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Zur Problematik der theolo­gi­schen Fakultät

vorgängevorgänge 196808/1970Seite 319-320

Unter besonderer Berücksichtigung der Marburger Fakultät

vorgänge 1968 (8-9), S. 319-320

Am Beispiel der Marburger theologischen Fakultät werden im folgenden die hochschulpolitischen und juristischen Gründe dargelegt, die gegen den Verbleib der Theologie an wissenschaftlichen Hochschulen sprechen. Vorweg soll nur kurz erläutert werden, weshalb die Theologie auch aufgrund ihrer Unwissenschaftlichkeit an der Universität fehl am Platz ist.

I.
Obgleich hier behauptet (und begründet) wird, daß die Theologie im engeren Sinne (insbesondere die Dogmatik sowie großenteils die biblische und die praktische Theologie) keine Wissenschaft ist, bleibt unbestritten, daß selbstverständlich auch in den theologischen Fakultäten wissenschaftlich gearbeitet wird, und zwar in erster Linie wohl bei den Kirchenhistorikern, die dann aber gerade keine Theologen, sondern Religionswissenschaftler oder Historiker sind. Die Theologie ist also nicht derjenige Teil der Religionswissenschaft, der sich mit dem Christentum befaßt; denn für den Religionswissenschaftler ist z. B. die christliche Verkündigung ein religiöses Phänomen, das er kritisch, distanziert und vorbehaltlos untersucht, ohne zu ihm eine existentielle religiöse Beziehung haben zu müssen.
„Keiner Kritik aber unterliegt” ― so Bultmann ― die Verkündigung bei den Theologen, da sie „als Anrede, die ja Gehorsam fordert, nicht von einer neutralen Basis aus beurteilt werden kann, sondern gerade die Preisgabe des eigenen Urteils verlangt.“ Als „bewußt vollzogene Explikation des glaubenden Verstehens” hat die Theologie nichts mit Wissenschaft zu tun, zumal sie „im Gehorsam begründet ist und selbst der Vollzug des Gehorsams sein muß, so als solcher Vollzug den Gehorsam fortführt und die in ihm begründete Christusgemeinschaft vollendet” (Rudolf Bultmann: Glauben und Verstehen ― Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, Tübingen 1933, S.186).
Daß all dies nicht Wissenschaft ist, wird gelegentlich auch von Theologen ausdrücklich eingestanden: So nennt Karl Barth die Theologie expressis verbis „unwissenschaftlich” und zieht aus diesem Charakter der Theologie die einzig richtige Konsequenz: „Gerade als Wissenschaft im Sinn der anderen Wissenschaften hat die Theologie auf der Universität kein Daseinsrecht” (Karl Barth: Das Wort Gottes und die Theologie, München 1924, S.162 f). Auch Walther von Loewenich gibt zu, daß „Sätze über Gott und göttliche Wirklichkeit nicht als wissenschaftliche Aussagen gelten” können (Glaube, Kirche, Theologie ―Freiheit und Bindung im Christsein, Witten 1958, S. 17 f).
Die Unwissenschaftlichkeit der Theologie äußert sich nicht allein in der Kritiklosigkeit gegenüber diversen Glaubenssätzen und dergleichen, sondern auch in der Vermengung des Lehrbetriebes mit religiösen Veranstaltungen (Beten des Professors mit Examenskandidaten zu Beginn der Prüfung) und in dem ängstlichen Freihalten der theologischen Fakultät von anders und ungläubigen Professoren und Studenten (Vorlage des Taufscheins als Voraussetzung für Examina, Einteilung in protestantische und katholische Fakultäten).

II.
„Die Hochschulen bereiten die Studenten auf Berufe vor, für die ein wissenschaftliches Studium vorgeschrieben oder nützlich ist” (§ 2 des hessischen Hochschulgesetzes). Für die Pfarrer mag nun ein wissenschaftliches Studium sowohl vorgeschrieben als auch nützlich sein, so daß zunächst einmal nichts dagegen einzuwenden sein dürfte, wenn angehende Pfarrer sich an staatlichen Hochschulen auf ihren Beruf vorbereiten lassen.
Aber den hessischen Kirchen genügt es ebensowenig wie den andern, daß ihr Nachwuchs an den Universitäten studieren kann. Sie wollen eine eigene Hochschule in der Hochschule, d. h. an „ihrer” Fakultät (die Marburger ist die einzige theologische Fakultät in Hessen) sollen nur ihre Leute studieren und lehren:
Da eine ständige Taufschein-Kontrolle während des ganzen Studiums zu umständlich wäre, begnügt man sich damit, die „Rechtgläubigkeit” allein der Examenskandidaten genauer zu prüfen; aber nicht nur beim kirchlichen Examen (das als einziges zum Eintritt in den Kirchendienst berechtigt), sondern auch bei den beiden anderen Examensarten: Als Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung verlangt die Prüfungsordnung (vom 29. 6. 62) für das Fakultäts-Examen eine Art Diplom, die Vorlage der Taufbescheinigung (§ 5b), und die „Ordnung für die Magisterprüfung” vom 22. 6. 66 fordert den „Nachweis der Zugehörigkeit zu einer im Weltkirchenrat vertretenen Konfession. In besonders gelagerten Fällen entscheidet die Fakultät” (§ 3, Abs. 3).
Neben der rechten Kirchenzugehörigkeit der Studenten kommt es den hessischen Kirchen nicht minder auf die Rechtgläubigkeit der Professoren an. In dem Bestreben, Forschung und Lehre unter ihrer Kontrolle zu halten, nehmen sie ein Mitspracherecht bei der Berufung der Dozenten in Anspruch.
Demgemäß bestimmt Art. 60 der Hessischen Verfassung : „Die theologischen Fakultäten an den Universitäten bleiben bestehen. Vor der Berufung ihrer Dozenten sind die Kirchen zu hören.” Ähnlich lautet Art. 13, 2 des „Vertrages des Landes Hessen mit den Evangelischen Landeskirchen in Hessen”: „Vor der Anstellung eines ordentlichen oder außerordentlichen Professors an einer evangelisch-theologischen Fakultät wird der kirchlichen Behörde Gelegenheit zu gutachtlicher Äußerung gegeben werden.”
Im Schlußprotokoll des Vertrages wird Art. 13, 2 folgendermaßen erläutert: „(1) Bevor jemand als ordentlicher oder außerordentlicher Professor an einer evangelisch-theologischen Fakultät erstmalig angestellt werden soll, wird ein Gutachten in Bezug auf Bekenntnis und Lehre des Anzustellenden von der kirchlichen Behörde … erfordert werden.” (2) Die Berufung „wird in vertraulicher Form und mit dem Vorbehalt der in Absatz 1 vorgesehenen Anhörung geschehen”.
Berufung mit Vorbehalt ― d. h. der Kultusminister behält sich vor, den Berufenen wieder nach Hause zu schicken, wenn es die Kirche so will. Denn „wo ist heute der Kultusminister, der seine Entsdieidung gegen das … kirchliche Gutachten treffen wollte oder unter Beiseiteschiebung des hohen politischen Interesses von Regierungen und Parteien an den Kirchen auch nur könnte!” (so der Alttestamentler Prof. D. Friedrich Baumgärtel, FAZ v. 26.3.63).
Dieses De-facto-Vetorecht der Kirche verstößt in eklatanter Weise sowohl gegen das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche als auch gegen die nicht zuletzt von Theologie-Professoren gern beschworene Autonomie der Universität. In welchem Maße es unangebracht ist, zeigt sich ferner, wenn man es konsequent zu Ende denkt: Sobald man nämlich zu der Erkenntnis käme, daß die Theologie-Studenten zur Vervollständigung ihrer Ausbildung z. B. verstärkt philosophische und historische Lehrveranstaltungen in der philosophischen Fakultät belegen sollten, müßten die Kirchen auch ein Mitspracherecht bei der Berufung von Philosophie- und Geschichts-Professoren eingeräumt bekommen (was in Freiburg, München und Würzburg bei den „Konkordats-Lehrstühlen“ tatsächlich schon der Fall ist).
Die Kirchen sind in der Sicht der Universität nichts anderes als Interessen-Verbände wie z. B. der Deutsche Gewerkschaftsbund oder der Bundesverband der deutschen Arbeitgeberverbände. Die Universität muß aber mit Rücksicht auf ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit vom Einfluß der Interessenverbände freigehalten werden. So ist gar nicht einzusehen, weshalb nur die Kirchen bei der Ausbildung ihres Nachwuchses an der Universität ein Mitspracherecht haben. Ebenso wie die Religionswissenschaft, die, zur unwissenschaftlichen Theologie pervertiert, getrennt an evangelischen und katholischen Fakultäten praktiziert wird, könnte man ja auch die Wirtschaftswissenschaft gesondert betreiben: an gewerkschaftlichen Fakultäten, bei denen der DGB über die Berufung der Professoren wacht, und an Unternehmer-Fakultäten, wo dann der Arbeitgeber-Verband für die rechte Gesinnung der Dozenten sorgt.
Daß die theologische Fakultät keine universitäre, sondern eine kirchliche Einrichtung ist, wird schließlich ganz offensichtlich, wenn man jenes kirchliche Examen näher betrachtet, das für die Anstellung in der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck Voraussetzung ist. Das kirchliche Examen wird nämlich nicht vor einer kirchlichen Prüfungskommission, sondern vor der theologischen Fakultät abgelegt, die also gewissermaßen stellvertretend für die Kirchenleitung handelt.

III.
Die Existenz einer theologischen Fakultät an einer wissenschaftlichen Hochschule ist nicht nur aus hochschulpolitischen Gründen abzulehnen: Selbst vom rein formaljuristischen Standpunkt aus kommt man zum gleichen Ergebnis.
Zwar garantiert die Hessische Verfassung in Art. 60, Abs. 2, Satz 1 das Fortbestehen der theologischen Fakultät, womit jedoch über ihren Charakter noch nichts gesagt ist. Das geschieht erst in Satz 2, der das kirchliche Mitspracherecht gewährleistet: „Vor der Berufung ihrer Dozenten sind die Kirchen zu hören.” Nicht ausdrücklich durch die Hessische Verfassung gedeckt sind indessen die Beschränkung des Fakultäts- und Magister-Examens auf Taufschein-Inhaber und die Ablegung des kirchlichen Examens an der Universität.
Entscheidend ist nun aber trotz der Kulturhoheit der Länder nicht die Hessische Verfassung, da es unbestritten ist, „daß die Länder auch in ihrem ausschließlichen Hoheitsbereich an das Grundgesetz gebunden sind” (Erwin Fischer: Trennung von Staat und Kirche, München 1964, S.251). Und infolge von drei wesentlichen Verfassungs-Bestimmungen ist die Kontrolle der Kirchen über die „Rechtgläubigkeit” der Professoren und Studenten eindeutig grundgesetzwidrig:
1) „Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern … sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen” (Art. 33, 3). Berufung und Examen dürfen somit nur an kirchlichen Hochschulen vom „Bekenntnis” abhängig gemacht werden, unter keinen Umständen jedoch an staatlichen Universitäten.
2) „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei” (Art. 5, 3). Von freier Forschung und Lehre aber kann da keine Rede sein, wo eine endgültige Berufung praktisch nur ergeht, wenn ein positives „Gutachten in bezug auf Bekenntnis und Lehre des Anzustellenden von der kirchlichen Behörde” vorliegt (Hessischer Vertrag mit den evangelischen Landeskirchen).
3) Staatskirchenrechtlich bestimmt das Grundgesetz eine strikte Trennung von Kirche und Staat, die nur durch zwei Ausnahmen (Religionsunterricht und Kirchensteuer) eingeschränkt wird. Jede halb staatlich, halb kirchliche Fakultät ist somit grundgesetzwidrig, weil sie sowohl einen Übergriff des Staates in den rein kirchlichen Teil der Pfarrerausbildung als auch eine Einmischung der Kirche in die staatliche Universität impliziert. Das heißt konkret: Unzulässig sind alle konfessionellen Beschränkungen bei Universitäts-Examen und Berufung sowie ferner die Abnahme des kirchlichen Examens an der Universität. Neben diesen organisatorischen Verquickungen von Staat und Kirche ist aber auch die Theologie selbst unzulässig an wissenschaftlichen Hochschulen. Eben weil sie immer mehr oder minder an irgendwelchen religiösen Vorstellungen der evangelischen oder katholischen Kirche festhält, verstößt ihre Existenz an staatlichen Hochschulen gegen das Verfassungsprinzip der Trennung von Staat und Kirche.
Die einzig mögliche Konsequenz aus den angestellten Überlegungen ist, daß die theologischen Fakultäten in außeruniversitäre kirchliche Hochschulen umgewandelt und an den philosophischen Fakultäten religionswissenschaftliche Abteilungen eingerichtet werden.
Zur Ausbildung der Pfarrer wäre abschließend noch folgendes zu sagen: Nach § 2 des hessischen Hochschulgesetzes bereiten die Universitäten „die Studenten auf Berufe vor, für die ein wissenschaftliches Studium vorgeschrieben oder nützlich ist”. Dieser Passus kann sich allerdings nicht auch auf das Theologie-Studium beziehen, weil gerade das kein wissenschaftliches Studium ist. Trotzdem wäre es denkbar, daß die angehenden Pfarrer einen Teil ihrer Berufsausbildung an der Universität absolvieren, indem sie sich zeitweilig dort einem religionswissenschaftlichen Studium hingeben, das ihnen durchaus nützliche Kenntnisse in der Religions-Phänomenologie, -Geschichte, -Psychologie und -Soziologie vermitteln würde.

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