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30 Jahre Radika­len­er­lass und Berufs­ver­bote

21. März 2002

Mitteilungen Nr. 177, S.12-13

Am 28. Januar jährte sich zum dreißigsten Mal der als Radikalenerlass bekannte Ministerpräsidentenbeschluss gegen sogenannte Extremisten im Öffentlichen Dienst. In dieser Zeit
führten etwa 3,5 Mio. Regelanfragen zu ca. 11.000 förmlichen
Berufsverbotsverfahren aus denen ca. 1.250 Nichteinstellungen und 265 Entlassungen, meist von Mitgliedern linker Gruppierungen,
resultierten. Aus Anlass des Jahrestages fand am 09. und 10. Februar eine unter anderen von der GEW und der Initiative Weg mit den Berufsverboten (s.u.) organisierte Konferenz in Hamburg statt: „30 Jahre Berufsverbote mahnen – Kein neuer Grundrechtsabbau!“ Berufsverbots-Betroffene aus den alten und neuen Bundesländern diskutierten mit Juristen und Vertretern verschiedener Parteien und politischer Organisationen (u.a. Bund demokratischer Wissenschaft-ler, HUMANISTISCHE UNION, Vereinigung demokratischer Juristen) zu aktuellen Grundrechtseinschränkungen.
Der Berliner Journalist Eckart Spoo mahnte, dass die Meinungs-äußerungsfreiheit auch bei außenpolitischen Krisen wie dem Krieg gegen Afghanistan und nach den Anschlägen vom 11. September unantastbar bleiben müsse. Weitere Stellungnahmen kritisierten u.a., dass der Schutz der Demokratie ausgerechnet den Geheimdiensten obliege, die sich schon in den Berufsverbote-verfahren diskreditiert hätten. Klaus Dammann forderte als Anwalt zahlreicher Berufsverbotsbetroffener die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention, nachdem die Berufsverbote 1994 vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gerügt worden waren. Die Konsequenzen daraus seien von der Politik bis heute nie gezogen worden. Jürgen Kühling (HUMANISTISCHE UNION) mahnte, das Vertrauen in Rationalität und Aufklärung der Bürger nicht aufzugeben. Als Legitimationsmuster der Berufsverbote als Eingriff in Grundrechte diente im kalten Krieg das Bedrohungsszenario des antikommunistischen Ressentiments, heute
das des Terrorismus. Prof. Martin Kutscha (Berlin) analysierte
die sogenannten Schily‘schen Sicherheitsgesetze als massiven Abbau der Freiheits- und Menschenrechtsversprechen des Grundgesetzes. Eva-Maria Stange (GEW) erläuterte die Forderung
der GEW nach Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen. Anstatt neue Repressionen zu starten, sollte eine andere politische Bildung forciert werden. Wolfgang Gehrke (MdB, PDS) berichtete, dass die PDS-Fraktion den Entwurf eines Berufsverbotebereinigungs-gesetzes zur Rehabilitation und Wiedergutmachung in den Bundestag eingebracht hat.
Nach seiner Auffassung stehe die SPD jetzt vor der Frage, ob sie der Traditionslinie des „Law-and-Order“ folgen wolle oder der von Willy Brandt „mehr Demokratie zu wagen“. Willy Brandt selbst hatte den Radikalenerlass im Nachhinein als einen seiner schwersten politischen Fehler beurteilt.
In den verschiedenen Diskussionen auf der Konferenz und in den Arbeitsgruppen wurde immer wieder die Notwendigkeit betont, die Geschichte der Berufsverbote und der Repressionen im „kalten Krieg“ und in der Zeit danach politisch, historisch, juristisch und moralisch aufzuarbeiten. Dazu gehören auch die Folgen der Verunsicherung über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus, die subjektive Verarbeitung durch die Betroffenen selber wie die Verquickung und Verflechtung mit der Tätigkeit der Stasi vor 1989 im Osten und der „Abwicklung“ nach 1989. Aber auch die Arbeit der Geheimdienste und des Verfassungsschutzes in der Zeit des kalten Krieges und danach bis heute, die Unvereinbarkeitsbeschlüsse in den Gewerkschaften und das Kooperationsverbot in der SPD gehörten dazu. Zum Abschluss wurde verabredet: 1. Verstärkte öffentliche Forderung von Wiedergutmachung für die Betroffenen, Entfernung der Dossiers des Verfassungsschutzes aus allen Akten, ersatzlose Aufhebung der Berufsverbote und Verfahrensregelungen, Beendigung der Regelanfrage (vor allem in Bayern und für Ausländer), der Rasterfahndung und der Anhörungen, Auflösung nicht Stärkung des Verfassungsschutzes. 2. Dies auch von den einzelnen Landesregierungen zu fordern. 3. Alle Berufsverbots-prozesse durch Öffentlichkeitsarbeit im In- und Ausland zu begleiten, insbesondere die sechs anhängigen Verfahren vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg. 4. Die Gewerkschaften aufzufordern, für die Respektierung der Entscheidung des EMRG in Straßburg Sorge zu tragen und – wie die GEW – die Rehabilitierung und Entschädigung zu fordern, die Meinungsäußerungsfreiheit nach dem 11.9. offensiv zu verteidigen, die Sicherheitsgesetze abzulehnen und an die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) heranzutreten. 5. Ein „Netzwerk demokratisch gesinnter Personen, Gruppen und Organisationen“ als Plattform für weitere Diskussionen und Aktionen zu entwickeln und zu stärken, hierzu dient die u.a. Kontaktadresse. Nach einer Pressemitteilung der

Initiative Weg mit den Berufsverboten,

Arbeitsausschuss (Prof.Dr.N. Paech, E. Spoo, Dr.K. Dammann, H. Bethge), Kontaktadresse: c/o H. Bethge, Saseler Kamp 69a, 22393 Hamburg, Internet: www.berufsverbote.de

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