Humanistische Union weist auf schwerwiegende Mängel im neuen § 218-Entwurf hin
aus vorgänge Nr. 18 (Heft 6/1975), S. 108-109
(vg) In einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden von SPD und FDP und an eine Reihe mit der Materie befaßter Bundestagsabgeordnete hat die Vorsitzende der Humanistischen Union, Charlotte Maack, am 8. Oktober 1975 auf schwerwiegende Mängel im Koalitionsentwurf für die Neufassung des § 218 (nach dem Verfassungsgerichtsurteil) hingewiesen.
Nach der Einbringung des neuen Koalitionsentwurfes zur Reform des § 218 im Bundestag möchten wir Ihnen einige, uns als dringend zu berücksichtigende Bedenken über noch auszufüllende Lücken und Unklarheiten in dem Entwurf mitteilen. Wir bitten Sie, diese vor der Schlußredaktion des geplanten Reformgesetzes zu überprüfen, bzw präzisierend auszufüllen.
Erlauben Sie uns zunächst eine Vorbemerkung.
Wir glauben, zunächst noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen zu müssen, daß wir wie ohne Zweifel auch Sie das Verfassungsgerichtsurteil vom 25. Februar dieses Jahres enttäuscht, um nicht zu sagen empört, zur Kenntnis nahmen. Wir halten die Argumentation, auf die sich das Mehrheitsvotum der Verfassungsrichter bei der Ablehnung der Fristenregelung stützt, für unvereinbar mit dem Art 2 des Grundgesetzes. Doch darüber zu hadern, daß die Bundestagsfraktionen der SPD und FDP und die Regierung das vom Verfassungsgericht gefällte, durchaus angreifbare Urteil hinnahmen, ohne wenigstens den Versuch zu wagen, nun eine neue, modifizierte Fristenregelung vorzulegen einen Entwurf, der das von der Verfassung garantierte Selbstbestimmungsrecht der Frau garantierte erscheint uns in der jetzigen Phase wenig nützlich. Wie Sie müssen auch wir uns nunmehr realitätsbezogen, wenn auch resigniert, mit dem neuen Koalitionsentwurf beschäftigen. Dabei halten wir es jedoch wie oben bereits angemerkt für zwingend geboten: auf dem geplanten Gesetz eingebaute Bremsen aufmerksam zu machen, die sich als unvereinbar mit dem sozialen Gleichheitsanspruch der betroffenen Frauen auswirken müssen.
Gewiß kann der nun vorliegende Reformentwurf der SPD/FDP-Fraktionen die Lage der betroffenen Frauen verbessern. Wenn auch nicht im emanzipatorischen Sinne, so doch wenigstens im fürsorgerischen. Er versagt den Frauen die Selbstverantwortung und Entscheidungsfreiheit. Auch er unterwirft sie wie bisher dem Primat des Arztes. Allein dieser verkörpert für sie eine mögliche Gewähr für eine Erfolgschance, wenn sie eine Schwangerschaft abbrechen wollen. Jedoch auch diese, nach dem Entwurf ausschließlich in der Person des Arztes liegende Chance ist nur in günstig gelagerten Situationen und regional erfolgversprechenden Lebensbereichen gegeben.
Die erste Bremse, die die Chance für einen begehrten Schwangerschaftsabbruch behindern, wenn nicht zunichte machen wird, setzt ein:
wenn eine Frau aus einem Dorf an der Westküste Schleswig-Holsteins, auf der Schwäbischen Alb, im Bayrischen Wald oder im Saarland den Keimling nicht austragen will oder kann. Da es sich bei dem von ihr begehrten Schwangerschaftsabbruch um eine Kassenleistung handeln soll, unterliegt sie einer Vorschrift aus der ,Reichsversicherungsordnung`. Diese aber kann die ihr zugesicherte freie Arztwahl für sie folgenreich einschränken. Sie darf aus versicherungstechnisch-wirtschaftlichen Gründen nur einen bis drei Ärzte aufsuchen, die in erreichbarer Entfernung, dem in ihrer Nähe wohnen. Verweigern ihr diese nächstwohnenden drei Ärzte das benötigte Attest, so kann sie zwar in der nächstgelegenen Stadt einen Facharzt konsultieren, weil in diesem Falle eine spezielle Art von ärztlicher Stellungnahme erforderlich wird. Doch auch hier wird das regionale Gefälle nicht immer oder nur selten seine restriktiven Auswirkungen verlieren.
Das Primat des Arztes benachteiligt in dem jetzt vorliegenden Reformentwurf eine nicht abzuschätzende Zahl von betroffenen Frauen zusätzlich, wenn ihm nicht eine ausweitende Regelung der durch die RVO eingeschränkte Arztwahl eingebaut wird. Das regionale Gefälle impliziert bei der Praktizierung des neuen Gesetzes zum § 218 ein unsoziales. Damit wird es zur Farce, das die Bezeichnung Reform nicht verdient.
Als weitere Bremse, die die Gewährung eines Schwangerschaftsabbruches behindern, müssen einige vorgesehenen Bestimmungen zur Zuständigkeit der Ärzte bewertet werden.
a) Nach dem Gesetzentwurf soll ein Arzt, der die ,Schwangerschaftsberatung` durchführt, von den Ärztekammern zur ,Sozialberatung` zugelassen werden. Hier stellt sich die gewiß nicht unrealistisch bange, wenn nicht mißtrauische Frage: Woher nimmt die vom Gesetzgeber zu betrauende Ärztekammer die Qualifikation zur Vergabe von für die betroffenen Frauen in jedem Falle entscheidenden Zulassungen zur ,Sozialberatung`? Auch dieser, das Primat der Ärzte beim Schwangerschaftsabbruch fixierenden Bestimmung, sind unübersehbar restriktive Auswirkungen vor allem auf die soziale Substanz des geplanten Gesetzes immanent.
b) Nicht weniger problematisch ist die in dem Gesetzentwurf eingeräumte Möglichkeit, daß auch ein zur Beratung von der Ärztekammer nicht zugelassener Arzt im Einzelfall die vorgeschriebene Beratung vor der Genehmigung eines Abbruches vornehmen kann. Er hat sich (nach Dürr sogar telefonisch) bei einer zugelassenen Beratungsstelle oder beim Sozialamt lediglich zu unterrichten. Diese auf den ersten Blick liberal erscheinende Ausnahmemöglichkeit wird aber bei ihrer Praktizierung nichts anderes bedeuten als die Registrierung des in der Not einspringenden Arztes. Registrierungen aber werden sich immer, nicht nur für Ärzte, sondern auch für sich nach dem neuen Gesetz ohnehin als ausgeliefert empfindende Frauen repressiv auswirken.
Die Humanistische Union hat sich jahrelang für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen und die Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch engagiert.
Ihre Einwände zum nun vorliegenden Gesetzentwurf zum § 218 sollten daher nicht ungehört und ungeprüft beiseitegeschoben werden.
Dem Bundesvorstand fiel es durchaus schwer, den neuen Entwurf nicht prinzipiell abzulehnen. Er widerspricht seinen liberalen, an dem Grundgesetz orientierten Vorstellungen über eine wirkliche Reform. Wir melden uns noch einmal zu Wort, um noch zu revidierende Ungerechtigkeiten beseitigen zu helfen. Mit freundlichem Gruß!
Dr. Charlotte Maack