Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 216: Rechtspopulismus / Rechtsextremismus

Editorial

in: vorgänge Nr. 216 (4/2016), S. 1-3

Die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zeigen, wie einflussreich Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland geworden sind. Die Erfolge der AfD bei diesen Wahlen waren keine Überraschung mehr. Sie bestätigen die Vermutung, dass 10 bis 20 Prozent der deutschen WählerInnen grundsätzlich bereit sind, „rechts“ zu wählen. Blicken wir über die Landesgrenzen, wird das Problem noch größer: Mit der Wahl Donald Trumps zum neuen Präsidenten der USA konnte jemand, der sich um Fakten nicht kümmert, in einer der ältesten Demokratien den Wahlsieg erringen. Grund genug für die vorgänge, sich mit den Hintergründen des Aufstiegs von Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus zu befassen. Im Schwerpunkt dieser Ausgabe versuchen wir zunächst, diese Bewegungen grundsätzlich zu erfassen, analysieren dann die Landtagswahlen und werfen einen Blick auf die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa. Weiterhin beschäftigen wir uns mit dem aktuellen NPD-Parteiverbotsverfahren und einem Vordenker der Rechten aus der Weimarer Republik.

Hans-Gerd Jaschke untersucht seit Jahren das Parteienspektrum rechts der Union. Sein Beitrag in dieser Ausgabe befasst sich mit den Ursachen der AfD-Wahlerfolge. Dafür sieht er zwei wesentliche Gründe: den langanhaltenden Erosionsprozess der etablierten Parteien, und die tiefgreifenden Veränderungen im internationalen Umfeld. Dennoch zweifelt er an einem längerfristigen Erfolg der AfD. Seine Zweifel begründet er mit der bisherigen Entwicklung rechter Parteien in der Bundesrepublik. Er zeichnet die Geschichte von SRP, NPD, DVU, den Republikanern und Schill-Partei nach, die nach Erfolgen relativ schnell wieder von der Bildfläche verschwanden. Für die AfD skizziert er drei denkbare Szenarien: ein allgemeiner Rechtsruck, in dem die CDU/ CSU die AfD verdrängt; eine dauerhafte Stabilisierung der Partei oder ein Zerreiben an den innerparteilichen Krisen. Welches Szenario sich durchsetze, sei derzeit offen – dringend nötig sei jedoch, so Jaschke, dass die Zivilgesellschaft Gegenöffentlichkeiten bildet.

Christoph Kopke und Alexander Lorenz befassen sich mit dem Niedergang der NPD einerseits und der Radikalisierung der AfD andererseits. Die NPD, die zunächst als gemäßigte Partei antrat, durchlief seit den 1990er Jahren einen Radikalisierungsprozess. Zeitgleich begann ihr Aufstieg, verbunden mit Wahlerfolgen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Ihr Niedergang erfolgte parallel zum Aufstieg der AfD, den die Autoren in fünf Entwicklungsphasen darstellen: die Gründung als Anti-Europa-Partei; erste innerparteiliche Auseinandersetzungen über Mitglieder, die früher rechtsradikalen Parteien angehörten; der Flügelkampf zwischen neoliberalen und radikalnationalistischen Positionen; die Niederlage Bernd Luckes und dessen Ausscheiden; die Entwicklung der AfD unter Frauke Petry zu einer nationalpopulistischen „Anti-Bundesrepublik-Partei“, die die zunehmende Polarisierung der Bevölkerung für sich zu nutzen versucht. Trotz der Wahlerfolge hält die AfD an ihrer fundamentaloppositionellen Strategie fest und steht – so Kopke/Lorenz – momentan auf der Schwelle zur Nationalen Opposition.

Der Beitrag von Fabian Virchow geht der Frage nach, wie die Politik der AfD angemessen begrifflich charakterisiert werden kann: Ist sie eine Partei des Rechtspopulismus? Der Autor betrachtet sie zunächst als Partei rechts von der CDU/CSU, schließt jedoch nicht aus, dass die extreme Rechte bald zentrale Schlüsselstellungen innerhalb der Partei besetzt und das politische Profil dominiert. Im Folgenden setzt er sich mit dem Verhältnis von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus auseinander, zwischen denen nach Virchow ein weltanschauliches Nahverhältnis bestehe. Er stellt die Schwierigkeiten dar, die mit begrifflichen Abgrenzungsversuchen von neuer, radikaler und extremer Rechter sowie Faschismus verbunden sind.

Richard Koch und Walter Ruhland werten die 2016 durchgeführten Landtagswahlen sowie die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus aus. Mit diesen Wahlen haben sich die Mehrheitsverhältnisse in den Landtagen grundlegend verändert. Die Auswertung der beiden Autoren zeigt, dass die AfD von allen sozialen Gruppen gewählt wurde, besonders erfolgreich jedoch bei Arbeitslosen und Arbeitern sowie bei denen war, die einen Abschluss Mittlerer Reife haben. Zentrales Motiv für die Wahlentscheidung war für viele die Flüchtlingspolitik. Koch und Ruhland gehen auch auf die weiteren Gründe für die AfD-Erfolge ein und untersuchen die Wählerwanderungen. Auch wenn die AfD überwiegend als Partei wahrgenommen werde, die sich für strengere Asylgesetze und eine Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen einsetze, warnen sie davor, dass man nicht damit rechnen kann, dass die Zustimmung zur AfD mit dem Rückgang der Flüchtlingszahlen automatisch auch zurückgehe. Ob sich die AfD ähnlich etablieren könne wie rechtspopulistische Parteien in den Niederlanden, Frankreich oder Österreich, sei noch nicht abzusehen. Allerdings ergaben Umfragen im Jahre 2008 – also lange vor der Flüchtlingskrise – bei 21 % der Bevölkerung ausländerfeindliche Einstellungen.

Der Beitrag von Jörg Ukrow liefert eine alarmierende Bestandsaufnahme der (Wahl-) Erfolge rechtspopulistischer und rechtsextremer Bewegungen und Parteien in Europa. Ukrow zeigt, wie diese Parteien nicht nur in vielen Mitgliedsstaaten Erfolge zu verzeichnen haben, sondern auch im Europaparlament stark vertreten sind. Er setzt sich mit den Ursachen dieser Entwicklung auseinander – etwa Fragen der Sicherheit in ihren unterschiedlichen Facetten (innere Sicherheit, soziale Sicherheit, äußere Sicherheit). Bei vielen löse die Art und Weise der zunehmenden Europäisierung Zweifel an der Transparenz und den realen Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten aus. Die Politik- und Demokratieverdrossenheit werde aber auch durch sozioökonomische Ungleichheit, die Prekarisierung ganzer Bevölkerungsschichten sowie den Bedeutungsverlust von Volksparteien und Gewerkschaften verstärkt. Aus einer demokratischen Perspektive gebe es besorgniserregende Übereinstimmungen zwischen den Mitgliedsstaaten. Ukrow belässt es jedoch nicht bei der Beschreibung des gegenwärtigen Zustands, sondern geht ausführlich auf rechtliche Instrumente und finanzielle Hebel gegen den weiteren Durchmarsch der Rechtspopulisten ein. Dass sich ein weltoffenes, integrationsfreundliches Europa gegen diese Herausforderungen wehren kann, daran bestehen für ihn keine Zweifel. Ohne eine breite europäische Öffentlichkeit und entsprechenden Druck aus der Zivilgesellschaft gehe es jedoch nicht.

Mit einem vorläufigen Verlierer des rechtspopulistischen Aufschwungs – der NPD – befasst sich der Beitrag von Rosemarie Will. Sie geht auf die demnächst anstehende Entscheidung im Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgerichts ein, setzt sich aber auch mit den generellen rechtsstaatlichen Anforderungen an Parteiverbote auseinander. Nach ihrer Einschätzung ist die Rechtslage höchst umstritten: sowohl die tatbestandlichen Voraussetzungen, als auch die Abwägung mit dem zu schützenden Rechtsgut und die Rechtsfolgen eines Verbotes stünden zur Disposition des Gerichts. Ob das Gericht den Mut habe, die erforderlichen Korrekturen an der bisherigen Rechtsprechung vorzunehmen, wird sich in wenigen Wochen zeigen. Dabei wird auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und die Europäische Menschenrechtskonvention zu beachten sein, denn es ist davon auszugehen, dass die NPD im Falle einer Niederlage eine Individualbeschwerde in Straßburg erheben wird. Über die dortigen Erfolgsaussichten schrieb schon 2001 ein Doktorand des heutigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle: „Ein deutsches Verbot der NPD durch das Bundesverfassungsgericht würde einer Überprüfung nach den gegebenen Umständen wohl ebenfalls nicht standhalten.“

Den Schwerpunkt beschließt ein Beitrag von Herbert Mandelartz, der sich mit einem rechten Vordenker befasst: Carl Schmitt. Er befasst sich mit dem Vorwort zu der „geistesgeschichtliche(n) Lage des heutigen Parlamentarismus.“ Dort heißt es: „Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.“ Obwohl die Auseinandersetzungen mit Carl Schmitt bereits Bibliotheken füllen und diese Textstelle schon fast 100 Jahre bekannt ist, wird sie hier zum ersten Mal problematisiert.

Neben dem Schwerpunkt enthält auch diese Ausgabe der vorgänge Beiträge zu aktuellen Themen: Wir geben einen Überblick über eine neue Klage gegen die BND-Auslandsüberwachung, stellen den Entwurf einer Digitalen Grundrechtscharta für Europa vor oder befassen uns mit den Auswirkungen einer jüngst ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu Anforderungen an verbindliche Patientenverfügungen.

Wir wünschen Ihnen mit eine anregende Lektüre und allen Leserinnen und Lesern der vorgänge einen guten Start ins Wahljahr.

Herbert Mandelartz und Sven Lüders
für die gesamte Redaktion

Vorschau

Heft 217 (1/2017) Der Islam als Herausforderung für das deutsche
Religionsverfassungsrecht

Heft 218 (2/2017) Rückkehr zum gerechten Krieg?

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