Beitragsbild Überzeugungsarbeit vonnöten. Erfahrungen mit der Veranstaltungsreihe „Selbstbestimmung am Lebensende“
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Überzeu­gungs­a­r­beit vonnöten. Erfahrungen mit der Veran­stal­tungs­reihe „Selbst­be­stim­mung am Lebensende“

Mitteilungen20404/2009Seite 10

Aus: Mitteilungen Nr. 204 (1/2009), S. 10/11

Überzeugungsarbeit vonnöten. Erfahrungen mit der Veranstaltungsreihe „Selbstbestimmung am Lebensende“

Nina Eschke bei der Veranstaltung am 9.3.2009 in Cottbus / Foto: LüdersAufklärung im klassischen Sinn betrieb die Humanistische Union in den vergangenen Monaten: Nina Eschke (Abbildung) organisierte fünf Veranstaltungen in Brandenburger Bundestagswahlkreisen. Dort konnten sich Bürgerinnen und Bürger über die bisherige Rechtslage zu Patientenverfügungen, die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung und den Gesetzentwurf der HU informieren, Ärzte und Psychologen berichteten aus der Praxis.
Mit der Veranstaltungsreihe sollte auch der Austausch mit jeweiligen Wahlkreisabgeordneten angeregt werden. Die Parlamentarier standen Rede und Antwort, welchen der vorliegenden Gesetzentwürfe sie unterstützen, und warum die Gesetzgebung immer noch stockt. Unsere Empfehlung: nachahmenswert!

Manchmal muss man ganz von vorn anfangen, auch wenn es schwer fällt: Während sich die Praktiker und Experten weitgehend einig sind, dass es einer gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung bedarf, ist fast ein Drittel der Bundestagsabgeordneten nach wie vor der Meinung, der Staat solle sich aus den Fragen des Sterbens heraushalten. Diese Enthaltsamkeit verwundert umso mehr, als sich alle Gesetzentwürfe nur an jene richten, die sich selbst für solche Verfügungen entscheiden. Es soll keinen Zwang zu Patientenverfügungen geben, eine staatliche Bevormundung ist nicht erkennbar. Notwendig ist ein Gesetz aber, weil die Verfügungen immer populärer werden, ihre rechtliche Verbindlichkeit durch widersprüchliche gerichtliche Entscheidungen in den letzten Jahren unübersichtlich geworden ist.

An jene Skeptiker einer Gesetzgebung und alle Nicht-Experten richtete sich die Veranstaltungsreihe „Selbstbestimmung am Lebensende“, welche die Humanistische Union am 9. März 2009 in Cottbus startete. Mit finanzieller Unterstützung der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung folgten weitere Informationsabende in Neuruppin, Bernau, Brandenburg und Eberswalde. Ziel war es, Bürgerinnen und Bürger über die derzeitige Rechtslage der Patientenverfügungen zu informieren, auf die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung hinzuweisen und das laufende Gesetzgebungsverfahren zu fördern. Die örtlichen Bundestagsabgeordneten wurden jeweils zu ihren Positionen bezüglich der Gesetzentwürfe befragt. Dabei konnte die eine oder andere Informationslücke (insbes. über Folgen und Nebenwirkungen des Bosbach-Entwurfs) geschlossen, der gesetzgeberische Handlungsbedarf untermauert werden. Für die HU boten die Veranstaltungen zudem eine Gelegenheit, sich in Brandenburg zu präsentieren. Schließlich waren die Podien auch ein Schritt, um den vereinsintern so lang vorbereiteten Gesetzentwurf der Humanistischen Union der Öffentlichkeit zu präsentieren und mit Politikern und Praktikern zu diskutieren.

Den Blick weiten:
HU-Ge­setz­ent­wurf zu Patien­ten­ver­fü­gung & Sterbehilfe

Nach den Widerständen zu urteilen, auf die das derzeitige Gesetzgebungsverfahren stößt, könnte man meinen, es solle eine neue Ethik des Sterbens in unserer Gesellschaft etabliert werden. Das ist mitnichten der Fall. Selbst die beiden liberalen Entwürfe (Stünker und Zöller/Faust) schreiben nur auf, was die Mehrheit der Juristen als Konsens der höchstrichterlichen Rechtssprechung ansieht und sich in den letzten Jahrzehnten als Standardpraxis etabliert hat. So notwendig eine gesetzliche Regelung ist, von einer Entwicklung bioethischer Positionen mag man da kaum reden.

Ein Ziel der Veranstaltungsreihe war deshalb auch, auf blinde Flecken in den derzeit diskutierten Vorschlägen hinzuweisen. In der Praxis tauchen immer wieder Zweifel auf, ob der Verzicht auf eine Behandlung oder ein Behandlungsabbruch zulässig sind oder nicht. In Umfragen zeigten selbst Palliativmediziner und Vormundschaftsrichter große Unsicherheiten darin, zwischen indirekter, passiver und aktiver Sterbehilfe zu unterscheiden. Eine gesetzliche Klarstellung wäre mit einfachen Mitteln zu erreichen, sie fehlt jedoch in allen drei Entwürfen.

Im Rahmen der Veranstaltung wurde der Gesetzentwurf der Humanistischen Union vorgestellt, der als einziger Vorschlag eine strafrechtliche Regelung (§ 216 StGB) vorsieht. Neben einer Klarstellung von passiver und indirekter Sterbehilfe sieht er auch die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe vor. Dass eine politische Diskussion dieser Forderung an der Zeit ist, zeigen der zunehmende Sterhebilfe-Tourismus in Nachbarländer als auch Meinungsumfragen, in denen sich eine Mehrheit der Bevölkerung für eine Freigabe ausspricht. Im parlamentarischen Raum ist dieses Anliegen mehr denn je tabu, eine Mehrheit für diesen Schritt in weiter Ferne. Umso wichtiger, den Abgeordneten immer wieder klar zu machen, dass die Diskussion um mehr Selbstbestimmung am Lebensende mit der Patientenverfügung noch nicht zu Ende ist.

Zur Nachahmung empfohlen

Die Veranstaltungsreihe in Brandenburg war nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein: Mit fünf Veranstaltungen wurden gerade einmal sieben Bundestagsabgeordnete erreicht, die restlichen 602 Parlamentarier warten noch auf ihre „Befragung“ zum Thema. Wir würden uns deshalb freuen, wenn Regionalgruppen der HU dem Beispiel folgen und die Veranstaltung mit ihren Abgeordneten vor Ort wiederholen. Der dafür nötige Aufwand hält sich in Grenzen, die schwierigste Aufgabe dürfte sein, mit den Parlamentariern einen freien Veranstaltungstermin zu finden. Nach unserer Erfahrung lohnt sich diese Mühe, denn das Thema lockt nicht nur ein anderes Publikum an, aufgrund des stockenden Gesetzgebungsverfahrens besteht auch akuter Handlungsbedarf.

Regionalgruppen können für eine solche Veranstaltung auf zahlreiche Materialien zurückgreifen:

  • vorgedruckte Einladungen und Plakate, in die die konkreten Veranstaltungsdaten (Teilnehmer, Datum, Ort) einkopiert werden können;
  • eine Powerpoint-Präsentation, in der die höchstrichterliche Rechtssprechung zum Thema, die Unterschiede der drei Gesetzentwürfe sowie der eigene Gesetzentwurf der Humanistischen Union dargestellt werden;
  • ein Handout für die Teilnehmer, in der die Unterschiede der Gesetzentwürfe übersichtlich dargestellt sind;
  • eine gedruckte Fassung des HU-Gesetzentwurfs zu Patientenverfügung/Sterbehilfe und seine ausführliche Kommentierung;
  • Vordrucke der HU-Patientenverfügung und weitere Veröffentlichungen, wie die vorgänge Nr. 175 („Sterben und Selbstbestimmung“) oder die Dokumentation unserer Fachtagung „Selbstbestimmung am Lebensende“ für einen Infotisch.

Sven Lüders

Die genannten Materialien können in der Bundesgeschäftsstelle abgerufen werden, weitere Informationen zum Thema finden sich unter: http://humanistische-union.de/?id=1330.

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