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Kernfor­de­rungen der Humanis­ti­schen Union zur Verbes­se­rung der Situation des Straf­voll­zuges

Mitteilungen Nr. 210 (3/2010), S. 16

1. Die Unterbringung muss menschenwürdig und auf die Reduktion von Angst ausgerichtet sein. Die Verhinderung von gewalttätigen Übergriffen muss Ziel struktureller Veränderungen sein. Kleine, dunkle Zellen müssen der Vergangenheit angehören. Die Gefangenen sind in angemessen großen, hellen und hygienisch einwandfreien Zimmern unterzubringen. Es besteht ein Recht auf Einzelunterbringung. Überbelegung darf es nicht geben. Der Wohngruppenvollzug muss Regelvollzug sein. Einschlüsse sind auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Die Bediensteten müssen ständig erreichbar und ansprechbar sein. Sie müssen geschult werden, um gewalttätige Konflikte erkennen und beenden zu können und um Vertrauen bei den Inhaftierten zu erzeugen, das notwendig ist, damit sie sich in Zwangssituationen offenbaren können.

2. Die Gefängnisse müssen geöffnet werden. Für die Resozialisierung ist es erforderlich, dass den Gefangenen von Anfang an umfassende Möglichkeiten zum Kontakt mit der Außenwelt eingeräumt werden. Die rückläufigen Tendenzen bei der anteiligen Belegung des offenen Vollzuges und der Urlaubsgewährung müssen umgekehrt werden. Zudem sind Besuche, auch Langzeitbesuche, von den Anstalten zu fördern.

3. Es muss ausreichendes und gut ausgebildetes Personal vorhanden sein. In alle personellen Bereichen muss es Nachbesserungen geben. Ziel muss eine Personal-Gefangenen-Relation von 1:1 sein. Dies ist über Neueinstellungen, aber vor allem über die konsequente Reduzierung der Gefangenzahlen zu erreichen. Bestimmte Gefangengruppen sind generell nicht im Strafvollzug unterzubringen. Dies gilt etwa für Drogenabhängige, Jugendliche oder Personen, die ihre Geldstrafe nicht bezahlt haben. Ihre Entnahme aus den Strafvollzugsanstalten könnte die Situation bereits kurzfristig entschärfen. Zudem besteht vor allem im Bereich der Fachdienste ein enormer Personalbedarf.

4. Die Institution der Sicherungsverwahrung ist abzuschaffen. Alle Formen der Sicherungsverwahrung (primäre, vorbehaltene und nachträgliche) widersprechen dem Schuldprinzip. Sie sind zu ersetzen durch einen konsequent auf Resozialisierung ausgerichteten Strafvollzug. Psychisch erkrankten Straffälligen müssen Angebote für eine angemessene Behandlung gemacht werden. Sie dürfen nicht einfach nur verwahrt werden.

5. Eigenständige sozialtherapeutischen Anstalten sind auszubauen. Nur knapp 2,7 % der Haftplätze befinden sich in sozialtherapeutischen Anstalten. Diese sind zudem häufig dem allgemeinen Strafvollzug angegliederte Abteilungen. Der Anteil ist auf 10 % zu erhöhen, um die häufig auftretenden psychischen Problemen vieler Gefangener angemessen behandeln zu können.

6. Arbeitsmöglichkeiten müssen für alle Gefangenen gegeben sein. Gerade im trostlosen Alltag des Strafvollzuges ist produktive Betätigung bei gerechter Entlohnung unentbehrlich. Allen Gefangenen, die arbeiten wollen, muss eine adäquate und qualifizierende Beschäftigung angeboten werden.

7. Strafvollzugsanstalten müssen regelmäßig überprüft und evaluiert werden. Der Strafvollzug muss transparenter werden. Er darf nicht weiterhin ein geschlossenes System bleiben, das von der Öffentlichkeit abgeschnitten ist. Dazu müssen zum einen unabhängige Institutionen geschaffen werden, die umfassende Rechte zur Überprüfung von Anstalten und darin auftretenden Vorkommnissen haben. Zum anderen sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts über die Notwendigkeit begleitender wissenschaftlicher Evaluation umzusetzen. Das erfordert die Bereitstellung finanzieller Mittel für unabhängige wissenschaftliche Stellen, denen kontinuierlich gesammelte Daten zur Verfügung zu stellen sind.

8. Die Institution der Ombudsperson muss flächendeckend eingerichtet werden. Neben Stellen, die die Vollzugsanstalten regelmäßig kontrollieren, brauchen Gefangene vertrauenswürdige und unparteiische Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner außerhalb der Anstalt. Nur so können Konflikte, Verstöße und Unzulänglichkeiten schnell und wirksam problematisiert werden.

9. Alternativen zum Strafvollzug müssen weiterentwickelt werden. Haftvermeidung muss an obersten Stelle stehen beim Umgang mit straffälligen Personen. Dazu sind alternative Konfliktlösungsmodelle wie der Täter-Opfer-Ausgleich auch ohne Beteiligung von Strafverfolgungsbehörden auszubauen. Zudem muss in jedem Stadium des Strafverfahrens verpflichtend und nicht nur im Regelfall geprüft werden, ob ein Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt werden kann, der zu einer Einstellung des Verfahrens oder einer Strafmilderung führt. Auch ist die Unterbringung in anderen Einrichtungen wie Heimen dem Strafvollzug vorzuziehen.

10. Nach der Entlassung müssen ehemalige Gefangene begleitet werden. Der Strafvollzug ist ein tiefer Einschnitt in das Leben der Betroffenen, der eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft schwer macht. Der Staat darf sich hier nicht aus der Verantwortung ziehen und muss Hilfe etwa bei der Suche von Arbeit, Wohnung und sonstiger Orientierung (z.B. Schuldentilgung) anbieten. Dazu sind bereits während des Vollzuges umfassende Vorkehrungen zu treffen, was beispielsweise auch die uneingeschränkte Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialversicherungssysteme beinhaltet.

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