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Praktiken des Verfas­sungs­schutzes

Petition der Humanistischen Union zur Änderung des Verfassungsschutz-Gesetzes

aus: vorgänge Heft 6/1968, S. 218

(vg) Wie fragwürdig die Arbeit unserer Verfassungsschutzämter ist, wurde zuletzt wieder dokumentiert durch die bekanntgewordenen Versuche des Verfassungsschutzes, bezahlte Spitzel in linke Studentenorganisationen einzuschleusen. Der Effekt des Verfassungsschutzes, eventuell hier oder dort tatsächliche Verfassungsgegner aufzuspüren, muß jedenfalls abgewogen werden gegen den unbeabsichtigten, aber realen Effekt, daß durch die Art und Weise, wie die Verfassungsschutzämter sich ihre Informationen beschaffen, das menschliche Vertrauen der Bürger untereinander, in ihren Organisationen und gegenüber ihrem Staat untergraben wird.

Die Humanistische Union hat darum an den Rechts- und Innenausschuß des Bundestages eine Petition gerichtet, die dazu auffordert, die Praxis der Verfassungsschutzämter durch eine Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz den Rechtsnormen der Verfassung anzupassen. Die Petition wurde ebenfalls den Innenministern der Bundesländer zugestellt, die für die diversen Landesverfassungsschutzämter zuständig sind.

Sehr geehrte Damen und Herren,

es erscheint dringend geboten, das 1950 erlassene Verfassungsschutz-Gesetz zu revidieren. Wir bitten Sie zu prüfen, ob dieses seit Bestehen des politischen Strafrechts überflüssige Gesetz überhaupt aufrechterhalten werden soll. Wie seine Praktizierung beweist, bedarf sein Wortlaut jedenfalls unbedingt einer Anpassung an die Erfordernisse des Grundgesetzes. Hierzu gehört nach Ansicht der Humanistischen Union

1. das Verbot hinterlistiger und täuschender Maßnahmen, zum Beispiel der Einschleusung sog. „Vertrauensleute“,

2. das Verbot der Verwertung von Agenten-Aussagen ohne Gegenüberstellung mit dem Betroffenen,

3. ein dem Grundgesetz entsprechender Rechtsschutz des einzelnen gegen Verletzung seiner Rechte durch die öffentliche Gewalt.

Begründung:

1. Die Versuche von Verfassungsschutzämtern, „Vertrauensleute“ in politische oder berufsständische Organisationen einzuschleusen, haben zu einer schweren Beunruhigung der deutschen Öffentlichkeit geführt. Menschliches Vertrauen, das die Grundlage allen sozialen Lebens ist, wird untergraben, wenn der Bürger ständig eine Überwachung befürchten muß. Wie können junge Menschen eine freie und offene Gesellschaft gestalten, wenn sie von früh an lernen müssen, anderen nicht über den Weg zu trauen und ständig auf der Hut zu sein? Die Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf freie Meinungsäußerung, die Vereins- und Versammlungsfreiheit, werden illusorisch.

Die Strafprozeßordnung verbietet für Vernehmungen aller Art der Polizei jede Täuschungshandlung und verwirklicht damit das Gebot des Grundgesetzartikels Nr. 1, die Würde jedes Menschen zu achten. Das Einschleusen von Personen, die in das Vertrauen anderer dringen und das Vertrauen brechen, stellt eine solche Täuschungshandlung dar. Was für den Strafprozeß rechtens ist, muß für den Verfassungsschutz, der im Vorfeld krimineller Betätigung arbeitet, erst recht gültig sein.

2. Der Wahrheitswert von Ermittlungsergebnissen, die auf die Spitzeltätigkeit bezahlter „Vertrauensleute“ zurückgehen, ist schon wegen der Zwielichtigkeit der Charaktere, die sich zu einer solchen Schnüffel- und Verrätertätigkeit bereit finden, minimal, zumal der betroffene Bürger kein Recht auf Gehör und Entgegnung genießt. Aber selbst der etwaige Beweiswert einer Denunziation wiegt nicht die Schäden auf, die einer freiheitlichen Gesellschaft durch solche Praktiken erwachsen. Der Schutz der Würde des Menschen, den das Grundgesetz allen staatlichen Gewalten zur Pflicht macht, umfaßt besonders die Privatsphäre des einzelnen. In sie wird durch die Anwendung sog. „Vertrauensleute“ in jedem Einzelfall, aber auch allgemein durch die Verbreitung von Angst und Mißtrauen unter den Staatsbürgern eingegriffen.

3. Der Verfassungsschutz unterliegt weder verwaltungsrechtlicher noch parlamentarischer Kontrolle. Dies widerspricht dem Grundgesetz. Das im Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgebung vorgeschlagene Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses sieht eine Nachprüfung der administrativen Überwachungsmaßnahmen wenigstens durch ein parlamentarisches Organ vor. Schon gegen die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Verfahrensweise bestehen schwerwiegende Bedenken; aber nicht einmal die hier vorgesehenen – nach dem Grundgesetz unzulänglichen – Kontrollmaßnahmen gelten für den Verfassungsschutz und seine „Vertrauensleute“.

Wir appellieren an die zuständigen Volksvertreter, eine gesetzgeberische Initiative zur Behebung der genannten Mißstände und Gefahren in Gang zu bringen. Für eine Stellungnahme wären wir dankbar.

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