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Brech­mit­te­l­ein­satz - unzulässig und in der Nähe von Folter

13. April 2005

Anfang Januar 2005 verstarb der 35-jährige Laye-Alama Conde – zehn Tage, nachdem ihm zur Sicherung von Kokain-Kügelchen, die er verschluckt hatte, von der Bremer Polizei zwangsweise Brechmittel verabreicht worden waren. Vermutlich ertrank er an dem Leitungswasser, das man ihm dabei literweise per Magensonde eingeführt hatte. Er war nicht das erste Todesopfer des Brechmitteleinsatzes in Deutschland: Der 19-jährige Achidi John war im Dezember 2001 umgekommen, nachdem ihm vier Hamburger Polizisten mit körperlicher Gewalt festhalten hatten, um ihm gewaltsam 30 Milliliter Brechmittel-Sirup und 800 Milliliter Wasser einzuflößen.

Zwar hat Bremen mittlerweile beschlossen, die Zwangsverabreichung von Brechmitteln aufzugeben. Doch andernorts, unter anderem in Berlin, droht wie schon vor drei Jahren diese polizeiliche Praxis nach einer kurzen Phase der öffentlichen Aufmerksamkeit still und leise fortgesetzt zu werden.

Dabei sind gesundheitliche Schäden als Folge von polizeilichen Brechmitteleinsätzen alles andere als die Ausnahme. Von Beschwerden wie Brechanfällen, Durchfall und Herzbeschwerden berichten viele Betroffene, mitunter mussten sich Betroffene anschließend für mehrere Tage in stationäre Behandlung begeben. Schon diese bekannt gewordenen Einzelfälle widerlegen die gelegentlich aufgestellte Behauptung, der zwangsweise Einsatz solcher Vomitiv-Mittel sei ebenso harmlos wie eine Blutentnahme zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration. Wenig verwunderlich ist daher ein Beschluss des Deutschen Ärtzetages von 2002, in dem es heißt: „Die Vergabe von Brechmitteln an verdächtige Drogendealer zum Zwecke der Beweismittelsicherung ist ohne Zustimmung des Betroffenen ärztlich nicht zu vertreten“, sie verstoße gegen das ärztliche Berufsethos.

§ 81a StPO bietet keine Rechtsgrundlage

Maßstab für die Zulässigkeit des Brechmitteleinsatzes ist § 81a der Strafprozessordnung. Dort heißt es in Absatz 1 Satz 2, dass körperliche Eingriffe zu Untersuchungszwecken ohne Einwilligung des Beschuldigten nur dann zulässig sind, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Gesundheitliche Nachteile müssen also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sein.

An der Beachtung dieses Prinzips waren angesichts der geschilderten gesundheitlichen Schäden in der Vergangenheit schon Zweifel angebracht. Auch die Tatsache, dass manche Strafverfolgungsbehörde die Prozedur nur in einem Raum mit Reanimationsgeräten durchführen lässt, legt die mit ihr verbundene Gefahr nahe. Laut medizinischer Literatur birgt die zwangsweise Einführung einer Magensonde das Risiko eines Herzstillstandes, denn dabei besteht die Gefahr der Reizung des Vagus-Nervs am Kehlkopf. Und bezüglich der Verabreichung des – auch in Hamburg und Bremen verwendeten – Brechmittels Ipecacuanha wird von Fachleuten auf das Risiko starker Bewusstseinstrübungen und manifester Herz- und Ateminsuffizienz hingewiesen. Spätestens nach dem nun wiederholt auf tragische Weise das Todesrisiko bewiesen wurde, kann von einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der gesundheitlichen Unbedenklichkeit auf keinen Fall mehr ausgegangen werden.

Die Voraussetzungen der einschlägigen Vorschrift des § 81a Absatz 1 StPO liegen also nicht vor. In Betracht käme eine Anwendung von brechreizerregenden Mitteln also allenfalls dann, wenn das Mittel tatsächlich freiwillig geschluckt wird. Ist dies nicht der Fall, so ist der Brechmitteleinsatz ausnahmslos unzulässig.

Dennoch hat bislang von gerichtlicher Seite allein das OLG Frankfurt den Brechmitteleinsatz für von § 81a StPO nicht gedeckt und darüber hinaus mit der Menschenwürde unvereinbar erklärt. In einem Grundsatzurteil von 1997 führte es aus, dass der betroffene Mensch dabei auf den „Zweck des Hervorwürgens“ reduziert und zum Objekt herabgewürdigt werde. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat – was ungewöhnlich ist – einen bis dahin als obiter dictum zugunsten der Verfassungsmäßigkeit des Brechmitteleinsatzes gedeuteten Satz nach dem Hamburger Todesfall per Pressemitteilung für unbeachtlich erklärt. Eine Überprüfung durch das BVerfG steht also noch aus.

Folter zur Sicherung von Beweismitteln?

Angesichts der vorhandenen Alternativen zur Sicherung der Beweismittel – in Bremen soll laut Koalitionsbeschluss mittlerweile bei verweigerter Brechmitteleinnahme das Ausscheiden auf natürlichem Wege abgewartet werden – drängt sich der Verdacht auf, dass das Festhalten am Brechzwang eine kriminalpolitische Grundsatzentscheidung ist, die insbesondere Entschlossenheit bei der Bekämpfung von Drogen-Straßenkriminalität demonstrieren soll. Dies legen auch verschiedene Äußerungen aus der Politik über die „Signalwirkung an Kriminelle“ nahe. Das offenbart einen Zweck des Brechmitteleinsatzes, der mit dem Verdächtigen-Status der Betroffenen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu vereinbaren ist: Prävention. Mutmaßliche Dealer sollen ganz offensichtlich durch die Brechmittel-Behandlungen vom Drogenhandel abgeschreckt werden. Damit wird einer originär schuldunabhängigen Maßnahme eine Wirkung zugeschrieben, die allenfalls bei strafender Inanspruchnahme von Individuen zu akzeptieren ist. Generalprävention aber hat als Zweck von strafverfolgenden oder gefahrenabwehrenden Handlungen keinen legitimen Platz.

Der Brechmitteleinsatz als vorweggenommene Quasi-Bestrafung degradiert die Betroffenen zum Objekt und ist kategorisch unzulässig. Zwar geht es dabei nicht um das Erzingen von Aussagen, sondern um die zwangsweise Erlangung von Beweismitteln. Doch wird man Bernd Kalvelage von der Hamburger Ärzteopposition nicht ohne Weiteres widersprechen können: „Beweismittel unter Qualen aus einem Körper zu holen, hat etwas von Folter.“

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