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Das Problem der theolo­gi­schen Fakultäten an der Universität

vorgängevorgänge 196808/1970Seite 315-319

„Freiwilliger Exodus der Theologie aus der Universität?“

vorgänge 1968 (8-9), S. 315-319

In Vorgänge 5/68, S. 175-185, eröffneten wir mit einem Beitrag von Dr. Ernst Haenssler, Basel, „Die Krisis der theologischen Fakultät”, eine Diskussion über die Rechtmäßigkeit der theologischen Fakultäten an den Universitäten und über deren eventuelle Ersetzung durch religionswissenschaflliche Fakultäten oder Lehrstühle. Dr. Gerhard Szczesny hatte die Diskussion mit einem Vorwort eröffnet (das, da in Heft 5 drucktechnisch verdorben, im richtigen Wortlaut in Heft 6/68, S. 239, noch einmal abgedruckt wurde). Will Cremer hatte zur Diskussion einen Beitrag „Zur Situation der Religionswissenschaft” beigesteuert.
Hier folgen nun die ersten Stellungnahmen zur Diskussion; von Prof. Klaus Künkel, Pädagogische Hochschule Osnabrück, und von Theodor Schäfer, Universität Marburg, tiilir hoffen weitere Diskussionsbeiträge veröffentlichen zu können.

Klaus Künkel
„Freiwilliger Exodus der Theologie aus der Universität”?

Eine Herausforderung an die Theologie
Unter dem Thema „Die Krisis der theologischen Fakultät” schreibt Ernst Haenssler, Basel, in den Vorgängen 5/68 über das Problem der theologischen Fakultäten an der Universität. Seine Ausführungen zielen auf die grundsätzlidie Infragestellung der Theologie als Fakultät und begründen diese im Verständnis des theologischen Wahrheitsanspruches. Wir versuchen im folgenden ein Gespräch mit den Gedanken Haensslers, dankbar die ergangene Herausforderung an das theologische Selbstverständnis aufnehmend.(1)

1.
Grund für die Entfernung der theologischen Fakultät aus der Universität ist das Postulat der „Trennung von Staat und Kirche”. Da die theologischen Fakultäten als Hauptzweck die Heranibildung von Geistlichen für bestimmte Kirchen angaben, haben sie an staatlichen Universitäten nichts zu suchen. Sie sind „Zwittergebilde” (176), die sowohl den Kirchen als auch dem Staat gehören und hörig sind. Haenssler zitiert Erwin Fischer(2) „Einmal sind die theologischen Fakultäten die Ausbildungsstätten für die Geistlichen der großen christlichen Kirchen, ferner sind sie Staatseinnichtungen” (252). „In einem Staat, der Religionsfreiheit anerkennt und sich zu dem Trennungsprinzip bekennt, können die Geistlichen für einige Religionsgesellschaften, möge es sich bei ihnen auch um die großen christlichen Kirchen handeln, nicht vom Staat ausgebildet wenden. Dadurch begibt sich :der Staat auf das ihm verschlossene staatsfreie Gebiet und verläßt die Gebote der Neutralität und Parität. Die Folgen sind Übergriffe auf beiden Seiten” (253). Die Kirche möge also, wie sie das zum Teil ja auch schon tut, ihre Pastoren selbst ausbilden und nicht den Staat dafür in Anspruch nehmen. Die Gefahr der Übergriffe wäre damit gebannt.

2.
Also soll die Sache der Theologie aus den Universitäten verschwinden? Das will auch Haenssler (im Anschluß an Szczesny und Fischer) nicht. Der Universität obliegt die Aufgabe der Wahrheitsfindung. Aufgrund früherer Wahrheitserkenntnisse in Auseinandersetzung mit den materiellen und geistigen Mächten der uns umgebenden realen Welt „wird die Menschenwahrheit Stufe um Stufe aufgebaut” (176). Sie ist immer aufs neue zu erarbeiten. „Nicht die Realität selbst, wohl aber die wahre Aussage über diese Realität ist eine Setzung, ist eine Schöpfung des Menschen” (176). (Diese Formulierung läßt die abgelehnte Alternative anklingen : Die Wahrheit des Menschen in der Welt ist nicht eine feststehende „Gotteswahrheit”, ist nicht „Schöpfung Gottes“.) Innerhalb dieses nicht endenden Prozesses der Wahrheitsfindung hat die Theologie mitzureden. Hier ist ihr Raum: „Diese menschlich eigenständige, in Wissenschaft und Philosophie sich rundende Wahrheitsbemühung muß sich unbedingt mit der Tatsache des religiösen, im engeren Sinne des christlichen Phänomens abgeben” (177). „Die Einsicht setzt sich durch, daß die abendländische Universität in ihrer geisteswissenschaftlichen Arbeit dem großen Phänomen der Religion dasselbe wissenschaftliche Interesse und dieselbe Sorgfalt entgegenbringen muß wie der Sprache, der Musik, der Antike, dem Recht, der Literatur” (177). Das heißt also: Wirklichkeit wäre verkürzt, wollte man die Dimension der Religion und des Christentums in ihr, wollte man die Auswirkungen von Religion und Christentum nicht wahrnehmen. Der Mensch wäre verkürzt, wollte man vom „Horizont des Glaubens“(3) abstrahieren. Wirklichkeit und Mensch wären an der Universität nicht recht, nicht sachlich repräsentiert, wollte man „das Phänomen der Religion” auf ihr nicht bedenken und erforschen.
Jedoch die Universität muß diese Aufgabe leisten nicht um der Kirche willen, sondern „aus ihrem eigenen Seins- und Wahrheitsbereich heraus”. Die Sache, die bisher die Theologie vertritt, muß darum „als Religionswissenschaft und Religionsphilosophie, als Religionsgeschichte und Religionsphänomenologie” vertreten und bedacht werden. Dabei handelt es um eine „pure und integrale Funktion der menschlich-eigenständigen Erkenntnisarbeit” (177), nicht aber um eine Funktion der Kirche, als welche Theologie sich traditionsgemäß versteht.
Man könnte fragen, ab denn die Sache der Theologie, die bisher in der theologischen Fakultät vertreten wird, in so einer Konzeption nicht auch außerhalb der theologischen Fakultät richtig vertreten werden könnte. Bevor wir uns dieser Frage stellen, haben wir jedoch den zweiten, viel gewichtigeren Einwand Haensslers gegen die theologische Fakultät zu hören.

3.
Der von der Theologie in ihrem Selbstverständnis als Dienst an der Kirche vertretene Wahrheitsbegriff und der Wahrheitsbegriff der Universität schließen einander aus. „Die Theologie hat nicht, wie die Profanwissenschaft, die Aufgabe, eine Wahrheit zu suchen oder zu schaffen; sie ist je bereits im Besitz ihrer Glaubenswahrheit. Diese Glaubenswahrheit ist ihr gegeben, ist ihr immer vorgegeben und im Voraus schon festgelegt in der Offenbarung” (177). „Die Grundvoraussetzung der christlichen Theologie besteht in der bestimmten Aussage, daß nur in dem abgegrenzten Feld der Bibel, wie es durch den Kanon bestimmt ist, nur im Raum des christlichen Denkens und Redens der Kirche … von Offenbarung überhaupt geredet werden kann” (177). Aufgrund dieses so verstandenen und abgelehnten Offenbarungspositivismus, so wird gefolgert, wähne sich die Theologie im Besitze der „vollen Wahrheit”. „Theologie wird nicht müde zu versichern, daß die einzig mögliche und volle Wahrheit in der Theologie liegt; der Wissenschaft und der Philosophie dagegen komme nur zweitrangige Wahrheit zu” (192). Die Folge dieses ihres theologischen Wahrheitsverständnisses sei darum, wie Haenssler offensichtlich annimmt: „   die ganze Universität wieder wie im Mittelalter zu rechristianisieren” (182). „Der christliche Absolutismus … geht aufs ganze: Konfessionalisierung, genauer: Verchristlichung der ganzen Universität” (181).
Zugegeben, es gibt Sonderlinge und Fachidioten, auch unter Hochschullehrern, auch in der theologischen Fakultät, so über einen Kamm scherend kann man jedoch nicht von der Theologie reden. Hier muß widersprochen werden, nicht nur hinsichtlich der absurden von Haenssler gezogenen und gefürchteten Konsequenzen der angeblichen Christianisierungsabsicht der Universitäten seitens der theologischen Fakultät, sondern vor allem um der Sache willen, die die Theologie betreibt.
Denn es stimmt nicht, daß die Theologie einen definitiven, ein für allemal feststehenden Wahrheitsbegriff hat. Nichts steht fest: weder die theologische Lehre von Gott ― sie ist stets neu zu finden und zu formulieren; noch die theologische Lehre von der Schöpfung ― Schöpfung meint kein vergangenes Faktum, auch was Schöpfung ist, ist stets neu zu finden und zu gewinnen und zu realisieren; noch die Lehre von Christus, von der Erlösung usf. Was Erlösung bedeutet, was Sünde inhaltlich meint, wovon und wozu Christus nach der Predigt der Kirche und der Lehre der Theologie befreit, das alles läßt sich nicht in einer theologia perennis sagen, das alles muß riskiert werden im Kontext der Geschichte, im vernünftigen Umgang mit der Tradition, die Herausforderung der Gegenwart und der anderen Wissenschaften annehmend, neu zu sagen. Jaspers‘ von Haenssler zitiertes Wort gilt auch für die Sache der Theologie: „Es ist heute aber noch alles extrem unfertig” (176). Die von Haenssler anerkannte Lage der einmal nicht mehr als Fakultät existierenden Theologie, die im o. g. Sinne inmitten der anderen Wissenschaften ihre Sache repräsentiert, kann und muß um dieser Sache der Theologie und um der Studenten willen anerkannt werden: „Für die Theologie aber und die theologische Fakultät liegen in dieser Reform schwere Bedrohungen. In der ständigen Zusammenarbeit mit den Profanwissenschaften wird der theologische Wahrheitsbegriff, der von der Offenbarung ausgeht, Tag für Tag konfrontiert mit dem Wahrheitsbegriff der Profanfakultäten, die alle in ihrer Arbeit nicht von der christlichen Offenbarung, wohl aber von der irdischen Realität ausgehen” (181). Noch einmal: Erst im Gespräch mit den sogenannten Profanwissenschaften kann es der Theologie gelingen, ihre Sache sachlich und zeitgemäß zur Sprache zu bringen. Isoliert sie sich, verwirkt sie sich.

4.
Haenssler formuliert den theologischen Wahrheitsbegriff folgendermaßen: „Die theologische Fakultät aber untersteht und dient ihrer eigenen Auffassung von Wahrheit; sie dient einer Wahrheit, die von Gott her geschaffen und in Christus offenbart worden ist. Das aber ist nicht eine mühsam von Menschen geschaffene Menschenwahrheit, das ist Gotteswahrheit; nicht Wahrheit über Gott, sondern Wahrheit von Gott” (178). In der Tat, ein so verstandener Wahrheitsbegriff muß mit einem intoleranten Absolutheitsanspruch gekoppelt werden, zumal, wenn er so ist, wie Haenssler ihn beschrieben hat, d. h. wenn er a) im Sinne definitiver Setzung gebraucht wind und b) als nicht hinterfragbar, als irrational im Sinne der Nichtevidenz praktiziert wird.
Jedoch (a) ist es seit einigen hundert Jahren bereits auf dem Felde der Theologie nicht mehr möglich, das geschriebene Bibelwort oder die auf bestimmte Weise institutionalisierte Kirche als die definitive Gestalt des Wortes Gottes bzw. als einzig mögliche Weise von Kirche auszugeben mit der Begründung, so sei es offenbart. Vielmehr geht es darum, im Dialog von „Wort Gottes” gestern (Bibel und Tradition) und der Wirklichkeit haute, die unter anderem durch die anderen Fakultäten repräsentiert wird, die theologische Wahrheit heute zu finden und als ihre Folge die Gestalt der Kirche heute. Das ist ein sehr menschlicher Vorgang, darum wie anderswo auch durch Menschlichkeit stets gehemmt. Möglich ist er und der Kirche und Theologie aufgegeben aufgrund dessen, daß (b) die Wahrheit, mit der die Theologie es zu tun hat, nicht eine unmenschliche, unvernünftige, irrationale, unirdische ist, sondern eine, die man einsehen kann, wenn sie in vernünftiger, verständiger Sprache gesagt wird, die einleuchten kann, die von sich, wenn man nach ihr fragt ― fragt aufgrund der Fraglichkeit menschlicher Existenz, die zu kennen heutzutage mitnichten ein Proprium der Theologie ist ―, überzeugen und überführen kann. Denn die theologische Wahrheit ist nicht eine, die man glauben muß nach dem Motto: „Friß Vogel oder stirb”. Glauben im theologischen Sinne gibt es nur in freiwilliger Entscheidung, als Ja-Sagen zu etwas, was von sich überzeugt, was sich als Wahrheit für mich erweist, was evident .ist.

5.
Damit ist ein weiterer Verdacht Haensslers abzuweisen, der, wie sollte es anders sein, natürlich auch Folge von erfahrener Christlichkeit ist. Er sagt, wissenschaftliches und christlich-theologisches Denken seien von Grund aus verschieden und unvereinbar. Denn: „Wissenschaftliches Denken ruht auf der Erkenntnis unserer realen Diesseitswelt; das christliche Denken aber ruht auf der Überzeugung von der Existenz, vom Wesen und Sein zweier völlig disparater Welten … Das christliche Denken muß ständig Bedacht nehmen auf die Existenz zweier Welten und muß aus seinen Grundvoraussetzungen heraus durch eine besondere Bewertung des christlichen Apriorismus, des deduktiven Denkens, der Ahnung, der Intuition, des emotionalen Bereiches überhaupt, des Irrationalen und Antiintellektuellen, des Alogischen und des Prälogischen das wissenschaftlich-philosophische Denken einschränken, um der anderen Welt, der Gotteswelt, und dem ihr gemäßen Denken und Fühlen auch noch Spielraum zu verschaffen” (177).
Ganz eindeutig werden hier das Christliche und bestimmte weltanschaulich gebundene Sprache, in der das Christliche im Laufe vergangener Jahrhunderte zur Sprache kam, miteinander identifiziert. Spätestens seit Bonhoeffer und Bultmann ― und die denken in der Nachfolge Luthers und Paulus‘ und Jesu ― weiß man in der evangelischen Theologie, und neuerdings ebenfalls in der katholischen Theologie, daß die Konzeption von den „zwei völlig disparaten Welten” (s. o.), von der himmlischen, jenseitigen Gotteswelt und der irdischen Menschenwelt zeitbedingte Weltdeutung war, Weltanschauung, dessen außerchristliche Entstehung aufzuzeigen ist, mittels welcher auch das Christliche sich artikulierte, daß jedoch dieses Christliche nicht an die Konzeption dieser Weltdeutung gebunden ist, vielmehr dazu beitrug, sie zu überwinden.

6.
In der Konsequenz seines Verständnisses der christlichen Wahrheit hält Haenssler diese mit dem das Gesetz der Universität bestimmenden Wahrheitsverstänidnisse der Wissenschaffen für unvereinbar und unzumutbar. Das wäre sie in der Tat, wenn es stimmte, daß „Theologie nicht müde wird zu versichern, daß die einzig mögliche und volle Wahrheit in der Theologie liege; der Wissenschaft und der Philosophie dagegen komme nur eine zweitrangige Wahrheit zu“ (182). Wo sagt die Theologie das? Wo sagt sie das heute? Redet sie wirklich den Naturwissenschaften, der Medizin etc. ins Geschäft, verbietet sie ihnen, das zu sagen, was sie sagen müssen, korrigiert sie sie? (Das Schuldbekenntnis, daß Theologie und Kirche in der Vergangendeit einmal so gehandelt haben, abzulegen, ist die Theologie heute, selber entsetzt über diese Ungeheuerlichkeit, bereit.) Kann man nicht vielmehr z. B. bei Friedrich Gogarten nachlesen, daß die Wissenschaften auf keinen Fall ihr stetes offenes Fragen und Sich-Selbst-Infragestellen zugunsten einer Absolutsetzung bisheriger Ergebnisse, denn das wäre Ideologisierung, aufgeben dürfe? Sätze, früher häufiger als heute gesagt, daß z. B. Christus auch die Wahrheit der Medizin sei, meinen bestimmt nicht, daß man beten statt den Mediziner konsultieren soll. Sie können aber meinen, daß das medizinische Wissen über den Menschen noch nicht das ganze Wissen über den Menschen ist, daß der Mensch noch unter anderen als nur medizinischen Kategorien zu sehen sei und daß in dieser Fragestellung das, was der Jesus gesagt hat und was im Anschluß an ihn von der Theologie gesagt wird, als nützlich und hilfreich gehört werden könnte ― genau in dem Sinne, wie ja auch Haenssler, um den ganzen Kosmos in der Universität zu bedenken, zu repräsentieren, die Erkundung dessen, was die Religionen und der christliche Glaube sagen, nicht eliminieren will. ― Trotzdem, weil es sich um Verschiedenes handelt einerseits bei der Medizin, um beim Beispiel zu bleiben, andererseits bei der Theologie, sollte man solche Sätze, wie den genannten, nicht formulieren. Sie müssen, bringt man beides auf eine Ebene, mißverstanden werden, wie Haenssler es tut, wenn er vom Christianisierungsanspruch der Theologen hinsichtlich der Universität spricht.
Sollte man dann aber nicht konsequenterweise darauf verzichten, nun doch einen „eindeutigen” Wahrheitsbegriff für die Universität fordern zu wollen? Haenssler hält die Theologie ob ihrer angeblichen Intoleranz für „untragbar auch für die Idee der Universität, die nicht nur zu reiner Wissenschaftlichkeit, sondern auch zu eindeutiger Wahrhaftigkeit verpflichtet” (178). Die aber wäre nicht garantiert angesichts der Tatsache, daß „wir in einem und demselben Raum und unter einem und demselben Dach derselben Institution zwei grundverschiedene und gegensätzliche Wahrheitsauffassungen über einen und denselben Gegenstand, über Religion und Christenglauben” haben (178).
Haenssler meint, daß man einerseits als Funktionär der Kirche von einem angeblich festen Wahrheitshagriff ausgehend und andererseits aus der wissenschaftlichen Distanz des Religionswissenschaftlers Christentum lehre. Nun, Lehrstreitigkeiten gibt es auch außerhalb der Theologie. Verabsolutierungen von Erkenntnissen ebenfalls. So etwas korrigiert sich im Fortgang der Forschung, dafür eben ist die Universität da. In der Theologie ist es nicht anders. Homogenität in dem Sinne, daß alle einer Meinung sind, ist doch kein Universitätsideal. Gefordert werden kann nur die Bereitschaft, sich korrigieren zu lassen. Das gilt selbstverständlich auch für den Theologen, und zwar nicht nur hinsichtlich seiner historischen Forschungsergebnisse und Auslegungen, sondern auch hinsichtlich seines Glaubens an Gott.

7.
Dem Theologen wird vorgeworfen, daß er eventuell existentiell glaubt, während der Religionswissenschaftler in einem von sich distanzierteren Verhältnis zur betriebenen Sache stehe. Der erstere sei darum nicht universitabel. Es wäre zu fragen, ob Haenssler hier nicht den Glauben des Theologen mit einer Glaubensnorm verwechselt, die jener für wahr hält und die er absolut setzt, nach Meinung Haensslers. Das bedingt dann allerdings eine unwissenschaftliche Haltung ― wie ebenfalls ein indoktrinärer Unglaube eine unwissenschaftliche Haltung zur Folge hat. Von dieser unbelehrbaren Haltung ist jedoch das persönliche Engagement an die zu lehrende Sache zu unterscheiden, das doch wohl bei keinem Wissenschaftler fehlen darf. Der Traum von der angeblichen Objektivität der Wissenschaften ist doch im Zeitalter der Hermeneutik auch anderswo ausgeträumt. Das meint auch Szczesny, wenn er im Vorwort zu Haensslers Ausführungen schreibt: „Es versteht sich von selbst, daß auch in einer religionswissenschaftlichen Fakultät christliche Professoren christliche Themen behandeln und dabei ihre persönliche Glaubensbindung in keiner Weise verheimlichen oder verdrängen müssen” (175). Persönlicher Glaube und Wissenschaft sind keine Gegensätze, wenn beide im Fragen bleiben. Erst das angeblich fraglose Wissen ist unwissenschaftlich.
Im Selbstverständnis des Theologen ist an dieser Stelle kein Unterschied zu dem, was von jedem anderen Universitätslehrer auch zu fordern ist. Damit verbunden ist der andere von Haenssler gegen die Theologie durchgehaltene Vorwurf: Sie wisse schon vor dem Nachdenken und Forschen kraft des Glaubens an die Offenbarung, was Wahrheit ist. Wie wir zeigten, weiß sie es nicht. Offenbarung in diesem Sinne verstanden als zum blinden Glauben verpflichtet an in der Bibel Offenbartes ist ein Unding und Unsinn. Wie schon gesagt, geht es vielmehr darum, aufgrund von Tradition und Bibel die theologische Wahrheit heute zu finden, die dann Offenbarung für mich werden kann, wenn sie von sich als Wahrheit überzeugt. Man sollte meinen, die Struktur solcher Wahrheitsfindung ist den anderen Wissenschaften nicht unbekannt: Auch sie gehen nicht voraussetzungslos und ohne Vorverständnis an ihre Arbeit, auch sie sind Produkt der Geschichte, dieser empfangend und kritisch verpflichtet, und bringen ihre Gewordenheit mit ins Unternehmen, ihre Sache heute neu und besser als gestern zu sagen, hinein. Auch sie haben sich „von den Hemmungen des Objektivitätsbegriffes” zu befreien, wie Gadamer(4) es nennt. Das heißt von der typischen Vorstellung der Aufklärung, es gäbe so etwas wie ein vorurteilsfreies, objektives Erkennen. Das Gegenteil ist zu sagen: daß das Vorurteil, es gäbe kein Vorurteil, der sicherste Beweis für ein Vorurteil ist. „Es sind die undurchschauten Vorurteile, deren Herrschaft uns gegen die in der Überlieferung sprechende Sache taub macht.” Darum kommt es auf die „abhebende Aneignung der eigenen Vormeinungen und Vorurteile” an, „es gilt, der eigenen Voreingenommenheit inne zu sein“. „Wirklich historisches Denken muß die eigene Geschichtlichkeit rnitdenken.“(5)

8.
Ohngeachtet alles dessen, was gegen Haenssler zu antworten ist, Gewicht bekommt sein Angriff auf die Theologie durch den Aufweis der Kirchen-, der Konfessionsverflochtenheit der Theologie. Sie ist nun einmal nicht denkbar ohne Tradition der Kirchen und ohne die Wirklichkeit der Kirchen. Die „öffentliche Meinung” (182) übt sozialen Druck auf die Wissenschaftlichkeit der Theologie aus. Die Tatsache, daß die theologische Fakultät der Kirche die Pastoren liefert und die Kirche ― wer das auch immer ist ― an diese Pastorenausbildung Erwartungen heranbringt, besteht. Der Irrglaube, die Theologie habe einen definitiven, absoluten objektiven Wahriheitsbegriff, entsteht aufgrund immobiler Kirchlichkeit, die sich selbst zu kritisieren fürchtet. Ebenfalls entstehen hier die möglichen Auswirkungen dieses Irrglaubens in die Theologie hinein. Dagegen haben die Theologen zu kämpfen. Es mutet aber sonderbar an, wenn Haenssler dann diese immobile Kirche, die sich „kein anderes Evangelium” nennt, in der Weise als absolute Größe akzeptiert, daß er sagt: „Die Gemeinden werden unruhig und stellen bereits besorgte Fragen, ob die, von ihnen bestellte Universitätstheologie noch im Sinne ihres kirchlichen Auftrages wirkt” (182). Auf diese Weise holt sich Haenssler Schützenhilfe gegen die Theologie. Er holt sich Schützenhilfe gerade mit solchen Indoktrinationen gegen die Theologie, die er als angeblich vorhanden bei der Theologie angreift. ― Was würden aber wohl, um ein Beispiel zu nehmen, die Politologen sagen, wenn man ihnen unwissenschaftliches Verhalten vorwürfe aufgrund dessen, daß die Politiker im Lande und die Volksmassen, deren Sprecher zu sein sie vorgeben, dumm sind und nach dem Maße ihrer Dummheit Einfluß auf die Politologie an den Hochschulen zu nehmen sich bemühen?

9.
Damit kommen wir zu den Konsequenzen, im Blick auf welche Haensslers Herausforderung uns denken läßt. Er ruft uns in ein Gespräch, das wir um der Theologie selbst willen aufzunehmen haben. Eine mögliche Aufnahme dieser Herausforderung sehe ich in zweierlei Richtungen:
a) Es müßte dem Stil theologischer Rede und Lehre, nicht nur da, wo es sich um Glaubensfragen handelt, sondern auch da, wo es sich um historische Fragen handelt, anzumerken sein, daß hier nicht objektive, definitive Wahrheit gelehrt wird, denn auch endgültige Geschichtsdeutungen gibt es nicht. Das gilt sowohl da, wo die theologische Lehre konfessorisch vorgetragen wird, d. h., wo das Engagiertsein von der Sache bestimmend wird, als auch da, wo der Lehrende sich „für die Dauer des Unterrichtes von festgelegten (,sozialisierten‘) Glaubenspositionen zu lösen versucht, um sich der Skepsis des Gedankens zu exponieren.“(6)
Wenn die Sache der Theologie überzeugen soll, muß sie so vorgetragen werden, daß man sie versteht. Wir haben die Mühe, sie einsichtig zu machen, auf uns zu nehmen. Wir haben uns zu trennen von historischem Ballast, wo dieser gebraucht wird als Norm für ein Glaubenssoll heute. Und wir haben, wenn wir heute von Glaubenssätzen und Kircheneinrichtungen reden, die aus der Vergangenheit stammen, diese in ihrer zeitgeschichtlichen Bedingtheit als „Glaube damals” und Auswirkungen des Glaubens damals zu erkennen zu geben. Das gilt, um Beispiele zu nennen, für die Fassung des apostolischen Glaubensbekenntnisses, für das Ganze des christlichen Dogmas, für das Verständnis der Sakramente als Sakramente und anderes mehr. Auch der Kanon als Kanon muß als zeitbedingte Entscheidung von Menschen zur Sprache kommen (s. Haenssler, S. 178); ihm eignet nicht dogmatische, nicht Offenbarungsqualität, sondern nur die historische Qualität einer Ur-Kunde des christlichen Glaubens. Die Unaufgebbarkeit des biblischen Kanons ist eine, die sich darin bewähren muß, daß sie zum Finden des „Wortes Gottes” heute verhilft.
Unsere Rede vom christlichen Glauben muß den Hörer freilassen, sich selbst zu entscheiden. Erzwungener Glaube ist nun einmal kein Glaube. Die Sache, nicht die Intensität unserer Rede, soll ihn überzeugen. Er muß auch Nein sagen dürfen. Das muß er wissen und spüren, wenn er den Theologen hört.
In dieser Hinsicht ist zu fragen, ob wirklich ein prinzipieller Unterschied zwischen wissenschaftlicher Lehre über den Glauben der Christen ünd der christlichen Predigt besteht.
b) Haensslers Intention zielt auf den Exodus der theologischen Fakultät aus der Universität. Daseinsberechtigung habe „das Christentum” nur innerhalb der Geisteswissenschaften, da soll es zur Darstellung und Erforschung kommen. Man muß aber wohl um der Wissenschaftlichkeit willen hinzufügen: Da soll es zur Darstellung auch seines Anspruches kommen ― genau wie jede andere Sache und Wissenschaft auch erst dann recht dargestellt ist, wenn ihr Anspruch einsichtig gemacht wird. Um der offenen Repräsentanz dessen willen, was zu unserer Welt gehört, gehört die Sache der Theologie an die Universität, so sagt auch Haenssler. Das schließt aber das Gespräch im Sinne des Gebens und Nehmens mit den anderen ein. Auch des Gebens. Um der Sachlichkeit willen, nicht um sich christlich vereinnahmen zu lassen, sondern um den Weltaspekt und die Weltdeutung der Christen als Frage an das eigene Tun und als Einwand gegen eventuelle Absolutsetzung der eigenen Sache und der eigenen Forschungsergebnisse zu erfahren, müßte den „Wissenschaften” selber an der Anwesenheit der theologischen Stimme in der Universität liegen. Kann dieses Gespräch innerhalb der Fakultät nicht geschehen, sind die Fakultätsgrenzen anzugreifen ― doch das ist sofort etwas, was für die anderen Fakultäten auch gilt! Universitätsreformpläne sehen das dankenswerterweise vor.
Es bleibt die Frage, ob die Pastorenausbildung weiterhin Aufgabe der staatlichen Universitäten sein soll. Haenssler spricht im Referieren von Univärsitätsreformplänen von einer „Trennung der akademischen Berufsausbildung im engeren Sinne von der akademischen Bildung im weiteren Sinne (=praktisch-berufliche Abzweckung)” (181). Ist das eine wirklich ohne das andere möglich? Wird nicht gerade die „akademische Bildung im engeren Sinne” realer, konkreter, wenn sie im Medium sach- und berufsbezogener Aufgaben arbeitet? Das betrifft alle Disziplinen der Universität, es ist eine hochschuldidaktische Frage. Gilt nicht für alle Bereiche der Wissenschaft, daß ihre Wahrheit und ihr Sachanspruch leichter gefunden werden und Studenten einsichtig zu machen und darzustellen sind, wo Wissenschaft nicht um der Wissenschaft willen getrieben wind, sondern um verpflichtender Aufgaben in der Gesellschaft willen? Man denke sich ein Medizinstudium ohne Krankenhaus, einen Philologiestudenten ohne Schule. Gerade hier gründet der Vorwurf der Studenten gegen die „Fachidioten”. Auch der Anspruch der von der Theologie vertretenen Sache, den Haenssler ja an der Universität nicht missen will, verlangt eine analoge Darstellung und Repräsentanz an der Universität.
Theologie und Kirche lag bisher daran, daß der Pfarrernachwuchs aus dem Grunde an der Universität studiert, um das Gespräch mit den anderen Fächern zu führen, um die Sachansprüche und Wahrheiten der anderen kennenzulernen,. um sich vor der Engigkeit des Denkens und des Glaubens zu schützen, um die Aufgabe zu erkennen, die Sache der Theologie angesichts der Herausforderung durch die Welt heute zu formulieren, weil sie als Sache von gestern heute nichts ist. Das aufzugeben, wird nicht anzustreben sein. Sollte darum eine nahe oder ferne Zukunft einmal die Pastorenausbildung von der Universität weg in die Hand der Kirchen legen, so wäre auf jeden Fall daran festzuhalten, daß die zukünftigen Pastoren ihre „akademische Bildung im engeren Sinne” auf der Universität beziehen, egal ab dieses nun durch Studieren der als Fakultät institutionalisierten Theologie oder durch Studium der Theologie im Rahmen der philosophischen Fakultät geschieht. Die der pfarrerberuflichen Ausbildung im engeren Sinne eignenden Aufgaben würden danach der Kirche zufallen ― die glücklicherweise nicht überall so ist, wie Haenssler sie beschreibt.

1 Der Verf. ist als Dozent für ev. Theologie und Religionspädagogik an einer Pädagogischen Hochschule bereits in der Lage, die Haenssler für erstrebenswert hält: ohne schützende Fakultät im Hintergrund obliegt es ihm, den christlichen Wahrheitsanspruch im Bereich der „Profanwissenschaffen” und im Gespräch mit ihnen zu vertreten.
2 Erwin Fischer, Trennung von Staat und Kirche, 1964.
3 Theodor Wilhelm, Theorie der Schule, Hauptschule und Gymnasium im Zeitalter der Wissenschaften, 1967, S.295: „Der Horizont des Glaubens”, S. 307: „Im Religionsunterricht muß dem Schüler klar werden, daß es neben der rechtlichen, naturwissenschaftlichen und ästhetischen immer auch die religiöse Weise gibt, die Welt zu ,sehen‘ und die persönliche Verantwortung in ihr zu deuten.”
4 Hans Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, 1960, 250.
5 Gadamer, aaO., S. 253 f., 283.
6 Th. Wilhelm, aaO., S. 307.

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