Themen / Rechtspolitik / Sexualstrafrecht

Der Fall Edathy

07. April 2014

Monika Frommel

aus: vorgänge Nr. 204 (4-2013), S. 3-9

Mit einer Wohnungsdurchsuchung am 10. Februar 2014 begann das, was sich schnell zur medialen wie politischen Edathy-Affäre auswachsen sollte. Deren vorläufige Zwischenbilanz: ein zurückgetretener früherer Bundesinnenminister, der sich nicht an Gesetze halten will, wenn das zum Nachteil seiner Koalitionspartner ist; eine Staatsanwaltschaft, die ihren Verdacht ausdrücklich mit einem nicht-strafbaren Verhalten begründet; ein informationsfreies Telefonat zwischen einem SPD-Fraktionsmanager und dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes; die Gewissheit, dass vertrauliche Ermittlungen in Parteiapparaten zirkulieren; ein eilends vorgelegter Gesetzentwurf zur Strafverschärfung, der die öffentliche moralische Empörung in einen neuen Tatbestand ummünzt und das Verhalten Edathys nachholend illegalisiert; und nicht zuletzt die zerstörte soziale Existenz des früheren Vorzeigepolitikers Sebastian Edathy.

Der Kommentar von Monika Frommel zeigt auf, was sich am Fall Edathy über den Zustand unserer Rechtskultur ablesen lässt, und welche Konsequenzen für die effektivere Verfolgung von kinderpornografischen Schriften und sexuellem Missbrauch angezeigt sind.

Die mediale Darstellung und Verarbeitung des Falls Edathy hinterlässt das fatale Gefühl, dass 50 Jahre nach der großen Strafrechtsreform eine neue Generation am Werk ist, die es verlernt hat, die je eigene, sehr zeitbedingte Moral zu hinterfragen. Im öffentlichen Disput wird heute kaum zwischen Recht und Moral unterschieden. Auch wird der Unschuldsvermutung von vielen Teilnehmern der öffentlichen Debatten kaum noch Bedeutung beigemessen. Eine Ursache hierfür dürfte sein, dass eine sehr abstrakte und stark politisierte Opferperspektive das Denken der Gegenwart prägt. Die Rolle des Strafrechts wird nicht mehr – wie noch in den 1970er bis 1990er Jahren – im möglichst dosierten Schutz individueller Rechtsgüter gesehen, sondern in der plakativen Demonstration und Verdeutlichung angeblich von allen geteilter Werte. Sich fortschrittlich Dünkende empfehlen auch noch eine permanente Änderungsgesetzgebung, um angeblich „richtige“ und vor allem gender-gerechte Werte und Einstellungen durchzusetzen. Dabei wird nicht gesehen, dass diese Methode auch von illiberalen Staaten praktiziert wird. Die sich modern verstehende Kriminalpolitik meint, nur weil ihr Programm fortschrittlich sei, wäre auch ihre Kriminalpolitik fortschrittlich. Das Gegenteil ist leider der Fall. Völlig ignoriert wird von diesen Protagonisten, dass Werte und Überzeugungen in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten nicht nur heterogen, sondern auch in höchstem Maße dem herrschenden Zeitgeist und dem jeweiligen Kontext verhaftet sind. Dies gilt auch für die angeblich so egalitäre Moral der gegenwärtigen Vertreterinnen und Vertreter einer Politik, die den Opferschutz und die Opferrechte propagiert. Auffallend ist dabei der Schulterschluss zwischen Polizei und Teilen der Frauenbewegung.

Beim Fall Edathy konnte man die Auswirkungen einer solchen Einstellung beobachten. Besonders dramatisch war die Reaktion der SPD-Prominenz. Kein Sprecher dieser Partei versuchte auch nur ansatzweise den Parteigenossen Edathy zu schützen, das Wort „Unschuldsvermutung“ fiel nicht. Stattdessen wurde so getan, als sei es sicher, dass nur homosexuelle „Pädophile“ Fotos von wenig oder nicht bekleideten Jungens anschauen. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe reagierte die Partei mit „Abscheu“ und einem populistischen Parteiausschlussverfahren, das vor allem für potentiell verschreckte Wählerinnen und Wähler eingeleitet wurde. Die Angst der Genossinnen und Genossen vor einem Wahldebakel wie bei den GRÜNEN vor der Bundestagswahl 2013 war weder zu übersehen noch zu überhören.

Allenfalls in einigen wenigen Printmedien und Talkshows, die sich an Gebildete richten, also in Präsentationen der vierten Gewalt, war gelegentlich eine reflexive Haltung zu beobachten. Hingegen schwiegen die Vertreterinnen und Vertreter der Justiz ebenso wie die der Rechtswissenschaften. Offenbar rechneten sie gar nicht mehr damit, dass jemand auf sie hören könnte. Es lag also bei den Medienvertretern, präzise argumentierende Sachverständige zu finden, Praktiker, die etwas vom Thema verstehen und aufklären können über das Phänomen hinter dem Schreckensbild „Pädophilie“. Erst durch sie wurde vermittelt, welch tragisches Schicksal Männer haben, deren Begehren so abweichend ist, dass sie mit einer Art Kontaktsperre rechnen müssen, wenn ihr Begehren entdeckt wird. Für diese (potenziellen) Täter gibt es Trainingsprogramme („Kein Täter werden“), die eine anerkanntermaßen sinnvolle Präventionsperspektive bieten. Erstaunlicherweise werden diese Angebote aber nicht flächendeckend finanziert und niedrigschwellig angeboten. Stattdessen gibt es das Bestreben, noch mehr Bilder zu verbieten.

Was ist Pädophilie?

Kehren wir zum Fall zurück. Behauptet wurde von Vertretern der Polizei und der zuständigen Staatsanwaltschaft, die bestellten Bilder hätten angeblich Jungen zwischen 8 und 14 Jahren dargestellt.(1) Kein Betrachter kann das genaue Alter einem Bild ansehen. Dass sich Vertreter der institutionalisierten Strafverfolgung auf die Schutzaltersgrenze von 14 Jahren beziehen, ist nachvollziehbar. Darauf beruht die juristische Fiktion, es handele sich bei den Betreffenden um „Kinder“ im biologisch-sozialen Sinne; denn der jeweilige Kind-Begriff ist in Gesetzen nicht ein Faktum, sondern eine Zuschreibung. Im deutschen Strafrecht gehen wir noch de lege lata von einer Schutzaltersgrenze von 14 Jahren aus. Unverkennbar wird aber bereits auf UN-Ebene und in Richtlinien der EU ein ideologischer Begriff des „Kindes“ im Sinne einer Person unter 18 Jahren vertreten. Jugendliche werden dann als Personen unter 21 Jahren etikettiert. Beide Definitionen haben mit biologisch-sozialen Entwicklungen nichts zu tun, sondern folgen einer paternalistischen oder besser: maternalistischen Betrachtungsweise. Sie entbehrt jeder sexualwissenschaftlichen und entwicklungspsychologischen Grundlage. Die Fachwissenschaften unterscheiden heute zwischen prä-adoleszenten (10-12 jährigen) und post-adoleszenten (13-17 jährigen) Jungen. Zu kleinen Kindern (unter 10 Jahre) fühlen sich nur eine sehr kleine Gruppe sog. Kern-Pädophiler hingezogen, die durchaus auch noch unter sadistischen und anderen Störungen leiden können. 70 bis 80 Prozent der in den Medien als pädosexuell bezeichneten Missbrauchshandlungen haben nichts mit Pädophilie zu tun, sondern werden von jungen bis älteren Männern (häufig im weiteren Familienkreis) begangen, die Kinder und Jugendliche als „Ersatz“-Objekt benutzen. Befragt man heterosexuelle und homosexuelle Männer nach dem Alter der bevorzugten Sexualpartner, dann tendieren Homosexuelle eher zu Jüngeren, während bei heterosexuellen Männern das Alter der Partnerinnen mitwächst. Dies besagt aber nichts über ihre Sehgewohnheiten. Es ist nicht zu übersehen, dass in den sexuell freizügigen westlichen Kulturen Bilder und sexualisierte Posen von sehr jungen Mädchen überall verfügbar sind. Wir leben in einer von sexualisierten Darstellungen übersättigten Gesellschaft. Soweit es sich um die Objekte des Begehrens heterosexueller Männer handelt, wird daran kaum Anstoß genommen. Manche homosexuellen Männer hingegen betrachten gerne prä- und post-adoleszente Jungen. Sie müssen sich entsprechendes Bildmaterial auf tendenziell riskante Art und Weise besorgen. Völlig falsch ist es aber zu glauben, dass optische Reize zugleich mit den praktizierten sexuellen Vorlieben zusammen fallen. Das ist bei heterosexuellen Männern nicht der Fall. Warum also sollte diese Annahme auf homosexuelle Männer zutreffen? De facto stimmt sie auch nicht bei denjenigen, die an sehr jungen Männern interessiert sind. Dennoch sind sie leichter erpressbar als jene, welche Erwachsene bevorzugen. In der öffentlichen Empörung über Herrn Edathy setzt sich also eine latente, noch immer nicht ganz verarbeitete Homophobie– sehr verdeckt – fort.(2)

Ein Bilder­verbot – könnte das helfen?

Die aktuelle Fassung des strafrechtlichen Verbots kinderpornografischer Abbildungen stammt aus dem Jahre 2004. Damals wurde der Tatbestand der Kinderpornographie – § 184b StGB – eingeführt. Er ergänzt das Verbot der Gewaltpornographie – § 184a StGB.(3) Schaut man sich die Praxis der Strafverfolgung von Kinderpornographie an, erkennt man sehr schnell, dass die Polizei es sich sehr einfach macht. Sie und die Staatsanwaltschaften beschränken sich auf eine Konsumentenverfolgung. Sie sehen sich jedoch nicht in der Lage, diejenigen zu verfolgen, welche das verbotene Material herstellen und vertreiben, obgleich diese sehr viel härter sanktioniert werden könnten und auch sehr viel gefährlicher sind. Über die Rückverfolgbarkeit der Zahlung mit Kreditkarten oder durch verdeckte Ermittlungen bei sog. Tauschbörsen ergibt sich eine Art Schneeballsystem, das die stark schwankenden Fallzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik erklärt. Die Tatverdächtigen bezahlen meistens sehr zügig einen ebenfalls schnell ausgefertigten Strafbefehl, da ihnen das Ganze peinlich ist und sie auf keinen Fall in eine öffentliche Verhandlung geraten wollen. Hat sich ein Konsument von Kinderpornographie zugleich noch wegen eines sexuellen Missbrauchs verdächtig gemacht, oder ist er insoweit bereits einschlägig vorbestraft, dann ist das Kinderpornografie-Verfahren ein Indiz für Pädosexualität. Die Umkehrung dieses Zusammenhanges gilt jedoch nicht: aus dem Konsum kann man nichts schließen. Es gibt keine Erfahrungstatsachen, dass die Polizei bei Konsumenten (sexualisierte Bilder von sehr kleinen Kindern ausgenommen) fündig wird und dadurch einen sexuellen Missbrauch verhindern kann.

Würde man nun die Konsumentenbestrafung ausdehnen, wäre nichts gewonnen, zumal Bilder von Kindern und Jugendlichen, die als Person erkennbar sind, auch über Straftatbestände des Bundesdatenschutzgesetzes (§ 44 BDSG) verfolgbar sind. Eltern können nicht wirksam in die Zirkulation solchen Materials einwilligen (Verträge sind nichtig wegen § 134 BGB i.V.m. den einschlägigen Strafbestimmungen).

In der öffentlichen Debatte wird derzeit der Eindruck erweckt, Bilderverbote könnten Pädophile von ihrer Sucht abhalten. Solche Erwartungen provozieren die Frage, wie man sich das vorstellen soll. Pädophile können, um an ihren fixierten Wünschen festzuhalten, jedes Bildmaterial benutzen. Die einzige Prävention, die es gibt, ist die Einsicht dieser Menschen – die Einsicht, dass sie durch das Ausleben ihrer Neigung sich und Kinder ins Unglück stürzen. Nötig ist also ein flächendeckendes Angebot an geeigneten Trainingsmaßnahmen.

Kinderpornographie – das meint eindeutig sexualisierte Darstellungen von Kindern. Die sind nicht deshalb verboten, weil ein solches Verbot geeignet wäre, Pädophile davon abzuhalten, solche Bilder anzuschauen. Darstellungsverbote wenden sich an die Allgemeinheit und flankieren das Verbot des sexuellen Missbrauchs. In einer liberalen Gesellschaft kann man nicht alles verbieten, was als unerträglich angesehen wird. Zu prüfen ist, welches Rechtsgut geschützt werden soll. Beim Verbot des sexuellen Missbrauchs ist das Rechtsgut klar. Ein Bilderverbot ist hingegen problematisch. Nachvollziehbar ist allenfalls das Verbot der bildlichen Darstellung einer Straftat. Denn wenn man Kinder nicht als Sexualobjekte missbrauchen darf, dann ist es auch plausibel, derartige Bilder zu verbieten. Andernfalls könnte der Eindruck entstehen, es sei doch legitim, Kinder als Sexualobjekte anzusehen.

Bevor jetzt über weiter reichende Bilder-Verbote nachgedacht wird, ist daran zu erinnern, dass das Bildhafte zur europäischen Kultur gehört. Darstellungen der Sexualität, selbst solche des Obszönen und Verwerflichen gehören seit über 100 Jahren selbstverständlich zu unserer Kultur. Sicherlich gibt es einen Schutzbedarf gegen rohe und brutale Bilder; die sollten verboten bleiben, nämlich als Gewaltpornographie (§ 184a StGB). Über die bereits heute strafbare Gewaltpornographie redet aber kaum jemand; sie ist in der justiziellen Praxis nahezu bedeutungslos. Dasselbe gilt für Gewaltdarstellungen im nicht-sexualisierten Kontext, für die sich kaum jemand interessiert – ein absurdes Verständnis von Kunst und Kultur.

Straf­bar­keit des Herstellens, Verbreitens und Tauschens kinderpor­no­gra­phi­scher Bilder

Strafrechtlich ist streng zu unterscheiden zwischen dem Herstellen und dem Besitz solcher Bilder. Es handelt sich um völlig verschiedene Rechtsgüter. Das Verbot Kinder zu missbrauchen, um solche Bilder herzustellen, ist strafrechtlich gesehen ein sexueller Missbrauch, sogar ein schwerer. Er wird in den §§ 176, 176a StGB unter Strafe gestellt und stellt ein Verbrechen dar. Der Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs erfasst seit 2008 auch das Herstellen von sog. Posing-Bildern.

Hingegen ist der Besitz von Kinder- oder Jugendpornographie, also auch der Besitz von sexualisierten Bildern sog. Scheinkinder, etwas völlig anderes. Er wird nicht als „Missbrauch“ eines Kindes eingeordnet. Der Besitz wird bestraft, obwohl eigentlich kein zu schützendes Rechtsgut benannt ist. Die Strafbarkeit wird vielmehr damit begründet, dass solches Material als anstößig empfunden wird, und zwar in unserer Kultur sehr einhellig. Nur deshalb wird der Besitz solcher Bilder als ein Vergehen in den §§ 184b und 184c StGB unter Strafe gestellt. Es handelt sich dabei um ein reines Darstellungsverbot, das systematisch sehr viel besser im BDSG geregelt wäre, wenn die Kinder oder Jugendlichen erkennbar sind. Dass der schlichte Besitz von Bildern, die kein Individuum schädigen, weil niemand erkennbar ist, unter Strafe gestellt wird, ist eine Anomalie in unserem Strafrecht. Sie zeigt, dass die Gesetzgebung hier Strafrecht auf Halde schafft. Es ist eher Zufall, wenn jemand erwischt wird. Aber wenn jemand erwischt wird, dann legt die Justiz dieses unklare Strafrecht im Einzelfall auch noch extensiv aus. Und wenn darüber berichtet wird, dann hat diese Berichterstattung auch noch völlig kontraproduktive Wirkungen.

Ermittlungspraxis

Bei Kinderpornografie handelt es sich um sog. grenzüberschreitende Kriminalität. In Deutschland ist dafür das BKA zuständig, für die internationale Fahndung Interpol. Diese Zentralisierung folgt einem rein präventiven, also polizeilichen Denken. Es wurde von nationalen Runden Tischen und Netzwerken ausgedacht und auf EU-Ebene in Gang gesetzt.

Im vorliegenden Fall hätte das Bundeskriminalamt (BKA) eigentlich die Kundenliste prüfen müssen, um die Fälle auszusondern, die es später dem „Graubereich“ zuordnete. Es gibt bei der Kinderpornografie keinen zulässigen Graubereich, weil § 184g StGB den Begriff der sexuellen Handlung (das ist nur die Handlung, die auf dem Bild dargestellt ist) definiert. Diese Legaldefinition besagt, dass es sich mit Blick auf das geschützte Rechtsgut um eine erhebliche sexuelle Handlung handeln muss. Die Bilder müssen also drastisch sein und das Gebot untergraben, Kinder und Jugendliche nicht als Sexualobjekte zu behandeln. Geht es nur um Besitz (also nicht um Verbreitung), ist im Zweifel davon auszugehen, dass es sich nicht um strafbare Kinderpornografie oder Jugendpornographie handelt. Gegen diese im materiellen Strafrecht angesiedelte Regel hat das BKA verstoßen.

Es hat aber auch noch gegen weitere Regeln verstoßen: Völlig unverständlich ist, dass das BKA das fragwürdige Bildmaterial, erst recht ganze Kundenlisten einfach an die Landeskriminalämter weiter gegeben hat. Das BKA ist nicht Teil der Justiz im weiten Sinne. Es darf daher auch nicht selbstständig ermitteln und nur darauf warten, dass die zuständige Staatsanwaltschaft die erforderlichen Anträge stellt und das jeweilige Gericht sie durchwinkt. Nach allem, was wir bisher über die Ermittlungsabläufe im Fall Edathy wissen, scheint so aber die Praxis zu sein. Richtig wäre dagegen gewesen, wenn das BKA das Material an die Generalstaatsanwälte der Länder weiter gegeben hätte. Diese hätten dann ihres Amtes walten müssen. Denn eigentlich gilt: Die Polizei hilft der Justiz bei deren Ermittlungen, aber sie darf nicht selbst Straftaten ahnden, was im vorliegenden Fall faktisch geschehen ist. Sozusagen augenzwinkernd setzte man sich über die verfassungsmäßig festgelegten Rollen hinweg.

Alle weiteren jetzt sichtbar gewordenen Fehler sind Folgefehler, die zeigen, dass die gesamte Organisation, das ausgehandelte System und die organisatorischen Abläufe im Einzelnen völlig willkürlich geworden sind: eine Polizeibehörde, die anstelle der Justiz ihr Ministerium über einzelne Verdächtige informiert; ein Minister, der sich nicht um einen rechtsstaatlichen Ablauf des Ermittlungsverfahrens, aber dafür umso mehr um das Image seines künftigen Koalitionspartners kümmert … Dass dann die SPD das Ganze noch instrumentalisiert und für die parteiinterne Personalplanung benutzt; dass niemand gegen diese unerträgliche Kumpanei angeht, setzt dem Ganzen die Krone auf. Mit weiteren Ermittlungsverfahren gegen einzelne Akteure ist dem nicht beizukommen – die Informations- und Ermittlungsabläufe gehören insgesamt auf den Prüfstand.

Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden wie der Politik im Falle Edathy mutet absolutistisch an. In Baden und andernorts gingen die Bürgerinnen und Bürger gegen derartige Machenschaften zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf die Barrikaden. Leider ist dieser Elan verflogen. Wir ruhen uns auf einem rechtsstaatlichen Mythos aus und sind dabei zu zerstören, was die Qualität europäischer (Rechts-)Kultur ausmacht.

PROF. DR. MONIKA FROMMEL   Jahrgang 1946, ist promovierte Rechtswissenschaftlerin und habilitierte 1986 mit einer Untersuchung über „Präventionsmodelle in der deutschen Strafzweck-Diskussion“. Nach einer Professur für Rechtsphilosophie und Strafrecht an der Universität in Frankfurt am Main (1988 – 1992) erfolgte 1992 der Ruf an die Kieler Christian-Albrechts-Universität, wo sie bis zu ihrer Emeritierung im September 2011 das Institut für Sanktionenrecht und Kriminologie leitete. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören die Kriminologie aus feministischer Perspektive sowie das Sexualstrafrecht. Frommel ist Mitherausgeberin der Zeitschrift Neue Kriminalpolitik und Mitglied im Beirat der Zeitschrift Kritische Justiz sowie der Humanistischen Union.

Anmerkungen:

1 Eine Ungeheuerlichkeit, die später noch kritisiert werden soll.

2 Gerard van den Aardweg, Homosexuelle Pädophilie, Ephebophilie, Androphilie und Päderastie. Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Überschneidungen, in: DIJG-Bulletin Nr. 19 (2010), S. 34-41, abrufbar unter http://www.dijg.de/bulletin/19-2010-kinsey-money-und-mehr/.

3 Sog. einfache Pornographie nach § 184 StGB ist dagegen bedeutungslos, da es hier spezifische medienrechtliche Beschränkungen gibt, die sehr viel wirksamer sind als das Strafrecht.

Weitere Kommentare zum Thema:

Thomas Fischer: Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy, Die Zeit Nr. 10/2014 v. 27.2.2014, S. 4.

Monika Frommel: Fall Edathy: Exkludierende öffentliche Beschämung, Online-Kommentar bei Novo-Argumente v. 19.2.2014, abrufbar unter http://www.novo-argumente.com/magazin.php/novo_notizen/artikel/0001521.

Heribert Prantl: Strafrecht ist kein Moralrecht, Süddeutsche Zeitung v. 15.2.2014.

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