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„Der gläserne Mensch“

Mitteilungen23308/2017Seite 12

in: Mitteilungen Nr. 233 (3/2017), S. 12f.

(Red.) Kürzlich startete am Berliner Bahnhof Südkreuz ein Modellversuch zur videogestützten Gesichtserkennung. Der Versuch wurde u.a. vom Bundesinnenministerium angekündigt, zahlreiche Medien berichteten darüber – u.a. auch die Frankfurter Rundschau am 2.8.2017 unter der Überschrift „Der gläserne Mensch“. Das veranlasste unser Mitglied Dennis Riehle aus Konstanz zu folgendem Leserbrief.

Die Gesichtserkennung wird vor allem Opfer hervorbringen. Menschen, die zu Unrecht beschuldigt werden, weil die Technik zwar genau ist, aber nicht haargenau. Wir verlassen uns zu sehr auf den Fortschritt, billigen ihm unverblümt und offenherzig zu, den Nachweis einer unverrückbaren Täterschaft zu erbringen, obwohl wir genau wissen, dass ein einziger Fehler für einen Menschen einen riesigen Einschnitt in sein Leben, in seine Reputation, in Karriere und Freiheit bringen kann. Wollen wir solch eine Unsicherheit zulassen, wenn es darum geht, über die Schuld zu entscheiden, die zwar auch bislang unter Vorbehalt zugesprochen wurde. Denn die Anfälligkeit für Ungenaues ist bei menschlichen Aussagen, bei Spurensicherung und -auswertung noch größer als bei der Gesichtserkennung. Der Unterschied ist aber: Wir haben diesen Hilfsmitteln eine entsprechende Skepsis entgegengebracht. Damit war es nötig, die Verantwortung für ein Verbrechen anhand vieler anderer Beweise bestätigen zu müssen. Wenn wir dieser Tage nahezu blind in das vertrauen, was uns Unternehmen, Wissenschaftler und Forscher durch die Gesichtserkennung versprechen, verlieren wir unsere notwendigen Zweifel an Ergebnissen und Erkenntnissen. Und jeder Fall von Ungenauigkeit ist fatal. So werden auch wir schuldig, wenn wir uns unkritisch auf alles einlassen, was möglich ist, ohne zu hinterfragen, ob es sinnvoll sein kann …

Dennis Riehle

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