Beitragsbild Der Kampf ums Medium. Sperrlisten im Internet als Rechtsdurchsetzung oder Einstieg in die Zensur?
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Der Kampf ums Medium. Sperrlisten im Internet als Rechts­durch­set­zung oder Einstieg in die Zensur?

11. September 2009

Aus: Mitteilungen Nr. 205/206 (2+3/2009), S. 1-4

Der Kampf ums Medium. Sperrlisten im Internet als Rechtsdurchsetzung oder Einstieg in die Zensur?

Wer sich dem Kampf gegen Kinderpornografie in den Weg stellt, sieht sich schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, er oder sie schütze die Täter. Umso erstaunlicher, dass ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet so breiten Protest in der deutschen Öffentlichkeit hervorruft, wie in diesem Jahr geschehen. Das von der Bundesfamilienministerin propagierte Vorhaben, den Zugang zu derartigen Webseiten bei den Internetprovidern zu sperren, rief landauf, landab Demonstrierende auf den Plan. Eine von der Webdesignerin Franziska Heine initiierte Petition gegen das Gesetz beim Deutschen Bundestag erreichte die Rekordbeteiligung von 134.000 UnterstützerInnen – und verhalf damit dem relativ neuen Instrument der Onlinepetition erstmals zu breiter Aufmerksamkeit.

Die Kritiker des Gesetzes engagierten sich online wie offline gegen das Vorhaben: So gelang es ihnen innerhalb von 24 Stunden, 60 auf europäischen Sperrlisten verzeichnete Webseiten mit mutmaßlich kinderpornografischen Angeboten vom Netz nehmen zu lassen – allein indem sie die zuständigen Provider anschrieben. Damit wollten sie die Behauptung widerlegen, man könne anders als mit nationalen Sperrlisten dem internationalen Netz nicht beikommen. 
Auch wenn sie das Gesetz am Ende nicht verhindern konnten – der Bundestag verabschiedete es in seiner Sitzung am 18. Juni 2009 – zeichnen sich in der öffentlichen Diskussion um die Überwachung und Kontrolle des Internets neue Formen der politischen Diskussion und des Protests ab. Die Kritiker fanden sich im Arbeitskreis Zensur, organisierten sich dort mit Hilfe von Mailinglisten und Wikis. Mit dem AK Zensur entstand zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre aus dem Protest gegen ein Sicherheitsgesetz heraus eine neue Bewegung.

Mediale Zuspitzung und offene Fragen

In der Diskussion um die Internetsperren wurde mit Zuspitzungen und gegenseitigen Vorwürfen nicht gespart: Kritiker wandten immer wieder ein, dass die kinderpornografischen Abbildungen mit dem Zugangserschwerungsgesetz hinter einem Vorhang verschwinden (der leicht zur Seite geschoben werden könne), gegen das eigentliche Übel der Kinderpornografie aber nicht eingeschritten werde. Dagegen meinten die Befürworter, man werde das Eine tun, ohne das Andere zu lassen. Welcher Weg zur Bekämpfung des Kindesmissbrauchs am Ende jedoch effektiver ist, blieb offen. Die Befürworter verwiesen ihrerseits auf die zahlreichen Entgleisungen, die im Netz zu finden sind, und warnten vor „rechtsfreien Räumen“. Die Sperren würden sich ausschließlich gegen kinderpornografische Angebote richten, für die könne man unmöglich die Informationsfreiheit in Anspruch nehmen. Dagegen sprachen die Kritiker den meisten Politikern deren Medienkompetenz ab. Allein schon die Vorstellung, man würde bei jeder Gelegenheit und rein zufällig auf Kinderpornografie im Netz stoßen, die sich mit einem „Stopp-Schild“ ausblenden lasse, entspreche dem Medienverständnis von „Internetausdruckern“. Schnell hatte Ursula von der Leyen, welche das Vorhaben zwar propagierte aber letztlich gar nicht federführend dafür verantwortlich war, den Spitznamen „Zensursula“ weg. Die Personalisierung des Konflikts war sicherlich hilfreich für die Protestbewegung und deren mediale Wahrnehmung – ob sie in der Sache angemessen war, ist eine andere Frage.

Auf der Strecke blieben viele Vermutungen und Behauptungen über das, was das Gesetz zu bekämpfen vorgab: den sexuellen Missbrauch von Kindern. Allein schon der Blick auf die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) lässt Zweifel daran aufkommen, ob der Kampf gegen Kinderpornografie im Netz wirklich der geeignete Hebel ist, um diesen Missbrauch einzudämmen. Während die Familienministerin und der Chef des Bundeskriminalamtes immer wieder auf rasant steigende Fallzahlen hinwiesen, zeigt ein Blick in die PKS, dass die meisten Übergriffe nicht im Zusammenhang mit kinderpornografischen Darstellungen stehen und zudem aus dem Umfeld der Opfer erfolgen – wo vom Internet weit und breit keine Spur ist.

Daten zum sexuellen Missbrauch lt. PKS 2008

Die Regierung betonte dagegen, dass der Kampf gegen Kinderpornografie ein Kampf gegen einen kriminellen Schwarzmarkt sei. Mit den Abbildungen missbrauchter Kinder würden Millionen umgesetzt, und es gelte, dieser Schattenwirtschaft den Absatzmarkt zu entziehen. Inwiefern es wirklich eine industrielle Vermarktung des Kindesmissbrauchs gibt, blieb jedoch offen. Einziger Beleg war eine 2004 von der britischen National High Tech Crime Unit veröffentliche Zahl, wonach damals wöchentlich 1,3 Mio. US-Dollar auf Konten eingingen, die mit Kinderpornografie in Zusammenhang gebracht wurden. Dagegen stehen Experteneinschätzungen wie die der Medienwissenschaftlerin Korinna Kuhnen, wonach sich die Kinderpornografie im Netz eher durch eine „versteckte Präsenz“ auszeichne und kaum frei auf Webseiten zugänglich sei. Sie werde in geschlossenen Chatrooms oder Tauschbörsen verbreitet, wogegen die Zugangssperren wirkungslos sind. Hinter dem umstrittenen Punkt, ob das Netz hier als Wirtschaftsplattform funktioniere oder ob es „nur“ ein Kommunikationsmedium sei, stehen divergierende Vorstellungen von einer Regulierung des Netzes – Markt oder Medium? Die Entscheidung fällt aufgrund des öffentlichen Halbwissens nicht leicht. Zumindest ist der normale Ausweg des mündigen Bürgers versperrt, sich selbst über den Sachverhalt zu informieren. Vor einer gezielten Suche kinderpornografischer Webseiten kann nur dringend gewarnt werden, denn schließlich beginnt bereits mit dem Aufruf der Seiten im Webbrowser der strafbare Besitz. Die Diskussion um den Umgang mit Kinderpornografie landete in einem demokratischen Dilemma, weil Bürgerinnen und Bürger, ja selbst die von ihnen gewählten Abgeordneten die Angaben der Experten nicht mehr nachprüfen können.

Das Vertrauen in den Gesetzgeber litt allerdings noch mehr, als weitere Fakten ins Wanken gerieten: Das Zugangssperren notwendig seien, wurde von Frau von der Leyen immer wieder damit begründet, dass ein Löschen der Seiten oft nicht möglich sei, weil das kinderpornografische Material  auf Rechnern in fernen Ländern  lagere, wo die Löschung der Seiten nicht durchsetzbar sei. Als Beispiele führte die Ministerin mehrfach Afrika, aber auch Indien an. Der Einordnung Indiens in die „Koalition der Unwilligen“ widersprach der Botschafter Indiens in Deutschland vehement und verwies auf die seit 1973 bestehenden und erst im letzten Jahr verschärften Strafvorschriften. Das Familienministerium musste sich schließlich für den diplomatische Fauxpas entschuldigen. Aber auch der Fingerzeig nach Afrika entsprach nicht den Tatsachen: Alvar Freude vom AK Zensur wertete mit Hilfe eines Skriptes die Sperrlisten Australiens, Finnlands und der Schweiz aus. Dabei kam er zu dem überraschenden Ergebnis, dass auf keiner der drei Sperrlisten Rechner aus Afrika verzeichnet waren. Die überwiegende Mehrheit befand sich in Nordamerika und Europa, nicht wenige in Deutschland selbst – also durchaus in Gegenden, wo Löschungsaufforderungen deutscher Behörden durchsetzbar wären. Schließlich räumte die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 11. Juni 2009 auf eine Kleine Anfrage der FDP ein, dass sie weder genaue Angaben über die Standorte der Server mit den kinderpornografischen Daten machen könne, noch wisse, in welchen Ländern eigentlich Kinderpornografie straffrei sei (BT-Drs. 16/13347).

Zugeständ­nisse – Erfolge der Kritik?

Wie so oft konnten die KritikerInnen den Gesetzgeber nicht überzeugen. Die breite Ablehnung der Internetsperren hinterließ dennoch Spuren im Parlament. Diese findet man etwa im Protokoll der Sachverständigenanhörung, die der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie am 27. Mai 2009 abhielt (Protokoll 16/96); die dort gezeigte Sachlichkeit und Aufmerksamkeit der Abgeordneten würde man sich in anderen Anhörungen wünschen. So war es auch wenig überraschend, dass die Koalition – einen Tag vor der Verabschiedung des Gesetzes im Plenum – einige Zugeständnisse präsentierte, mit denen Bedenken der Kritiker zerstreut werden sollten (s. BT-Drs. 16/13411).

Der erste Vorschlag wollte ein zentrales Defizit der Sperrlisten beheben, ihre Unkontrollierbarkeit. Der Gesetzentwurf verwendet schließlich viel Mühe darauf, die Liste der zu sperrenden Internetseiten geheim zu halten. So sollten die Sperren nur für große Provider (ab 10.000 Kunden) verbindlich sein, was bedeutet, dass neben den BKA-Beamten nur eine Handvoll Mitarbeiter großer TK-Unternehmen die Liste einsehen würde. Um dieses Kontrolldefizit zu beheben, schlug die Koalition jetzt ein neues Expertengremium vor. Dessen fünf Mitglieder, vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz zu bestellen, sollen die gelisteten Seiten stichprobenartig kontrollieren, mindestens einmal im Quartal. Abgesehen davon, dass Peter Schaars Behörde bisher über keinerlei Erfahrungen mit der Indizierung jugendgefährdender oder gar kinderpornografischer Dokumente verfügt, ist er zugleich auch Beauftragter für die Informationsfreiheit. Wie er den möglichen Zielkonflikt löst, der sich aus seiner Aufgabenbeschreibung und der neuen Doppelfunktion als Kontrolleur und Legitimator eines Internet-Sperrmechanismus ergibt, bleibt ihm überlassen.

Zu den Zugeständnissen gehörte ferner eine Vorrangklausel: Demnach soll innerhalb Deutschlands und der Reichweite der EU-Richtlinie über den elektronischen Binnenmarkt (RL 2000/31/EG) die Löschung inkriminierter Webseiten vorrangig sein, bevor es zu Sperrmaßnahmen komme. So weit die Ankündigung. Die Regel – Löschen geht vor Sperren – findet sich im Gesetz jedoch deutlich abgeschwächt wieder. In § 1 Absatz 2 heißt es dort: „Die Aufnahme in die Sperrliste erfolgt nur, soweit … [Löschversuche] nicht oder nicht in angemessener Zeit erfolgversprechend sind.“ Zu Deutsch: Das Bundeskriminalamt muss die Löschung nicht tatsächlich versuchen, es reicht auch, wenn die Beamten eine Löschung für nicht erfolgversprechend halten, um die entsprechende Seite in die Sperrliste aufzunehmen. Für eine derartige Abschwächung der Vorrangklausel bestand eigentlich kein Anlass: Dass eine vom BKA ausgehende Aufforderung zur Löschung von Webangeboten in Deutschland nicht durchsetzbar wäre, dieser Fall ist eigentlich nur bei jener Minderheit von Webseitenanbietern denkbar, die ihre Server selbst kontrollieren. Kommerzielle Anbieter von Webservern nehmen erfahrungsgemäß inkriminierte Webseiten sofort vom Netz, sofern sich jemand bei Ihnen meldet. Das hat im vergangenen Jahr nicht nur die Humanistische Union mit ihrem Anonymisierungsdienst erfahren müssen, sondern demonstrierte auch die oben zitierte Aktion des Arbeitskreises gegen Zensur.

Und selbst für den Fall, dass ein Betreiber seinen eigenen Server unter Kontrolle hat und dann noch über die Chuzpe verfügt, der Aufforderung des BKA zu widersprechen – etwa weil er der Auffassung ist, dass seine Angebote legal seien – wäre es rechtsstaatlich geboten, wenn das BKA die Stillegung der Seite mit entsprechenden Rechtsmitteln erzwingt. Unstimmigkeiten zwischen den Internetkontrolleuren und betroffenen Anbietern sind nämlich keinesfalls ausgeschlossen, sondern zu erwarten. So räumte der Vertreter des BKA bei der parlamentarischen Anhörung mit Verweis auf die dänischen Sperrlisten ein, dass es im internationalen Vergleich erhebliche Unterschiede in der Klassifikation kinderpornografischer Abbildungen gebe. Aber selbst in einem „einheitlichen Rechtsraum“ wie der Bundesrepublik Deutschland sind Meinungsverschiedenheiten bei der Indizierung nicht ausgeschlossen. So soll die redaktionell gepflegte Sperrliste einer von der Kommission für Jugendschutz (KJM) für einen Testversuch zugelassenen Software („JusProgs“) so dubiose Adressen wie die tageszeitung, den Juso-Bundesverband und den CDU Bezirksverband Neuss enthalten haben (s. BT-Drs. 16/13744).

Was sich alles noch im Internet sperren lässt – die Wunschliste

• Jugendpornografie
Caren Marks, jugendpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

• Glücksspiele
Heinrich Sievers, Leiter des Referats Glücksspiel im Hessischen Innenministerium

• Gewaltspiele
Thomas Strobl, Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg

• Pro-Magersucht und Pro-Bulimie-Seiten
Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes 

• Urheberrechtsverletzungen
u.a. Christian Sprang, Leiter der Rechtsabteilung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels

• Verstöße gegen den Jugendmedienschutz
Ankündigung der Umsetzung durch die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM)

• rechtsextreme Propaganda
Joachim Herrmann (CSU), Innenminister des Landes Bayern

• antisemitische Äußerungen
Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

• Hass-Seiten
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma

• alle umstrittenen Seiten im Internet
Jürgen Rüttgers (CDU), Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen

Neben­wir­kungen und Folgen

Mangelnde Effizienz ist ein Problem, kontraproduktive Lösungen ein viel größeres: Die KritikerInnen wandten in der Diskussion nicht nur ein, dass die Zugangssperren weitgehend wirkungslos seien und direkte Löschanfragen mehr Erfolg zeigen, nein sie behaupteten auch, dass die neue Infrastruktur die Verfolgung der Täter gefährden könne. Seien die „Stopp-Schilder“ nämlich erst einmal installiert, könnten die Betreiber diese nutzen, um die Erreichbarkeit ihrer Webseiten automatisch zu prüfen. Dazu genüge ein kleines Testskript, dass ständig die Erreichbarkeit ihrer Seite prüfe. Sobald dieses Skript melde, dass ihre Seite auf einer Sperrliste enthalten sei, könnten sie mit ihren Inhalten auf einen neuen Server umziehen und die Zeit nutzen, um ihre Spuren zu verwischen. Zugangssperren könnten eine effektive Strafverfolgung der Anbieter verhindern.

Jenseits der technischen Fragen finden sich auch grundsätzliche Bedenken gegen eine Filterinfrastruktur. Für die Sicherheitspolitik einer demokratischen Gesellschaft gilt schließlich: Zweck und Mittel verhalten sich nicht neutral zueinander. Das hehre Ziel – der Kampf gegen Kinderpornografie – darf nicht mit beliebigen Mitteln verteidigt werden. Die Kritiker des Gesetzes haben von Beginn an auf die zu erwartenden Folgen hingewiesen: Ist die Sperrung kinderpornografischer Seiten erst einmal beschlossen, werden weitere Vorschläge zur Säuberung des Netzes nicht lang auf sich warten lassen; inzwischen liegen zahlreiche Vorschläge auf dem Tisch (s. Infokasten). Dass es dazu kommen würde, verdankt sich wohl zweier Mechanismen. Zum einen ist es die beliebte Salami-Taktik von Sicherheitspolitikern, neue Kontrolltechniken zunächst gegen die schlimmsten der Schlimmen anzuwenden, um sie dann Schritt für Schritt auf andere Bedrohungen auszuweiten. Daneben spielt aber auch ein aus dem Publikum herrührender Mechanismus demokratischer Diskurse eine wichtige Rolle: Werden die schutzbedürftigen Interessen einer Gruppe mit besonderen Sanktionen anerkannt, fordern andere Betroffene natürlich den gleichen vermeintlichen Schutz ein. Mit jeder Sanktion wird also ein Wettlauf um die Anerkennung als zu schützende Gruppe angeheizt, werden die bestehenden Gleichgewichte zwischen allgemeinen und besonderen, zwischen freiheitlichen und repressiven Interessen in Bewegung gesetzt.

Genau an diesem Punkt zeigt sich die fatale Wirkung des Systems der Zugangssperren: Sie besteht im Aufbau einer Infrastruktur bei den Internetprovidern und der Etablierung organisatorischer und technischer Standards für die Abwicklung des Zensurprozesses. Sind diese erst einmal in der Welt, entfalten sie eine gewisse Eigendynamik. Man kennt dies bereits aus anderen Diskussionen: Warum dürfen die LKW-Mautdaten nicht genutzt werden, wenn die Polizei auf der Suche nach einem mutmaßlichen Vergewaltiger ist? Wieso dürfen wir den Verdächtigen nicht mit Hilfe seiner Handy-Standortdaten orten, wenn die ohnehin beim Telefonanbieter gespeichert sind? Kurzum: Warum sollten wir nicht tun, was technisch machbar ist?

Gegen derartige faktizistische Plausibilität haben einzelne Betroffene, haben die Verteidiger eines freien Internets kaum eine Chance. Nachdem die Düsseldorfer Bezirksregierung jahrelang recht erfolglos mit Sperrverfügungen gegen vermeintliche rechtsradikale Propaganda im Netz vorgegangen ist, setzt das Zugangserschwerungsgesetz eine neue Dynamik in Gang. Was am Ende von der Meinungs- und Rezipientenfreiheit des Internets übrig bleiben wird, ist derzeit offen.

Was also können die Verteidiger des freien Internets tun? Auf die Einsicht des Gesetzgebers zu vertrauen, wäre naiv. Die im Gesetz angekündigte Evaluation wird kaum helfen, die Internetsperren wieder zu entfernen. Bei der beschlossenen „Evaluation“ handelt es sich ohnehin nur um einen „Bericht über die Anwendung des Gesetzes“, der nicht einmal ansatzweise Neutralität und wissenschaftliche Rationalität für sich beanspruchen kann. Mittlerweile wurde eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingereicht, über deren Erfolgsaussichten man nur spekulieren kann. Letztlich wird es davon abhängen, ob die in diesem Jahr entstandene Bewegung um dem AK Zensur politische wie technische Perspektiven für ein freies Internet entwickelt.

Sven Lüders
ist Geschäftsführer der Humanistischen Union

Hintergrund:

Wie einfach das Löschen inkriminierter Webseiten veranlasst werden kann, dokumentiert der AK Zensur: http://ak-zensur.de.

Eine kritische Lektüre der von der Bundesfamilienministerin verbreiteten Zahlen zur Kinderpornografie bietet der „Verein der Missbrauchsopfer gegen Internetsperren“ (Mogis): http://mogis.wordpress.com.

Die Vorgeschichte von Sperrverfügungen im nordrhein-westfälischen Internet schildert Alvar Freude: http://odem.org/informationsfreiheit/.

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