Der Humanismus der Humanistischen Union, der christliche Glaube und die christlichen Kirchen
Erklärung zu den Vorwürfen von Vertretern der katholischen Kirche, die Humanistische Union führe einen „Kampf gegen die Kirche“. Aus: vorgänge Heft 7/1965, S. 293
In den vergangenen Wochen wurde die Humanistische Union erneut von Vertretern der katholischen Kirche angegriffen. Der Passauer Domprediger, Pater Michael Tupec, behauptete am 31. Mai, daß die Humanistische Union eine „atheistische Grundlage“ habe und ihr eigentliches Ziel, nämlich „der Kampf gegen Kirche und Christentum“, sich aus den Büchern des „von der Union ins Leben gerufenen“ Szczesny-Verlages ablesen lasse. Am 16. Juni erklärte der Pressereferent des Erzbischöflichen Ordinariats München, Prälat Anton Maier, daß die Humanistische Union bestrebt sei, „der Kirche jede Existenzberechtigung im öffentlichen Raum abzusprechen und den christlichen Glauben mit allen Mitteln, auch mit den Mitteln der Unwahrheit, zu bekämpfen“.
Angesichts dieser absolut falschen und diffamierenden Behauptungen stellt die Humanistische Union fest:
1. Die Humanistische Union hat weder eine atheistische noch irgendeine andere religiös-weltanschauliche Grundlage. Sie ist von Nichtchristen und Christen gemeinsam in der Überzeugung ins Leben gerufen worden, daß Humanität von jedem Menschen verwirklicht (und verfehlt) werden kann, gleich zu welchem „Glauben“ oder „Unglauben“ er sich bekennt. Der Humanismus der Humanistischen Union meint die durch die Natur und die Geschichte vorgegebene mitmenschliche Solidarität, die sich unabhängig von bestimmten Glaubensüberzeugungen vorfindet, entwickelt hat und entwickeln läßt.
2. Die Humanistische Union ist davon überzeugt, daß die religiöse oder weltanschauliche Deutung, die der Mensch seinem Dasein gibt, ein entscheidendes Merkmal seiner menschlichen Existenz ist. Neben dem Schutz und der Entwicklung der solidarischen Werte ist daher die Sicherung der personalen Glaubensentscheidung und Lebensweise die wichtigste Aufgabe eines freiheitlich-demokratischen Kulturstaates.
3. Die Humanistische Union glaubt mit dem von ihr vertretenen personalistischen Humanismus in Übereinstimmung zu sein mit Geist und Inhalt des Grundgesetzes. Sie ist der Versuch, in sich selbst das Modell einer offenen und pluralistischen Gesellschaft zu verwirklichen. Sie wünscht Nichtchristen wie Christen volle und gleichberechtigte Informations-, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ohne Furcht vor Nachteilen zu sichern und die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Weltdeutungen zu ermutigen, zugleich aber alle in ihren Glaubensüberzeugungen geschiedenen Einzelnen und Gruppen zur Förderung der allgemeinverbindlichen zivilisatorischen und sittlichen Werte zusammenzuführen.
4. Der von dem derzeitigen Vorsitzenden der Humanistischen Union, Dr. Gerhard Szczesny, im Jahre 1962, gegründete Szczesny-Verlag ist kein Verlag der Humanistischen Union und hängt mit dieser weder rechtlich noch organisatorisch noch finanziell zusammen. Die Bücher dieses Verlages sind also keine programmatischen Äußerungen der Humanistischen Union, sondern werden von Dr. Szczesny als einem unabhängigen Staatsbürger und Privatmann nach seinem persönlichen Gutdünken ausgewählt. Er hat es als die Aufgabe seines Unternehmens bezeichnet, neben den vielen in der Bundesrepublik bestehenden christlichen Verlagen ein Forum für nichtchristliche Autoren und Anschauungen zu. schaffen. Als Autor und Verleger nichtchristlicher Bücher befindet sich Dr. Szczesny ebenso sehr in Übereinstimmung mit den Zielen der Humanistischen Union wie z. B. jene ihrer Mitglieder, die christliche Theologen sind und mit ihrem Beitritt zur Humanistischen Union ihr christliches und kirchliches Wirken weder aufgegeben haben noch aufgeben sollen.
5. Es ist weder das Ziel der Humanistischen Union, irgendeine christliche oder nichtchristliche Glaubensüberzeugung zu bekämpfen oder zu propagieren noch diese verschiedenen Glaubensüberzeugungen etwa zu Gunsten eines „humanistischen Glaubens“ einzuebnen. Die Humanistische Union bejaht die Existenz der christlichen Kirchen und hält es für selbstverständlich, daß diese ihre Vorstellungen auch „im öffentlichen Raum“ zur Geltung zu bringen versuchen. Sie wird sich in keine antichristliche Frontstellung drängen lassen, sondern will die demokratisch und human gesinnten Bekenner aller religiösen und westanschaulichen Standpunkte vereinen, um totalitäre Bestrebungen in jedem Lager zu bekämpfen.
Die Kritik der Humanistischen Union an bestimmten Vorgängen im christlichen Lager galt und gilt ausschließlich politischen Forderungen und Bestrebungen, nämlich solchen, die die Glaubens- und Lebensrechte der nichtchristlichen Bürger der Bundesrepublik bedrohen oder geeignet sind, die freie Entfaltung der menschlichen Person, die Freiheit der Information, der Kunst und Wissenschaft überhaupt, einzuschränken.