Beschlüsse des Verbandstages in Marburg
Mitteilung Nr. 173, S. 15
Auf dem Verbandstag der Humanistischen Union in Marburg wurden an dessen letztem Tag, dem 24. 9., unter dem dann üblichen Zeitdruck und ohne Diskussion einige Anträge des Berliner Landesvorstandes der HU angenommen, die fragwürdig waren und sind.
Davor war schon die „Erklärung des Bundesvorstandes der Humanistischen Union zum Sexualstrafrecht“ (vgl. Mitteilungen 171, S.63ff.) diskutiert und abgelehnt und der Bundesvorstand aufgefordert worden, diese seine Erklärung nicht als Position der Humanistischen Union zu verbreiten.
Dass dieses Papier nicht durchging, verwundert mich nun nicht. Die vorgebrachte Kritik, es sei stellenweise unklar formuliert, ist nicht von der Hand zu weisen. Es hätte aber verbessert werden können, hätte es die Mehrheit nur gewollt. Hinter der Feststellung, dem Papier mangle es an Differenzierung, verbirgt sich dagegen die wahre Ursache für die Ablehnung, nämlich die Abwehr jedweder Auffassung von Pädophilie als diskutabler sexueller Orientierung, selbst wenn sie bestimmten ethischen Maximen folgt.
Zu den Anträgen: Berechtigt finde ich die Berliner Kritik am Bericht über die Pornographie-Tagung. Undifferenzierte Hurra-Formulier-ungen (die dort von der Überschrift angefangen leider zu lesen sind) werden einem so emotional besetzten und strittigen Thema nämlich nicht gerecht.
Auch die Berliner Aufforderung an die Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität (AHS), ihre Links zur HU-Homepage zu löschen, finde ich teilweise nachvollziehbar. Links lassen den Leser leicht die Grenze zwischen Organisationen und deren Positionen übersehen. Hauptsächlich spielten für diesen Antragspunkt vermutlich aber wieder die Berührungsängste vor einer Thematisierung der Pädophilie auch aus Betroffenensicht die Hauptrolle, die auf der AHS-Homepage ausführlich und an einigen Stellen recht differenziert vorgenommen wird.
Wirklich inakzeptabel ist aber aus meiner Sicht der Beschluss des Verbandstages, mit dem der Bundesvorstand aufgefordert wird, in geeigneter Weise klarzustellen, dass die HU sexuelle Kontakte von Erwachsenen mit Kindern nicht billigt. Fair ist ja noch die ebenfalls beschlossene Aufforderung an den Vorstand, klarzustellen, dass die HU sexuelle Kontakte von Erwachsenen mit Kindern nicht in irgend-einer Weise unterstützt. Erstere Forderung nach Nicht-Billigung geht aber weit darüber hinaus und ist in ihrer Undifferenziertheit geradezu fundamentalistisch und darüber hinaus schlichtweg falsch, weil sie nicht den Tatsachen entspricht. Die HU ist in dieser Frage nämlich seit langem uneins. Es gibt hier keine eindeutige HU-Haltung unter den Mitgliedern, eine solche kann daher auch nicht ausposaunt werden. Es ist außerdem ein Armutszeugnis für eine Bürgerrechts-organisation, ohne vorhergehende profunde Sachdebatte unter ihren gegensätzlichen Meinungsträgern, per Kampfabstimmung – wie geschehen – eine derartige einseitige und pauschale Distanzierung in einer vielmehr differenziert und sensibel zu betrachtenden strittigen Materie durchzupowern. So etwas stellt eine unerträgliche Bevormundung aller Mitglieder dar, die sich um eine reflektiertere Position bemühen, eine Art Denkverbot- und Maulkorberlass. So etwas kann keinem noch so strittigen Thema gerecht werden. Der HU-Vorstand kann und darf redlicherweise diesem Beschlusspunkt nicht folgen.
Dass auch der Berliner Antrag abschließend ausdrücklich festhält, dass die HU bei entsprechendem Anlass energisch darauf hinweisen könne, dass Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte auch für den Umgang mit Pädophilen gelten, weist die Berliner Mitglieder letztlich aber doch als Bürgerrechtler aus und verschließt die künftige HU-Arbeit in diesem Bereich nicht.
Angesichts des Dilemmas der jetzigen Beschlusslage erwarte ich vom HU-Vorstand, dass er bald eine Sachdebatte unter den gegensätz-lichen HU-Meinungsträgern organisiert. An dieser will ich als – wegen der Entfernung leider nur sporadisches – Mitglied des HU-Arbeitskreises Sexualstrafrecht gerne teilnehmen. Ich hoffe, dass auch die involvierten Berliner HU-Mitglieder an einer gemeinsamen Aufarbeitung des Konfliktes interessiert sind, obwohl keines von ihnen je am entsprechenden HU-Arbeitskreis teilgenommen hat, wo dies im Vorfeld besser hätte geschehen können.
Paul Steinacher, Dipl.- Soz., München