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Der „Gefährder"-Begriff: Ein Thema für die Humanis­ti­sche Union?

17. Dezember 2009

Aus: Mitteilungen Nr. 207 (Heft 4 /2009), S.10-11

Der „Gefährder

Am 19. Oktober 2009 eröffnete Wolfgang Schäuble an der Freien Universität in Berlin die Ringvorlesung „Der internationale Terrorismus als Herausforderung des Rechts“. In seinem Vortrag warnte der damalige Bundesinnenminister die anwesenden Studierenden und Wissenschaftler vor sog. Gefährdern: „Hier leben Personen, denen wir schwere Anschläge zutrauen müssen. Rund 60 dieser Gefährder haben in Terrorlagern eine paramilitärische Ausbildung erhalten(…)“ (Schäuble, 2009). Es war nicht das erste Mal, dass Herr Schäuble den Begriff „Gefährder“ nutzte. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er die Internierung solcher „Gefährder“ gefordert (Spiegel Online, 2007). Im Folgenden soll den Fragen nachgegangen werden: Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Gefährder“? Welche Folgen hat er für die Bürgerrechte, welche Relevanz für die Arbeit der Humanistischen Union?

Der „Gefährder“ – Entstehung und Funktion des Begriffs

Was unter einem „Gefährder“ zu verstehen sei, darüber verständigten sich Vertreter von Bundes- und Landeskriminalämtern in der AG Kripo im Jahre 2004: „Ein Gefährder ist eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche des § 100a der Strafprozessordnung, begehen wird“ (BT-Drs. 16/3570, 6).
Was sofort auffällt: Nach dieser Definition hat ein „Gefährder“ weder eine Straftat begangen, noch muss es konkrete Anhaltspunkte dafür geben, dass er (oder sie?) dies versuchen wird. Die Definition des „Gefährders“ setzt auch nicht konkrete Gefahren für die öffentliche Sicherheit voraus: Beim „Gefährder“ handelt es sich vielmehr um den Versuch einer Früherkennung möglicher islamistischer Täter. Der Begriff richtet sich explizit gegen unverdächtige Personen, von denen keine unmittelbaren Störungen für die öffentlichen Sicherheit aus gehen. Sie sind Nicht-Störer.
Ihre Einstufung als „Gefährder“ hat gravierende Folgen: Für das Erkennen potentieller islamistischer Zellen richtete man in den Staatsschutzabteilungen der Landeskriminalämter nach den Anschlägen vom 11. September 2001 präventiv ermittelnde Islamismusdienststellen ein. In enger Abstimmung mit den örtlich zuständigen Verfassungsschutzämtern versuchen diese, „Gefährder“ mittels auf Polizeirecht gestützter „Gefahrenermittlungen“ zu erkennen, um deren Einstufung von ihren Behördenleitern per Unterschrift offiziell bestätigen zu lassen. Sodann überwachen sie die ohne Wissen der Betroffenen als „Gefährder“ Registrierten oftmals langfristig (v. Denkowski, 2007:325): ihre persönlichen Daten werden erfasst und gespeichert, die Betroffenen zur beobachtenden Fahndung ausgeschrieben oder durch eigens eingerichtete Observationsgruppen überwacht. Diese Strategie der Früherkennung wird aufgrund angeblich hoch konspirativer Verhaltensweisen islamistischer Milieus bewusst ohne Wissen der Betroffenen umgesetzt: Islamistische Zellen sollen gemäß der „neuen Intelligence-Arbeit“ der Polizei früh erkannt und unbemerkt präventiv überwacht werden. Diesem Zweck diente auch die Reform des BKA-Gesetzes mit ihren verdeckten polizeirechtlichen Vorfeldermittlungen (v. Denkowski, 2008:670).

Die Einstufung von „Gefährdern“ und ihre Folgen – alles rechtswidrig?!

Der Begriff des „Gefährders“ ist ein rechtsfeindlicher Begriff, den die Polizei in rechtswidriger Weise anwendet. Das beginnt bereits damit, dass sich in keinem Landespolizeigesetz eine Beschreibung dessen findet, was unter einem „Gefährder“ zu verstehen sei: Der „Gefährder“-Begriff ist nicht das Ergebnis eines formellen Gesetzgebungsverfahrens, sondern eine Erfindung aus den Reihen der Exekutive – von in der AG Kripo zusammengeschlossenen Leitern des BKA sowie der Landeskriminalämter. Diese Kritik mag zunächst nach Wortklauberei klingen. Jedoch: Man wird nicht als „Gefährder“ geboren, sondern von Sicherheitsbehörden zum „Gefährder“ gemacht. Die Frage ist nur: Auf welcher Grundlage geschieht das? Und genau an diesem Punkt, bei der materiellen Rechtmäßigkeit des „Gefährder“-Begriffs, bestehen erhebliche Bedenken: So stellt der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages fest, dass eine spezialgesetzliche Ermächtigung für die Einstufung von „Gefährdern“ fehle (s. Aktueller Begriff 36/2008).
Hinzu kommt, dass sich in keinem der Landespolizeigesetze Vorschriften finden, die auf erfolgte Einstufungen von „Gefährdern“ aufbauende heimliche Überwachungsmaßnahmen und die mit ihnen verbundenen Grundrechtseingriffe spezialgesetzlich rechtfertigen: Nicht nur die Einstufung als Gefährder, sondern auch das, was danach geschieht, vollzieht sich also in einem nicht spezialgesetzlich geregelten Rahmen.
Dem gegenüber statuiert das Grundgesetz, dass Eingriffe in bestimmte Grundrechte nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes erfolgen dürfen. Die Einstufung als „Gefährder“ sowie die darauf folgende Überwachung greift in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein: Die Islamismusdienststellen erheben persönliche Daten, speichern sie und übermitteln diese ggf. an Verfassungsschutzämter, mit denen sie „Gefährder“ in enger Zusammenarbeit „bearbeiten“. Das betroffene Recht auf informationelle Selbstbestimmung (RIS) kann zwar im überwiegenden Allgemeininteresse Einschränkung erfahren. Jedoch bedarf es dafür einer gesetzlichen Grundlage: Das Bundesverfassungsgericht gestattete im Volkszählungs-Urteil Eingriffe in das RIS nur auf Grundlage eines Gesetzes. Dieses muss dem Gebot der Normenklarheit sowie dem der Verhältnismäßigkeit entsprechen. All dies ist bei der Praxis der Einstufung und Überwachung von „Gefährdern“ in den Landespolizeigesetzen nicht gegeben. Und: Bei dem Beschluss der AG Kripo handelt es sich nicht einmal um eine Verwaltungsvorschrift, sondern um einen behördeninternen Beschluss. Dieser ist kein Gesetz im Sinne des Art. 20 Abs. III sowie des Art. 97 Abs. I Grundgesetz (GG). Er stellt für die Definition eines Begriffs, der heimliche Eingriffe in das RIS bewirkt, keine materielle Rechtsgrundlage dar: Weder Bundes- oder Landesgesetze, noch auf ihnen fußende Rechtsverordnungen regeln das Verfahren der Einstufung von Personen als „Gefährder“ und deren anschließende Beobachtung in einer Spezialvorschrift. Diese Vorfeldstrategie ist rechtswidrig. Wird den von ihr Betroffenen wenigstens nach ihrer Einstufung Rechtsschutz gewährleistet?

Rechtsschutz – kaum möglich

Wer als „Gefährder“ eingestuft wird, unterliegt einer polizeilichen Negativprognose, obwohl er/sie weder Störer noch Täter ist. Kein Amtsrichter prüft diese Einstufungen, sie erfolgen ohne Justizbeteiligung. Wie soll man sich gegen sie wehren? Für die meisten Betroffenen wird das kaum möglich sein, denn sie wissen nichts von ihnen. Es handelt sich um ein grundsätzliches Problem heimlicher Überwachungsmaßnahmen, zumal in einem so unbestimmten Vorfeld. Da die Beobachtung Monate, wenn nicht sogar Jahre andauern kann, ist effektiver Rechtsschutz in der Regel erst nach Ende der Beobachtung zu erlangen. Oftmals bleibt er unter Verweis auf den Schutz polizeilicher Arbeitsweisen ganz verwehrt: Da bei der Beobachtung von „Gefährdern“ verdeckte Datenerhebungen erfolgen, kann die nachträgliche Information der Betroffenen leicht umgangen werden: Das Landespolizeirecht setzt aus ermittlungstaktischen Gründen regelmäßig die Pflicht zur Benachrichtigung der Betroffenen außer Kraft. Der in Art. 19 Abs. IV GG garantierte Rechtschutz steht für „Gefährder“ aus kriminaltaktischen Erwägungen nicht offen. Von Klagen gegen eine Einstufung und ihre Folgemaßnahmen ist bis heute nichts bekannt: Es handelt sich um nahezu rechtsschutzlose Polizeimaßnahmen. Dieser Zustand verletzt Art. 19 Abs. IV GG.

Fazit: „Gefährder“-Einstufungen haben im Polizieren einer freien Gesellschaft nichts verloren

Der „Gefährder“-Begriff ermöglicht langfristige, auf Polizeirecht gestützte verdeckte Datenerhebungen und präventive Ermittlungen. Mit seiner Hilfe „ermitteln“ die Islamismusdienststellen des Staatsschutzes seit einigen Jahren nach Art der Geheimdienste weit im Vorfeld konkreter Gefahren präventiv: Von ihnen wird registriert, wer sich etwa zum Djihad positiv äußert oder ganz einfach Leute trifft, die als islamische Extremisten bekannt sind und ihrerseits präventiv observiert werden. Diese Vergeheimdienstlichung der Polizei wurde auch dadurch befördert, dass die Verdachtsgewinnung im Polizeirecht in den vergangenen Jahren immer breiteren Raum einnimmt. Im Ergebnis ist der polizeiliche Staatsschutz heute abseits konkreter Gefahren ähnlich dem Muster des Verfassungsschutzes tätig. Diese Präventionslogik einer frühest möglichen Aufklärung (islamistischer Strukturen) findet in allen Bundesländern Anwendung: Sie durchbricht den Gedanken eines auf die Erforschung konkreter Gefahren limitierten Polizeirechts. Kein Landesgesetzgeber definierte den Begriff des „Gefährders“ oder verlieh seiner Polizei die Befugnis, strafprozessual Unverdächtige bzw. Nicht-Störer als „Gefährder“ einzustufen, um diese anschließend heimlich zu überwachen. Mittelbar schuf ein Organ des Bundesinnenministeriums, die AG Kripo, an den Landesparlamenten vorbei ungeschriebenes Polizeirecht. Mit dem Ziel, potentielle Risiken frühzeitig zu erkennen, wurde das Polizeirecht so um einen neuen Rechtsbereich der vorverlagertern Gefahrensuche erweitert. Bei diesen in den Islamismusdienststellen praktizierten „Gefahrenermittlungen“ handelt es sich eine Polizeiarbeit, die den Grundsätzen rechtsstaatliches Polizieren zuwider läuft.
Damit nicht genug: Einige Bundesländer lassen mittlerweile neben potentiellen Islamisten auch Linksextreme als „Gefährder“ einstufen, um sie langfristig präventiv zu überwachen. Deshalb ist es an der Zeit, dass sich die Humanistische Union mit dieser rechtswidrigen Vorfeldaufklärung durch die Polizei befasst: Wie läuft jene ab? Wer kontrolliert sie? Finden sich klagewillige „Gefährder“? Welche Alternativen zu polizeilicher Islamismusprävention, etwa zivilgesellschaftlicher Art, kann unsere Gesellschaft entwickeln?

Charles A. v. Denkowski
ist Dipl.-Verwaltungswirt (FH), war bei verschiedenen Polizeibehörden und als wiss. Mitarbeiter der Bundestagsfraktion DIE LINKE tätig

Literatur:

Schriftliche Antworten der Bundesregierung auf die Frage des MdB Wolfgang Neskovic vom 20. November 2006, BT-Drucksache 16/3570 v. 24.11.2006.

Spiegel Online: „Schäuble fordert Handy- und Internetverbot für Terrorverdächtige“, 7.7.2007, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ 0,1518,493094,00.html.

Wolfgang Schäuble: Was ist Freiheit ohne Sicherheit? Eröffnungsvortrag der Ringvorlesung „Der internationale Terrorismus als Herausforderung des Rechts“, 19.10.2009, Freie Universität Berlin.

Charles von Denkowski: Zur Einstufung islamistischer Gefährder, Kriminalistik 5/2007, 325-332.
ders., BKA-Reform weiter umstritten, Kriminalistik 12/2008, 669-671.

Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Gefährder. Aktueller Begriff Nr. 36/2008 vom 23.07.2008, abrufbar unter http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2008/Gefaehrder.pdf

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