Das Bundesverfassungsgericht und die Anti-Terror-Datei
aus: vorgänge Nr. 201/202 (1/2-2013), S. 102-110
Sechs Jahre hat sich das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zur Anti-Terror-Datei (ATD) Zeit
gelassen. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an das Urteil. Am 24. April 2013 wurden diese Erwartungen
allerdings kräftig enttäuscht – die Karlsruher Entscheidung (1) fiel in bürgerrechtlicher Hinsicht mager aus.
Rosemarie Will erläutert und kommentiert die Entscheidung.
Am 31. Dezember 2006 trat das Gesetz zur Anti-Terror-Datei (ATDG, BGBl I S. 3409) in Kraft. Damit wurde zum ersten
Mal eine Verbunddatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten geschaffen. Mit ihrer Hilfe sollen Daten über den
internationalen Terrorismus und Terroristen ausgetauscht werden. Das Gesetz verpflichtet eine Vielzahl von
Behörden, Daten in diese Datei einzustellen. Insgesamt waren nach Angaben des Evaluationsberichts vom 7. März 2013
18.000 Personen in der Datei gespeichert (2). Die Speicherung von Daten erfolgt nach zwei Kategorien: Entweder es
handelt sich um die sogenannten Grunddaten, die offen gespeichert werden und vom Nutzer der Datei sofort einsehbar
sind oder um die erweiterten Grunddaten, die verdeckt gespeichert werden und erst auf Anfrage von der
einspeichernden Behörde freigeschaltet werden können. Zu den Grunddaten gehören unter anderem der Name, das
Geschlecht, das Geburtsdatum, der Geburtsort, der Geburtsstaat, aktuelle und frühere Staatsangehörigkeiten,
gegenwärtige und frühere Anschriften, besondere körperliche Merkmale, Sprachen, Dialekte und Lichtbilder.
Aus den erweiterten Grunddaten ergibt sich ein verdichteter „Steckbrief,“ der alle bei der jeweiligen Behörde
verfügbaren Daten versammelt. Dazu gehören unter anderem von der gespeicherten Person angemeldete oder genutzte
Telekommunikationsanschlüsse und Telekommunikationsendgeräte, E-Mailadressen, Schließfächer, auf die Person
zugelassene oder von ihr genutzte Fahrzeuge, Familienstand, Volkszugehörigkeit, Religionszugehörigkeit und
„besondere Fähigkeiten.“ Im September 2012 ist nach dem Vorbild der ATD die Rechtsextremismus-Datei eingerichtet
worden.
Kann die Anti-Terror-Datei verfassungsgemäß sein?
Seit die Anti-Terror-Datei eingerichtet wurde, steht die Frage im Raum, ob eine solche Verbunddatei zwischen
Polizeibehörden und Geheimdiensten das Trennungsgebot verletzt. Damit verbunden ist die Frage nach dem
verfassungsrechtlichen Rang des Trennungsgebotes. Sowohl darüber als auch über den Inhalt des Trennungsgebotes wird
bereits seit Inkrafttreten des Grundgesetzes heftig gestritten. Relativ einig ist man sich seit jeher darin, dass
das Trennungsgebot in organisatorischer Hinsicht die Angliederung der Nachrichtendienste an Polizeidienststellen
verbietet. Generell sollen den Geheimdiensten polizeiliche Befugnisse vorenthalten werden – das sogenannte
Exekutivverbot für Nachrichtendienste. Die Polizei wiederum soll nicht im Aufgabengebiet von Nachrichtendiensten
operieren und dazu nachrichtendienstliche Mittel einsetzen.
Weitere Fragen an die Verfassungsmäßigkeit des ATDG waren und sind: Ist der Terroristenbegriff hinreichend
bestimmt? Wie wird die Teilnahme der Behörden an der Verbunddatei geregelt? In welchem Maße werden Kontaktpersonen
in die Datei einbezogen? Sind die zu speichernden Daten überhaupt verfassungsgemäß? Was sind die
Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine Speicherung in der Datei?
Mit der Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz legte der Beschwerdeführer Klage ein gegen die Verletzung seines
Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung in Verbindung mit dem Grundrecht auf Menschenwürde (Art. 2 Abs. 1
i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie seinen Grundrechten aus den Art. 10 (Telekommunikationsgeheimnis), Art. 13
(Unverletzlichkeit der Wohnung) und Art. 19 Abs. 4 GG (Recht auf effektiven Rechtsschutz).
Mit seiner Entscheidung hat das Gericht die Grundstrukturen des ATDG für verfassungsmäßig erklärt. Einige
Regelungen, deren Verfassungswidrigkeit von Anfang an mehr oder weniger offensichtlich war, wurden nun offiziell
für nicht verfassungsgemäß erklärt. Der Frage nach der Übereinstimmung des ATDG mit dem Trennungsgebot und den
Fragen des Rechtsschutzes ist das Gericht ausgewichen.
Wie ein Problem verschwindet
Mit seinem Urteil erklärt das BVerfG die Grundstrukturen der ATD für verfassungsgemäß. (3) In der Begründung heißt
es: „Da sie nur rechtlich begrenzte Einzelübermittlungen vorbereiten, ist eine solche Zusammenführung von Daten der
Nachrichtendienste und Polizeibehörden durch die Aufgaben der Terrorismusbekämpfung gerechtfertigt. Ebenfalls
bestehen keine durchgreifenden Bedenken dagegen, einen gezielteren Informationsaustausch nach Maßgabe des
Fachrechts zu ermöglichen.“ (4)
Das BVerfG begreift die Verbunddatei mit ihren offen einsehbaren Grunddaten demnach lediglich als Instrument für
eine Informationsanbahnung. Sie ermöglicht es den beteiligten Behörden demnach nur, die sogenannten Grunddaten als
Klarinformationen in die Datei eingeben und einsehen zu können. Der weitere Informationsaustausch bezüglich der
sogenannten erweiterten Grunddaten, die in der Datei verdeckt gespeichert werden, erfolgt nach Maßgabe des jeweils
geltenden Fachrechts, also gemäß den jeweiligen Übermittlungsvorschriften, denen die einzelnen Behörden
unterliegen. Tritt jedoch ein sogenannter Eilfall ein, können die erweiterten Grunddaten sofort ohne weitere
Prüfung freigeschaltet werden.
Wird durch einen erzielten Treffer bei den Grunddaten tatsächlich nur ein Informationsaustausch angebahnt und
ansonsten kein Informationsgewinn erzielt? Zweifel sind schon bei der Anbahnungsthese angebracht, denn auch dem
Gericht muss klar sein, dass durch den Datenaustausch ein Eingriff in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung vorliegt. Dieser Eingriff besteht darin, dass die Daten jeweils zu einem anderen Zweck von der
eingebenden Behörde erhoben wurden, als sie die abfragende Behörde dann anschließend verwendet. Dazu heißt es im
Urteil: „Das Eingriffsgewicht der Antiterrordatei ist dadurch erhöht, dass sie einen Informationsaustausch zwischen
einer großen Zahl von Sicherheitsbehörden mit zum Teil deutlich verschiedenen Aufgaben und Befugnissen ermöglicht.
Bedeutung hat hierbei insbesondere, dass sie auch den Informationsaustausch zwischen Nachrichtendiensten und
Polizeibehörden umfasst.“ (5)
Das Gericht sieht auch, dass mit der Verwendung der personenbezogenen Daten durch die abfragende Behörde eine
Zweckänderung der Daten im Vergleich zum ursprünglichen Erhebungszweck einhergeht. „Die den verschiedenen
Sicherheitsbehörden jeweils eingeräumten Datenerhebungs- und -verarbeitungsbefugnisse sind, soweit es um
personenbezogene Daten geht, auf ihre spezifischen Aufgaben zugeschnitten und durch sie begrenzt. Entsprechend
unterliegen die Daten von Verfassung wegen und hinsichtlich ihrer Verwendung, Zweckbindungen und können nicht ohne
weiteres an andere Behörden übermittelt werden.“ (6) Dennoch, so das Gericht weiter, schließe der
verfassungsrechtliche Grundsatz der Zweckbindung Zweckänderungen durch den Gesetzgeber nicht aus. Dabei dürften
aber verfassungsrechtliche Voraussetzungen für die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Daten nicht dadurch
unterlaufen werden, dass Behörden, für die aufgrund ihrer Aufgabenstellung weniger strenge Anforderungen gelten,
Daten im Wege der Übermittlung an Behörden weiterleiten, die ihrerseits strengeren Anforderungen unterliegen. (7)
Wie aber sollen diese Maßstäbe für den erweiterten Datenaustausch, der nach Ansicht des Gerichts durch die Einsicht
in die Grunddaten nur „angebahnt“ wurde, nun auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft werden? Hierzu macht das
Gericht keine Angaben – man könnte auch sagen: Die Prüfung findet nicht statt. Das Gericht stellt einzig darauf ab,
dass der Austausch der erweiterten Grunddaten nur auf der Grundlage des bestehenden Fachrechts für den
Datenaustausch erfolgen kann. Das heißt, dass das Gericht die fachrechtlichen Austauschregeln als die geforderten
gesetzlichen Zweckänderungsregelungen für den erweiterten Datenaustausch begreift, ohne diese auf ihre
Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Aber diese Art Austausch auf der Grundlage des jeweiligen Fachrechtes hat
es auch ohne die Datei schon gegeben. Das Problem einer möglichen verfassungswidrigen Zweckänderung durch den
Austausch der erweiterten Grunddaten mittels der Verbunddatei verschwindet also dadurch, dass es diese Art
Austausch schon immer gab – die Datei hat nichts daran geändert. Das wirkt wie ein Taschenspielertrick, denn auf
diese Weise bleibt das Verbot einer nachträglichen Zweckänderung wirkungslos. Für das Gericht ist der
Datenaustausch über die Datei nichts anderes als eine Effektivierung der gängigen Praxis mittels Digitalisierung
und Vernetzung, deren Verfassungsmäßigkeit nicht zu prüfen war. Selbst den Eilfall, bei dem sofort ohne weitere
Prüfung die verdeckt gespeicherten erweiterten Grunddaten dem Anfragenden übermittelt werden, sieht das Gericht für
gerechtfertigt an und erhebt keine verfassungsrechtlichen Einwände. Geht man davon aus, dass bei der
internationalen Terrorbekämpfung der Eilfall recht häufig eintritt, gibt es für diese Fälle überhaupt keine Hürde
für den Datenaustausch und der damit verbundenen Zweckänderung bei der Weiterverwendung der Daten.
Kampf gegen den Terror: Nur weniges ist nicht erlaubt
Nachdem die Grundstrukturen der ATD die verfassungsrechtliche Prüfung passiert haben, erklärt das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil einzelne Normen des Gesetzes für verfassungswidrig. Dies betrifft die Art
der Festlegung der an der Datei beteiligten Behörden; den Umfang der in der Datei erfassten Personen, insbesondere
die breite Einbeziehung von Kontaktpersonen in die Datei; die Nutzung der erweiterten Grunddaten zur sogenannten
Inverssuche (8); die Befugnis der Sicherheitsbehörden, selbständig die zu speichernden Daten weiterführend
bestimmen zu können; und schließlich die „Maßnahmen zur Gewährleistung einer effektiven Aufsicht“ – neben der
gerichtlichen und der parlamentarischen Kontrolle hier vor allem die Aufsicht durch die Datenschutzbehörden.
Schon während der Anhörung im Gesetzgebungsverfahren hatte der Sachverständige Hansjörg Geiger darauf hingewiesen,
dass es rechtsstaatlich geboten sei, dass der Gesetzgeber selbst die an der Datei beteiligten Behörden abschließend
festlegt. Im § 2 Abs. 1 ATDG ist hingegen vorgesehen, dass das Bundesministerium des Inneren weitere
Polizeivollzugsbehörden zur Teilnahme an der Datei bestimmen kann. Diese Regelung wurde nun als mit dem
Bestimmtheitsgebot für unvereinbar erklärt. (9)
Zur Festlegung des zu speichernden Personenkreises hatte der § 2 Nr. 1 ATDG geregelt, dass Personen, die
Vereinigungen oder Gruppierungen des internationalen Terrorismus angehören oder in einer besonderen Nähe dazu
stehen, gespeichert werden. Dieses Vorhaben ist bereits im Gesetzgebungsverfahren als zu weitgehend kritisiert
worden.
Darüber hinaus sollten nach § 2 Nr. 2 ATDG Personen gespeichert werden, die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur
Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden, unterstützen, vorbereiten,
befürworten oder durch ihre Tätigkeit vorsätzlich hervorrufen. Die Nr. 3 des Paragrafen sah zudem die Speicherung
der Daten von Kontaktpersonen der nach Nr. 1 und 2 zu speichernden Personen vor. Insbesondere der Sachverständige
Ralf Poscher hatte dies als zu weitgehend kritisiert.
Dem ist das Gericht nur zum Teil gefolgt. Es hat einzig die Regelung zur Unterstützung einer Gruppierung und § 2
Satz 1 Nummer 2 hinsichtlich des Merkmals „befürworten“ für mit der Verfassung unvereinbar erklärt. (10) Bezüglich
der mehrdeutigen und sehr weiten Rechtsbegriffe der „rechtswidrigen Gewalt“ und des „vorsätzlichen Hervorrufens“
solcher Gewalt gab es im Urteil nur eine „Vier-zu-vier“-Entscheidung. (11) Das bedeutet, dass das Gericht die
Begriffe „unterstützen“, „vorbereiten“, „befürworten“ oder „durch ihre Tätigkeit vorsätzlich hervorrufen“ für
rechtsstaatlich ausreichend bestimmt hält, um nach diesen Merkmalen Personen in der Datei zu speichern.
Obwohl im weiteren die Regelung zu den Kontaktpersonen für insgesamt verfassungswidrig erklärt wurde, merkt das
Urteil an, dass es verfassungsrechtlich nicht prinzipiell ausgeschlossen sei, auch Daten von Kontaktpersonen in der
ATD zu speichern – die Speicherung bleibt also grundsätzlich möglich. Damit der Vorgang dann verfassungsgemäß
erfolgt, gibt das Gericht dem Gesetzgeber dazu sogar Hinweise in der Randnummer 165.
Bezüglich des Umfangs der erfassten Daten hat das Gericht inhaltlich nichts beanstandet – dies betrifft sowohl die
Grunddaten als auch die erweiterten Grunddaten. Nur in formeller Hinsicht soll es ergänzende Regelungen geben:
Danach müssen die in § 3 Abs. 1 Nummer 1b enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe nunmehr nicht nur, wie bisher
geschehen, in Form einer „Verschlusssache nur für den Dienstgebrauch“ standardisiert werden, sondern sind vom
Gesetzgeber selbst nachvollziehbar zu dokumentieren und zu veröffentlichen.
Angesichts der Reichweite und der Sensibilität der zu speichernden Daten ist dies zwar überraschend, aber auch hier
argumentiert das Gericht damit, dass die Regelungen des ATDG keine neue Erhebung von Daten vorsehe, sondern nur die
Zusammenführung von einzelnen bei den Behörden bereits vorhandenen Daten bewirke. Im Übrigen, so das Gericht, stehe
dem Eingriffsgewicht das überaus gewichtige öffentliche Interesse an einer effektiven Aufklärung und Bekämpfung des
internationalen Terrorismus gegenüber. (12) Dies lässt das Gericht auch für die Merkmale der Volks- und
Religionszugehörigkeit gelten, für die vielfach angemerkt wurde, dass ihre Speicherung dem besonderen
verfassungsrechtlichen Anspruch auf Diskriminierungsschutz nicht genügen würde. Weiterhin hat auch das im Gesetz
vorgesehene Freitextfeld (13) die verfassungsrechtliche Prüfung problemlos passiert.
Unbedenklichkeit stellt das Gericht auch im Bezug auf die Abfrage und Nutzung der einfachen Grunddaten und mit
einer Ausnahme auch für die Recherchen zu den erweiterten Grunddaten fest – und das, obwohl das Gesetz keine
qualifizierten Eingriffsschwellen enthält. Für eine Abfrage reicht es vielmehr aus, dass sie für die
Aufgabenerfüllung bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, also dem Hinweis auf eine möglicherweise
drohende Gefahr, als erforderlich angesehen wird. Das ist, wie das Gericht selbst anmerkt, eine so niedrige
Eingriffsschwelle, dass man sehr stark annehmen muss, dass sie das Einsammeln und Speichern von Daten weder
verhindert noch aufhält. Letztendlich läuft damit die Bindung der Behörden an grundrechtliche Maßstäbe bei der
Datenverwendung, insbesondere an das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ins Leere. Das Gericht sieht die
Begrenzung bei der Verwendung darin, dass der § 5 ATDG lediglich Einzelabfragen für einen konkreten
Ermittlungsanlass erlaube. Wie aber Rasterungen, Sammelabfragen oder die Verknüpfung von Datenfeldern verhindert
werden sollen, bleibt letztlich offen. Auch an dieser Stelle bleibt die ermöglichte Verwendung der erweiterten
Grunddaten durch die abfragende Behörde ungeprüft. Im Urteil heißt es dazu: „Der Zugriff auf die erweiterten
Grunddaten selbst wird erst auf Einzelersuchen nach Maßgabe des Fachrechts durch Freischaltung seitens der
informationsführenden Behörde ermöglicht (§ 5 Abs. 1 S. 3 und 4 ATDG). Ihre Übermittlung als Klarinformationen ist
ein eigenständiger, nachgelagerter Rechtsakt und steht unter den jeweiligen fachlichen Voraussetzungen für eine
einzelne Übermittlung der Daten, die hier ihrerseits die verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllen müssen.
Gegen eine solche verdeckte Nutzung der erweiterten Grunddaten ist trotz ihrer Reichweite verfassungsrechtlich
nichts zu erinnern.“ (14) Ungeprüft bleibt, ob die von der Datei bewirkte neue Verwendung der Daten den vom Gericht
geforderten Maßstäben genügt. Das Gericht hat lediglich die Inverssuche in den erweiterten Grunddaten für
verfassungswidrig erklärt – im sogenannten Eilfall ist sie hingegen erlaubt. (15)
Anschließend werden im Urteil die Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche
Kontrolle erörtert. Dabei geraten wesentliche Standards des Datenschutzes und des effektiven Rechtsschutzes, die
sonst bei geheimen Maßnahmen üblich sind, unter die Räder.
Die im Urteil geforderten Verstärkungen der Aufsichtskontrolle durch die Datenschutzbeauftragten sollen die bisher
unzureichenden Regelungen zur Gewährleistung von Transparenz und effektivem Rechtsschutz kompensieren. Die im
Gesetz zur Anti-Terror-Datei geregelten Auskunftsansprüche werden als verfassungsrechtlich vertretbar angesehen,
obwohl sie, auch nach Meinung des Gerichts, nur in einem sehr schwerfälligen Verfahren überhaupt durchsetzbar sind.
Die Regelungen, die zum regelmäßigen Ausschluss der Auskunftsansprüche führen, machen diese faktisch nutzlos.
Auch hier legitimiert der Verweis auf das Gewicht der Antiterrorbekämpfung eine fehlende grundsätzliche Offenheit
der Datennutzung, den fehlenden Richtervorbehalt und eine eigenständig im ATDG geregelte Benachrichtigungspflicht.
Die vom Urteil geforderten Nachbesserungen bei der Aufsicht durch Datenschutzbeauftragte und einer gesetzlichen
Regelung von Berichtspflichten (16) können nicht verhindern, dass ein mutmaßlicher Terrorist kaum Chancen hat, sich
selbständig gegen seine Speicherung in der Datei zu wehren.
Abschließend stellt das Urteil fest, dass in die ATD eingespeiste Daten, deren Erhebung durch Eingriffe in das
Telekommunikationsgeheimnis entsteht oder die gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verstoßen,
verfassungswidrig sind. (17)
Die wenigen Korrekturen, die das Urteil vom Gesetzgeber fordert, machen überaus deutlich, dass das Gericht die
meisten grundrechtlichen Eingriffe gegenüber mutmaßlichen Terroristen rechtfertigt. Der geforderte effektive Kampf
gegen den internationalen Terrorismus erweist sich damit als ein nahezu jederzeit und immerwährendes
durchschlagendes Argument, um auch intensivste Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen.
Was bedeutet das Urteil zum Trennungsgebot?
Die heftigste Enttäuschung rief das Gericht allerdings hervor, weil es sich nicht zum Inhalt des Trennungsgebotes
und dessen verfassungsrechtlichen Rang äußerte. Bislang hatte das Gericht sich nicht festgelegt und die Frage nach
dem verfassungsrechtlichen Rang des Trennungsgebotes stets offen gelassen (18). Nur einmal war es mehr oder weniger
davon ausgegangen, dass das Grundgesetz selbst die Trennung von Polizeibehörden und Geheimdienststellen gebietet.
(19)
Im Vorfeld der Verhandlung wurde deutlich, dass bezüglich einer informationellen Trennung die größten inhaltlichen
Differenzen existieren. Während auf der einen Seite davon ausgegangen wird, dass die organisatorische Trennung in
keiner Weise den Informationsaustausch beschränke (bzw. beschränken dürfe), wird auf der anderen Seite die
Notwendigkeit für den Informationsaustausch behauptet und seine inhaltliche Präzisierung gefordert. Mitunter heißt
es sogar, dass im Zeitalter von Digitalisierung und Vernetzung das Trennungsgebot im informellen Bereich seine
wichtigste Ausprägung erfahren müsse.
Im Urteil findet sich nun ein sogenanntes informationelles Trennungsprinzip, das im Wesentlichen aus dem Recht auf
informationelle Selbstbestimmung (20) hergeleitet wird. Danach dürfen Daten zwischen den Nachrichtendiensten und
Polizeibehörden grundsätzlich nicht ausgetauscht werden, Einschränkungen der Datentrennung sind nur ausnahmsweise
zulässig. Damit ist jedoch nicht die Ausformung eines verfassungsrechtlichen Trennungsgebotes für die
informationelle Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten gemeint, denn schaut man sich die
Herleitung dieses informationellen Trennungsprinzips an, wird schnell klar, dass es nur eine Konkretisierung des im
Recht auf informationelle Selbstbestimmung verankerten Zweckentfremdungsverbotes ist. Die wichtigste Hürde, die für
Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht existiert, besteht darin, dass der Gesetzgeber vor
Erhebung, Speicherung und Verwendung der Daten generell den Zweck dafür festgelegt haben muss. Den staatlichen
Behörden ist es generell verwehrt, auf bereits gespeicherte Daten zuzugreifen, um sie zu anderen Zwecken als
denjenigen, die der Gesetzgeber vor der Datenerhebung bestimmt hat, zu verwenden. Dies gilt für alle staatlichen
Behörden, also auch für Nachrichtendienste und Polizeibehörden. Die Eingabe von Daten in die ATD ist tendenziell
darauf gerichtet, die Daten, die eingegeben werden und von der eingebenden Behörde nach einer speziellen
Rechtsgrundlage erhoben worden sind, durch die abfragende Behörde zu anderen Zwecken zu verwenden, als für die sie
ursprünglich erhoben wurden. Im Zweifel geschieht dies sogar, weil die abfragende Behörde über keine eigene
Datenerhebungsbefugnis für die gespeicherten Daten verfügt. Die ATD bewirkt also in der Regel verbotene
Zweckänderungen. Das genau ist ihr Problem, was nur dadurch ausgeräumt werden kann, dass die Freischaltung der
verdeckt gespeicherten erweiterten Grunddaten auf der Grundlage spezieller Regelungen erlaubt wird, die dann
ihrerseits die Zweckänderung der Daten legitimiert.
Oben ist bereits festgestellt worden, dass die Einsicht in die einfachen Grunddaten und der Austausch der
erweiterten Grunddaten im Eilfall vom Gericht als zu vernachlässigend erachtet werden. Das sogenannte
informationelle Trennungsprinzip, das für die ATD anzuwenden ist, ist nichts anderes als die vom
Zweckbindungsgrundsatz erzwungene Trennung, die bei Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
immer gilt. Solange der einfache Gesetzgeber Datenerhebungs- und Verwendungsbefugnisse von Nachrichtendiensten und
Polizeibehörden unterschiedlich regelt, muss er im Falle des Austausches von Daten zwischen ihnen auch die Änderung
bei der Verwendung von Daten regeln, damit diese überhaupt gerechtfertigt werden kann.
Damit ist nichts darüber gesagt, ob es dem einfachen Gesetzgeber verfassungsrechtlich verboten ist, die
Datenerhebung und deren Verwendung von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden in gleicher Weise zu regeln. Im
Urteil wird ausdrücklich auf die Regelungen, die der einfache Gesetzgeber zu den unterschiedlichen
Aufgabenstellungen von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten getroffen hat, verwiesen. Ob er diese ändern könnte
oder aber ob ihm dies von der Verfassung verboten ist, darüber sagt das Urteil nichts.
Vom Schweigen des Gerichts sollte nicht auf ein Schweigen der Verfassung zu einem Trennungsgebot, das den
Gesetzgeber bindet, geschlossen werden. Ebenso ist zu bezweifeln, dass es die Absicht des Gerichtes war, mit seinen
Ausführungen zum informationellen Trennungsprinzip ein verfassungsrechtliches Gebot der Trennung von
Polizeibehörden und Nachrichtendiensten grundsätzlich zu verneinen. Nahe liegt, dass das Gericht in dieser Frage so
zerstritten war, wie es auch die rechtswissenschaftliche Literatur in dieser Hinsicht ist. Scheinbar hat man sich
hier auf einen formalen Kompromiss geeinigt, mit dessen Hilfe man die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der
Trennung von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten umschiffen konnte.
Anmerkungen
1 BVerfG v. 24. April 2013 – 1 BvR 1215/07. Alle weiteren Randnummern beziehen sich auf diese Ent scheidung.
2 Bericht zur Evaluierung des Antiterrordateigesetzes, BT-Drs. 17/12665 (neu) vom 7.3.2013, S. 5.
3 Rdnr. 105
4 Rdnr. 135
5 Rdnr. 112
6 Rdnr. 113
7 Rdnr. 114
8 Inverssuche bedeutet, dass man in den erweiterten Grunddaten merkmalsbezogen recherchiert, um so korrespondierende einfache Grunddaten als Klarinformationen zu erhalten.
9 Rdnr. 139ff
10 § 2 S. 1 Nummer 1 Buchstabe b
11 Rdnr. 150
12 Rdnr. 175
13 § 3 Abs. 1 Nr.1 b rr
14 Rdnr. 196
15 Rdnr. 198 ff.
16 Rdnr. 214 ff.
17 Rdnr. 224 ff.
18 BVerfGE 100, 313, 370; 97, 198, 217
19 BVerfGE 97, 198, 217: „Für die in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG vorgesehenen sonderpolizeilichen Behörden des Bundes stellt sich allerdings die Frage eines Trennungsgebotes. Das Rechtsstaatsprinzip, das Bundesstaatsprinzip und der Schutz der Grundrechte können es verbieten, bestimmte Behörden miteinander zu verschmelzen oder sie mit Aufgaben zu befassen, die mit ihrer verfassungs rechtlichen Aufgabenstellung nicht vereinbar sind. So werden die Zentralstellen für Zwecke des Verfassungsschutzes oder des Nachrichtendienstes – angesichts deren andersartiger Aufgaben und Befugnisse – nicht mit einer Vollzugspolizeibehörde zusammengelegt werden dürfen (vgl. schon „Polizeibrief“ der westalliierten Militärgouverneure vom 14. April 1949). Diese Frage bedarf jedoch hier keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls lässt es die Verfassung – auch vor dem Hintergrund der Kompetenz der Länder für die vollzugspolizeilichen Aufgaben gemäß Art. 30, 70, 83 GG – nur unter den nachstehenden Voraussetzungen zu, dem Bundesgrenzschutz Bundesaufgaben zu übertragen, die das Grundgesetz ihm nicht ausdrücklich zuweist.“
20 Rdnr. 123