter Politik. Bei Gewalttaten Jugendlicher müsse konsequent eingeschritten werden. Im Jugendstrafrecht müsse jedoch der Resozialisierungsgedanke eindeutig Priorität haben bzw. zurückgewinnen, wo er – wie in Hamburg in den Zeiten von Schill und Kusch – zurückgestellt worden sei.

Hartmuth. H. Wrocklage
ist Mitglied des Bundesvorstandes und des
Hamburger Landesvorstandes der Humanistischen Union.

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