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Vom Recht auf Öffent­lich­keit und Privatheit

vorgängevorgänge 14412/1998Seite 49-51

Vorgänge 144, S. 49-51

Einfach scheint es, öffentlichen und privaten Raum zu trennen. In seinen vier Wänden ist (bzw. wähnt sich) der Bürger frei; in der Öffentlichkeit ist er den Schranken des Gemeinwohls verpflichtet. Doch diese biedermeierliche Sicht ist trügerisch und stimmte nie. Im Zeitalter der Informationsgesellschaft, in dem wir uns befinden, ist eine solch simple Scheidung Illusion. Der öffentliche Raum war, rechtlich gesehen, stets umkämpft, ebenso wie der private. Staatliche Herrschaft, religiöse Institutionen, ständische Kräfte versuchten und versuchen, beide zu reglementieren. Die Bürger haben sich mühsam rechtliche Freiheitsräume erkämpft, deren Existenz immer wieder bedroht wird und verteidigt werden muß, nicht zuletzt gegen moderne Techniken der Kommunikation und ihrer rechtlichen Verortung, um hier nur ein Beispiel zu nennen.

Grundrechtsgarantien

Das Grundgesetz – wie auch die Verfassungen der Bundesländer – schützt die Privatsphäre vielfach, wenn auch nicht immer wirksam. So gewähren insbesondere Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde), Art. 2 Abs. 1 GG (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) und Art. 4 GG (Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit) dem Bürger Abwehrrechte gegen das Eindringen anderer, auch des Staates, in den privaten Bereich. Auch Art. 10 GG (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) und Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung, auch von Geschäftsräumen) schützen weitgehend das Recht auf Privatheit, wenngleich diese beiden Grundrechte durch nachträgliche Änderungen stark erodiert wurden.Im Zusammenhang mit dem Beschluß der „Notstandsgesetze“ wurde 1968 Art. 10 Abs. 2 GG um einen weiteren Satz ergänzt, wonach zu Zwecken des Verfassungs- und Staatsschutzes Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis auch ohne Unterrichtung des Betroffenen zulässig seien. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelung bei verfassungskonformer Auslegung mit knapper Mehrheit gebilligt. Die verfassungsrechtliche Literatur lehnt sie zum überwiegenden Teil als verfassungswidrig ab, weil die Verfassungsänderung in den Kern der Grundrechtsgarantie eingreife, was nach Art. 79 Abs. 3 GG verboten ist (Dreier/Hermes, RdNr. 54 zu Art. 10 GG m.w.N.).Ähnlich verhält es sich mit dem Gesetz zum großen Lauschangriff von 1998 (Gesetz vom 26.3.1998, BGB1. I S. 610.), mit dem die Garantie der Unverletzlichkeit der Woh-nung und Geschäftsräume zur Disposition des einfachen Gesetzgebers gestellt wurde, wenn der begründete Verdacht besteht, daß bestimmte besonders schwere Straftaten begangen wurden oder zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit die Überwachung von Räumen durch technische Mittel erforderlich erscheint. Der Schutz der Vertraulichkeit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes und sonstiger nichtöffentlicher Vorgänge in Räumen von Personen, die aus beruflichen Gründen zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte, Mitglieder von anerkannten Beratungsstellen), wird nur noch durch die Strafprozeßordnung gewährt, dieser Schutz kann vom Gesetzgeber jederzeit mit einfacher Mehrheit beseitigt werden. Auch diese Änderung des Grundgesetzes steht mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht im Einklang und ist somit nichtig; doch auch in diesem Fall ist es zweifelhaft, ob das Bundesverfassungsgericht dieser Argumentation folgen wird.Dem Eindringen des Staates in den privaten Raum wurde in beiden Fällen in bedenklicher Weise Vorschub geleistet. Zwischen Öffentlichkeit und Privatheit etabliert sich immer mehr eine Grauzone, in der aus Gründen der Staatssicherheit und der Bekämpfung des organisierten Verbrechens mehr und mehr die Intimsphäre der Bürger bedroht wird.Den die Privatsphäre schützenden Grundrechten stehen die Kommunikationsgrundrechte gegenüber, insbesondere also die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung, In-formations-, Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit (Art. 5 Abs. l GG), der Versammlungsund Vereinigungsfreiheit (Art. 8, 9 GG). Ihnen korrespondiert jeweils das Recht, von dieser Freiheit keinen Gebrauch zu machen, sich also nicht zu äußern, an Versammlungen nicht teilzunehmen oder sich an Vereinigungen nicht zu beteiligen. Diese für die Willensbildung der Bürger und das Funktionieren einer Demokratie unerläßlichen Freiheitsrechte gewährleisten auch ein Recht auf Öffenlichkeit, auf Veröffentlichung. Sie bedürfen des öffentlichen Raums, um die Botschaft, die Nachricht, die Information an die Frau und an den Mann zu bringen.Veranstalter, Leiter und Teilnehmer von öffentlichen Versammlungen und Aufzügen (Demonstrationen) haben daher Anspruch auf (weitgehend) ungehinderte und kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsflächen. Öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunk haben Anspruch auf Zuteilung von Frequenzen und Sendezeiten durch die Landesmedienanstalten. Stehen sie nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung, bedarf ihre Verteilung der zumindest eingeschränkt gerichtlich nachprüfbaren Abwägung.Einschränkungen der ÖffentlichkeitAber auch der öffentliche Raum gewährleistet keinen uneingeschränkten Zugriff. Auch in ihm sind Regeln einzuhalten, die sich aus Sicherheitsgründen wie auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes ergeben können.Versammlungen gegenüber können Auflagen gemacht werden, die allerdings das Versammlungsrecht nicht beeinträchtigen dürfen. Kriminelle Vereinigungen können sich selbstverständlich nicht auf das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit berufen, wie überhaupt die Begehung von Straftaten nicht von Grundrechten gedeckt sein kann. Heiß umstritten ist inWahlzeiten die Pflicht zur Ausstrahlung von Werbesendungen für politische Parteien, die für öffentlich-rechtliche und private Rundfunkanstalten unterschiedlich geregelt ist.Wer den öffentlichen Raum zu Erwerbszwecken nutzt, bedarf der Erlaubnis, für die er in der Regel Sondernutzungsgebühren zu zahlen hat. Das gilt für Freischankflächen auf öffentlichem Grund ebenso wie für den Straßenmusikanten. Auch die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz l GG) rechtfertigt in der Regel nicht die Nutzung fremden Eigentums. Eine Ausnahme gilt für künstlerische Darbietungen im Rahmen eines Demonstrationszugs. Auch im öffentlichen Raum gibt es ein Recht auf Privatheit, das nur in Ausnahmefällen eingeschränkt ist. So ist der Bürger, der sich auf öffentlichen Straßen bewegt, kein Freiwild. Fotografiert darf er nur mit seiner Einwilligung werden, es sei denn, er sei eine Person der Zeitgeschichte oder er komme nur zufällig als „Beiwerk“ neben einer Landschaft oder einer sonstigen Örtlichkeit ins Bild. Auch Bilder von Versammlungen und Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen eine Person teilgenommen hat, sind zulässig, eine polizeiliche Dokumentation derartiger Veranstaltungen nach den Sondervorschriften des Versammlungsgesetzes.Aber auch Personen „aus dem Bereich der Zeitgeschichte“ müssen sich nicht stets und uneingeschränkt fotografieren lassen. Vor allem die Berichterstattung der Boulevard- und Sensationspresse beschäftigt nachhaltig die Gerichte, in Deutschland und anderswo. Die hierzu ergangenen Urteile sind nicht immer einsichtig. Andererseits haben auch Prominente (wer immer hierzu zählen mag) ein Recht auf Privatheit, nicht nur in der Intimsphäre, sondern unter Umständen auch im öffentlichen Bereich, nämlich dann, wenn sie sich ersichtlich in einen abgeschiedenen Teil eines öffentlich zugänglichen Gebiets zurückgezogen und damit dokumentiert haben, daß sie unbelästigt bleiben und auch nicht fotografiert werden wollen. Die damit zusammenhängenden Probleme der freien Berichterstattung einerseits, des Rechtsschutzes andererseits sind nicht schwer zu lösen. Konflikte entstehen einzig dann, wenn die Sensationslust den Anstand verdrängt. In eine Grauzone gerät man in diesem Zusammenhang jedoch unweigerlich bei der Frage, wer denn eine Person aus dem Bereich der Zeitgeschichte ist, wobei die Juristen noch zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte unterscheiden. Viele Prominente verdienen diese Bezeichnung nur, weil sie sich selbst in die Öffentlichkeit gedrängt haben, um aus der damit gewonnenen „Prominenz“ Kapital zu schlagen, oft in klingender Münze. Wer seine Haut selbst zu Markte trägt, um sie dort zu verkaufen, sollte sich nicht auf das Recht der Privatheit berufen dürfen, um ein Schmerzensgeld einzuklagen für eine Beeinträchtigung, die er selbst provoziert hat. Die „Paparazzi-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs ist weitgehend ausgewogen, die Instanzgerichte hingegen haben manchesmal Schwierigkeiten damit.Öffentlichkeit und Privatheit lassen sich nicht sauber scheiden, die Bereiche durchdringen sich. Das war zu allen Zeiten so. Der gegenwärtige Schutz der Privatsphäre ist auf durchaus hohem Niveau angesiedelt. Zum Skandal werden Einbruchstellen nur, wenn der Staat – und sei es zu Zwecken der Staatssicherheit oder der Verbrechensbekämpfung- sich anschickt, in private Sphären und berufliche Vertrauensverhältnisse einzubrechen, indem er seinen Zielen ausschließlich den Vorzug gibt.

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