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Olympia und Fußball – Freizeit für Bürger­rechte?

Mitteilungen22606/2015Seite 7

Ein Abend des HU-Landesverbandes Berlin-Brandenburg. Aus: HU-Mitteilungen Nr. 226 (2/2015), S. 7/8

Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 sei ihm zum ersten Mal wirklich aufgefallen, wie sehr große Sportveranstaltungen genützt würden, um Sicherheitskonzepte auszuprobieren, die später auch anderswo verwendet würden, sagte Andreas Rüttenauer, Sportreporter und Chefredakteur der „Tageszeitung“ (taz) am 15. April bei dem Informations- und Diskussionsabend „Olympia und Fußball – Freizeit für Bürgerrechte?“ des HU-Landesverbandes Berlin-Brandenburg. Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft war von den Journalisten, wenn sie als akkreditierte Journalisten aus dem Olympiastadion über die WM berichten wollten, das Einverständnis für eine umfassende Sicherheitsüberprüfung bei Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst verlangt worden. Die taz verweigerte als einzige Zeitung die Sicherheitsüberprüfung und berichtete nicht über die Spiele. Rüttenauer meinte, man könne als Journalist nicht glaubwürdig gegen überbordende Sicherheitskonzepte und Überprüfungen bei im Ausland stattfindenden Meisterschaften protestieren und dann im eigenen Land klaglos solche Maßnahmen über sich ergehen lassen. Außerdem habe es, im Gegensatz zu anderen Ausrichterländern, für die Entscheidung der Organisatoren über eine Akkreditierung keine Begründung gegeben.

An dem Abend, der noch während der inzwischen gescheiterten Bewerbung von Berlin für die Olympiade 2024 geplant wurde, diskutierten Rüttenauer und Hubert Müller, Sicherheitsbeauftragter des Berliner Fußballverbandes mit den Gästen, wozu auch Vertreter von ProFans, ein bundesweit aktives Bündnis von Fan- und Ultragruppen, und Bündnis 90/Die Grünen gehörten, über die Frage, wie es um die Bürgerrechte bei Fußballspielen steht.  Denn gerade bei großen Spielen, wie Bundesliga-, UEFA-Pokal- und Weltmeisterschaftsspiele, gibt es vor, während und nach den Spielen eine hohe Polizepräsenz, eine damit verbundene massive Kontrolle der Fans (oft mit Einkesselungen und enger Begleitung), Gefährderansprachen und auch Reiseverbote und Hausarreste. Teilweise sind die Reiserouten fest vorgeschrieben. Es gibt von Vereinen verhängte, teils sehr hohe Geldstrafen für sich auffällig verhaltende Fans, Stadionverbote, eine umfassende Videoüberwachung in den Stadion und einen Datenaustausch zwischen Polizei und Fußballvereinen.

All dies schilderten Andreas Rüttenauer und der Vertreter von ProFans mit vielen eindrucksvollen Beispielen. Rüttenauer wies auch auf das 2012 von der Deutschen Fußballbundesliga formulierte und heftig umstrittene Sicherheitskonzept hin. Beim Niedersachsen-Derby zwischen Braunschweig und Hannover gab es – unvorstellbar bei anderen Großveranstaltungen – personalisierte Tickets. Die Ultras boykottierten das Spiel. Dennoch geht die Diskussion über personalisierte Tickets und der damit verbundenen Kontrolle von zahlenden Besuchern weiter. Es gebe auch neue Tools, die aus datenschutzrechtlicher Perspektive sehr problematisch seien. So böten Vereine inzwischen Bilder aus dem Stadion an, auf denen die Spielbesucher sich und ihre Nachbarn im Stadion sehen könnten. Für solche Anwendungen sind natürlich personalisierte Tickets und feste Sitz- und Stehplätze notwendig.

Hubert Müller, der als Sicherheitsbeauftragter beim Berliner Fußballverband ehrenamtlich tätig ist, sagte, dass sie für den Amateurfußball bis hinauf zur Berliner Liga zuständig sind. Das seien jede Woche 1.600 Spiele und im Jahr 32.000 Spiele in Berlin, zu denen normalerweise zwischen dreißig und fünfzig Menschen kämen. Stadionverbote gäbe es bei ihnen nicht. Aber einige Spieler, die sich unfair und gewalttätig gegenüber anderen Spielern und dem Schiedsrichter verhielten, kämen auf eine Schwarze Liste. Dann dürften sie nicht mehr im Verein spielen. Bei potentiell problematischen Spielen seien manchmal, ebenfalls ehrenamtliche, Spielbeobachter anwesend. Wichtig sei für sie die Prävention. Bei dem von ihnen durchgeführten Anti-Gewalt-Training habe es bis jetzt nur einen Rückfall bei hundert Teilnehmern gegeben. Müller betonte, dass, um Gewalt schon im Vorfeld zu verhindern, das Gespräch miteinander sehr wichtig sei und deeskalierend wirke. Das gelänge ihnen gut, wie die friedlichen Spiele zeigten. Die anderen Gäste stimmten seiner Einschätzung zu und betonten auch, wie wichtig das Ehrenamt für die Gesellschaft sei.

Der HU-Landesverband will sich weiter mit dem Thema „Fußball/Sport und Bürgerrechte“ beschäftigen. Denn die Repressionen, die es gegen Fußballfans gibt, gibt es auch gegen Demonstrationsteilnehmer und die HU ergreift regelmäßig Partei für die Demonstrierenden und ihr Demonstrationsrecht. Fußball ist zwar nur eine Freizeitbeschäftigung, aber auch bei ihr sollten die aktiven und passiven Teilnehmer möglichst wenig staatliche Kontrolle und Repression erfahren. Dabei gibt es beim Fußball auch noch eine äußerst bedenkliche und unkontrollierte Zusammenarbeit zwischen staatlichen und privaten Stellen. Außerdem wird das Hausrecht oft außergewöhnlich weit ausgelegt.

Der Abend knüpfte an ein bereits im letzten Jahr geführtes Gespräch mit ProFans und einer Diskussion des Landesverbandes über die Sicherheitsmaßnahmen bei den Olympischen Spielen an. Ausgehend von dieser Diskussion formulierte der Landesverband im Februar ein vierseitiges, gut beachtetes Positionspapier.

Axel Bussmer

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