Publikationen / vorgänge / vorgänge 10/1977

Joachim Perels: der Eiterherd

Grenada und die Reagan-Mentalität der FAZ

Joachim Perels:

Der Eiterherd

Grenada und die Reagan-­Men­ta­lität der FAZ

Wer sich fragt, welches die Gründe für den vielfach beobachteten Mangel an demokratischer Kultur. in der Bundesrepublik sind, den belehrt nicht zuletzt ein Blick in unsere »führende« Tageszeitung: in die Frankfurter Allgemeine. Die politischen Kommentare im Hauptblatt des Industriebürgertums haben bei einem Konflikt zwischen Recht und imperialen Interessen für die großen Traditionen des klassisch-liberalen Denkens nicht einmal den Hauch einer Erinnerung übrig – ganz im Gegensatz zu vergleichbaren Blättern westlicher Demokratien wie Frankreichs »Le Monde«, der »Washington Post« oder der »New York Times« der Vereinigten Staaten.

Als die USA in Grenada militärisch intervenieren, bezieht die FAZ sogleich eine scharfe proamerikanische Position. Während selbst die konservative Bundesregierung dezenten Abstand von der Intervention hielt, gelingt es der FAZ, Kohl und Genscher rechts zu überholen. Der Kommentator Ernst Otto Maetzke greift zu einem biologischen Bild: Grenada zähle zu den »Eiterherden« (wenn auch nicht den größten) der Welt (FAZ v. 26. 10.83). Dies Wort muß man länger im Ohr behalten. Es ist verräterisch. Werden Machtkonflikte, die bestimmten Rechtregeln unterworfen sind, in naturartige Sachverhalte umgewandelt, ist der jeweils Stärkere, als Chirurg, gerechtfertigt. Maetzke nennt es die »Doktor-Eisenbart-Methode« und beschreibt sie zustimmend so: »Das Chaos, das nach der Ermordung des linksgerichteten Ministerpräsidenten durch seine noch radikaleren Rivalen entstanden war, beginnt die Hemisphärengroßmacht zu kurieren.« Im Wort vom

»Kurieren« des »Eiterherds« werden Austilgungsmechanismen geistig freigesetzt. Offenbar gibt es keinen in der Redaktion der Frankfurter Allgemeinen, dessen Gehör durch die Erinnerung an die nationalsozialistische Sprach-Barbarei so geschärft wäre, daß derartige Entgleisungen unmöglich machte. Marcel Reich-Ranicki, Jude, Opfer der Nazis, nicht illiberal, sitzt in der Feuilleton-Redaktion, ohnmächtig, wirkungslos gegenüber einer politischen Linie seines Blattes, für die der Griff ins »Wörterbuch des Unmenschen« nützlich scheint.

Am nächsten Tag fehlen die biologischen Metaphern in der Kommentierung der FAZ. Günter Gillessen spricht davon, daß man im Blick auf das Eingreifen der USA in Grenada nicht nur nach den Mitteln der Politik fragen solle, sondern sie nach ihren Zwecken beurteilen solle (FAZ v. 27.10. 83). Damit sind, wie einfach, die Mittel der Politik rechtlicher Bewertung entzogen. Natürlich ist dem gebildeten Gillessen, im Hauptberuf Professor an der Universität Mainz, etwa die Regelung der Charta der »Organisation Amerikanischer Staaten« von 1948 zur nationalen Souveränität nicht unbekannt. Art. 20 lautet: »Das Territorium eines Staates ist unverletzlich; es darf nicht Gegenstand einer auch nur vorübergehenden militärischen Besetzung oder anderer gewaltsamer Maßnahmen durch andere Staaten sein, weder direkt noch indirekt, aus welchen Gründen auch immer.« Eine derartige Norm betrifft ja nur die Mittel der Außenpolitik auf dem amerikanischen Kontinent. Wo kämen die USA hin, wenn sie sich zu Lasten ihrer Machtinteressen an völkerrechtliche Normen grundsätzlich halten wollten. Besser ist, man zitiert sie nicht.

Wieder einen Tag später erscheint, von Robert Held, ein Leitartikel zur Grenada-Operation. Er entwickelt eine andere Rechtfertigungsstrategie. Weil europäische Länder es mit dem Völkerrecht auch nicht so ernst nähmen (wie wahr), hätten sie keinen Anspruch auf Kritik an der US-Regierung: »Abfällige europäische Kommentare, auch von französischer und britischer Seite, sind … leichtfertig und pharisäisch« (FAZ v. 28. 10. 83). Die Logik ist absurd: Als ob Kritik dadurch, daß der Kritiker eben-falls Dreck am Stecken hat, sachlich unberechtigt würde. Kritik am völkerrechtswidrigen Vorgehen der USA nennt Held, argumentationslos, »widrige Propaganda«.

Am darauffolgenden Tag erfindet, diesmal wieder Ernst Otto Maetzke, eine weitere Legitimationsthese für die Reagan-Regierung. Er spricht von den »größtenteils einleuchtenden Argumenten« des US-Präsidenten und bringt den Einfall in Grenada in Zusammenhang mit einer amerikanischen (und daher begründeten) Breshnew-Doktrin: »Nützlicher (als der Vergleich mit der sowjetischen Intervention in Afghanistan, J. P.) ….wäre das Vergleichen der äußerlichen Ähnlichkeiten der Breshnew-Doktrin – etwa im Falle der Tschechoslowakei – mit einer Denkweise, wie sie dem Vorgehen im Fall Grenadas zugrunde lag« (FAZ v. 29. 10. 83). Über die rechtliche Seite einer derartigen Doktrin, die nationale Souveränität zugunsten von Großmachtinteresssen aufzuheben, verliert Maetzke kein Wort.

Die Nibelungentreue der Frankfurter Allgemeinen zur amerikanischen Rechtsregierung ist grenzenlos. Sie ist eine Gefahr für das Lebensinteresse der Bundesrepublik. Wenn jedes machtbesessene Manöver der US-Regierung in der führenden Zeitung der Bundesrepublik auf Zustimmung stößt, wächst die Gefahr, daß noch größere Abenteuer der Regierung Reagan mitprovoziert werden. Es war niemand geringeres als der amerikanische Präsident, der, tapsig redend, auf einer Pressekonferenz einst erklärte, es sei möglich in Europa einen begrenzten Atomkrieg zu führen. Natürlich gibt es auch andere, kontrollierte Äußerungen von Reagan. Daß aber im Kopf des mächtigsten Mannes der Welt so viel Durcheinander besteht, ist beängstigend, zumal er von einem primitiven Sendungsbewußsein ergriffen ist, das alle Übel auf die Sowjetunion projiziert, um die eigenen Missetaten zu decken.

Nur wenn dieser Präsident durch die öffentliche Meinung in den USA und in Europa unerbittlich kontrolliert und unter Druck gesetzt wird – für Macht ist er empfänglich -, besteht die Chance, daß Reagan nicht aus Unverstand eines Tages den atomaren Selbstmord der Bundesrepublik einleitet. Reagan entscheidet ja über den Einsatz der in der Bundesrepublik stationierten Atomraketen, also über unser aller Leben. Daß die Frankfurter Allgemeine Zeitung in dieser Situation die machtgeleiteten Dreistigkeiten des US-Präsidenten in Grenada auch noch nachbuchstabiert, ist fatal. Hoffen wir, daß die Zunahme kritischen. Denkens gegenüber der amerikanischen Regierung gerade auch im Bildungsbürgertum – Franz Alt ist hierfür ein gutes Beispiel – dazu beiträgt, daß die Frankfurter Allgemeine Zeitung sich nicht mehr ohne weiteres, entsprechend ihrem Untertitel, als »Zeitung für Deutschland« präsentieren läßt. Die Bundesrepüblik ist nicht der Satellit der USA.

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