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Zumutung statt Privileg

in: vorgänge Nr. 216 (4/2016), S. 111/112

Wolfgang Fach: Regieren: Die Geschichte einer Zumutung. [Edition Politik Bd. 36] Transcript-Verlag, Bielefeld 2016, 164 S., 22.99 €

Wolfgang Fach, der von 1992 bis zu seinem Ruhestand im Jahre 2011 einen Lehrstuhl für Politische Theorie an der Universität Leipzig inne hatte, legt mit diesem Buch eine populäre Darstellung seiner früheren Arbeiten vor. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehörten die Wandlungen des Politischen, die neuen Formen des Regierens – oder wissenschaftlicher formuliert: die Geschichte und Genealogie politischer Ideen seit dem 18. Jahrhundert.

Im vorliegenden Essay unternimmt Fach eine kleine Geschichte des Regierens. Im genealogischen Stil einer Foucaultschen Darstellung verfasst, liest sich diese Geschichte recht flott – auch wenn ihr Verständnis gewisse Anforderungen an den Leser/die Leserin stellt, um die zahlreichen historischen Episoden einordnen zu können. Flach geht es nicht um politikwissenschaftliche Regierungs- oder Herrschaftsformen, die „Geschichte der Zumutungen“ nimmt einen eher subjektiven Blick ein: wie verhalten sich Regierende und Regierte zu der Kunst, „eine große, tumultöse Menge nach Belieben zu beschleunigen oder anzuhalten“ (Fontenelle)? Wenn Fach hierbei von Zumutungen spricht, zielt er auf zweierlei: Zum einen auf jene eindimensionale Sicht, die nur auf die mit dem Regieren verbundenen Annehmlichkeiten, Privilegien und Entscheidungsbefugnisse schielt – und die damit verbundenen Zwänge ausklammert. Zudem fokussieren die Zumutungen auf subjektiven Anpassungsleistungen, die notwendigen Einstellungen und Haltungen, die auf beiden Seiten des Regierungsverhältnisses zu beobachten sind.

Im ersten Teil schildert Fach, welche Zumutungen auch die Regierenden treffen, etwa die königlichen Regenten: sie müssen zunächst einmal dafür Sorge tragen, dass das „notwendige Übel“ des Regiertwerdens akzeptiert, sein Wert überhaupt verstanden wird. Aus ihrer scheinbar allmächtigen Stellung – idealerweise sollen sie unfehlbar sein – leiten sich die Zumutungen ab, die mit ihrem „Job“ einher gehen: So sollen sie etwa die nötige Distanz zum Volk aufbauen, die für ihre gottgleiche Stellung notwendig ist – dürfen diese Distanz aber nicht zu groß werden lassen, um nicht den Zorn der Massen auf sich zu ziehen. Fach erzählt, wie die königliche Macht an verschiedensten Realitäten gebrochen wird: an einem Rechtssystem, das seine konstitutive Kraft erkannt hat; an fiskalischen Zwängen, an denen auch keine Majestät  vorbei kommt; an der eigenwilligen Religion. 

Der zweite Teil geht von der Frage aus, welche Anpassungsleistungen auf Seiten der Regierten die modernen Regierungsformen erfordern. Schnell zeigt sich die Erfahrung mit der Demokratie, dass die Mitbestimmung nicht voraussetzungslos eingeräumt werden darf, um „der Gefahr einer Klassengesetzgebung der numerischen Mehrheit“ der unteren Schichten zu entgehen. Der mitbestimmungsfähige Bürger muss erzogen und gebildet werden (aber nicht zu viel!), die Menge muss geführt werden, ihre Leidenschaften und Interessen sind zu formen: „Partizipation und Restriktion … mussten in ein stabiles Gleichgewicht gebracht werden, welches dann gefunden wäre, wenn ein sorgsam austariertes Wahlrecht Bildungs- mit Besitzerfordernissen so kombiniert, dass bei keiner Gruppe, keinem Stand, keiner Klasse der Eindruck entsteht, mitspielen zu dürfen, ohne etwas gewinnen zu können.“ (61) Staat und Regierung basieren jetzt auf dem Tausch „Loyalität gegen Fürsorge“, sie müssen sich als effektives Versicherungssystem gegen die Risiken des sozialen Lebens bewähren. Leitbilder dieser Haltung sind der paternalistische Polizeistaat, die sachorientierte und gleichförmige Verwaltung sowie der aufkommende Sozialstaat des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Im dritten und letzten Teil seines Essays geht Fach auf gegenwärtige Erosionsprozesse des Regierens ein, allen voran den Niedergang des Wohlfahrtsstaates, womit für viele die Existenzberechtigung des Staates verloren geht. Zu den Erosionserscheinungen gehören für ihn auch der Aufwind populistischer Strömungen, die Verlagerung staatlicher Aufgaben in die Hände Privater, der Verzicht auf klassische Regulierungspolitik (und deren Ersetzung durch „weichere“ Formen der Steuerung wie das Nudging) …

Leider erst an dieser Stelle wird deutlich, was das Ziel der Geschichte, das treibende Motiv für den Autor ist: eine Antwort auf die Frage, „wie es mit der Politik soweit kommen konnte“ – und zwar für solche Leute, die „keine fertigen Antworten erwarten“ [1]. Eine echte Antwort auf die Frage nach dem „Wie“ wird man in dem Buch jedoch nicht finden, denn solchen einfachen Antworten verweigert sich der Autor konsequent. Die damit verbundene Komplexitätsreduktion ist für ihn selbst Ausdruck jener Zumutungen, auf die er aufmerksam machen will.

[1] Zitiert nach: Autoreninterview mit Wolfgang Fach, http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3606-2/regieren-die-geschichte-einer-zumutung.

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